Seneca - Moralphilosophie im Geiste der Stoa - Epistulae morales ad Lucilium I-II-IV-V-VII-XII-XV-XX -  Michael Weischede

Seneca - Moralphilosophie im Geiste der Stoa - Epistulae morales ad Lucilium I-II-IV-V-VII-XII-XV-XX (eBook)

Briefe an Lucilius Latein/Deutsch - Übersetzung mit Kommentaren und Erläuterungen zur Philosophie und zur Alltagsgeschichte Roms
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2019 | 1. Auflage
104 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7481-2702-4 (ISBN)
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Diese Übersetzung einiger Briefe Senecas an seinen Freund Lucilius bietet erste Einblicke in dessen Verständnis der stoischen Philosophie. Seine Gedanken beispielsweise zur Zeit, zur Philosophie oder zum Verhältnis von Körper und Geist haben auch zu Beginn des 3. Jahrtausends nichts an intellektueller Frische verloren. Ausgewählte Erläuterungen zur Alltagsgeschichte Roms ermöglichen es darüber hinaus, nicht nur einen Eindruck der gedanklichen, sondern auch der dinglichen Lebenswelt Senecas zu gewinnen.

Der Autor Michael Weischede hat Geschichte an der Ruhruniversität in Bochum studiert und arbeitet zurzeit als freier Schriftsteller in Dortmund.

Epistula II

SENECA LUCILIO SUO SALUTEM

Seneca grüßt seinen Lucilius,

(1) EX IIS QUAE MIHI SCRIBIS ET EX IIS QUAE AUDIO BONAM SPEM DE TE CONCIPIO: NON DISCURRIS NEC LOCORUM MUTATIONIBUS INQUIETARIS. AEGRI ANIMI ISTA IACTATIO EST: PRIMUM ARGUMENTUM COMPOSITAE MENTIS EXISTIMO POSSE CONSISTERE ET SECUM MORARI.

Aus den [Dingen], die du mir schreibst, und aus denen, die ich höre, erkenne ich gute Hoffnung für dich: du schwenkst nicht ab und du wirst auch nicht durch Ortsveränderungen beunruhigt. Ein solcher unsteter Aufenthalt ist typisch für ein krankes Gemüt: ich glaube, der bedeutendste Beweis für einen geordneten Verstand ist es, Halt zu machen und bei sich verweilen zu können.

(2) ILLUD AUTEM VIDE, NE ISTA LECTIO AUCTORUM MULTORUM ET OMNIS GENERIS VOLUMINUM HABEAT ALIQUID VAGUM ET INSTABILE. CERTIS INGENIIS IMMORARI ET INNUTRIRI OPORTET, SI VELIS ALIQUID TRAHERE QUOD IN ANIMO FIDELITER SEDEAT. NUSQUAM EST QUI UBIQUE EST. VITAM IN PEREGRINATIONE EXIGENTIBUS HOC EVENIT, UT MULTA HOSPITIA HABEANT, NULLAS AMICITIAS; IDEM ACCIDAT NECESSE EST IIS QUI NULLIUS SE INGENIO FAMILIARITER APPLICANT SED OMNIA CURSIM ET PROPERANTES TRANSMITTUNT.

Beachte aber Folgendes, damit diese Lektüre vieler Autoren oder aller Gattungen von Büchern nicht etwas Unstetes und Unbeständiges aufweist. Es ist notwendig, bei den wahren Talenten zu verweilen und an ihnen zu wachsen, falls du dir etwas aneignen willst, das sicher im Bewusstsein verweilen soll. Nirgends ist, wer überall ist. Dadurch, dass sie das Leben auf Reisen verbringen, geschieht ein solches, dass sie viele Gastfreundschaften, aber wenige Freunde besitzen; dasselbe passiert notwendigerweise denjenigen, die sich niemandes Geiste freundschaftlich annähern, sondern alles hastig und in Eile übergehen.

Basis für die Reisemöglichkeiten im antiken Rom bildete das ausgedehnte Straßennetz des Reichs. Es entstand aus der Notwendigkeit, die Kolonien latinischen oder römischen Rechts – faktisch Garnisonen – miteinander zu verbinden, um effektiv Herrschaft ausüben zu können. In Rom lief das Geflecht der strategischen Fernstraßen zusammen,11 welches die Stadt erst mit Süditalien, dann mit der gesamten Halbinsel und schließlich mit den entlegensten Provinzen verband.

