Die Verzauberung der Welt (eBook)

Eine Kulturgeschichte des Christentums

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
734 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-75498-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Verzauberung der Welt - Jörg Lauster
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Jörg Lauster ruft in seiner großen Darstellung die Glanzpunkte christlicher Kultur in Erinnerung und öffnet die Augen für die religiöse Dimension der abendländischen Kunst, Musik, Architektur und Literatur gerade auch da, wo sie nicht im Dienst einer kirchlichen Glaubensbotschaft steht. Dabei gelingt es ihm meisterhaft, entlang klug ausgewählter Beispiele einen großen erzählerischen Bogen vom Urchristentum bis heute zu spannen.
Das Christentum hat seit der Antike nicht nur die Künste, sondern auch das Zusammenleben, Wirtschaften und Herrschen vor allem in Europa zutiefst geprägt und so die Welt immer mehr «verzaubert», bis jeder Winkel der Kultur - und auch noch der Krieg - christianisiert war. Mit der Aufklärung setzte eine schrittweise Entzauberung ein, aber gerade mittels Kunst, Musik, Architektur und Literatur, die auch das Gefühl ansprechen, hat sich das Christentum seit der Romantik verwandelt und prägt die Kultur auch noch nach Nietzsches berühmtem Satz vom Tod Gottes. Jörg Lauster zeigt auf faszinierende Weise, wie wir gerade da, wo die Kunst nicht im Dienste einer Glaubensbotschaft steht, ihre religiöse Signatur erkennen können.

Jörg Lauster, geboren 1966, ist Professor für Systematische Theologie an der Ludwig- Maximilians-Universität München und hatte Gastprofessuren in Venedig, Rom und Chile inne. Er forscht seit vielen Jahren über die Kultur- und Sinngeschichte des Christentums.

Einleitung


Die Verzauberung der Welt


«Was wir sind und haben – im höheren Sinn –, haben wir aus der Geschichte und an der Geschichte.»1 Mit den Worten Adolf von Harnacks, des großen deutschen Kulturprotestanten, ist ein Leitmotiv dieses Buches benannt. Die Kulturgeschichte des Christentums ist die Erzählung unserer Herkunft.

Seit Max Weber sind wir damit vertraut, die Geschichte unserer Kultur und auch unserer religiösen Herkunft als das Resultat einer voranschreitenden Rationalisierung und Abkühlung zu begreifen, als eine fortgesetzte Entzauberung, die der Welt und dem Leben alle Geheimnisse nimmt. Daran ist vieles, aber nicht alles richtig. Webers Zeitgenosse Oswald Spengler bezeichnete die Kultur als «geheime Sprache des Weltgefühls».2 Kultur verarbeitet und artikuliert über ihr zivilisatorisches Fundament hinaus einen mit keiner Funktion verrechenbaren Überschuss im Welterleben, sie repräsentiert ein Weltgefühl, das mehr ist als das Sich-Einrichten in dieser Welt. Das Christentum ist die Sprache eines Weltgefühls, das den Überschuss als das Aufleuchten göttlicher Gegenwart in der Welt versteht, es ist daher die Sprache einer kontinuierlichen Verzauberung der Welt. Diese Verzauberung endet in der Moderne nicht, sie nimmt andere Formen an.

Das Buch will erstens einen Beitrag dazu leisten, die Erscheinungsformen, Triebkräfte und Erfahrungen zu verstehen, die unsere Kultur geprägt haben, es hilft zu begreifen, woher wir kommen. Friedrich Nietzsche, ein anderer Großer des 19. Jahrhunderts, hat in einem seiner Erstlingswerke unüberbietbar Schönes nicht nur über die Nachteile, sondern – man vergisst das meist – auch über den Nutzen der Historie für das Leben gesagt. Wer dahin blickt, «woher er kommt, worin er geworden ist [...], trägt [...] gleichsam den Dank für sein Dasein ab».3 Die Dankbarkeit gegenüber unserer Herkunft ist nicht gleichzusetzen mit einer Apologie der Christentumsgeschichte. Es gibt Erscheinungsformen des Christentums, die aus heutiger Sicht nur schwer zu begreifen sind. Beim Blick auf Kreuzzüge, Inquisition, Hexenverfolgung und viele andere Gewaltexzesse zeigt sich das Düstere und Irrationale, das zu jeder Religion und daher auch zum Christentum bis in unsere Tage hinein gehört. Das Finstere kann jedoch nur vertrieben werden, wenn eine Religion das Licht der Aufklärung auf ihre eigene Geschichte wirft.

