Freimaurerei, Politik und Gesellschaft (eBook)

Die Wirkungsgeschichte des diskreten Bundes. EBook
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
255 Seiten
Böhlau Verlag
978-3-205-20863-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Freimaurerei, Politik und Gesellschaft -  Helmut Reinalter
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Bei dem Buch handelt es sich um eine Geschichte der Freimaurerei unter dem Gesichtspunkt ihres Einflusses auf Politik, Gesellschaft und Kultur. Diese Perspektive war bisher eine Lücke der masonischen Forschung. Die Schwerpunkte der Darstellung liegen aber nicht nur auf dem politischen Aspekt, sondern vor allem auf den geistigen Strömungen der jeweiligen Zeit. In diesem Sinne versteht sich das Buch auch als eine Ideen- und Sozialgeschichte der Bruderkette. Sie verdeutlicht den direkten oder indirekten Einfluss der diskreten Gesellschaft auf den historischen Entwicklungsprozess von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart.

Geb. 1943, Studium der Geschichte und Philosophie an den Universitäten Innsbruck und der Sorbonne I in Paris, Promotion zum Dr. phil. 1970, Habilitation in Innsbruck 1978, von 1981 bis 2009 Prof. für Geschichte der Neuzeit und Politische Philosophie. Seit 2000 Leiter des Privatinstituts für Ideengeschichte in Innsbruck. Seit 2009 Dekan der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste, Mitglied des Club of Rome/Chapter Österreich und des Akademischen Rates der Humboldtgesellschaft. Ehrendoktorat der Universität Cambridge 2015 (IBC). Gastprofessuren und Mitgliedschaften in wissenschaftlichen Akademien. Herausgeber mehrerer wissenschaftlicher Reihen und der Zeitschrift für Internationale Freimaurer-Forschung (IF).

Geb. 1943, Studium der Geschichte und Philosophie an den Universitäten Innsbruck und der Sorbonne I in Paris, Promotion zum Dr. phil. 1970, Habilitation in Innsbruck 1978, von 1981 bis 2009 Prof. für Geschichte der Neuzeit und Politische Philosophie. Seit 2000 Leiter des Privatinstituts für Ideengeschichte in Innsbruck. Seit 2009 Dekan der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste, Mitglied des Club of Rome/Chapter Österreich und des Akademischen Rates der Humboldtgesellschaft. Ehrendoktorat der Universität Cambridge 2015 (IBC). Gastprofessuren und Mitgliedschaften in wissenschaftlichen Akademien. Herausgeber mehrerer wissenschaftlicher Reihen und der Zeitschrift für Internationale Freimaurer-Forschung (IF).

Aufklärung

1. DIE IDEEN DER AUFKLÄRUNG

Die europäische Aufklärung war keine einheitliche Bewegung, sondern in sich widersprüchlich, wies starke Ambivalenzen auf und brachte verschiedene Strömungen hervor. In diesem Zusammenhang spricht man in der Aufklärungsforschung auch im Plural von „Aufklärungen“. Die Diskussion über „wahre“ und „falsche“ Aufklärung verdeutlicht diese Tendenz und verweist gleichzeitig auch auf die Grenzen der Aufklärungsbewegung. Die Aufklärung hat im Wesentlichen zwei Entwicklungsstränge hervorgebracht und deren Weiterentwicklung bis ins 20. Jahrhundert beeinflusst: eine Strömung hin zum Liberalismus und zur Demokratie und eine Tendenz, die während der Französischen Revolution zur Jakobinerherrschaft und später zur totalitären Demokratie geführt hat. Die historischen Wurzeln der totalen Machtstaatstheorie reichen bis in die Zeit der Aufklärung und Französischen Revolution zurück. So hat die Aufklärung die Entstehung des totalitären Typs von Demokratie ermöglicht, gleichzeitig aber auch den liberalen Typus von Demokratie geschaffen und damit die Entwicklung zur parlamentarischen Demokratie positiv beeinflusst.88

Aufklärung ist für unser historisches Bewusstsein eng mit dem 18. Jahrhundert verbunden. Aufklärung als Denkvorgang auf andere Epochen, auch auf unsere Gegenwart zu erweitern, ruft Bedenken und Zweifel hervor. Der im 18. Jahrhundert häufig verwendete Begriff von Aufklärung in einem materiellen Sinne der „Vermehrung von Wissen und der Verbreiterung von Kenntnissen“ kann jedoch auch heute, wenn auch mit Modifikationen, problemlos verwendet werden, weil so strukturell eine Analogie zur Aufklärung des 18. Jahrhunderts erkennbar ist. Obwohl ein weitgehender Konsens darüber besteht, dass die Aufklärung einen ganzen Komplex von unterschiedlichen Tendenzen bildete, lassen sich doch einige Hauptmerkmale bestimmen:

