Die apokryphen Evangelien (eBook)

Jesusüberlieferungen außerhalb der Bibel
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2020 | 1. Auflage
128 Seiten
Verlag C.H.Beck
978-3-406-75019-9 (ISBN)
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Neben den vier biblischen Evangelien entstanden im frühen Christentum zahlreiche Texte zu Jesus, die keinen Eingang in die Bibel fanden. Vor allem die 'Kindheitsevangelien' haben die christliche Frömmigkeit - Liturgie, Festtraditionen, bildliche Darstellungen - nachhaltig beeinflusst. Andere Texte wie das Thomasevangelium wurden erst im 20. Jahrhundert wiederentdeckt. Jens Schröter beschreibt die wichtigsten apokryphen Schriften zu Jesus, beleuchtet ihr Verhältnis zu den kanonischen Evangelien und erklärt ihre Bedeutung für die Geschichte des Christentums.

Jens Schröter ist Professor für Neues Testament und neutestamentliche Apokryphen an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er hat u. a. in Houston und Jerusalem gelehrt und ist Mitherausgeber international einschlägiger Buchreihen und Zeitschriften.

2. Kindheitsevangelien: Erzählungen über Geburt und Kindheit Jesu

Nur in zwei der Evangelien des Neuen Testaments, denen nach Matthäus und Lukas, finden sich Erzählungen über die Geburt und Kindheit Jesu. Das Markusevangelium setzt dagegen mit dem Auftreten Johannes des Täufers ein; das Johannesevangelium enthält an seinem Beginn einen Prolog über das «Wort» (logos), das schon vor der Erschaffung der Welt bei Gott war und dann in Jesus Christus Mensch geworden ist.

Bei den Geburtsgeschichten handelt es sich um legendarische Texte, die die vom Geist Gottes bewirkte Geburt Jesu durch die Jungfrau Maria als Erfüllung prophetischer Verheißungen und als rettendes Handeln Gottes für sein Volk Israel deuten. In historischer Hinsicht lässt sich den Evangelien demnach über die Zeit vor dem öffentlichen Auftreten Jesu nichts entnehmen. Die Erzählungen bei Matthäus und Lukas stimmen zwar in einigen Punkten überein – etwa in der Erwähnung von Maria und Joseph als den Eltern Jesu, der Geburt Jesu in Bethlehem und der Nennung des Königs Herodes –, stellen aber die Geburt Jesu und deren Begleitumstände ansonsten unterschiedlich dar. Das Matthäusevangelium beginnt mit einer Genealogie, die die Herkunft Jesu bis auf Abraham zurückführt und einen besonderen Akzent darauf legt, dass er aus dem Geschlecht Davids stammt. Erzählt werden sodann das Kommen von Magiern aus dem Osten nach Jerusalem und Bethlehem, der Kindermord des Herodes, die Flucht von Joseph und Maria mit dem Jesuskind nach Ägypten, ihre Rückkehr und schließlich die Übersiedlung nach Nazareth. Bei Lukas werden die Geburten Johannes des Täufers und Jesu durch den Engel Gabriel angekündigt und dann nacheinander erzählt. Maria und Joseph müssen dazu von Nazareth nach Bethlehem reisen, wo Jesus geboren und in eine Krippe gelegt wird. Die Geburt Jesu wird durch Maria, Zacharias, den Vater des Johannes, und den greisen Simeon in Liedern gepriesen und durch Engel den Hirten auf dem Feld als Geburt des Retters verkündigt. Schließlich erzählt Lukas von der «Darbringung» Jesu im Tempel sowie von der Episode des zwölfjährigen Jesus, der mit den Lehrern Israels im Jerusalemer Tempel diskutiert (Lk 2,42–​51). Dies ist die einzige Episode über die Kindheit bzw. Jugend Jesu vor seinem öffentlichen Auftreten.

