Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern (eBook)
464 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-19185-1 (ISBN)
Professor Dr. Dr. Gerhard Roth war promovierter Philosoph und Biologe und Professor für Verhaltensphysiologie und Entwicklungsneurobiologie am Institut für Hirnforschung der Universität Bremen. Er war langjähriger Direktor dieses Instituts, Gründungsrektor des Hanse-Wissenschaftskollegs in Delmenhorst und Präsident der Studienstiftung des deutschen Volkes sowie Direktor des Roth-Instituts Bremen. Roth erhielt für seine ehrenamtliche Tätigkeit im Bildungsbereich das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse sowie den Verdienstorden des Landes Niedersachsen. Am 25. April 2023 ist Gerhard Roth im Alter von 80 Jahren verstorben. Er hat rund 220 Artikel im Bereich der Neurobiologie und Neurophilosophie geschrieben sowie 14 Bücher, darunter bei Klett-Cotta Bildung braucht Persönlichkeit, zusammen mit Nicole Strüber Wie das Gehirn die Seele macht sowie zuletzt zusammen mit Michael Koop Schule mit Köpfchen.
Professor Dr. Dr. Gerhard Roth war promovierter Philosoph und Biologe und Professor für Verhaltensphysiologie und Entwicklungsneurobiologie am Institut für Hirnforschung der Universität Bremen. Er war langjähriger Direktor dieses Instituts, Gründungsrektor des Hanse-Wissenschaftskollegs in Delmenhorst und Präsident der Studienstiftung des deutschen Volkes sowie Direktor des Roth-Instituts Bremen. Roth erhielt für seine ehrenamtliche Tätigkeit im Bildungsbereich das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse sowie den Verdienstorden des Landes Niedersachsen. Am 25. April 2023 ist Gerhard Roth im Alter von 80 Jahren verstorben. Er hat rund 220 Artikel im Bereich der Neurobiologie und Neurophilosophie geschrieben sowie 14 Bücher, darunter bei Klett-Cotta Bildung braucht Persönlichkeit, zusammen mit Nicole Strüber Wie das Gehirn die Seele macht sowie zuletzt zusammen mit Michael Koop Schule mit Köpfchen.
Einleitung
Kaum etwas erregt die öffentliche Diskussion in unserer Gesellschaft derzeit so sehr wie die tatsächlich oder vermeintlich anstehenden großen Veränderungen. Die Bedrohung unserer Lebenswelt, etwa in Form des Klimawandels und des Artensterbens, nimmt offenbar dramatisch zu. Die Arbeitswelt scheint sich aufgrund des demographischen Wandels, der Globalisierung, der Beschleunigung, Automatisierung und Digitalisierung stark zu verändern, die politische Gesamtlage ist deutlich unübersichtlicher geworden, und auch in der Art, wie wir leben, unsere Kinder erziehen, kommunizieren, uns von A nach B bewegen oder mit unserer Umwelt umgehen, finden viele Umbrüche statt.
Auf der einen Seite werden die anstehenden Veränderungen lautstark gepriesen, auf der anderen wird ebenso lautstark vor ihnen gewarnt. Das war aber schon immer so seit der Einführung des Rades oder des Eisenpfluges: Die einen, die »Veränderungssüchtigen«, begrüßen jeden Wandel, denn alles kann nur besser werden, die anderen, die »Veränderungsvermeider«, haben große Angst davor, denn jeder Wandel kann Unheil bringen. Die meisten Menschen stehen irgendwie dazwischen, d. h., sie fühlen sich in einigen Bereichen sicher, in anderen aber durch Veränderungen bedroht.
Interessanterweise ist nach neueren Untersuchungen (Lengfeld und Ordemann, 2016) die Angst vor dem gesellschaftlichen und ökonomischen Absturz in der »mittleren Mittelschicht«, d. h. bei beruflich qualifizierten Menschen mit gehobenen Routineaufgaben im Dienstleistungsbereich, zur Zeit stärker als bei denjenigen mit einem höheren sozioökonomischen Status mit Führungsaufgaben, aber auch im Vergleich zu jenen mit einem deutlich niedrigeren Status mit starker beruflicher Abhängigkeit. Es fühlen sich offenbar genau diejenigen bedroht, die in den langen Jahren vorher einen Statusgewinn erlebt haben. Dies zeigt, dass es nicht ein faktischer Statusverlust, sondern die Angst davor ist, die viele Angehörige der Mittelschicht umtreibt, also diejenigen, welche die wichtigste Mitarbeiterschicht in den Betrieben und Verwaltungen direkt unterhalb der Führungsebene bilden.