1.Aufklärung ist Entfaltung eines Denkens, das kritisch überkommene Autoritäten in Frage stellt, darunter insbesondere die tradierten religiösen Vorstellungen, Dogmen und Institutionen,

2.Legitimation der politischen Herrschaft und, im Reifestadium, Kritik ihres eigenen Anspruchs, ihres eigenen Verfahrens und ihrer eigenen Legitimität,

3.Aufklärung verlangt (religiöse) Toleranz, rechtliche Gleichstellung aller Menschen, persönliche Freiheit und freie wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeit für alle, Meinungs- und Pressefreiheit und die Herstellung von Öffentlichkeit,

4.Aufklärung fordert politische Selbstbestimmung und

5.intendiert eine an einer grundsätzlich positiven Diesseitsgestaltung orientierte Humanität.89

Was Aufklärung ist, darüber diskutierten die Aufklärer noch zu einer Zeit, als der Begriff schon als Schlagwort in der Debatte benützt wurde. Neue Anstöße zur Reflexion über dieses Problem gaben der Theologe Johann Friedrich Zöllner, der Philosoph Immanuel Kant und der jüdische Aufklärer Moses Mendelssohn. Zöllner betonte 1783 in der „Berlinischen Monatsschrift“, dass diese Frage beinahe so wichtig sei wie die der Wahrheit. Fundierte Antworten versuchten 1784 Kant und Mendelssohn. Der Protagonist der jüdischen Aufklärung meinte, dass die Begriffe Aufklärung, Kultur und Bildung noch neue „Ankömmlinge“ wären. Die Sache sei aber nicht neu, denn Aufklärung beziehe sich mehr auf das Theoretische, auf vernünftige Erkenntnis und Fertigkeit zum vernünftigen Nachdenken über praktische Probleme des Lebens. Der Schlüsselsatz über Aufklärung lautet bei Mendelssohn: „Ich setzte alle Zeit die Bestimmung des Menschen als Maß und Ziel aller unserer Bestrebungen und Bemühungen.“90 Aus diesen Überlegungen wird die Bedeutung des Menschen für das Denken der Aufklärung klar, das in gewisser Weise als anthropozentrisch aufgefasst wurde. Die Anthropozentrik wurde offensiver, sodass die Diesseitigkeit des Menschen gegen seine religiös verankerte Jenseitigkeit ausgespielt wurde.

Kants Definition verweist gleichfalls auf diesen Zusammenhang: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Muth dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“91

Da das Selbstdenken die Mündigkeit des Menschen bedeutete, war für Kant die Freiheit eine wichtige Voraussetzung der Aufklärung. War hier vor allem der religiöse Bereich angesprochen, so erfährt dieser zentrale Bezug im aufgeklärten Denken sehr rasch eine Erweiterung auf den Staat, wie sie z. B. in Kants Vorrede zur „Kritik der reinen Vernunft“ zum Ausdruck kam.92 Aufklärung bedeutete für Kant auch einen geschichtlich konkreten Entwicklungsprozess seiner Gegenwart und eine neue Perspektive. Entscheidend ist dabei die kritische geistige Öffentlichkeit als zentrales methodisches Verfahren. Neben der „Vernunft“ gehörte auch der Begriff „Kritik“ zu den entscheidenden Schlüsselwörtern der Aufklärung. Aus dem positiven Begriff „Kritik“, womit zunächst das sachgemäße Urteil in Kunst und Wissenschaft gemeint war, wurde allerdings sehr rasch eine „Krittelei“, die schon 1780 Gotthold Ephraim Lessing bedauert hatte. Der ursprüngliche Sinn der Kritik, wie er zur Zeit der Aufklärung entwickelt wurde, baute auf der philologischen Textkritik auf.

Aufklärung war ein prozessual verstandenes Denkprinzip und bezeichnete zunächst keine feststehenden Inhalte, sodass der Weg wichtiger erschien als das Ziel. Diese Problematik hat Lessing aufgegriffen und deutlich formuliert: „Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgendein Mensch ist, oder zu seyn vermeynet, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Werth des Menschen.“93 In diesem Zusammenhang wurde auch die Toleranz zu einem Hauptziel der Aufklärung, zumal die Wahrheit, die nicht nur mit der Begrenztheit des menschlichen Erkenntnisvermögens, sondern auch als menschenrechtliches Postulat begründet wurde, vielen Aufklärern als relativ erschien.

