Die Bibel auslegen (eBook)

Eine Methodenlehre

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022
224 Seiten
Gütersloher Verlagshaus
978-3-641-26344-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Bibel auslegen - Manuel Nägele
Systemvoraussetzungen
18,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Biblische Texte methodisch erschließen
Dieses Lehrbuch ist für alle gemacht, die im Rahmen eines Theologiestudiums biblische Texte auslegen wollen, ohne dabei besondere Sprachvoraussetzungen mitbringen zu müssen. Alle eingeführten Methodenschritte wissenschaftlicher Exegese werden beschrieben und anhand ausgewählter Beispiele aus dem Alten und dem Neuen Testament angewendet. Das Buch richtet sich in erster Linie an Lehramtsstudierende, bietet aber auch Schülerinnen und Schülern in Religion-Leistungskursen sowie Prädikanten oder interessierten Nicht-Theologen einen niederschwelligen und immens praktischen Zugang zu einer methodischen Erschließung biblischer Texte.

Manuel Nägele, geb. 1991, hat von 2012-2017 in Heidelberg und Tübingen Evangelische Theologie studiert und promoviert im Moment über den Terminus ???? bei Paulus und den Autoren der neutestamentlichen Umwelt. Als Assistent - zunächst in Tübingen (2018-2020), jetzt in Zürich - gibt er seine Begeisterung für die Methoden biblischer Exegese an die Studierenden weiter.

2. DIE NOTWENDIGKEIT VON METHODEN IN DER BIBLISCHEN EXEGESE

Literatur:

Becker 2015, 2–6; Finnern/Rüggemeier 2016, 1–11; Hieke/Schöning 2017, 13–21; Kreuzer u. a. 2019, 13–25; Meiser u. a. 2000, 15–24; Söding 1998, 16–21.36–53.222–250.

»I can do all things through a verse taken out of context.«

2 Opinions 3,15

Dieser Vers kursierte in den letzten Jahren in den sozialen Netzwerken. Einerseits kritisiert er die Willkür, die sich im Umgang mit einzelnen Versen aus der Bibel zeigen kann, andererseits deutet er in seiner Diagnose gleichzeitig eine Möglichkeit an, wie sich das Symp-tom der Willkür vermeiden lässt: der Kontext des Verses. Die Karikatur macht mit diesem Hinweis auf ein weitverbreitetes Problem aufmerksam, das sich bei genauerem Hinsehen als deutlich größer und komplexer erweist – sie zeigt nur die Spitze des Eisberges an.

Das Lesen der Bibel erscheint als alltägliche Selbstverständlichkeit. Die Ursache dafür sind die genannten breiten und unkomplizierten Zugriffsmöglichkeiten auf die biblischen Texte sowie ihre Verwendung in den unterschiedlichen Bereichen des Lebens. Vor allem bei kirchlich sozialisierten Bibelleserinnen und Bibellesern, für die die Lektüre regelrecht zum »Alltagsgeschäft« gehört, sorgt deshalb die Forderung nach bestimmten Methodenschritten nicht selten für Irritationen. Schließlich kann doch jeder die Texte einfach lesen und – so die Annahme – auch richtig verstehen. Wer seit dem Kindergottesdienst mit den Geschichten des Alten und Neuen Testaments vertraut ist, wird sich zunächst schwertun, über die Notwendigkeit einer Methode für das Exegesieren (griechisch ἐξ-ηγέομαι, lies: ex-êgéomai [heraus-führen]) dieser Texte nachzudenken. Ganz abgesehen von dem Zugeständnis, dass auch der unreflektierte Umgang immer schon einer gewissen Methodik unterliegt.

Vereinfacht gesagt geht es bei einer Methode zunächst lediglich um »ein planvoll eingesetztes Mittel zur Realisierung eines Ziels bzw. ein systematisches Verfahren zur Lösung einer gestellten Aufgabe« (Winko*, 581). In unserem Fall besteht dieses Ziel im Verstehen des Textes.

