Unvollkommen glücklich
Francke-Buch (Verlag)
978-3-96362-173-4 (ISBN)
Was prägt mich?
Bin ich "gut genug"?
Was darf noch werden und wachsen in meinem Leben?
Mit Fragen wie diesen sind wir im Grunde nie fertig, ganz gleich, wie jung oder alt wir sind. Das Buch von Christina Ott macht uns Mut, uns diesen Fragen zu stellen und für uns selbst, im Gespräch mit anderen und im Hören auf Gott Antworten zu finden. Denn jede Frau ist einmalig, begabt, von Gott mit ihren Grenzen und Stärken wertgeschätzt. Themen wie "Lebensträume entdecken", "Innere Balance finden", "Vom Selbstzweifel zur Selbstannahme", "Festhalten und Loslassen" holen die Leserin dort ab, wo sie sich gerade befindet. Man fühlt sich auf wundervolle Weise verstanden und gesehen. Dieses Buch ist eine einfühlsame Einladung zum Glücklichsein, ein Wegweiser zu mehr Gelassenheit und eine Ermutigung, ein fröhliches "Ja" zu sich selbst zu entdecken.
Christina Ott wuchs in Ostdeutschland in einer christlichen Familie auf. Viele Jahre arbeitete sie als Krankenschwester und ist nun als psychologische Beraterin und Supervisorin tätig. Sie engagiert sich im Gnadauer Arbeitskreis Frauen sowie im Arbeitskreis Frauen der Deutschen Evangelischen Allianz und ist gefragte Referentin bei Frauenfrühstückstreffen. Sie ist mit einem Theologen verheiratet und Mutter von zwei Kindern.
1. Kindheit – Wie sie mein Leben prägt Unser Leben ist mit einem Film vergleichbar. Es hat einen Anfang und ein Ende. Ein beachtlicher Teil ist schon gelaufen. Wie mein Leben weitergehen wird, ist noch offen. Wenn wir diesen »Film« und unsere Rolle darin mögen, ist das natürlich vorteilhaft für ein glückliches und zufriedenes Leben. Welche Überschrift würden wir unserer Lebensstory geben? Schon das würde zeigen, wie wir unsere Existenz empfinden. In den Film unseres Lebens sind wir nicht zufällig »hineingeraten«. Nur im Kino kann man sich verirren und dann im falschen Saal in einen Film eintauchen, den man eigentlich nicht sehen wollte … Unser Lebensfilm hingegen ist weitgehend unter unserer eigenen Regie entstanden. Wir spielen darin eine entscheidende Rolle. Wir haben sie – im gewissen Rahmen natürlich – selbst gewählt. Und das fing schon in unserer Kindheit an. Neunundzwanzig, dreißig – ich komme! »Life is ten percent what happens to you and ninety percent how you respond to it.« (Lou Holtz) Denken Sie gelegentlich daran, wie es in Ihrer Kindheit war? Wie Sie spielten und unbeschwert die Welt entdeckten? Erinnern Sie sich an den Stolz, allein Roller fahren zu können und später dann Fahrrad? Haben Sie noch den Geschmack von Ihrem Lieblingsessen auf der Zunge, das die Großmutter extra für Sie kochte? Ich erinnere mich besonders gut an die Spiele draußen mit meinen Geschwistern und den Nachbarskindern. An die Suche nach einem tollen Versteck, während ein Kind laut zählt: «Siebzehn, achtzehn, neunzehn …« Ein wenig Zeit bleibt mir, also doch lieber noch einmal wechseln und zwischen Schubkarre und Schuppen quetschen, als hinter dem Baum zu hocken? »Neunundzwanzig, dreißig, ich komme …« Und jetzt ducken und sich ganz klein machen! Die Spannung lässt den ganzen Körper kribbeln. Gelegentlich vorsichtig hinter dem Baum hervorspähen und schauen, was insgesamt vorgeht. Und dann – der Sucher bewegt sich gerade in die entgegengesetzte Richtung – aufgeregtes Herzklopfen und ein mutiger Sprint zur vereinbarten Stelle, an der man sich freischlagen kann. Das war für mich Kindheitsglück, ob ich es nun geschafft hatte oder vorher erwischt wurde. Und am Abend vom Straßenstaub gereinigt werden, erschöpft ins Bett fallen und mit dem Gedanken an ein besseres Versteck für morgen einschlafen … Natürlich tauchen dabei auch unschöne Erinnerungen auf. Sie sind vielleicht genauso lebendig. Oder sie melden sich nur als negatives Gefühl, das wir am liebsten wieder in die Versenkung schicken. Die Kindheit schwingt mit Egal, wie alt Sie heute sind: Ihre Kindheit schwingt mit. Sie klingt nach und färbt auf Ihr Leben heute ab. Gehen Sie mit mir in Gedanken noch ein Stück weiter zurück bis zum Anfang Ihres Lebens. Die Umstände damals mögen bei allen von uns sehr unterschiedlich gewesen sein: ob Sie gewünscht und ersehnt waren oder ob Sie Ihre Eltern »überrascht« haben. Ob Ihre Eltern sich verbindlich füreinander entschieden hatten oder wieder auseinandergingen. Welche Menschen außer Ihren Eltern schon zur Familie gehörten. Wo Sie zur Welt kamen und zu welchem Zeitpunkt. Wie die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umstände gewesen sind. Ob und was Ihre Eltern