Auch das Wort „Vernunft“ war zunächst eine formale Kategorie, ein menschliches Vermögen, das sich von göttlicher Offenbarung unterschied. Deshalb war es ein wesentliches Ziel der Aufklärung, die individuellen Überzeugungen durch einen Diskurs aller denkbaren und erfahrbaren Überlegungen zu relativieren und auf einen vernünftigen Kern zu bringen: „Der Prozess der Aufklärung ist der Prozess der Freisetzung der Vernunft, die endliche Vereinigung der partikulären Wahrheiten zur einen und ungeteilten Wahrheit.“94

Die Beurteilung der eigenen Zeit zeigte, wie in der Aufklärungsforschung hervorgehoben wurde, unterschiedliche Begriffsverwendungen des Wortes „Aufklärung“: einerseits die Orientierung an der Existenz aufgeklärter Kenntnisse und Prinzipien oder die Ausrichtung auf die Durchsetzung dieser aufgeklärten Denkansätze und Methoden, die Frage nach dem Grad ihrer Wirkung oder nach den Folgen der Aufklärung. Zur Intention kam nun auch die Funktion der Aufklärung. Dieser funktionale Begriff bestimmte Kants spätere Bewertung seiner Epoche als „Zeitalter der Aufklärung“ und wies starke emanzipatorische Züge auf. Er stellte die Frage nach dem Epochencharakter mit großer Eindringlichkeit. Die Periodisierung der Aufklärungsbewegung ist allerdings aus verschiedenen Gründen sehr schwierig, da sie als komplexe europäische Bewegung sowohl in ihren einzelnen Bereichen als auch in den einzelnen Staaten sehr unterschiedlich entwickelt war. Zu ihren Voraussetzungen zählten u. a. die Formierung einer kapitalistischen Marktordnung, der Aufstieg des Bürgertums, die Entwicklung der Naturwissenschaften, die Philosophie des Rationalismus und die rationale Politik der souveränen Staaten. Als Programm des Handelns umfasste die Aufklärung alle Bereiche des politischen, sozialen und kulturellen Lebens. Als dominierende Bewegung trat sie zuerst in England und später in Kontinentaleuropa erst seit der Mitte des 18. Jahrhunderts in Erscheinung. Neben der klassischen Aufklärungsphilosophie entstand auch eine in ihrer Breitenwirkung kaum zu überschätzende Popularphilosophie, in deren Mittelpunkt sehr realitätsbezogene Fragen der Moral sowie Probleme der praktischen und vernünftigen Lebensbewältigung standen.95

Zur Aufklärung gehörten auch die Ausweitung des Buchdruckes, die steigende Zahl der Schriftsteller und Leser bzw. die Entstehung eines breiteren, interessierten Publikums. Im Kommunikationszusammenhang von Schriftsteller und Publikum begann sich die Aufklärungsgesellschaft auf der Basis eines locker gehandhabten Konsenses der Meinungen und einer bestimmten Denkhaltung für Probleme der Lebenspraxis zu formieren. Zweifelsohne war das Zeitalter der Aufklärung ein schreibendes und lesendes, ein räsonierendes und kritisierendes. Ihr Erziehungsprogramm verfolgte den Zweck, einen tiefgreifenden Prozess der Befreiung des Menschen aus allen gesellschaftlichen Zwängen einzuleiten. Dieses Ziel sollte durch entsprechende Einrichtungen des Staates und der Gesellschaft gefördert werden. So setzte sich die Aufklärung auch mit Problemen der gesellschaftlichen und politischen Ordnung auseinander, wie z. B. mit der Staatsform und Rechtsordnung, mit dem Gerichtswesen und dem Strafvollzug, mit der Polizei und Wirtschaft, mit dem Verhältnis der Stände zueinander und der öffentlichen Moral. Zur...

Erscheint lt. Verlag 1.10.2018
Verlagsort Göttingen
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte Erster Weltkrieg • Französische Revolution • Freimaurer • Gesellschaft • Humanismus • Kultur • Politik • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-205-20863-3 / 3205208633
ISBN-13 978-3-205-20863-1 / 9783205208631
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