Eine Kulturgeschichte des Christentums ist zweitens der Versuch, seine kulturelle Erscheinungsvielfalt besser zu verstehen. Die christliche Religion setzt sich aus einer Vielfalt von Motiven, Themen und kulturellen Erscheinungsformen zusammen, deren Sinn es zu verstehen gilt. Daher ist die kulturgeschichtliche Perspektive auch kein theologisches Sakrileg, sondern ein Gewinn. Den Anhängern des Christentums kann sie nützlich sein, den Grund ihrer eigenen Welt- und Lebensorientierung besser einzusehen. Den Gegnern des Christentums könnte sie helfen, mit größerer Klarheit zu wissen, was sie kritisieren.

Das dritte und wichtigste Ziel dieser Kulturgeschichte ist es, das Verständnis des Christentums auf eine kontinuierliche Geschichte der Verzauberung der Welt hin zu erweitern. Von Anbeginn nahm das Christentum Kulturformen aus seiner Umwelt auf und prägte sie in seinem Interesse. Dazu gehören die Bibel als heiliges Buch, die gottesdienstliche Feier, die institutionelle Gestalt einer Kirche, feste Lehren als Dogmen und die praktizierte Nächstenliebe gegenüber Armen, Kranken und Ausgegrenzten. Das alles diente dem Aufbau einer Religionskultur, die wir heute für genuin christlich halten. Aber die Tiefe seiner Überzeugung und die Größe seiner Botschaft trieb das Christentum stets zur Weiterentwicklung der vorhandenen Formen. Als gelebte Religion reicht das Christentum weiter, es ragt hinein in die Kultur und drückt sich in Werken der Kunst, der Architektur und der Musik aus, in der Literatur, in inneren Haltungen von Menschen, ihren Gestimmtheiten, ihrem Umgang mit der Natur und ihrem Verhalten gegenüber anderen Menschen, schließlich in ihren Plänen und Hoffnungen. Es ist eine allzu schlichte Vereinfachung, das Christentum auf die traditionellen Kulturformen seiner ersten Jahrhunderte zu reduzieren und allein an diesen zu messen, was als christlich zu gelten hat. Schon im Bau einer Kathedrale und in dem Bild eines Renaissancekünstlers bricht etwas von dem christlichen Welterleben durch, das die traditionellen Formen übersteigt. Seit der Neuzeit erprobt das Christentum viele Kulturformen, um seine Botschaft zu vermitteln. Romane, Bilder, Musik, der politische Kampf für die Freiheit und der Gang in die Natur, das alles sind Ausdrucksformen, und in manchen dieser Erscheinungsformen erfährt man besser und tiefer als in den traditionellen Gestalten des Christentums, was die Menschen im Innersten bewegte. Das Christentum ist der Ozean einer Religion, und die Kulturgeschichte der Versuch, ihn in seiner Weite zu bereisen.

Es gibt in der protestantischen Theologie eine bedeutende Traditionslinie, die dem inneren Zusammenhang von Religion und Kultur nachgegangen ist. Sie reicht von Friedrich Schleiermacher über Ernst Troeltsch bis zu Paul Tillich. Ihrem Grundanliegen weiß sich eine Kulturgeschichte des Christentums dankbar verpflichtet, wenn sie seine Kulturformen auf ihre religiöse Bedeutung hin zu lesen versucht. In dieser Tradition ist das vorliegende Programm einer Kulturgeschichte der Versuch einer Sinngeschichte des Christentums.

Die Hoffnung, durch die Suche nach Sinn und Bedeutung zu einem umfassenderen Verständnis kultureller Phänomene zu gelangen, hat eine lange Vorgeschichte. Von dem Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel stammt der berühmte Satz, die Philosophie sei «ihre Zeit in Gedanken gefaßt».4 Aus dem philosophischen Denken einer Zeit heraus erschließen sich die Fragen, die die Menschen jener Epoche umtreiben. Damit lieferte Hegel einen wichtigen Impuls für die große Zeit der Kulturgeschichtsschreibung. Deren Protagonisten sind von ihrer philosophischen Berufung her kaum als Hegelianer zu bezeichnen, jedenfalls teilen sie nicht Hegels Geschichtsbild, nach dem die Weltgeschichte allen Wirren zum Trotz letztlich einer planvollen Entwicklung des Weltgeistes folgt. Dennoch ist Hegels Philosophie der Geschichte ein wichtiges Gründungsdokument, da sie universalgeschichtlich den Geist einer Zeit aus ihren kulturellen Phänomenen herauszulesen beabsichtigt.

Das goldene Zeitalter der Kulturgeschichtsschreibung beginnt um die Mitte des 19. Jahrhunderts mit Jacob Burckhardts Meisterwerk über die Kultur der Renaissance.5 Burckhardt will Kulturphänomene auf ihre Bedeutung und auf ihren Sinn hin lesen, um so ein Zeitalter besser verstehen zu können. Seine Idee, den Geist einer Zeit aus der Bedeutungsanalyse ihrer kulturellen Erscheinungsformen herauszuarbeiten, erweist ihn als Erben Hegels. Denn was er darin unternimmt, ist die kulturgeschichtliche Ausweitung von Hegels Motto, die Philosophie sei «ihre Zeit in Gedanken gefaßt». Burckhardt geht über Hegel hinaus – nicht allein die Analyse der Philosophie, sondern die Gesamtschau der kulturellen Phänomene ist nötig, um den Geist einer Zeit zu erheben und ihr Porträt malen zu können. «Besser zu verstehen»6 ist auch das ausdrückliche Motto, das Johan Huizinga, ein anderer Großer der klassischen Kulturgeschichtsschreibung, seinem Buch Herbst des Mittelalters voranstellt. Für ihn zielt die Kulturgeschichte auf das Lebensgefühl einer Epoche.7

Ihren Ausklang findet diese glanzvolle Tradition in den populären Werken von Egon Friedell und Oswald Spengler. Von Seiten der historischen Wissenschaften begegnet man Friedell im günstigsten Falle mit höflichem Schweigen, Spengler üblicherweise mit vernichtender Kritik. Das Lesepublikum hat hingegen Spenglers Untergang des Abendlandes und Friedells Kulturgeschichte der Neuzeit begeistert aufgenommen. In den beiden erfolgreichen kulturgeschichtlichen Büchern des 20. Jahrhunderts treten Größe und Grenze der Kulturgeschichtsschreibung alter Schule deutlich zu Tage. Die Kulturgeschichtsschreiber des goldenen Zeitalters ihrer Zunft sind glänzende Erzähler, die das Leben vergangener Epochen in seiner ganzen Fülle und Vielfalt nahe an die Leserinnen und Leser heranrücken, den tieferen Sinn aufspüren und große Linien ziehen können. Im Bann der imposanten Deutungsleistung gerät jedoch die Frage ins Hintertreffen, wie die Urteile zustande kommen. Das Methodenproblem aller hermeneutischen Versuche, vergangene Lebensäußerungen auf ihren Sinn hin zu lesen, wird hier virulent.

Bücher sind Kinder ihrer Zeit, und so verdankt sich die Idee zu einer Kulturgeschichte des Christentums heute dem, was der Wissenschaftsbetrieb cultural turn nennt. Damit wird ein Phänomen bezeichnet, das in den letzten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts einsetzte und eine beträchtliche Erweiterung der Perspektiven im Umgang mit der Vergangenheit einfordert. Eine Grundintention ist trotz verschiedener Zugangsweisen klar zu erkennen. Die neue Wende zur Kulturgeschichte ist von dem Interesse geleitet, herauszufinden, wie sich Menschen durch Kultur in der Welt orientieren und einrichten. Der kulturgeschichtliche Ansatz «befragt vergangene Zeiten daraufhin, wie...

Erscheint lt. Verlag 27.8.2020
Reihe/Serie Beck Paperback
Zusatzinfo mit 89 Abbildungen
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Allgemeines / Lexika
Geisteswissenschaften Geschichte
Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte Antike • Architektur • Aufklärung • Christen • Christentum • Europa • Gemälde • Geschichte • Glaube • Gott • Gregorianischer Choral • Kathedrale • Kulturgeschichte • Kunst • Literatur • Romantik • Sachbuch • Sitten • Urchristentum
ISBN-10 3-406-75498-8 / 3406754988
ISBN-13 978-3-406-75498-2 / 9783406754982
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