glaubten. Wie sie ihren Glauben lebten und welche Werte ihnen wichtig waren. Diese Reihe ließe sich noch lange fortsetzen. Das kleine, schutzlose Wesen, frisch angekommen in diesem Nest, sind Sie gewesen. Voller Lebenswillen und innerer Kraft, angewiesen auf die Hilfe und Unterstützung anderer – so wie wir alle am Anfang unseres Lebens. Und gleichzeitig waren wir willens und in der Lage, zu wachsen und die Welt für uns zu erobern. Unabhängig davon, wie günstig unser Umfeld gewesen ist, wie viel Liebe und wohlwollende Unterstützung wir erfahren haben: Wir fanden einen Weg, unser Leben zu meistern. Schon allein das verdient Respekt. Und das dürfen wir selbst anerkennen. Denn tatsächlich sind die Startbedingungen nicht für alle Menschen gleich. Wer in ein liebevolles Elternhaus hineingeboren wurde, kann doppelt dankbar sein. Ein unverdient positiver Lebensstart! Wer in ein eher schwieriges Umfeld gekommen ist, kann auf die Fähigkeiten schauen, die er gerade in dieser Familie erworben hat. Und das ist oft enorm viel: Denken Sie an all die praktischen Kompetenzen, die ein Mensch braucht, um sein Leben zu bewältigen. Kinder, die verstärkt zur Mithilfe herangezogen wurden, lernten zu arbeiten, allein und mit anderen. Bei unserem Urlaub in Rumänien beobachteten wir halbwüchsige Mädchen, die geschickt eine hoch mit Kartoffeln und Zwiebeln beladene Schubkarre vom Feld nach Hause balancierten. Es schien ihnen sogar Freude zu machen und was von der Karre fiel, sammelten sie wieder auf. Und Kinder in sogenannten Fortsetzungsfamilien lernten z. B., sich in verschiedenen Familiensystemen zu arrangieren, und dass es nicht nur eine Art zu leben gibt. Kinder, die finanziell eher kurzgehalten wurden, können lernen, besonders sorgsam mit ihrem Geld umzugehen. Kinder, die häufig körperliche Übergriffe erlebten, sind oft Meister in der Deutung von Körpersprache und der Gesamtstimmung in einem Raum. Fällt Ihnen ebenfalls etwas ein, das Sie genau in Ihrem Umfeld erlernt haben? Sind Sie besonders mitfühlend, nachdem in Ihrer Familie jahrelang ein Großvater gepflegt wurde? Oder selbständig, weil Sie schon frühzeitig morgens alleine aufgestanden sind und Ihre Schulbrote belegten? Tatkräftig und entschlossen, weil Sie einen Bruder hatten, der regelmäßig epileptische Anfälle bekam und Sie dann die entsprechenden Handgriffe übernommen haben? Je länger man darüber nachdenkt, desto deutlicher zeigen sich diese ungebetenen Herausforderungen aus der Kindheit als Lebenslektionen. Und übrigens: Auch im besten Elternhaus bleiben Dinge offen. Jedes Kind vermisst irgendetwas und bekommt bestimmte Bedürfnisse nicht erfüllt. Trotzdem kann auch das uns lebensfähig machen. Und auch aus Gottes Sicht scheint es zu genügen. Er ist an unserer Seite, wenn wir uns der Aufgabe stellen, aus unserem Lebensmaterial – aus den Bausteinen, die wir haben – unser Leben aufzubauen. Ein Leben, in dem wir Sinn finden, mit anderen Menschen verbunden sind und das wir gerne leben. Das Kostbarste von allem – das Leben wurde uns geschenkt Unsere beiden Kinder kamen als Adoptivkinder zu uns. Als sie später erfahren wollten, wieso sie als Babys zur Adoption freigegeben wurden und was wir über ihre Mutter wissen, blieben viele Fragen offen. Aber eine Antwort konnten wir ihnen aus tiefster Überzeugung geben. Wir sagten es immer wieder: »Sie hat euch das Kostbarste gegeben, was ihr habt – euer Leben.« Deshalb denken wir mit großer Wertschätzung an diese Frau. Das Gleiche lässt sich wohl über alle Eltern sagen: Sie haben uns das Leben geschenkt – das Kostbarste, was uns zur Verfügung steht. Trotz ihrer Begrenzungen und trotz der Schwierigkeiten, die sie vielleicht mit sich selbst und ihrem Leben hatten. In dieser Haltung können wir den Fokus weg von den Eltern auf uns selbst richten. Natürlich ist es relativ bequem und üblich, Eltern oder Lebensumstände verantwortlich zu machen für unser Leben heute. Aber entspricht das der Realität und hilft es uns weiter? Ich möchte Sie zu einer anderen Denkweise einladen. Zu einer Sicht auf das Leben, die uns unsere eigene Verantwortung zurückgibt und gleichzeitig einen Veränderungshorizont und neuen Gestaltungsspielraum eröffnet. Wir selbst hatten Einfluss auf unsere Entwicklung Mir hilft zum Verständnis, welche Möglichkeiten ein Kind in seiner Familie hat und wovon die Entwicklung beeinflusst wird, ein Modell. Es geht auf den Arzt und Psychotherapeuten Alfred Adler zurück. Er stellte fest, dass es neben den genetischen Voraussetzungen und der Umwelt noch eine dritte Kraft gibt, die das Leben eines Kindes wesentlich beeinflusst: nämlich die kreative Kraft des Kindes. Er formulierte: »Der Einzelne ist Bild und Künstler zugleich. Er ist der Künstler seiner eigenen Persönlichkeit.« Damit meinte er die Fähigkeit des Kindes, seine Persönlichkeit zu entwickeln entsprechend der inneren Vermutung, wie es am besten zurechtkommen könnte. Aus dieser Vermutung wird später eine feste Überzeugung. Denken Sie an die unglaubliche Kreativität, die Kinder beim Malen, Basteln, und Kleben haben. Dabei ist nahezu alles möglich. Dem Spiel mit Farben und Formen sind keine Grenzen gesetzt. Jedes Kunstwerk ist einzigartig. Eben habe ich eines meiner Lieblingskunstwerke unserer Tochter wieder aus dem Schrank geholt. Es war ein Ostergeschenk und sollte ein Nest darstellen. Dazu hatte die kleine Künstlerin einen Kreis ausgeschnitten und ringsum am Rand elf kleine rote Hasen gemalt. Anschließend hat sie irgendwie den Rand des Kreises mit Nadel und weißem Wollfaden aufgefädelt und zusammengezogen. Ganz schön clever! Mein Herz wird heute noch weich, wenn ich das anschaue. Vielleicht haben Sie irgendwo auch eine Mappe oder Schachtel deponiert, in der Ihre frühen kindlichen Werke aufbewahrt werden oder Geschenke Ihrer Kinder und Enkel. Wenn Sie wieder hineinschauen, wissen Sie, was ich meine. Nun stellen Sie sich vor: Die gleiche kreative Kraft, die ein Kind nach außen zeigt, hat es auch nach innen. Und es verwendet sie ganz unbedarft, um zu beobachten, zu kombinieren, zu probieren und für sich ein inneres Bild zu malen, wie es selbst sein sollte. Es kreiert sich sozusagen eine unscharfe Schablone. In Richtung dieses inneren Bildes entwickelt sich das Kind. Wenn sich seine Strategie bewährt, zeichnet es anschließend für sich das Bild mit immer deutlicheren Konturen und hat keinen Grund mehr, es infrage zu stellen. Betty Lou Bettner baut auf diese Theorie mit ihrem Modell von der Theaterbühne auf. Sie illustriert, dass jedes Kind bei seiner Geburt die Bühne des Lebens betritt so wie ein Schauspieler die Theaterbühne. Allerdings mit einem wesentlichen Unterschied: Der Schauspieler weiß, um welches Stück es sich handelt. Er hat die Rolle einstudiert, kennt seinen Einsatz und die Mitspieler. Beim Kind verhält es sich anders. Es ist zwar fähig und ambitioniert, es wird sich zurechtfinden und seine Rolle überzeugend spielen. Das Schwierige daran ist allerdings: Es weiß nicht, welches Stück gespielt wird und welche Rolle es selbst einnehmen kann. Genauso wenig weiß es, welche Rollen schon vergeben sind. Also versucht es, das Drehbuch und die Atmosphäre zu erfassen. Es nimmt wahr, welche Rollen schon besetzt sind und wie sie gespielt werden. Daraus schlussfolgert es, welche Dynamik das gesamte Stück hat. Und natürlich auch, wie es sich einbringen kann, um dazuzugehören und trotzdem eine eigene Rolle zu spielen. Das kann auf günstige oder ungünstige Weise geschehen. Das Kind übt diese Rolle und spielt sie immer profilierter. Ob stark und verantwortlich, hilfsbedürftig, tollpatschig, Sonnenschein oder Sorgenkind – es findet seinen individuellen Platz in seiner Familie zwischen Eltern und schon vorhandenen Geschwistern. Wenn ein neues Geschwisterkind dazukommt, tastet es sich ebenfalls und auf seine ureigene Weise heran und findet eine neue, unbesetzte Rolle. Halten wir fest: Die feinen Antennen, die ein Kind hat, helfen ihm, die Situation zu erfassen und sich gut einzufügen. Es verfügt über enorme Kreativität in seiner Innenwelt. Es schafft sich seine Rolle selbst und baut sie immer weiter aus. Die Familie ist dabei das kleine Modell von der großen Welt, die Miniatur. Was das Kind dort verinnerlicht hat, überträgt es später auf das Zusammenleben im größeren Rahmen. Schon Schulanfänger sind kleine Persönlichkeiten So war das auch bei Ihnen und bei mir. Spätestens als Schulanfänger waren wir überzeugt davon zu wissen, wie das Leben funktioniert und welche Rolle wir darin haben. Uns war klar, wie wir sind und was wir tun müssen, um in dieser Welt zurechtzukommen. Wir hatten ein Bild davon, wie Männer und Frauen sind, wie Beziehungen zu anderen und das Leben im Allgemeinen funktionieren. Selbstverständlich lief das alles nicht bewusst ab, sondern im Inneren unserer Persönlichkeit. Stellen Sie sich verschiedene Schulanfänger mit ihrer Schultüte vor. Ihre Geschwister, Kinder, Patenkinder, Enkel und gerne auch sich selbst. Vermutlich geben Sie mir recht, dass die unterschiedlichen Persönlichkeiten in diesem Alter schon offensichtlich sind. Es gibt z. B. Kinder voller Selbstvertrauen. Kinder, die