Der Traum vom Ehrbaren Kaufmann (eBook)
544 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2368-8 (ISBN)
Prof. Dr. Hiram Kümper, geboren 1981 in Bochum, ist seit 2013 Professor für Geschichte des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit und hat seit 2019 die Carl-Theodor-Stiftungsprofessur an der Universität Mannheim inne. Bei Propyläen erschien sein vielbesprochenes Buch Der Traum vom Ehrbaren Kaufmann.
Prof. Dr. Hiram Kümper, geboren 1981 in Bochum, hat 2013 den Lehrstuhl für Geschichte des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit in Mannheim inne. 2017 wurde er von den Studierenden der Universität mit dem Lehrpreis für die beste und innovativste Lehre ausgezeichnet. Er lebt in seiner Geburts- und Heimatstadt Bochum und spielt heute noch in der Garagenband seiner Schulzeit.
Die Deutschen und der Ehrbare Kaufmann: eine eigenartige Liebesgeschichte
und wenn ihr halbweg ehrbar thut,
dann habt ihr sie all unterm hut
J. W. v. Goethe, Urfaust, V. 421–422
Oktober 2019. Der Hörsaal einer mittelgroßen deutschen Universität, die mit Recht stolz auf ihre handelshochschulischen Wurzeln ist. Der Personalberater und »Ethik-Experte« im Bund Deutscher Unternehmer Christoph Dyckerhoff spricht über »Die Werte des Ehrbaren Kaufmanns und die heutigen globalen Märkte«. Untertitel: »Ist Ethik noch ein Erfolgsfaktor?« Der Saal ist bestens gefüllt, die Stimmung gut. Dyckerhoff spricht mit vielen Beispielen und führt einen selbst produzierten Film vor. Darin fragt er Führungspersönlichkeiten mittelständischer Unternehmen aus der Region nach der Bedeutung von Ethik für ihre Unternehmensführung. Die vollkommen überraschende Antwort: ganz wichtig. Für alle.1
Vorträge wie dieser sind wieder häufiger geworden. Werteorientierung und Unternehmensethik produzieren nicht nur Publikum, sondern Bücher, Fortbildungen, Lehrstühle, Firmenabteilungen. Das ist erst einmal ein gutes Zeichen. Es zeigt, dass auf Unternehmerseite ein Bedarf an Verantwortlichkeit und moralischem Handeln identifiziert worden ist. Schwierig ist dann unter Umständen nur, wie auf diesen Bedarf reagiert wird – nachhaltig oder mit Discounterstrategie, mit dem Ziel einer Veränderung oder als Selbstbestätigung des Status quo.
Zu dieser wirtschaftsethischen Konjunktur gehört ein weitverbreitetes Reden über den Ehrbaren Kaufmann und seine Kinderstube: die mittelalterliche Hanse. Meist ist das ein Reden, das sich vor allem im affirmativen Bezug auf sehr allgemeine Tugenden wie Aufrichtigkeit, Transparenz und Verlässlichkeit erschöpft und wenig danach fragt, wie diese Tugenden implementiert oder gar in ihren konkreten Handlungsausflüssen überprüft werden. Sozialethische Normen spielen keine wesentliche Rolle, es geht vor allem um Glaubwürdigkeit. Da liest man etwa die Weisheit, dass »die Haltung eines mit Bedacht agierenden Ehrbaren Kaufmanns« helfe, die Herausforderungen der Zukunft »besser zu meistern, aus diesen Vorteile zu generieren und negative Auswirkungen zu vermeiden«.2 Bedachtsamkeit verhilft also zu besseren Entscheidungen. An anderer Stelle braucht es einen »Doyen der deutschen PR-Szene« als Autorität, um die folgende tiefgreifende Einsicht mit wörtlichem Zitat zu belegen: »Wer arglistig täuscht, setzt seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel.«3 Der Ehrbare Kaufmann tue so etwas nicht. Er handele vielmehr »reflektiert, gibt Acht auf andere, wie beispielsweise die Mitarbeiter, und bedenkt die Folgen des eigenen Handelns. Dadurch erreicht er Stabilität und Frieden in der Gesellschaft – was dann auch wieder Nutzen für ihn selbst bringt.«4
Ehrbarkeit durch die rosarote Brille