In den vergangenen Jahren haben Sozialpsychologen untersucht, was denn das ist, das diese Menschen beunruhigt und ihre Lebenszufriedenheit beeinträchtigt. Ganz allgemein ist es das spannungsvolle Verhältnis zwischen den privaten Bedürfnissen, Wünschen und Zielen einerseits und den Arbeitsbedingungen andererseits. Es zeigt sich, dass beide Bereiche viel stärker ineinandergreifen als bisher gedacht. Wurde lange die Vorstellung gehegt: Hier die Maloche, dort das private Vergnügen, so beeinflusst die berufliche Tätigkeit durch starke Veränderungen in den Arbeitsbedingungen heutzutage das Privatleben immer stärker. Zwei Drittel der 2018 Befragten geben an, sich in der Freizeit mit Tätigkeiten zu beschäftigen, die eigentlich ihrer regulären Arbeitszeit zuzurechnen sind. Dies steht der überall propagierten »Work-Life Balance« diametral entgegen.
Viele derzeit hochgepriesene Veränderungen der Arbeitswelt im Zusammenhang mit »Arbeit 4.0« oder dem »agilen Arbeiten« zeitigen neben eindeutigen Vorteilen auch schon jetzt erhebliche Probleme, und das macht eine sachliche Beurteilung der anstehenden Entwicklung so schwierig, wie kürzlich festgestellt (vgl. Bonin und Heßler, 2019). Überall ist Hilflosigkeit hinsichtlich der Frage anzutreffen, was genau denn zu tun sei. So schätzen manche Experten, dass rund 80 % der kürzlich stattgefundenen Veränderungsprozesse in der Wirtschaft und Verwaltung schiefgelaufen sind. Falls dies zutrifft, fragt es sich, was wurde da falsch gemacht?
Die 2018 erschienene Gallup-Studie (»Gallup Engagement Index 2018«), die großes Aufsehen erregte, beschäftigte sich mit einem zentralen Punkt der Arbeitswelt, nämlich dem Verhältnis von Führungskräften und Arbeitnehmern, und kam zu einem denkbar schlechten Ergebnis: Nur jeder fünfte Arbeitnehmer sagte aus, die Führung, die er im Beruf erlebe, motiviere ihn, hervorragende Arbeit zu leisten. Dies bedeutet: Die Menschen werden schlecht geführt. Im Anschluss an die genannte Gallup-Studie war denn auch der Sündenbock für die tatsächlich schlechte Arbeitsmoral in vielen deutschen Betrieben sofort ausgemacht, nämlich die inkompetente Führungskraft.
Dies heißt im Klartext: Viele Veränderungen scheitern an einem mangelhaften Verhältnis zwischen Führungskräften und Mitarbeitern, und dafür kann es die verschiedensten Gründe geben. Meist heißt es von Seiten der Mitarbeiter, die Führungskraft unterstütze sie nicht genug. Nur die Hälfte führte mit ihnen ein längeres Mitarbeitergespräch und dies auch nur einmal im Jahr. Sie würden entweder vorwiegend Veränderungen anordnen, anstatt vorzubereiten oder zu überzeugen, oder sie wälzten die Durchführung der Veränderungen und die Verantwortung dafür auf die Mitarbeiter ab. Oft zeigten sie sich mit den Inhalten der Veränderungen unvertraut (etwa im IT-Bereich) und wirkten überhaupt nicht glaubhaft usw.