Die Frage, mit welchen Methodenschritten sie ihr Verständnis aus dem Text »herausgeführt« haben, klingt für manche Bibelleserinnen und Bibelleser jedoch wie die Frage danach, wie sie das Essen so köstlich zubereitet haben. Eine detaillierte Antwort, in der die einzelnen Arbeitsschritte, also das »systematische Verfahren« (s. o.), benannt werden, fällt schwer. Man hat eben so gekocht »wie immer«. So wie wir im Alltag manche Abläufe und das Wissen um die dafür notwendigen Methodenschritte internalisiert haben, kann auch der Lektüre- und Verstehensprozess automatisiert ablaufen. D. h. es liegt ein »latentes (= verborgenes) Methodenwissen« vor (Finnern/Rüggemeier 2016, 2). Es geht demnach weniger darum, ob jemand mit einer Methode die Bibel auslegt. Ausschlaggebend ist vielmehr der Grad an Reflexion, mit dem dies geschieht. Konsequenterweise müsste die Überschrift dieses Kapitels daher »Notwendigkeit von expliziten bzw. transparenten oder reflektierten Methoden« genannt werden.

Interessant und durchaus problematisch wird das, sobald man zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt. Ein Blick in die Kirchengeschichte, aber auch auf gegenwärtige Debatten, genügt, um zu erkennen, dass die Auslegung biblischer Texte zu sehr voneinander abweichenden, ja sogar widersprüchlichen Ergebnissen und nicht selten auch zu spektakulären Fehlinterpretationen führen kann. Spätestens dann ist es unabdingbar, den beschrittenen Weg hin zum Ziel des Textverständnisses zu reflektieren und Rechenschaft darüber ablegen zu können. Oder noch einmal mit dem Bild aus der Küche gesagt: Wenn mein Zwetschgenkuchen einfach nicht so lecker werden will wie der meiner Großmutter, dann müssen wir für eine Verständigung darüber, wie es zu dieser Diskrepanz kommen konnte, beide in der Lage sein, unseren Weg der Zubereitung bis hin zum Resultat offenzulegen. Je genauer die einzelnen Arbeitsschritte benannt werden können, desto besser gelingt die Fehlerdiagnose und dementsprechend auch die Möglichkeit, etwaige Verbesserungen vorzunehmen, die zu zielführenderen Arbeitsschritten verhelfen.

Die (meist unterbewusste) Anwendung bestimmter Arbeitsschritte in der Alltagsexegese führt auch deshalb zu verschiedenen Resultaten, weil die Wahl der einzelnen Methodenschritte unterschiedlich ausfällt. Das wiederum liegt an der (meist ebenfalls unbewusst) herangetragenen Fragestellung an den biblischen Text. Je nachdem, mit welchem Interesse der Leser an einen Text herantritt, wird er bei seiner Suche nach der Bedeutung der Aussage auf unterschiedliche Methodenschritte zurückgreifen.1 Es macht einen Unterschied, ob biblische Texte z. B. mit einem vornehmlich archäologischen, literaturwissenschaftlichen oder theologischen Interesse ausgelegt werden. Allgemeiner ausgedrückt: Das Textverständnis hängt von den Vorstellungen und den Prämissen ab, die eine Leserin an den Text heranträgt. Aus diesem hermeneutischen Zirkel gibt es kein Entkommen.2

Kurzum: Wenn ich die biblischen Texte im Sinn eines dezidiert theologischen Interesses nach dem Wesen Gottes befrage, habe ich bereits irgendein Vorverständnis von Gott. Nach einer Sache kann ich nur dann fragen, wenn sie zu meinem Wissensbestand gehört – andernfalls würde ich gar nicht auf die Idee kommen, danach zu fragen. Unweigerlich jedoch setzt bereits dieses »bloße« Wissen eine – wie auch immer geartete – Vorstellung von der Sache voraus. Die neuen Informationen über eine Sache, die dem Rezipienten etwa über das Lesen eines Textes übermittelt werden, brauchen einen Resonanzkörper im menschlichen Gehirn – also irgendein Vorwissen, an dem sie Anklang finden können. Im Bild gesprochen: Wer nicht weiß, dass es Fische gibt – und dass sie im Idealfall gut schmecken –, wird niemals auf die Idee kommen, an den See zu fahren, um zu angeln.