Trotz des für die Legionen ausgebauten Straßennetzes änderte sich für die Bewohner der vielen Agrarstädte des Reichs in der Regel nur wenig, da die Fortbewegungsmittel (Karren, Ochsen, Maultiere) die gleichen blieben. Wegen der sehr hohen Reisekosten konnten sie ihren geographischen Horizont nicht überwinden.12 Einzig für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse aus dem näheren Umland von Rom (oder anderer größerer Städte) und für hochwertige Luxusgegenstände aus weiter entfernten Regionen stellte der vereinfachte Landweg zusätzliche wirtschaftliche Alternativen in Aussicht.

Insgesamt blieb der Gütertransport auf der Straße nach heutigen Maßstäben außerordentlich mühselig, langsam und kostspielig – eine wirklich integrierte, über Märkte vernetzte Wirtschaft konnte sich selbst in der späten Kaiserzeit nicht entwickeln.13

Für die Mitglieder der römischen Oberschicht mit den entsprechenden finanziellen Ressourcen bot das ausgedehnte Straßennetz dagegen durchaus die Möglichkeit, in einem modernen Sinne ständig auf Reisen zu sein oder Urlaub zu machen – und genau an diese, die ihr „Leben auf Reisen verbringen“, richtet Seneca hier seine Kritik.

Bildungsreisen galten nämlich trotz der beschwerlichen Reisebedingungen bei wohlhabenden Römern als ein willkommenes Freizeitvergnügen. Es ging dabei weniger um den geographischen Ort an sich, als um die Geschichtsträchtigkeit des Reiseziels. Deshalb boomte vor allem der Griechenland- und Ägypten-Tourismus mit seinen Highlights Athen, Olympia, Delos, Alexandria, Memphis und selbstverständlich Ilion (kleinasiatische Küste), also das vermeintliche vor Urzeiten zerstörte Troja, aus dem der Königssohn Aeneas nach Italien fliehen musste, dort Herrscher von Latium wurde und dessen Nachkommen 753 Rom gründeten – soweit zur römischen Mythenwelt.14

Im Sommer stand in höheren Kreisen dagegen ein Besuch im mondänen Badeort Aquae Cumanae (heute Baiae) im Golf von Neapel auf dem Programm, aber auch in anderen Provinzen konnten sich die Heilbäder nicht über einen fehlenden Besucherandrang beschweren: beispielsweise Asklepieion von Pergamon oder das Kurbad Baden Baden.15

Ein Vergleich mit Germanien macht deutlich, dass derartige Reisemöglichkeiten um die Jahrtausendwende in Europa keineswegs selbstverständlich waren.

Terra etsi aliquanto specie differt, in universum tamen aut silvis horrida aut paludibus foeda ...16

Obgleich sich das Land im Aussehen erheblich unterscheidet, ist es im ganzen dennoch entweder dicht mit Wäldern bedeckt oder scheußlich von Sümpfen ...

Mancherorts hatte zwar seit der Eisenzeit eine Auflichtung begonnen, aber insgesamt bestätigen Urkunden den unwegsamen Urwald bis ins Mittelalter, der nur an seinen Rändern oder in abgelegenen und unzugänglichen Siedlungsinseln von Menschen bewohnt war.17

(3) NON PRODEST CIBUS NEC CORPORI ACCEDIT QUI STATIM SUMPTUS EMITTITUR; NIHIL AEQUE SANITATEM IMPEDIT QUAM REMEDIORUM CREBRA MUTATIO; NON VENIT VULNUS AD CICATRICEM IN QUO MEDICAMENTA TEMPTANTUR; NON CONVALESCIT PLANTA QUAE SAEPE TRANSFERTUR; NIHIL TAM UTILE EST UT IN TRANSITU PROSIT. DISTRINGIT LIBRORUM MULTITUDO; ITAQUE CUM LEGERE NON POSSIS QUANTUM HABUERIS, SATIS EST HABERE QUANTUM LEGAS.