In diesem Sinne ist der Ehrbare Kaufmann schlicht ökonomischer Kitsch. – Kitsch, das ist das Gegenteil von Analyse, ist Emotions- und Affektakkumulation. Kitsch kann, wie Adorno einmal gesagt hat, geradezu »dümmlich tröstend« wirken, weil man damit Profanes, Banales, Selbstverständliches verklärt.5 Alexander Grau hat unlängst eindringlich vor der Neigung zum »politischen Kitsch« gewarnt, die er den Deutschen attestiert.6 Er macht das an der vermutlich einzigen Gruppe fest, die es derzeit mit ihren Idealen – egal, wie naiv das manchmal in der praktischen Umsetzung sein mag – einigermaßen ernst meint: den Jugendlichen der Fridays-for-Future-Bewegung. Darüber könnte man mit dem Kolumnisten des konservativen Cicero füglich streiten. Dass allerdings Kitsch eine Erfindung des Bürgertums gewesen sei und ausdrücklich bürgerliche Lebenswelten anspreche, ist eine anregende Beobachtung. Er hat etwas mit Ästhetisierung zu tun. Und die muss man sich erst einmal leisten können. So mag es nicht verwundern, dass der Ehrbare Kaufmann nicht im Gebrauchtwagenhandel nebenan, nicht beim Asialaden um die Ecke und nicht bei den Filialleiterinnen deutscher Supermarktketten, sondern bei hochpreisigen Unternehmensberatungen und in Vorstandsetagen fröhliche Urstände feiert.
Es ist aber unnötig, in plumpe Sozialbinaritäten zu verfallen und nicht weniger plumpe Vorurteile gegen Hochfinanz und Businesswelt zu bedienen: Ästhetisierung ist nicht von sich aus etwas Schlechtes. Und dass Erfolg korrumpiere, mag ein oft beobachteter Befund, aber noch lange kein Automatismus sein. Vielmehr kann ein positives Leitbild, wenn es nur genug Zugkraft entwickelt, natürlich auch jede Menge positiver Effekte haben – selbst wenn die Motive, sich diesem Leitbild anzuschließen, keine pflichtethischen, sondern ganz menschliche sind. Anerkennung zum Beispiel, auf dem Markt oder bei Mitmenschen. Und schon sind wir wieder bei den Future-Freitagen: Wer mehr auf seine Klimabilanz achtet, um Teil einer Bewegung zu sein, und nicht, weil ihm das schon immer wichtig war, der achtet trotzdem immer noch auf das Klima. Und wer sich im Geschäftsleben ehrbar verhält, handelt immer noch gut – auch wenn er damit seine Wirkung auf Kunden und Geschäftspartner verbessern will und sich nicht aus rein altruistischen Gründen zügelt.7
Warum Kitsch auch zum Problem werden kann
Momentan sind es vor allem zwei Gruppen, die über den Ehrbaren Kaufmann reflektieren: einerseits unternehmerische Verbände, Vereine und Initiativen, die aus einem sympathischen Idealismus heraus eine Bewegung anzustoßen versuchen, und andererseits: Beraterfirmen. Und hier liegt ein Problem. In der Welt betriebswirtschaftlicher Beratung, die dauernd neue Allheilmittel wie »Design Thinking« und »Blue Ocean Strategies« hervorbringt, hat nämlich die Renaissance des Ehrbaren Kaufmanns einen ganz eigenen, hilfreichen Effekt, den nur historisch fundierte Konzepte entfalten können: Die Consulting-Gurus können das sich immer schneller drehende Rad stetig neuer Moden und Modelle in der Managementtheorie beklagen und gleichzeitig mit einem (vermeintlich) historisch getesteten Heilsversprechen dieses Rad und damit die eigene Branche weiter am Laufen halten. Ganz nebenbei lässt sich das auch relativ leicht ins Berater-Werk setzen, denn wie funktioniert Storytelling besser als mit realen Storys, nämlich Hi-Storys?8 Sie geben dem trockenen Gerippe wohlfeiler ethischer Imperative das nötige visionäre Fleisch und vermitteln zugleich einen Hauch von Empirie. War ja schließlich alles schon mal so. Wir müssen uns nur erinnern. Besser noch, weil emphatischer: rückbesinnen.