selbstverständlich tun, was die Situation erfordert und sich an Herausforderungen heranwagen. Kürzlich erlebte ich im Friseursalon folgende Szene: Ein Mädchen von etwa 7 Jahren unterstützte das Personal. Sie trug die Untertasse samt Keks zu einem Kunden, die Friseurin brachte anschließend den heißen Kaffee. Sie schaute interessiert auf alle Handgriffe, fegte abgeschnittene Haare auf und vergnügte sich selbstvergessen mit dem Drehhocker. Ich erfuhr, dass das Mädchen zu Gast bei der Inhaberin des Salons war und dass es alle überraschte mit seinem großen Interesse, mit Ausdauer und Lernfähigkeit. Die Kleine getraute sich sogar, Telefongespräche anzunehmen und sie dann an die entsprechende Person weiterzugeben. Bei mir durfte sie den Nacken föhnen. Es war nicht ganz leicht für ihre zierlichen Hände, die Rundbürste und den großen Fön zu halten und zu koordinieren. Aber sie schaffte es. Auch mein kleines Trinkgeld nahm sie mit ernsthafter Miene und ohne Scheu an. Welche Freude, solch ein Kind zu erleben. Natürlich kennen wir auch ängstliche Kinder. Kinder, die sich lieber verkriechen möchten, als etwas Neues auszuprobieren. Noch dazu, wenn jemand zuschaut. Die Angst davor haben, unfähig zu sein oder etwas verkehrt zu machen. Die befürchten, jemanden zu enttäuschen. Daneben gibt es auffällig ehrgeizige Kinder. Sie stecken sich hohe Ziele und sind erst zufrieden, wenn sie ein Ergebnis sehen und es vorzeigen können. Andere geben auf, sobald es schwierig und anstrengend wird, und sei es nur eine größere Steigung auf der Fahrradtour. Die Reihe ließe sich fortsetzen: Überartige Kinder, die sich nicht trauen, eine eigene Meinung zu haben. Verwöhnte, die meinen, alle anderen seien nur dazu da, um es für sie bequem zu machen. Sturköpfe, die lieber allein trotzen, als mit anderen friedlich zu spielen. Unser Grundmuster haben wir uns in den frühesten Kindheitsjahren angeeignet. Mit der erworbenen Sicht auf uns selbst, auf die anderen, auf Beziehungen und das Leben gehen wir von da an weiter. Wir sind überzeugt davon, dass diese Sichtweise der Realität entspricht. Wie sollten wir auch ahnen, dass es nur unsere private Logik ist? Der Wahrnehmungsfilter wurde von uns so eingestellt, dass er immer bestätigen wird, was wir vorher als Realität angenommen haben. Falls sich Gegenbeispiele nicht übersehen lassen, können sie immer noch als Ausnahmen gewertet und anschließend ignoriert werden. In direktem Zusammenhang zu unserer Deutung stehen unsere Strategien, um in dieser Welt zurechtzukommen. Unbemerkt läuft dieses Lebensprogramm permanent mit. In der Erwachsenen von heute steckt die Kleine von damals Es ist uns kaum bewusst, hat aber trotzdem Auswirkungen: In unserer erwachsenen Person lebt auch das Kind von damals. Das heißt für mich: In der erwachsenen Christina von heute steckt die kleine Tini von damals. In dieses Wortspiel können Sie für sich ganz individuell einsteigen. Lehnen Sie sich zurück und sagen Sie verständnisvoll und wertschätzend: In der erwachsenen …… von heute steckt die kleine …… von damals. Vielleicht wird jetzt der Name in Ihnen lebendig, mit dem Sie üblicherweise von Eltern, Geschwistern oder Schulfreunden angesprochen wurden. Wenn es keine solche Kindheitsform Ihres Namens gibt, setzen Sie ihn einfach ein zweites Mal ein. Verbinden Sie ihn mit dem Kindheitsgefühl oder dem Bild, wie Sie als kleines Mädchen ausgesehen haben. Der Autor und individualpsychologische Lehrer Theo Schoenaker formuliert: »Wir sind nicht so erwachsen, wie wir aussehen; wir sind Kinder in einer alternden Haut. Es ist, als würde das Kind von damals in uns weiterleben.« Das bedeutet: Unabhängig von unserem Alter lebt, antwortet und handelt ein Teil unserer Persönlichkeit als Kind. Über unsere Haut machen wir uns als Frauen tatsächlich oft mehr Gedanken als über das Kind in uns. Wir versuchen, mit Cremes und Tinkturen den Alterungsprozess so lange wie möglich aufzuhalten. Wofür eigentlich? Ich übe gerade, morgens und abends beim Auftragen der Creme die Kleine in mir zu streicheln. Ja es stimmt, Hautbeschaffenheit und Proportionen meines Gesichtes haben sich verändert. Aber die Augen sind genau dieselben, mit denen die kleine Tini damals in die Welt und in den Spiegel schaute. In meinem Inneren sind alle meine Erfahrungen gespeichert. Die Mut machenden genauso wie die beängstigenden. In Form von Gefühlen tauchen sie immer wieder auf. Gelegentlich geschieht es auch sehr unpassend, unerwartet und störend, dass sich negative Gefühle melden. Wie sie in uns aktiv bleiben, lässt sich an