Die Nahrung, die nach der Aufnahme sofort ausgestoßen wird, ist nicht von Nutzen und gelangt auch nicht in den Körper; ebenso hält nichts [mehr] die Gesundung auf, wie der häufige Wechsel der Heilmittel; eine Wunde, in der Heilmittel ausprobiert werden, kommt nicht zur Vernarbung; eine Jungpflanze, die man oft versetzt, wird nicht kräftig heranwachsen; nichts ist in dem Maße nützlich, dass es im Vorübergehen hilft. Eine Vielzahl an Büchern bindet an mehreren Punkten zugleich; weil du also nicht lesen kannst, soviel du besitzt, ist es ausreichend zu besitzen, soviel du lesen kannst.

(4) 'SED MODO' INQUIS 'HUNC LIBRUM EVOLVERE VOLO, MODO ILLUM.' FASTIDIENTIS STOMACHI EST MULTA DEGUSTARE; QUAE UBI VARIA SUNT ET DIVERSA, INQUINANT NON ALUNT. PROBATOS ITAQUE SEMPER LEGE, ET SI QUANDO AD ALIOS DEVERTI LIBUERIT, AD PRIORES REDI. ALIQUID COTIDIE ADVERSUS PAUPERTATEM, ALIQUID ADVERSUS MORTEM AUXILI COMPARA, NEC MINUS ADVERSUS CETERAS PESTES; ET CUM MULTA PERCURRERIS, UNUM EXCERPE QUOD ILLO DIE CONCOQUAS.

‚Aber‘, entgegnest du, ‚bald will ich dieses Buch aufrollen, bald jenes.‘ Auch wenn er Abneigung empfindet, ist es typisch für den Magen, viele Dinge auszuprobieren; jedes Mal wenn sie verschiedenartig und entgegengesetzt sind, verunreinigen sie und ernähren nicht. Lies deshalb immer das für gut Befundene, und wann immer es beliebt, zu anderen abzuschweifen, kehre zu den Ersteren zurück. Erwirb täglich etwas an Beistand gegen die Armut, etwas gegen den Tod und nicht weniger gegen die übrigen Miseren; und immer wenn du vieles überfliegst, wähle eines aus, damit du es dir an jenem Tag zu eigen machst.

Bis in die Spätantike bildeten Schriftrollen aus Papyrus die übliche Buchform. Folglich musste Lucilius seine Bücher nicht aufschlagen, sondern aufrollen. Man hielt den Anfang in der linken Hand, rollte dann mit der Rechten ab und mit der Linken auf. Nach der Lektüre wurde alles komplett zurückgerollt, damit der Anfang des Buches wieder außen lag.

In der Regel bestanden die Rollen aus 20 aneinandergeklebten Blättern. Bei Bedarf konnte der Verfasser kürzen oder mit weiteren Blättern verlängern. Ihre Höhe lag zumeist bei 20 bis 25 cm. Das erste Blatt blieb frei und diente zum Schutz der Rolle. Danach schrieb der Verfasser in Kolumnen von links nach rechts – für Reden in schmaleren, für wissenschaftliche Abhandlungen in breiteren Kolumnen. Im Inneren der Rolle steckte ein dünner Stab, um den die Blätter gewickelt wurden.

Als Außenschutz verwendete man oft eine Pergamenthülle und zur Aufbewahrung der Rollen einen hölzernen Behälter. Bekannte Autoren und Klassiker haben wahrscheinlich beachtliche Auflagen erreicht, und in der gebildeten Oberschicht war die Lektüre, das Verschenken und das Sammeln von Büchern nicht unüblich. Im vierten Jahrhundert existierten in Rom 28 öffentliche Bibliotheken, die aber mehr über das Geltungsbedürfnis ihrer Mäzen als über das allgemeine, in der breiten Bevölkerung eher geringe Literaturinteresse aussagen.18

(5) HOC IPSE QUOQUE FACIO; EX PLURIBUS QUAE LEGI ALIQUID APPREHENDO. HODIERNUM HOC EST QUOD APUD EPICURUM NANCTUS SUM - SOLEO ENIM ET IN ALIENA CASTRA TRANSIRE, NON TAMQUAM TRANSFUGA, SED TAMQUAM EXPLORATOR -: 'HONESTA' INQUIT 'RES EST LAETA PAUPERTAS'.

Ich selbst mache dies ebenso; vom meisten, das ich gelesen habe, eigne ich mir irgendetwas an. Gegenwärtig ist es...

Erscheint lt. Verlag 21.10.2019
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften
ISBN-10 3-7481-2702-2 / 3748127022
ISBN-13 978-3-7481-2702-4 / 9783748127024
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