Seit dem 2. Jahrhundert sind weitere Schriften über die Geburt und Kindheit Jesu entstanden. Diese werden auch als «Kindheitsevangelien» bezeichnet. Sie setzen die Tendenz fort, in legendarischer Weise über Geburt und Kindheit Jesu zu erzählen. Damit wurde dem Bedürfnis Rechnung getragen, über die Frühzeit Jesu mehr zu berichten, als sich in den Evangelien nach Matthäus und Lukas findet. Diese Texte dienen demnach der Veranschaulichung der wunderbaren Geburt Jesu und der außergewöhnlichen Fähigkeiten, die er bereits als Kind besaß. Damit stärken sie zugleich das Bekenntnis zu Jesus als dem menschgewordenen Sohn Gottes und verteidigen es gegen Zweifel von innen und Polemik von außen.

Die Kindheitsevangelien vermehren nicht das historische Wissen über Jesus, spielen aber für die Frömmigkeitsgeschichte des Christentums eine wichtige Rolle. Legenden über die Umstände der Geburt Jesu, Episoden aus seiner Kindheit und Geschichten über seine Eltern sind im Christentum vielfach weitererzählt, ausgeschmückt und bildlich dargestellt worden. Die Kindheitsevangelien und mit ihnen verwandte Texte über Maria, Joseph und Johannes den Täufer sind deshalb von früher Zeit an zum festen Bestandteil der Jesusüberlieferung des Christentums geworden, bis dahin, dass «kanonische» und «apokryphe» Überlieferungen nahtlos ineinander übergehen konnten.

Die Bezeichnung «Kindheitsevangelium» begegnet zuerst im Arabischen Kindheitsevangelium, und zwar sowohl als Selbstbezeichnung als auch für die Kindheitserzählung des Thomas. Letztere wurde auch in Manuskripten mit dem Titel «Kindheitsgeschichten» (Paidika) versehen.

Die Anfänge der Kindheitsevangelien reichen bis ins 2. Jahrhundert zurück. Im Laufe ihrer Überlieferung wurden sie miteinander verbunden und mit weiteren Erzählungen angereichert. Die meisten dieser Schriften hängen deshalb literarisch und überlieferungsgeschichtlich zusammen. Im Folgenden werden zunächst die beiden ältesten Kindheitsevangelien vorgestellt. Anschließend werfen wir einen Blick auf deren Rezeptions- und Wirkungsgeschichte in einigen jüngeren Schriften.

Das Protevangelium des Jakobus

Die unter dem Titel «Protevangelium des Jakobus» bekannte Schrift ist das früheste und einflussreichste Kindheitsevangelium. Die älteste Erwähnung findet sich bei Origenes, der in seinem um 230 entstandenen Kommentar zum Matthäusevangelium ein «Buch des Jakobus» nennt, in dem davon die Rede sei, dass die in Mt 13,55 erwähnten Brüder Jesu Söhne Josephs aus einer Ehe vor derjenigen mit Maria seien. Origenes bezieht sich damit auf eine Sicht, die im Protevangelium vertreten wird (9,2; 17,1; 18,1). Bereits zuvor findet sich bei Clemens von Alexandria die Bemerkung, dass Marias Jungfräulichkeit auch nach der Geburt Jesu festgestellt worden sei (Stromateis VII 16,93,7). Da die betreffende Episode auch im Protevangelium überliefert ist (Kap. 19–​20), könnte Clemens dieses gekannt haben.