Dass die Persönlichkeit des Mitarbeiters mehr als bisher im Zentrum der Veränderungen stehen muss, hat sich bereits herumgesprochen, aber was dies genau bedeutet, d. h., was mit »Persönlichkeit« überhaupt gemeint ist, wie man diese erkennt und auf sie Einfluss nimmt, ist kaum bekannt und wird, so denn bekannt, kaum in die Tat umgesetzt. Bei der Frage, wie man Mitarbeiter motiviert, verhält es sich genauso. Und es wird nicht gesehen, dass die Persönlichkeit der Führungskraft genauso im Zentrum der Veränderungen stehen muss: Wie können Veränderungen erfolgreich sein, wenn nicht die Frage beantwortet wird, welche Eigenschaften eine erfolgreiche Führungskraft ausmachen soll.
Es gibt zwar viele Darstellungen »unerlässlicher« Eigenschaften von Führungskräften, die man inzwischen in jeder Bahnhofsbuchhandlung finden kann, oft mit dem Attribut »Neuro« versehen. Die allermeisten Autoren solcher Ratgeber sind indes keine professionellen Psychologen und erst recht keine Neurowissenschaftler, und das darin eventuell enthaltene neurobiologische Wissen ist meist veraltetes bzw. missverstandenes und für die anstehenden Probleme irrelevantes Lehrbuchwissen. Entsprechend werden Führungskräfte zu wahren Lichtgestalten stilisiert, anstatt ein realistisches Anforderungsprofil zu entwickeln.
Wir müssen also zwei Dinge leisten, nämlich zum einen die aktuellen und gesicherten Erkenntnisse über die psychologischen und neurowissenschaftlichen Grundlagen menschlichen Fühlens, Denkens und Handelns zusammentragen und zweitens daraus diejenigen Schlüsse ziehen, die für die Praxis der Veränderung wichtig sind. Beides soll in diesem Buch getan werden.
Wir werden uns in Kapitel 1 mit dem Aufbau und den Hauptfunktionen des menschlichen Gehirns beschäftigen. Die Hirnforschung geht davon aus, dass sich die Persönlichkeit und die Psyche eines Menschen in unauflöslicher Einheit zusammen mit dem Gehirn entwickeln, genauso wie dies für den Bereich der Wahrnehmung, der kognitiven Leistungen wie Denken, Vorstellen und Erinnern, der sprachlichen und nichtsprachlichen Kommunikation, der Motorik und Verhaltenssteuerung zutrifft. Diese Zustände und Vorgänge werden durch Aktivitäten in kleineren und größeren Netzwerken im Gehirn hervorgebracht, die – wenn entwickelt – auf diese Netzwerke zurückwirken und sich möglicherweise längerfristig verändern.
Für die Thematik des Buches ist hierbei das sogenannte limbische System wichtig, dessen Zentren für unbewusste und bewusste Emotionen, für die sich daraus entwickelnden Motivationszustände und schließlich für die emotional-motivationale Verhaltenssteuerung zuständig sind. Wir werden sehen, in welchem Maße hierbei genetische, epigenetische und vorgeburtlich sowie nachgeburtlich einwirkende Umwelteinflüsse eine Rolle spielen und die Persönlichkeit eines Menschen gestalten. Im Anschluss daran werden wir auch die »Bausteine« der neuronalen Erregungsverarbeitung, die Mechanismen des Lernens sowie der Gedächtnisbildung und damit die Prinzipien der Veränderungen im Gehirn kennenlernen.
In Kapitel 2 werden wir uns mit den gängigen psychologischen Persönlichkeitsmodellen beschäftigen, insbesondere mit der Frage, wie aus psychologischer Sicht die wichtigen Merkmale einer Persönlichkeit bestimmt werden können. Wir werden erkennen, dass diese Modelle, auch das am weitesten verbreitete »Big-Five-Modell«, Defizite aufweisen, zum Beispiel hinsichtlich der Frage, warum es genau die Grundmerkmale sind, die vom »Big-Five-Modell« propagiert werden. Weiterhin bleibt unklar, wie sich diese...
Erscheint lt. Verlag | 22.10.2019 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
Schlagworte | Antonio Damasio • Buch • Change-Management • Daniel Kahneman • Fachbuch • Gedächtnis • Gehirn • Gerald Hüther • langsames Denken • Management • Neurologie • Neurowissenschaft • Psychologie • Sachbuch • Schnelles Denken • Wirtschaft |
ISBN-10 | 3-608-19185-2 / 3608191852 |
ISBN-13 | 978-3-608-19185-1 / 9783608191851 |
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