Dieser Trend ist Ausdruck einer generellen Entwicklung, die kritische Betriebswirtschaftlerinnen international schon länger mit Sorge beobachten: dass nämlich die Beraterwelt immer mehr Einfluss im ökonomischen System entfaltet, sich aber zugleich von der wissenschaftlichen Produktion der Datengrundlage, aufgrund derer sie berät, entkoppelt.9 Kurz gesagt: Die Modelle werden visionärer, aber auch luftiger. Der Luzerner Wirtschaftswissenschaftler Bruno Staffelbach hat zu Recht schon vor fast zwanzig Jahren festgestellt, »dass die Lebensdauer der Akzeptanz von betriebswissenschaftlichen Aussagesystemen immer kürzer wird …, verbunden mit dem unguten Gefühl, inwieweit es sich bei der Betriebswissenschaft angesichts dieser Diagnose dann noch tatsächlich um eine ›richtige‹ Wissenschaft handeln kann«.10 Daran hat sich seitdem nichts geändert. Im Gegenteil: Der Prozess hat sich noch beschleunigt. Das betrifft auch das Reden vom Ehrbaren Kaufmann. Vor »Märchenstunden für das Management« und einer platten Vereinfachung von Ursachenbeschreibung und Therapievorschlag, kurz vor »Unternehmensverantwortung light« haben etwa auch Thomas Beschorner und Thomas Hajduk vom renommierten St. Galler Institut für Wirtschaftsethik gewarnt.11 Der Ehrbare Kaufmann als Remedium sei »ebenso sympathisch wie einfach, und dies sind wohl die Hauptgründe für die Attraktivität der Metapher«.12
Tradition als Antwort auf die Herausforderungen der Gegenwart? Galopp auf alten und neuen Seidenstraßen
Mitunter können die von Beschorner und Hajduk kritisierten »Märchenstunden« aber auch ziemlichen Zündstoff bieten. Dann nämlich, wenn sie nicht nur unternehmerisches Handeln, das sowieso stattfindet beziehungsweise bereits stattgefunden hat, in schicke neue Kleider hüllen, sondern eine in die Zukunft gerichtete Wirtschaftspolitik mit neuen Argumenten ausstatten.
Eine solche Idee von der Hanse als historischem role model für zukünftige Entwicklungen hat jüngst der Sinologe Marcus Hernig in seinem Buch über den Weg des chinesischen Drachens ins Herz Europas ganz handfest aufgemacht.13 Darin behandelt der China-Experte, der mittlerweile vor allem als Publizist und Berater tätig ist, die als »Neue Seidenstraße« bekannt gewordene Belt and Road Initiative (BRI) der chinesischen Regierung unter Staatspräsident Xi Jinping. Zwei Handelskorridore sollen das alte Reich der Mitte mit dem Westen verbinden: eine südliche road entlang der alten Seidenstraße (die Maritime Silk Road oder MSR) von China über Südasien nach Afrika und ein nördlicher belt über Land (Silk Road Economic Belt oder SREB), der sich vom östlichen China über Zentralasien, die Türkei und Iran mit einem Schlenker über Russland und das...
Erscheint lt. Verlag | 16.11.2020 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte | |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Wirtschaft | |
Schlagworte | Europa • Europäische Einigung • Freihandel • Frieden von Stralsund • Hansestadt • Hansetag • Kogge • Köln • Kontor • Lübeck • Management • Mittelalter • Neue Hanse • Ostsee • Rostock • Schifffahrt • Siegel • Vormacht • Wirtschaftsgeschichte |
ISBN-10 | 3-8437-2368-0 / 3843723680 |
ISBN-13 | 978-3-8437-2368-8 / 9783843723688 |
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