einer Matroschka (auch Matruschka oder Matrjoschka genannt) demonstrieren. Sicher kennen Sie die russischen bunt bemalten Holzpuppen, die man ineinanderstecken kann. Während ich Ihnen wenige Episoden aus meiner Geschichte erzähle, können Sie sich bildlich vorstellen, wie wir die Püppchen ineinanderstecken. Zuerst haben wir die kleinste Figur in der Hand. Sie stellt die kleine Tini dar, die mit 10 Wochen wegen einer schweren Erkrankung für 10 Tage ins Krankenhaus kam. Damals durften Familienangehörige noch nicht mit dem Kind in der Klinik bleiben. Es gab nur die offizielle Besuchszeit, die Tinis Mama nicht täglich nutzen konnte. Sie hatte niemanden, der auf ihr weiteres Kleinkind aufpasste, denn Tinis Papa leistete seinen Armeedienst bei den Bausoldaten ab. Keiner konnte der kleinen Tini erklären, was hier vonstattengeht und dass es irgendwann ein Ende haben wird. Grelles Neonlicht, fremde Stimmen und beängstigende Apparate anstelle der Mutterbrust und gesungener Einschlaflieder. Das ging tief ins Körpergedächtnis ein. Die kleinste Matroschka stecken wir in die zweitgrößte. In ihr sehen wir die zweijährige Tini. Sie steht wie gelähmt vor dem schwelenden Feuer aus Gartenabfällen, Holzresten und altem Hausrat. Ihr Papa hatte es entzündet. Zwischen all dem alten Krempel wird ihr kleiner gelber Teddy verbrannt. Vor längerer Zeit hatte sie mit ihrem Bruder Beerdigung gespielt, dabei den Teddy im Sandkasten begraben und anschließend vergessen. Nun war er nicht mehr brauchbar. Dass sie das selbst verschuldet hat, kann sie in diesem Moment nicht verstehen. Sie fühlt nur Schmerz und Verlust. Und wieder verschwindet eine Matroschka in der nächstgrößeren. Wir sind nun bei der Vierjährigen. Sie erlebte aus nächster Nähe mit, wie ihre geliebte Katze auf der Straße rücksichtslos überfahren wurde. Anschließend schippte ein Bauarbeiter die zerquetschten Überreste mit der Schaufel weg. Schreiend lief Tini zu ihrer Mutter und ließ sich nur schwer trösten. Nun steht die nächste Matroschka vor uns für die Sechsjährige. Sie kam in der 1. Klasse in eine unverständliche Situation. Fast alle Kinder gehörten zur Pionierorganisation, Tini nicht. Sie trugen eine weiße Bluse und ein blaues Halstuch. Tini nicht. Die »Jungen Pioniere« der Klasse wurden von der Lehrerin wie eine geschlossene Gruppe behandelt, zu der Tini nicht gehörte. Alle Figuren befinden sich mittlerweile im Bauch der größten Matroschka. Kommen wir nun zur Achtjährigen, die ihre Oma an einem entfernten Ort besucht. Das war Geborgenheit pur bis zu dem Tag, an dem beide gemeinsam zu Omas Freundin zum Kaffeekränzchen gingen. Irgendwann wurde es der Achtjährigen dann zu langweilig und sie durfte vom Tisch aufstehen. Während die beiden alten Damen arglos aus ihren Sammeltassen tranken, kam der erwachsene Sohn der Gastgeberin der kleinen Tini auf unangemessene Weise zu nahe. Eine zutiefst irritierende Erfahrung, über die sie mit keinem Menschen sprach. Als sie später hörte, dass dieser Mann sich vor den Zug geworfen hatte, fühlte sie sich sehr erleichtert. Aber gleichzeitig auch schuldig für dieses starke Gefühl. Immerhin war ein Mensch tragisch gestorben. Von außen kann man nur noch die größte Matroschka sehen. Aber wir haben verstanden, dass alle anderen Geschichten in Form der kleineren Puppen in ihr verschachtelt sind. Und so könnten Sie gedanklich selbst Ihre inneren Matroschka-Puppen ineinanderstecken, verbunden mit den Geschichten, die Sie selbst erlebt haben. Diese Reihe ließe sich weiter fortsetzen bis heute, wobei die kindlichen Erfahrungen die bedeutendste Rolle spielen. Unser Lebensprogramm Astrid Lindgren sagt: »Es gibt kein Lebensalter, in dem alles so irrsinnig intensiv erlebt wird wie in der Kindheit.« Wie recht sie hat. Kinder sind frisch und aufnahmebereit. Sie entdecken an nahezu jedem Tag etwas ganz Neues, machen folglich permanent Ersterfahrungen. Aus psychologischer Sicht kommt noch etwas hinzu: die Mischung aus intensivem Erleben und der Unfähigkeit, es richtig deuten zu können. Die Denkfähigkeit eines kleinen Kindes ist noch nicht voll ausgeprägt. Verallgemeinerungen werden zu schnell getroffen. Genau in dieser Zeit aber entsteht unser Lebensprogramm. Dass sich auf diese Weise bei der Deutung der Welt und unserer Rolle darin Fehler ergeben, ist nicht verwunderlich. Selbst wenn wir später das Leben besser verstehen, mehr Erfahrung haben und reifer sind, meldet sich die kindliche Deutung immer wieder, laut oder leise. Wie eine Alarmanlage, die in für uns heiklen Situationen anschlägt. Diese Alarmanlage