Neue Fischer Weltgeschichte. Band 7 (eBook)

Europa im 20. Jahrhundert
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
704 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-402407-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Neue Fischer Weltgeschichte. Band 7 -  Christoph Cornelißen
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Ein faszinierendes Panorama der europäischen Geschichte vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis heute: Der renommierte Historiker Christoph Cornelißen erzählt fesselnd, wie sich Europa und die Welt in diesem Jahrhundert voller Umbrüche, das von gewaltigen Katastrophen ebenso wie von hochfliegenden Hoffnungen geprägt war, in rasantem Tempo veränderten. Die Europäer büßten nach 1900 zunehmend ihre globale Vorreiterrolle ein, suchten aber auch nach neuen Wegen der Selbstbehauptung. Christoph Cornelißen schildert den Durchbruch des modernen Nationalismus und Nationalstaats, den Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft sowie die großen Ideen und Utopien. Aus deren Wechselspiel entstanden enorm zerstörerische Kräfte, von den Burenkriegen um 1900 über die Weltkriege und den Holocaust bis zu den Kriegen im Jugoslawien der 1990er Jahre. Doch war das Versprechen politischer Teilhabe und sozialer Sicherheit nicht minder wichtig. Und so zeigt der Band, wie zentral die Demokratie für die Rolle Europas in der Welt ist - und warum es lohnt, sie zu bewahren.

Christoph Cornelißen, geboren 1958, ist Professor für Neueste Geschichte an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Seit 2017 ist er Direktor des Istituto storico italo-germanico in Trient. Er ist überzeugter Europäer und lebte zeitweilig in Italien und in Schottland. Außerdem ist er Mitglied der Deutsch-Tschechischen und der Deutsch-Slowakischen Historikerkommission. Er lebt im Taunus.

Christoph Cornelißen, geboren 1958, ist Professor für Neueste Geschichte an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Seit 2017 ist er Direktor des Istituto storico italo-germanico in Trient. Er ist überzeugter Europäer und lebte zeitweilig in Italien und in Schottland. Außerdem ist er Mitglied der Deutsch-Tschechischen und der Deutsch-Slowakischen Historikerkommission. Er lebt im Taunus.

Cornelißen schreibt nüchtern, präzise, differenziert, anspruchsvoll, ideenreich und pointiert.

Einleitung


A Die Weltregion Europa


An der Wende zum 20. Jahrhundert befand sich Europa im Zentrum der Welt. Jedenfalls war das der Eindruck, den zeitgenössische geographische Karten vermittelten. Daten zum internationalen Handel oder zur Finanzökonomie untermauerten diese Sichtweise. Folgt man ihren suggestiven Angaben, dann bildete Europa nicht nur den Mittelpunkt verschiedener globaler wirtschaftlicher Netzwerke, sondern es übte über weite Teile der Welt direkt oder indirekt eine Vorherrschaft aus. Auch die Revolution im Verkehrs- und Kommunikationswesen trug ihren Teil dazu bei, dass solche Auffassungen zum Gemeingut breiter sozialer Schichten wurden. Die rasch expandierende Massenpresse sowie die noch junge Bildberichterstattung sorgten dafür, dass immer mehr Menschen Kenntnis von Vorgängen jenseits ihrer eigenen Lebensbereiche erhielten. Gleichzeitig transformierten die neuen Kommunikations- und Verkehrsnetze ebenso wie die Herausbildung globaler Produktionsketten die ganze Welt in einen Raum miteinander vernetzter und zugleich untereinander konkurrierender Regionen und Territorialstaaten, so dass überhaupt zum ersten Mal »von wahrhaft globalen Interdependenzen« gesprochen werden kann.[1]

Zeitgenössische Entwicklungen im internationalen Nachrichtenwesen können den Sachverhalt veranschaulichen. Schon seit den 1860er Jahren hatte die Verlegung von Unterseekabeln sukzessive sämtliche Regionen der Welt untereinander verbunden, und in den folgenden Jahrzehnten wurden verschiedene europäische Städte – London, Paris, Wien und Berlin – zu bedeutenden Knotenpunkten der globalen Informationsübermittlung. Dass um 1900 rund zwei Drittel des modernen Telegraphennetzes von britischen Unternehmen kontrolliert wurden, war ganz im Sinne einer globalen Strategie der politisch und militärisch Verantwortlichen im Empire. Denn wer die Herrschaft über den Transfer und Austausch von Informationen besaß, der hatte die Welt im Griff – so lautete ihre durchaus berechtigte Annahme, auf die sich später auch andere Länder beriefen.[2] Dafür bedurfte es einer genauen zeitlichen Taktung, und es war daher alles andere als ein Zufall, dass damals viele Experten die Notwendigkeit zu einer globalen Synchronisierung der lokalen Zeitsysteme erkannten. Auf internationalen Konferenzen in Washington (1884) und Paris (1912, 1913) wurden Zeitnormen vereinheitlicht sowie weltweit gültige Standards vereinbart. Seither war die Welt im Takt.[3]

Die kulturellen und sozialen Konsequenzen des technologischen Fortschritts reichten weit. Die neue und so noch nie dagewesene Verdichtung und Beschleunigung der weltweiten Kommunikation bewirkten ein Schrumpfen menschlicher Erfahrungen von Zeit und Raum, während gleichzeitig die Relativitätstheorie die Vorstellung von der Existenz einer universal gültigen Zeit erschütterte, machte doch der Physiker und spätere Nobelpreisträger Albert Einstein schon im Jahr 1905 auf die Abhängigkeit jedweder Zeit vom Standort des Beobachters aufmerksam.[4] Gewiss, diese Erkenntnis war zunächst nur wenig bekannt, aber für Vorstellungen von Europas Lage in der Welt sowie für die Grenzen seiner Binnenräume wurde sie in einer Phase relevant, in der für immer mehr Menschen die Weltregion im wahrsten Sinne des Wortes erfahrbar wurde – sei es real oder zunächst nur »virtuell«.

Verschiedene Trends im Nachrichtenwesen verdeutlichen dies. Schon um das Jahr 1900 lenkten die internationale Presse- und Fotoberichterstattung, zuweilen auch die – noch tonlose – Filmberichterstattung die Aufmerksamkeit der europäischen Öffentlichkeiten regelmäßig auf Geschehnisse in Übersee. Darüber gerieten zum Beispiel Vorgänge am Kap Afrikas in den Blick, wo seit Herbst 1899 britische Kolonialtruppen in einem blutigen Kampf mit Militärverbänden der Burenrepubliken Transvaal und Oranje-Freistaat standen.[5] Vordergründig ging es dabei um die politische Gleichberechtigung der in die Burenrepubliken zugewanderten Ausländer, das heißt in erster Linie von Briten. Tatsächliche Auslöser des Zweiten Burenkriegs waren die Kontrolle über die dort nur wenige Jahre zuvor entdeckten Bodenschätze und die Versuche der englischen Politik, in Afrika ein geschlossenes Kolonialreich von Kairo bis zum Kap zu errichten. Als sich die Kämpfe zu einem radikal geführten Abnutzungs- und Vernichtungskrieg entwickelten, wühlte dies die Gemüter breiter sozialer Schichten in Europa auf. Tausende Menschen – vor allem aus den Niederlanden, dem Deutschen Reich, Russland, aber auch aus Frankreich und Irland – zogen in den Krieg am fernen südafrikanischen Kap, weil sie ihn in der Tradition ihrer Länder als einen nationalen Freiheitskampf begriffen. Darüber verschärfte sich der ohnehin angespannte Ton in der europäischen Diplomatie, und in Großbritannien kam es zu vehementen antideutschen wie antifranzösischen Ausfällen. Als die britische Nachrichtenagentur Reuters im Mai 1900 die Entsetzung der von burischen Einheiten belagerten, militärisch jedoch unbedeutenden Kleinstadt Mafeking verkündete, kannte der Jubel im Vereinigten Königreich keine Grenzen.

Dass im Mai 1900 nicht nur aus Großbritannien, sondern auch aus Gibraltar und mehreren Städten des Empire – aus Australien, Kanada und Neuseeland – überschwängliche Feierlichkeiten gemeldet wurden, vermittelt eine Ahnung davon, wie sehr der Krieg in Südafrika einerseits als eines der ersten weltweit übermittelten Medienereignisse gelten darf. Andererseits zeigen die Geschehnisse, dass sich die imperialen Interessengegensätze zwischen den europäischen Mächten erheblich verschärften. Noch mehr, die Kämpfe am Kap waren insofern ein Menetekel für das aufziehende Jahrhundert, als die britische Armee in den weitgehend als Guerillakrieg geführten Auseinandersetzungen mit aller Härte gegen die gegnerische Zivilbevölkerung vorgegangen war. Mehr als 120000 Menschen, in der Mehrheit Frauen und Kinder, waren in hastig errichtete Konzentrationslager zwangsumgesiedelt worden, wo schätzungsweise ein Fünftel von ihnen aufgrund von Mangelernährung oder an Krankheiten starb. Angesichts dieser Zustände formierten sich in Europa erste Menschenrechtsgruppen, die ebenfalls die Massenmedien ihrer Zeit für politische Zwecke einzuspannen suchten. Angeführt von der Aktivistin und Pazifistin Emily Hobhouse lancierten die britischen Radikalen eine globale Pressekampagne, deren Echo zunächst auf Europa beschränkt blieb.

Die Vorgänge in Südafrika strahlten also weit in die »Alte Welt« hinein und mobilisierten hier sowohl Politik als auch Gesellschaft. Ähnliches gilt in umgekehrter Richtung, nämlich für die Nachrichtenübermittlung von Europa nach Übersee. Deutlich zeigte sich dies, als am 22. Januar 1901 die britische Königin Viktoria verstarb: das am längsten regierende Oberhaupt der europäischen Adelsgesellschaft und die »Großmutter Europas«. Dieses Epitheton verdankte sich einerseits den weitverzweigten Verwandtschaftsbeziehungen Viktorias mit zahlreichen Herrscherhäusern auf dem europäischen Festland. Andererseits belegt es die Wertschätzung vieler Kommentatoren für eine Monarchin, deren über sechs Jahrzehnte währende Regierungszeit nicht nur als eine Phase politischer Stabilität, sondern auch einer wirtschaftlichen Blüte sowie einer dynamischen kolonialen Expansion des Empire (wie überhaupt der europäischen Imperien) galt. Selbst in Washington wurden beim Eintreffen der Nachricht ihres Todes die Flaggen auf Halbmast gesenkt.[6] Auch in denjenigen sozialen Schichten, die der britischen Monarchie zuvor eher ferngestanden hatten, fehlte es nicht an Bezeugungen ehrlich empfundener Trauer, so dass die Bildberichterstattung über die Beisetzung nach einigen Vorbehalten offiziell freigegeben wurde.[7] Im Januar 1901 schied somit auch eine internationale »Medienkönigin« aus dem Leben, um die bereits aus Anlass ihres goldenen Thronjubiläums im Jahr 1887 und des diamantenen Jubiläums zehn Jahre danach ein populärer Herrscherkult begründet worden war.[8]

In dieser sorgfältig aufbereiteten Inszenierung der modernen Monarchie, derer sich gleichermaßen die Herrschaftshäuser auf dem europäischen Festland bedienten, trat eine bedeutsame Signatur des neuen, immer nachhaltiger von den Massenmedien durchdrungenen Jahrhunderts zum Vorschein. Gleichzeitig bieten die politischen Zeremonien und Rituale dieser Epoche flüchtige Einblicke sowohl in die imperialen Ansprüche der europäischen Mächte als auch die Bestrebungen der regierenden Eliten, unter Einsatz der damit verbundenen Aura die bestehenden politischen und gesellschaftlichen Ordnungen zu konservieren. Dahinter scheint außerdem das ausgeprägte Selbstwertgefühl breiter bürgerlicher Schichten auf, das zu diesem Zeitpunkt auf Vorstellungen von einer dauerhaften, beinahe als naturwüchsig empfundenen Überlegenheit in der Welt aufruhte.[9]

Eine Bühne, auf der diese Selbstsicht im Jahr 1900 eindrucksvoll und unter Zuspruch eines breiten internationalen Publikums zum Vorschein trat, war die im April eröffnete Weltausstellung in Paris. Hierbei handelte es sich – wie bei ihren Vorläuferveranstaltungen – nicht nur um eine gewerblich-industrielle, sondern auch um eine »zivilisatorische« Leistungsschau....

Erscheint lt. Verlag 25.11.2020
Reihe/Serie Neue Fischer Weltgeschichte
Zusatzinfo 18 s/w-Abbildungen, 11 Karten
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Allgemeines / Lexika
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte Bundesrepublik Deutschland • DDR • Deutschland • Erster Weltkrieg • Faschismus • Frankreich • Großbritannien • Holocaust • Italien • Kapitalismus • Kapitalismuskritik • Kolonialismus • Kommunismus • Nationalsozialismus • Niederlande • Polen • Postkolonialismus • Sowjetunion • Spanien • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-10-402407-3 / 3104024073
ISBN-13 978-3-10-402407-3 / 9783104024073
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