Mit Wittgenstein bei Kerzenschein (eBook)

Ein Lesebuch für Nachdenkliche

Matthias Viertel (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
224 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43787-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mit Wittgenstein bei Kerzenschein -
Systemvoraussetzungen
8,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Ganz entspannt Gedanken lesen »Im Denken gibt es eine Zeit des Pflügens und eine Zeit der Ernte«, stellte Ludwig Wittgenstein fest. Die philosophischen Früchte dieser Arbeit sind bequem vom Lehnstuhl aus zu genießen. Konfuzius, Karl Jaspers, Simone de Beauvoir und andere reflektieren über die großen und kleineren Fragen des menschlichen Daseins, über Gott und die Welt, über Gewissheit und Erkenntnis, über die Macht der Sprache, aber auch über den Zweifel. Ihre Antworten bieten vielfältige Anregungen, die wichtigen Dinge des Lebens aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten.      

Dr. Matthias Viertel, geb. 1952, studierte Evangelische Theologie, Philosophie und Musikwissenschaft. Als Pastor war er Referent der norddeutschen Kirchen beim NDR, viele Jahre Direktor der Evangelischen Akademie Hofgeismar, Leiter der Initiative Glaube und Bildung in Lübeck und Gemeindepastor in Kiel. Aus seiner Feder stammen zahlreiche Publikationen sowie Beiträge für verschiedene Rundfunksender.

Dr. Matthias Viertel, geb. 1952, studierte Evangelische Theologie, Philosophie und Musikwissenschaft. Als Pastor war er Referent der norddeutschen Kirchen beim NDR, viele Jahre Direktor der Evangelischen Akademie Hofgeismar, Leiter der Initiative Glaube und Bildung in Lübeck und Gemeindepastor in Kiel. Aus seiner Feder stammen zahlreiche Publikationen sowie Beiträge für verschiedene Rundfunksender.

Giordano Bruno


Dialog über die Unendlichkeit der Welt


ELPINO: Wie kann denn das Universum unendlich sein?

PHILOTHEO: Wie kann denn das Universum endlich sein?

ELPINO: Wollt Ihr behaupten, diese Unendlichkeit lasse sich beweisen?

PHILOTHEO: Wollt Ihr behaupten, diese Endlichkeit lasse sich beweisen?

FRACASTORIO: Ad rem, ad rem, si iuvat [zur Sache, zur Sache, wenn’s gefällig ist], schon zu lange habt Ihr uns auf die Folter gespannt!

BURCHIO: Kommt bald zu ein paar Gründen, Philotheo, denn es wird mir ein Vergnügen sein, dieses Märchen, diese Ausgeburt der Phantasie anzuhören.

FRACASTORIO: Modestius [bescheidener], Burchio: Wie, wenn die Wahrheit dich am Ende überzeugen würde?

BURCHIO: Und wenn es auch wahr wäre, ich würde es doch nicht glauben; dieses Unendliche kann mein Kopf nicht fassen, noch kann mein Magen es verdauen – obwohl es mir sozusagen gelegen käme, wenn es so wäre, wie Philotheo sagt; denn falls ich je das Mißgeschick hätte, aus dieser Welt hinauszufallen, geriete ich doch immer an irgendeinen Ort.

ELPINO: Eins ist gewiß, Philotheo: Wenn wir die Sinne zu Richtern machen, oder wenn wir ihnen auch nur die Vorrangstellung einräumen, welche ihnen dafür gebührt, daß alle Kenntnis in ihnen ihren Ursprung hat, dann werden wir es vielleicht schwierig finden, eher auf das zu schließen, was du sagst, als auf das Gegenteil. Beginnt nun, wenn es Euch recht ist, mich zu belehren.

PHILOTHEO: Es gibt keinen Sinn, der das Unendliche sieht, es gibt keinen Sinn, von dem diese Schlußfolgerung verlangt würde; denn das Unendliche kann nicht Gegenstand der Sinne sein; und daher ist, wer es mittels der Sinne zu erkennen verlangt, wie einer, der die Substanz und die Essenz mit Augen sehen will; und wer etwa deshalb ihre Existenz abstritte, weil sie nicht fühlbar oder sichtbar sei, käme dahin, sein eigenes Sein und Wesen zu leugnen. Es muß daher bei der Befragung der Sinne als Zeugen eine bestimmte Form eingehalten werden: Wir schenken ihnen nur bei wahrnehmbaren Dingen Gehör, und auch da nicht ohne den Verdacht, ob sie nicht im Verein mit der Vernunft zu ihrem Urteil kommen. Dem Intellekt kommt es zu, Rechenschaft zu geben über abwesende Dinge, die durch zeitlichen Abstand und räumliche Entfernung von uns getrennt sind. Und es ist uns in diesem Fall vollkommen genug, und wir haben ein hinreichendes Zeugnis durch die Sinne, da sie nämlich nicht in der Lage sind, uns zu widersprechen, und außerdem ihre Schwäche und Unzulänglichkeit durch den Anschein der Endlichkeit zeigen und eingestehen, den sie durch den Horizont hervorrufen, an dessen Hervorbringung schon zu sehen ist, wie unbeständig sie sind. Da wir nun aus Erfahrung wissen, daß die Sinne uns über die Oberfläche dieser Erdkugel täuschen, müssen wir ihnen um so mehr mit Vorsicht begegnen, was jene Begrenzung angeht, die sie uns im Sternengewölbe erblicken lassen.