hat als Signalton unsere »eingefrorenen«, unreifen kindlichen Gefühle. Bildlich gesprochen klappert eines der Püppchen in der großen Matroschka. In ihrem Bestseller »Das Kind in dir muss Heimat finden« widmet sich Stefanie Stahl dieser Thematik. Sie spricht vom »Schattenkind«, das in uns lebendig ist, und demonstriert das an zahlreichen Beispielen aus dem Erwachsenenleben. In der Regel ist immer dann, wenn der Erwachsene unangemessen heftig und emotional auf einen kleinen Auslöser reagiert, das Schattenkind im Spiel. Und das kann dann so aussehen: »Michael bekommt immer wieder Wutanfälle, wenn seine Lebensgefährtin Sabine etwas vergisst, was für ihn wichtig ist. Neulich vergaß sie beim Einkaufen seine Lieblingswurst, und er ist richtiggehend ausgeflippt. Sabine war wie vor den Kopf geschlagen – für sie fehlte einfach nur die Wurst. Für Michael schien jedoch die Welt aus den Fugen geraten zu sein. Was war da passiert?« Stahl erklärt die tieferen Zusammenhänge. »Michael ist sich nicht bewusst, dass es das innere Kind in ihm ist, das sich von Sabine nicht genügend beachtet und respektiert fühlt. Er weiß nicht, dass der Grund für seine enorme Wut nicht Sabine und die vergessene Wurst ist, sondern eine tief liegende Verletzung aus der Vergangenheit: nämlich der Umstand, dass seine Mutter seine Wünsche als Kind nicht ernst genommen hat. Sabine hat mit ihrem Versäumnis lediglich Salz in diese alte Wunde gestreut.« Bei Sabine gibt es natürlich ein entsprechendes Pendant: »… wie Michael wird auch Sabine von ihrem inneren Kind gesteuert. Ihr inneres Kind reagiert sehr empfindlich auf Kritik, weil sie es früher ihren Eltern selten recht machen konnte. Michaels Wutanfälle lösen also auch in Sabine alte Kindgefühle aus. Sie fühlt sich dann klein und wertlos und reagiert entsprechend gekränkt und beleidigt.« Stahl zeigt unterschiedliche kindliche Schutzstrategien auf, die wir heute als Erwachsene immer noch anwenden. Das können beispielsweise Harmoniestreben und Überanpassung, Perfektionismus, Machtstreben oder Angriff und Attacke sein. Außerdem lädt sie die Leser dazu ein, das »Sonnenkind« in sich zu entdecken. Damit meint sie das gesunde, mutige, tatkräftige Kind, das ebenfalls zu uns gehört. Natürlich ist das eine bildliche Sprache. Es schlummert nicht wirklich ein Schattenkind oder Sonnenkind in uns. In verschiedenen psychologischen Schulen ist etwas allgemeiner von einem »inneren Kind« die Rede. Dieses Bild kann nützlich sein, denn es hilft, manche inneren Prozesse zu verstehen und sie ernst zu nehmen. Unsere kindliche Sicht kann uns tatsächlich behindern und verlangt deshalb Beachtung. Das innere Kind beharrt darauf, dass das Leben genau so ist, wie es zu glauben meint, und dass seine kindliche Strategie der beste Umgang damit ist. Dieser Mechanismus läuft nicht nur in Michael und Sabine ab, sondern auch in uns, wenn wir z. B. plötzlich eingeschnappt sind, unangemessen aggressiv reagieren oder uns innerlich gelähmt fühlen. Bedenken Sie: Als erwachsene Personen hätten wir natürlich andere, reifere Reaktionsmöglichkeiten für die Situation. Aber wir können in diesem Moment einfach nicht auf sie zugreifen. Umdenken lernen Seltsamerweise stellen wir das Hauptgefühl unserer Kindheit immer wieder her. Wir aktivieren es und übertragen es anschließend auf unser heutiges Leben. Mit einem positiven Hauptgefühl der Kindheit ist das wunderbar. Dann bin ich meist zufrieden oder zuversichtlich. Wenn es allerdings ein ungutes Gefühl gewesen ist, überschattet das mein Leben dauerhaft. Dann werde ich mich immer wieder einsam, traurig, unbedeutend oder übersehen fühlen. Wie kann ich jemals langfristig glücklich sein, wenn mich diese Gefühle immer wieder einholen? Zwei Schritte könnten helfen. Der Beginn kann sein, dass ich das Positive meiner Kindheit ins Bewusstsein hole. Damit kann das Grundgefühl meiner Kindheit erweitert und vielleicht ein wenig korrigiert werden. Was waren die glücklichen Erfahrungen damals? Was habe ich am meisten geliebt? Wer hat es besonders gut mit mir gemeint? In jeder Kindheit, auch in der dramatischsten, gibt es mindestens eine Person, die ermutigend und tröstend gewirkt hat. Das klingt bis heute nach, deshalb kann es sich lohnen, in Gedanken nach dieser Person zu suchen. Je mehr ich darüber nachdenke und spreche, desto mehr Details werden mir einfallen. Der Mut, ich selbst zu sein, kann nur wachsen, wenn ich beginne, mein »So-geworden-Sein« zu akzeptieren. Im günstigsten Falle lerne ich sogar, es anzunehmen und zu umarmen. Und was ist dann mit dem schwierigen Teil meiner Kindheit? Anstatt auch heute noch innerlich dagegen aufzubegehren, wäre es hilfreich, alles, was gewesen ist, anzunehmen. Am besten mit Worten wie: »Ja, so war das damals.« Zum Beispiel: »Ja, so war das damals. Nach meinen Bedürfnissen hat keiner gefragt«, »… meine Eltern waren so sehr mit der Sicherung unserer Existenz beschäftigt, dass sie für mich kaum Zeit hatten« oder: »… ich bin kein Wunschkind gewesen und das wurde mir auch gesagt«. Unbedingt zu beachten ist dabei aber: Bei traumatischen Erfahrungen in der Kindheit und körperlichen Gewalt- und Missbrauchs- erfahrungen wird in der Regel darüber hinaus eine therapeutische Begleitung hilfreich sein! Zu dem anerkennenden »Ja, so war das damals« kann anschließend der Satz ergänzt werden: »Aber heute bin ich weiter!« oder: »Heute bin ich nicht mehr so schutzlos, sondern erwachsen«, »Heute meistere ich mein Leben und bin Menschen verbunden«. Das lenkt den Blick auf die Fähigkeiten und Ressourcen, die mir heute zur Verfügung stehen. Wenn wir »unvollkommen« glücklich sein wollen, beginnt das bei unserer unvollkommenen Kindheit und schließt sie ein. »Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben.« Diese Ansicht vertritt in diesem Zusammenhang der finnische Psy- chiater und Psychotherapeut Ben Furman in seinem gleichnamigen Buch. Wenn wir dagegen an einer unglücklichen, schweren oder schwierigen Kindheit festhalten, wird das Ziel eines glücklichen Lebens beinahe unerreichbar. Denn das innere Kind will hartnäckig auf unreife Weise für die Erfüllung seiner kindlichen Bedürfnisse kämpfen, sobald wir ihm die Regie überlassen. Doch nicht mein unreifes Selbst soll mir heute sagen, wie die Wirklichkeit vermeintlich ist und mir bremsend und lähmend ins Leben greifen. Sondern es soll genau umgekehrt sein: Ich sage meinem inneren Kind, in welcher Realität ich heute lebe und welche Kraftquellen mir zu Verfügung stehen. Ich sage der Kleinen in mir auch, dass sie schon damals nicht allein war mit aller Hilflosigkeit in ihren Matroschka-Szenen. Gottes Gedanken mit uns In der psychologischen Forschung der vergangenen Jahre hat man sich intensiv mit der Ressource »Glaube und Spiritualität« beschäftigt. Dass der Glaube eine lebensstärkende Kraft ist, wird heute allgemein anerkannt. Für mich ist er noch weit mehr als das: eine Segenskraft, die über alle Vorstellungen hinausgeht, weil durch den Glauben Gottes Kraft und Wirkmacht in mein Leben kommt. Vielleicht hat der Glaube an Gott in Ihrer Kindheit schon eine Rolle gespielt. Vielleicht ist er Ihnen aber auch völlig fremd oder Sie haben ihn auf dem Weg ins Erwachsenenleben wieder verloren. Vielleicht haben Sie ihn erst später entdeckt. Mögen Sie mit mir in Gedanken durchspielen, welche Rolle Gott in der Geschichte Ihrer Kindheit spielen könnte? Ich sehe in Gott den Erschaffer des Lebens. Den Befürworter allen Seins. Den Meister der Kreativität. Meine eigene Kreativität ist eine Gabe von ihm, auch die schöpferische Kraft, mit der ich meine Persönlichkeit erschaffen habe. Unendlich viele Möglichkeiten standen mir zu Verfügung. Aus dieser Fülle habe ich gewählt, was mir sinnvoll erschien und meinen Zielen diente. Gott hat mir diese Freiheit gewährt und mich wohlwollend begleitet. Gelegentlich griff er ein und bot mir korrigierende Erfahrungen an. Das tat er zum Beispiel durch Menschen, die in mein Leben traten und einen heilsamen Einfluss auf mich nahmen. Aber auch mit jedem Zuspruch, der mir seine ungebrochene Zuneigung und meinen Wert zeigten. In der Bibel lassen sich viele Worte dieser Art finden: zum Beispiel im Buch des Propheten Jeremia, Kapitel 29, Vers 11: »Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.« Dieser Vers gibt meinem Herzen Mut. Ich lerne daraus, dass Gottes Absichten mit mir und mit jedem Menschen wohlwollend, zukunftsträchtig und hoffnungsvoll sind. Im Schmerz und im Leiden ist er tröstend an meiner Seite und er war es auch damals für das kleine, hilflose Mädchen. Er war anwesend in den Momenten, in denen die Kleine in mir fast erstarrte vor Unsicherheit und Angst. Auch die Lebens- und Überlebenskraft in mir ist ein Geschenk von ihm. Je mehr ich mich Gott anvertraue, desto mehr können seine Absichten mit meinem Leben zur Entfaltung kommen. Ich mag die Einladung der Bibel, mich als Gottes Kind zu verstehen (z. B.: Römer 8,14-16; Galater 4,4-7). Gottes Geschöpfe sind wir alle von Zeugung an. Zu Gottes Kindern werden wir, indem wir willentlich in Beziehung zu ihm treten – in einer Haltung der Abhängigkeit und des Vertrauens. Vielleicht