Monster

(Autor)

Buch | Softcover
176 Seiten
2020 | 2. Auflage, neue Ausgabe
Kein & Aber (Verlag)
978-3-0369-6107-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Monster - Yishai Sarid
13,00 inkl. MwSt
Einer der bekanntesten Autoren Israels wirft ein neues Licht auf die Erinnerungskultur
Am Ende dieser Geschichte steht eine Eskalation: Ein israelischer Tourguide streckt im Konzentrationslager von Treblinka einen deutschen Dokumentarfilmer mit einem Faustschlag nieder. Wie kam es dazu? In einem Bericht an seinen ehemaligen Chef schildert der Mann, wie er jahrelang Schulklassen, Soldaten und Touristen durch NS-Gedenkstätten geführt hat und wie unterschiedlich diese mit der Erinnerung an den Holocaust umgehen. Nach und nach zeigt sich, dass seine Arbeit nicht spurlos an dem jungen Familienvater vorübergeht - die Grauen der Geschichte entwickeln einen Sog, gegen den keine akademische Distanz ankommt.

Yishai Sarid wurde 1965 in Tel Aviv geboren, wo er bis heute lebt. Nachdem er als Nachrichtenoffizier in der israelischen Armee tätig war, studierte er in Jerusalem und an der Harvard University und arbeitete später als Staatsanwalt. Heute ist er als Rechtsanwalt tätig und veröffentlicht Artikel in diversen Zeitungen. Bei Kein & Aber erschienen bislang seine Romane Limassol, Alles andere als ein Kinderspiel, Monster, Siegerin und zuletzt Schwachstellen.

Sehr geehrter Herr Direktor von Yad Vashem, dies hier ist der Bericht über das, was dort vorgefallen ist. Mir wurde mitgeteilt, dass Sie einen solchen erwarten, und ich möchte ihn auch erstatten, da Sie mir Ihr Vertrauen geschenkt haben. Zuerst wollte ich mich selbst ganz ausklammern, den Bericht rein akademisch abfassen, ohne meine Person und meinen Lebenslauf einzubeziehen, die an sich nicht besonders interessieren. Doch schon nach einigen Sätzen merkte ich, dass das nicht gelingen würde, denn ich bin das Gefäß, das die Geschichte enthält, und wenn die Risse in meinem Innern sich zum Bersten verbreitern sollten, wäre auch die Geschichte verloren. Wissen Sie, ich blicke seit jeher zu Ihnen auf. Ich war mehrmals an Debatten und Beratungen beteiligt, die Sie leiteten, Sie haben mir einige wichtige Aufträge erteilt, darunter auch das letzte Projekt. Nie werde ich Ihre bewegenden Worte bei der Präsentation meines Buches vergessen. Ich habe Ihnen nach besten Kräften assistiert, kann mich aber nicht entsinnen, dass wir je persönliche Worte gewechselt hätten. Ich mache Ihnen das nicht zum Vorwurf, Sie tragen eine schwere Bürde. Ich erinnere mich an den schönen Blick, den man aus Ihrem Büro über den Jerusalem-Wald hat, an den Natursteingeruch der Wände und das gute Tuch Ihrer Kleidung. Ich habe mich stets als treuen Abgesandten betrachtet. Ich sehe Ihr kluges Gesicht vor Augen und spreche Sie als den offiziellen Repräsentanten der Erinnerung an.


Zur Holocaustforschung bin ich aus pragmatischen Erwägungen gelangt. Nach der Wehrentlassung und der üblichen Zeit der Reisen und Zukunftspläne schrieb ich mich für die Studienfächer Internationale Beziehungen und Geschichte ein. Ich strebte eine Diplomatenlaufbahn an, dachte, im Ausland könnte ich unbeschwerter leben. Ich wusste zwar, dass das Ansehen des diplomatischen Dienstes bröckelt, da er im digitalen Zeitalter an Bedeutung verliert, aber ich betrachtete das sogar als Vorteil. Ich sah mich in einer tropischen Stadt im hellen Anzug im Café sitzen und meine Tage in goldener Muße verbringen, mit einem bescheidenen, aber respektablen Gehalt vom Staat. Ich strebte nicht die Rolle eines Stars an, nach dem Straßen und Plätze benannt werden. Ich las gern Bücher über historische Gestalten und Ereignisse, sie beruhigten mich, weil alles darin beendet und besiegelt ist, nichts sich mehr ändern kann. Fiktive Geschichten wurden von einem Menschen und seinen Capricen bestimmt und machten mich unruhig. Im zweiten Studienjahr, mit vierundzwanzig Jahren, trat ich zu den Prüfungen des Auswärtigen Amtes an und bestand mühelos den ersten, schriftlichen, Teil. Beim zweiten Teil, zu dem ich einige Wochen später einbestellt wurde, veranstalteten unsere Prüfer soziale Workshops und listige Spielchen mit uns und interviewten uns zum Abschluss einzeln. Im Verlauf dieses Tages spürte ich mein Scheitern. Ich brauchte den Antwortbrief gar nicht erst abzuwarten, um zu wissen, dass ich durchgefallen war. Eine Zeit lang erwog ich, alles hinzuwerfen und nach Fernost, nach Thailand, zu fahren, weil die Zukunft mir verschlossen schien, aber finanzielle und familiäre Erwägungen (mein Vater war damals erkrankt) hielten mich davon ab. Da der Traum vom diplomatischen Dienst ausgeträumt war, gab ich das Fach Internationale Beziehungen auf, das mich für sich genommen kaum interessierte, und studierte nur noch Geschichte. Es lag mir sehr, mich mit der Historie zu befassen, Arbeiten zu schreiben, zu forschen, stundenlang über alten Schriften in der Bibliothek zu sitzen, in die Cafeteria zu gehen, zurückzukehren - ich schob eine ruhige Kugel und gab mir den Anschein von Ernsthaftigkeit. Ich studierte gemächlich weiter bis zum zweiten Abschluss und entkam der Namenlosigkeit dank einer Seminararbeit in einem Kurs unter Leitung des Dekans, der sie sehr lobte, mich fortan förderte und mir eine Lehrassistentenstelle verschaffte. Ich avancierte zum vielversprechenden Nachwuchshistoriker, was mich m

Erscheinungsdatum
Reihe/Serie Kein & Aber Pocket
Übersetzer Ruth Achlama
Sprache deutsch
Original-Titel Mifletzet HaSikaron
Maße 116 x 185 mm
Gewicht 162 g
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Geschichte Allgemeine Geschichte 1918 bis 1945
Schlagworte Belzec • Erinnerung • Familie • Geschichte • Holocaust • Israel • Konzentrationslager • Taschenbuch • Trauma
ISBN-10 3-0369-6107-0 / 3036961070
ISBN-13 978-3-0369-6107-1 / 9783036961071
Zustand Neuware
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