Darüber hinaus gibt es einige weitere Verbindungen zwischen dem Protevangelium und Bemerkungen frühchristlicher Theologen. In seinem Dialog mit dem Juden Trypho, den er um die Mitte des 2. Jahrhunderts verfasste, bemerkt Justin, dass Jesus in einer Höhle geboren worden sei, da Joseph keine Unterkunft in Bethlehem finden konnte (78,5). Von der Geburt Jesu in einer Höhle ist auch im Protevangelium die Rede (18,1; 19,2), aber nicht bei Matthäus und Lukas. Die Bemerkung Justins muss jedoch nicht notwendigerweise auf eine Kenntnis des Protevangeliums zurückgehen. Es ist auch möglich, dass Justin seinerseits die Quelle für das Protevangelium war oder – wahrscheinlicher – dass es sich um eine Tradition handelt, die zweimal unabhängig voneinander aufgenommen wurde. Dafür spricht sowohl, dass Justin in dem entsprechenden Abschnitt die Traditionen über die Geburt Jesu aus dem Matthäus- und dem Lukasevangelium frei zusammenfasst, als auch, dass das Protevangelium diverse Überlieferungen der Ereignisse im Umfeld der Geburt Jesu verarbeitet hat. Der lateinisch schreibende Theologe und Jurist Tertullian erwähnt in seiner um 211/12 entstandenen Schrift Scorpiace («Arznei gegen den Skorpionstich») den auch im Protevangelium festgehaltenen Bericht vom Tod des Zacharias (Scorp. 8). Auch daraus muss jedoch nicht notwendigerweise auf eine Kenntnis dieses Evangeliums geschlossen werden, zumal Tertullian den von ihm erwähnten Zacharias nicht, wie das Protevangelium, mit dem Vater Johannes des Täufers identifiziert. Er könnte sich vielmehr auf die in Mt 23,35 und Lk 11,51 bezeugte Tradition vom Martyrium eines jüdischen Propheten namens Zacharias beziehen.

Die frühchristlichen Zeugnisse zeigen demnach, dass das Protevangelium im Kontext von Traditionen über die Geburt Jesu steht, die im 2. Jahrhundert bei christlichen Autoren bekannt waren. Des Weiteren verbindet es Erzählungen aus dem Matthäus- und dem Lukasevangelium miteinander. Daraus ergibt sich, dass das Protevangelium vermutlich im späteren 2. Jahrhundert verfasst wurde. Das Protevangelium ist in über 140 griechischen Handschriften und zahlreichen Übersetzungen ins Syrische, Koptische, Georgische, Armenische, Äthiopische und Arabische erhalten. Auffällig ist auch die große Zahl kirchenslawischer Manuskripte. Erhalten ist zudem eine fragmentarische lateinische Übersetzung. Die Schrift erfreute sich demnach in den Ostkirchen großer Beliebtheit. In der Westkirche wurde sie dagegen abgelehnt. Grund dafür war die oben genannte Auffassung, die Brüder Jesu seien Söhne Josephs aus einer früheren Ehe. Die Westkirche (zuerst Hieronymus) vertrat demgegenüber die Auffassung, bei den Geschwistern Jesu handle es sich um Cousins und Cousinen Jesu.

Der Titel «Protevangelium des Jakobus» erscheint zuerst in der 1552 in Basel publizierten lateinischen Übersetzung des französischen Humanisten Guillaume Postel. Er geht auf Postels Vermutung zurück, die Schrift stelle den verloren gegangenen ersten Teil des Markusevangeliums dar, das mit dem Auftreten Johannes des Täufers beginnt und dem deshalb ein «Protevangelium», ein «Erstevangelium», vorgeschaltet gewesen sei. Postel hatte die Schrift im Osten kennengelernt und sie durch seine Übersetzung in der Westkirche bekannt gemacht. Diese Übersetzung wurde – neben dem griechischen Text – von Fabricius in seinem Codex...

Erscheint lt. Verlag 17.2.2020
Reihe/Serie Beck'sche Reihe
Zusatzinfo mit 6 Abbildungen und 1 Karte
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte Christentum • Festtraditionen • Frömmigkeit • Jesus • Kindheitsevangelien • Liturgie • Texte • Thomasevangelium
ISBN-10 3-406-75019-2 / 3406750192
ISBN-13 978-3-406-75019-9 / 9783406750199
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