fällt es mir leichter als anderen, weil ich meinen leiblichen Vater positiv erleben durfte. Wenn das bei Ihnen nicht der Fall ist, halten Sie sich nicht zu lange in der Trauer darüber auf. Lenken Sie den Blick eher auf das Kindsein. Denken Sie daran zurück, welche kindlichen Eigenschaften Sie gerne noch mehr gelebt hätten. Oder in welchem Modus Sie sich besonders glücklich und lebendig fühlten. In der Beziehung zu Gott hätte all dies Raum und Entwicklungspotenzial: Ihre Neugier, die Fähigkeit zu großem Vertrauen, der Mut, etwas auszuprobieren, Lernbereitschaft oder was immer Ihnen dazu einfällt. Mehr noch als die positivste Person in Ihrer Kindheit möchte Gott dieses Potenzial in Ihnen fördern und zur Entfaltung bringen. Jesus sagte zu seinen Jüngern: »Wenn ihr nicht […] werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.« (Mt 18,3) Damit spricht Jesus eine tiefe, theologische Dimension an. Und gleichzeitig spricht er auch das gesunde, neugierige, vertrauensvolle kindliche Wesen in uns an, das leider oft zu kurz kommt. Vor meinem inneren Auge wird die Erinnerung an eine Szene lebendig, die mich als Kind geprägt hat. Ich glaube, sie wiederholte sich so oder ähnlich mehrfach: Als kleines Mädchen bin ich mit meinem Vater unterwegs. Nach der heiteren Zugfahrt haben wir noch einen Fußmarsch vor uns vom Bahnhof bis zu seiner Mutter. Es ist ein weiter Weg – zuerst eine unendlich lange Baumallee berg- ab, anschließend geht es durchs halbe Dorf bis zum Haus der Großmutter. Ich laufe an der Hand meines Papas und höre seine Stimme. Ich kann mich heute nicht daran erinnern, was er mir erzählte. Ich weiß nur, dass ich in seiner Gegenwart keinen Augenblick daran zweifelte, dass ich den weiten Weg bewältigen könnte. An der Hand meines Papas fühlte ich mich beflügelt, zutiefst geborgen und zufrieden. Dieses kindliche Vertrauen möchte ich auf mein Leben heute übertragen. Ja, an Gottes Hand kann ich mich ganz natürlich durchs Leben bewegen. Ich kann zuversichtlich unterwegs sein, die Hauptverantwortung ihm überlassen und ausdauernd mit ihm in die richtige Richtung gehen. Und alles Schmerzliche und Verletzende kann ich vertrauensvoll in seine Hand geben. Ein Gebet von Sabine Naegeli heißt »Das innere Kind bergen«. Darin beschreibt sie die Not, die viele Kinder erlebt haben. Sie spricht von Schutzlosigkeit, der Suche nach Bestätigung, kindlicher Wut, Neid und Eifersucht. In dem Gebet wendet sich Naegeli an Gott wie an eine Mutter und lässt es in die Bitte münden: »[Gott], schließe dieses verletzte Kind in deine Arme. Gib ihm Halt. Umhülle es mit der Wärme deiner göttlichen Liebe. Lass es in die Sprache kommen, denn es will leben, singen, tanzen. Sprich das Friedenswort, das alles vergangene Unheil entmächtigt. Mit deiner Hilfe nehme ich das kleine Mädchen an die Hand.« Wie schön wäre es, wenn dies mehr und mehr auch Ihre Erfahrung werden könnte: Ihre Kleine – das kleine Mädchen in Ihnen – an Ihrer Hand und Sie an der Hand des Allerhöchsten unterwegs durchs Leben. Einige Fragen und Anregungen: Welche Fähigkeiten, die Ihnen heute nützlich sind, konnten Sie genau in Ihrer Herkunftsfamilie erwerben? Wie sah die Theaterbühne Ihres Lebens aus? Was fanden Sie vor, als Sie auf die Welt kamen? Welche Mitspieler gab es und welchen Namen könnten Sie dem Gesamtstück geben? Was für ein Kind sind Sie als Schulanfängerin gewesen? Was war das Hauptgefühl Ihrer Kindheit? Welche glücklichen Erfahrungen gab es in Ihrer Kindheit? In der Nähe welcher Person haben Sie sich besonders wohlgefühlt? Was hat diese Person in Ihnen geweckt oder Ihnen vermittelt? Machen Sie sich den Satz zu eigen: »Ja, so war das damals …«, und ergänzen Sie, was Ihnen von Ihrer Kindheit noch anhängt. Mit dem Ausspruch »Aber heute bin ich weiter« können Sie sich selbst ermutigen. Können Sie sich Gott als wohlwollenden und segnenden Begleiter Ihrer Kindheit vorstellen? Welche gesunden kindlichen Eigenschaften möchten Sie in der Beziehung zu Gott leben?
Erscheinungsdatum | 01.07.2020 |
---|---|
Sprache | deutsch |
Maße | 135 x 205 mm |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebensdeutung |
Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung | |
Religion / Theologie ► Christentum ► Moraltheologie / Sozialethik | |
Schlagworte | Balance • Gelassenheit • Glaube • Persönlichkeitsentwicklung • Selbstannahme • Selbstmitgefühl • Zufriedenheit |
ISBN-10 | 3-96362-173-7 / 3963621737 |
ISBN-13 | 978-3-96362-173-4 / 9783963621734 |
Zustand | Neuware |
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