ELPINO: Sagt: Wozu dienen uns dann die Sinne?

PHILOTHEO: Nur dazu, die Vernunft anzuregen, Klage zu erheben, und dazu, ein parteiisches Zeugnis abzulegen – nicht dazu, umfassend Zeugnis zu geben, und ebensowenig zum Urteilen und Verdammen. Denn wie vollkommen sie auch sein mögen, nie sind sie ohne irgendwelche Trübungen. Weshalb die Wahrheit zu einem geringen Teil von den Sinnen herkommt, wie von einem schwachen Ausgangspunkt, aber nicht in den Sinnen ist.

ELPINO: Wo denn also?

PHILOTHEO: Im wahrnehmbaren Gegenstand wie in einem Spiegel, in der Vernunft in der Weise der Argumentation und Rede, im Intellekt in der Weise der Voraussetzung oder Folge, im Geist in der eigentlichen und lebendigen Form.

ELPINO: Wohlan denn, bringt Eure Gründe vor.

PHILOTHEO: Das will ich tun. Wenn die Welt endlich ist und außerhalb ihrer nichts ist, dann frage ich Euch: Wo ist die Welt? Wo ist das Universum? Aristoteles antwortet: Es ist in sich selbst. Die Außenwölbung der ersten Himmelssphäre ist der universelle Ort [loco universale], und als erstes Enthaltendes ist sie in keinem weiteren Enthaltenden, da der Ort nichts anderes ist als die Oberfläche und der äußerste Punkt des enthaltenden Körpers. Daher hat das, was in keinem enthaltenden Körper ist, keinen Ort. – Was willst nun du, Aristoteles, damit sagen, daß »der Ort in sich selbst ist«? Was wirst du folgern für »etwas außerhalb der Welt«? Wenn du sagst, dort sei nichts, dann sind mit Gewißheit der Himmel und die Welt nirgendwo …

FRACASTORIO: Nullibi ergo erit mundus. Omne erit in nihilo. [Die Welt ist dann folglich nirgends. Alles ist dann im Nichts.]

PHILOTHEO: – die Welt ist dann etwas Unauffindbares. Wenn du sagst (und mir scheint gewiß, daß du etwas sagen willst, um dem Leeren und dem Nichts zu entkommen) – wenn du also sagst, außerhalb der Welt sei ein geistiges und göttliches Wesen, derart, daß Gott zum Ort aller Dinge wird, kommst du selber in große Verlegenheit, uns verständlich zu machen, wie etwas Unkörperliches, Intelligibles und Ausdehnungsloses zum Ort für Ausgedehntes werden kann. Denn wenn du sagst, Gott umfasse in der Weise einer Form und so, wie die Seele den Körper umgreift, antwortest du nicht auf die Frage nach dem Außerhalb und auf das Problem, was sich jenseits und außerhalb des Universums befindet. Und wenn du dich darauf herausreden willst, daß es dort, wo nichts ist, auch keinen Ort und kein Außerhalb gebe, dann stellst du mich damit nicht zufrieden; denn das sind Worte und Ausflüchte, bei denen sich nichts denken läßt. Es ist nämlich ganz unmöglich, daß du mich mit den Sinnen oder mit der Phantasie (selbst wenn man noch andere Sinnesvermögen und andere Arten der Phantasie entdeckte) dazu bringst, ernsthaft zu behaupten, es ließe sich eine Fläche, ein Rand oder ein äußerster Punkt dieser Art finden, außerhalb deren nicht entweder ein Körper oder das Nichts wäre: Nicht einmal, wenn dort Gott ist, denn die Gottheit ist nicht, um das Leere zu füllen, und folglich gehört es in keiner Weise zu ihrer Bestimmung, den Körper zu begrenzen. Alles nämlich, wovon man sagt, es begrenze, ist entweder eine äußere Form oder ein enthaltender Körper. Und wie du es auch immer drehen und wenden magst, du stündest immer als einer da, welcher die Natur Gottes und des Alls herabsetzt.

BURCHIO: Gewiß, glaube ich, müßte man ihm dies sagen: Wenn jemand seine Hand über jenes Gewölbe hinausstreckte, dann wäre sie an einem Ort, und folglich hätte sie kein Sein.

PHILOTHEO: Ich füge dem hinzu, daß es keinen gesunden Verstand gibt, der diese Aussage der Peripatetiker nicht als einen Widerspruch in sich auffassen würde. Aristoteles hat den Ort nicht als enthaltenden Körper definiert, nicht als einen bestimmten Raum, sondern als Oberfläche eines enthaltenden Körpers; und dann ist der erste, grundlegende und erhabenste Ort [il prima e principal e massimo loco] derjenige, auf den diese Definition am wenigsten und in keiner Weise zutrifft. Dieser Ort ist die Innenwölbung der ersten Himmelssphäre, welche die Oberfläche eines Körpers ist; und zwar eines solchen, der nur enthält und nicht enthalten ist. Um aus dieser Oberfläche einen Ort zu machen, soll nicht erforderlich sein, daß sie einem enthaltenen, sondern nur, daß sie einem enthaltenden Körper angehört. – Wenn sie aber Oberfläche eines enthaltenden Körpers ist, und keinem anderen enthaltenen Körper angefügt und benachbart, dann ist sie ein Ort ohne Ortsbestimmung, da ja Ort zu sein der ersten Himmelssphäre nur hinsichtlich ihrer Innenwölbung zukommt, welche die Außenwölbung der zweiten Himmelssphäre berührt. Da seht Ihr, wie nichtig und verworren diese Definition ist, und wie sie sich selbst aufhebt. Zu dieser Verwirrung kommt es durch jenen Unfug, nämlich behaupten zu wollen, außerhalb der ersten Himmelssphäre sei nichts.

ELPINO: Die Peripatetiker werden sagen, die erste Himmelssphäre sei enthaltender Körper hinsichtlich der Innenwölbung, und hinsichtlich der Außenwölbung nicht, und hinsichtlich der ersteren sei sie Ort.

FRACASTORIO: Und ich füge hinzu, daß es demzufolge eine Oberfläche eines enthaltenden Körpers gibt, die nicht auch Ort ist.

PHILOTHEO: Kurz und gut, um direkt zum Gegenstand zu kommen: Es scheint mir lachhaft, zu sagen, jenseits des Himmels sei nichts, der Himmel sei in sich selbst und er sei in akzidenteller Weise an einem Ort und in akzidenteller Weise Ort – idest [d. h.] hinsichtlich seiner Teile. Und ich sage, daß er, was immer auch mit seinem »akzidentell« gemeint sein mag, nicht vermeiden kann, aus einem zwei zu machen; denn was enthält und was enthalten ist, ist immer zweierlei; und zwar so sehr zweierlei, daß sogar seiner eigenen Auffassung nach das Enthaltende unkörperlich ist und das Enthaltene Körper, das Enthaltende unbeweglich und das Enthaltene beweglich, das Enthaltende mathematisch und das Enthaltene physikalisch. Was immer es nun auch mit dieser Oberfläche auf sich haben mag, ich frage beharrlich weiter: Was ist jenseits derselben? Antwortet man mir, da sei nichts, dann sage ich, dies sei das Leere und das Nichts; und zwar ein Leeres und ein Nichts derart, daß es keine Seinsweise hat, noch eine jenseitige Grenze, diesseits jedoch begrenzt ist. Und das ist schwerer vorzustellen, als zu denken, daß das Universum unendlich und unermeßlich ist. Denn wir können dem Leeren...

Erscheint lt. Verlag 23.10.2020
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Allgemeines / Lexika
Schlagworte Denkanstöße • denken lernen • Erkenntnis • Ethik • Gedanken • Geschenkbuch • Geschichte • Lebenskunst • Lesebuch • Literatur • Ludwig Wittgenstein • Naturwisschenschaft • Philosophie • philosophisch-literarische Anthologie • Sachbuch Neuerscheinung 2020 • Sinn des Lebens • Werte
ISBN-10 3-423-43787-1 / 3423437871
ISBN-13 978-3-423-43787-5 / 9783423437875
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 2,1 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Ein Methodenbuch

von Gregor Damschen; Dieter Schönecker

eBook Download (2024)
Walter de Gruyter GmbH & Co.KG (Verlag)
24,95

von Dietmar Pfordten

eBook Download (2023)
C.H.Beck (Verlag)
8,99