Umso wichtiger ist es, das leitende Interesse und die damit verbundene Fragestellung bei der Exegese biblischer Texte transparent zu machen. Selbstverständlich sind der Fantasie dabei zunächst keine Grenzen gesetzt. Es ließen sich viele Fragestellungen an die Texte Alten und Neuen Testaments anlegen.3 Dabei gibt es angemessenere und weniger angemessene Interessen. Wer nach der neuen Innenausstattung seines Wohnzimmers fragt, wird zwar in den Kapiteln zum Bau der Stiftshütte in Ex 25–40 auch fündig; ob das der Aussageintention des Textes gerecht wird, scheint jedoch mehr als fraglich. »Angemessen« meint hier »dem Text angemessen«. Ob eine Fragestellung angebracht ist, hängt demnach vom Text ab, der befragt wird. Die biblische Exegese hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, dem Text selbst Gehör zu verschaffen und ihn vor – v. a. dogmatischer – Vereinnahmung zu schützen. »Der Exeget ist der Anwalt des Textes; er läßt diesen selbst zu Worte kommen.« (Becker 2015, 5)

Im Zuge der Realisierung ihres Anliegens treten natürlich auch die Exegetinnen und Exegeten Alten und Neuen Testaments mit einer leitenden Fragestellung an die Texte heran – auch sie entkommen dem hermeneutischen Zirkel nicht. Die primäre Beobachtung, von der die Exegetinnen und Exegeten ihre Fragestellung ableiten, muss sich an dem orientieren, was von den Texten selbst vorgegeben wird. Denn nur dann – so der Gedanke – kann es sich um eine dem Text angemessene Fragestellung handeln. Dieser Versuch, den Texten selbst möglichst gerecht zu werden, d. h. »die Fremdheit und Eigenständigkeit eines Textes zu respektieren« (Weder* 1989, 119), trägt in erster Linie der Einsicht Rechnung, dass es sich um historische Texte handelt. Also Texte aus vergangener Zeit, aus unterschiedlichen zeitlichen Epochen, von unterschiedlichen Verfassern mit unterschiedlichen Aussagen an unterschiedliche Adressatinnen und Adressaten.

Das leitende Interesse, das aus dieser Beobachtung resultiert, fragt danach, was der damalige Autor (bzw. Übersetzer, Tradent oder Redaktor)4 seinen damals intendierten Adressatinnen und Adressaten mit seinem Text sagen wollte. Exegese biblischer Texte ist deshalb historische Exegese. Wird der Text in seiner Eigenständigkeit wahrgenommen und erlaubt die Exegetin dem Text, die eigenen Prämissen zu hinterfragen, dann entsteht im Idealfall aus dem Zirkel der Hermeneutik eine Spirale, die sich immer mehr der Aussage des Textes, also der damaligen Intention, annähert.

Aufgrund des historischen Charakters sowie der Unterschiedlichkeit der Texte (Gebete, Lieder, Briefe, Geschichten usw.) sind zur Beantwortung der Leitfrage mehrere Methodenschritte nötig, die ihrerseits ihre ganz eigene Frage an die Texte herantragen. Im Bild gesprochen: Da es sich bei den einzelnen Texten nicht nur um Schlitzschrauben handelt, sondern auch um Kreuzschlitz- und Torx-Schrauben sowie Außen- und Innensechskant, reicht ein Schlitzschraubendreher allein nicht aus, um die textliche Vielfalt zu erschließen.5

Um zur damaligen Aussageintention zu gelangen, ist also ein Multifunktionstool vonnöten, das der historischen Eigenart einerseits und dem bunten Konglomerat an Texten andererseits gerecht werden und mithilfe dessen zwischen den Texten...

Erscheint lt. Verlag 21.2.2022
Verlagsort Gütersloh
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte 2022 • Apokryphen • Bibel • Bibelauslegung • Bibelerklärung • Bibelexegese • Bibelüberlieferung • Bibelübersetzung • Die Bibel • eBooks • Literarkritik • Neuerscheinung • Redaktionsgeschichte • Textkritik • Theologiestudium
ISBN-10 3-641-26344-1 / 3641263441
ISBN-13 978-3-641-26344-7 / 9783641263447
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 3,6 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich