Die Kosmos-Vorlesung (eBook)

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2019 | 1., Aktualisierte Neuausgabe
335 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-76259-1 (ISBN)

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Die Kosmos-Vorlesung - Alexander von Humboldt
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Alexander von Humboldts legendäre Kosmos-Vorträge in der Berliner Sing-Akademie waren Sternstunden in der Geschichte der Wissenschaftspopularisierung. Tausende Berlinerinnen und Berliner zogen im Winter 1827/28 in den damals größten Vortragssaal der Stadt, um sie zu hören.

Der vorliegende Band präsentiert erstmals den zuverlässigen, vollständigen, anhand der Handschrift korrigierten Text der sechzehn Vorträge. Ein ausführliches Vorwort der Herausgeber erläutert allgemeinverständlich den Hintergrund und den aktuellen Forschungsstand zu den Vorträgen sowie deren Bedeutung aus heutiger Sicht. Ausgewählte Faksimiles aus der Handschrift selbst und aus Humboldts Nachlass vermitteln einen Eindruck der historischen Quellen.



<p>Alexander von Humboldt wurde am 14. September 1769 in Berlin als Sohn eines preu&szlig;ischen Offiziers geboren und wuchs auf Schlo&szlig; Tegel auf. Er, wie auch sein Bruder Wilhelm, genossen eine Ausbildung, die sich auf aufkl&auml;rerisches Gedankengut gr&uuml;ndete. <br /> <br /> 1787 nahm er das Studium der Kameralistik in Frankfurt an der Oder auf und besch&auml;ftigte sich dazu mit Medizin, Physik und Mathematik. Bald schon ging er aber an die Universit&auml;t G&ouml;ttingen, dem Zentrum aufkl&auml;rerischen Denkens der Zeit. Dort widmete er sich verschiedenen Naturwissenschaften und besch&auml;ftigte sich besonders mit geologischen Fragestellungen. Es folgte eine Englandreise an der Seite von Georg Forster, die auf der R&uuml;ckkehr mit einem kurzen, aber f&uuml;r Humboldt eindrucksvollen Aufenthalt im revolution&auml;ren Paris endete. Er nahm schlie&szlig;lich das Studium des Bergbaus auf und machte sich als Oberbergmeister einen Namen, ehe er mit dem Erbe der gestorbenen Mutter eine Entdeckungsreise nach Mittel- und S&uuml;damerika antrat. <br /> <br /> 1804 kehrte er als gefeierter Wissenschaftler und Entdecker nach Paris zur&uuml;ck, wo er die n&auml;chsten Jahre im Dienst Friedrich Wilhelms III. verbrachte. Es folgten weitere Reisen nach Asien und Ru&szlig;land. Als Schriftsteller wurde er f&uuml;r seine unz&auml;hligen Reise- und Wissenschaftsberichte, insbesondere den <em>Kosmos</em> bekannt. Er gilt als Mitbegr&uuml;nder der empirischen Geographie und trug mit seinen Schriften bedeutend zu einem erweiterten Wissen &uuml;ber die Welt bei. Humboldt starb am 6. Mai 1859 in Berlin.</p>

Mit diesem zweiten, an ebendiesem 6. Dezember 1827 eröffneten Kursus an der Sing-Akademie verzweigen also sich die ›Kosmos-Vorlesungen‹, verdoppelt sich quasi das Vortragsereignis. Dieser zweite Kursus verläuft entlang einer vom Vortragenden vollständig geänderten Gliederung in einem sehr viel gleichmäßigeren Rhythmus und kommt mit der 16. Vorlesung am 27. März 1828 zum Abschluss. Mit nur einer einzigen Unterbrechung nach den Weihnachtstagen20 liest Humboldt hier jeden Donnerstag zwischen 12 und 14 Uhr – und stets vor einem restlos gefüllten Saal mit bis zu 1 ‌000 Zuhörerinnen und Zuhörern. Im Verlauf seiner Rezeptionsgeschichte, die freilich schon mit den tagesaktuellen Zeitungsberichten beginnt, verdichtet sich dieses Ereignis immer mehr zum Begründungsmoment einer neuen Form von Öffentlichkeit, ja der bildenden Durchdringung auch deren entferntester Sphären. Oder, wie der Schauspieler und Regisseur Karl von Holtei an Johann Wolfgang von Goethe berichtet, gelingt Humboldt mit den ›Kosmos-Vorträgen‹ die Vermittlung des wissenschaftlichen state of the art an »die ganze schöne Welt«.21

21In dieser Verdichtung, mit Blick also auf die Breitenwirkung und das sich, außer in den Briefen und Erinnerungen diverser weiterer Besucherinnen und Besucher, auch in den Tageszeitungen niederschlagende enorme Interesse an dem Ereignis, gelten Humboldts öffentliche Vorträge im Berlin der Jahre 1827/28 als »Sternstunden in der Geschichte der Wissenschaftspopularisierung«.22 Diese extrem pointierte und in der Folge immer wieder aufgegriffene Würdigung der ›Kosmos-Vorträge‹ stammt von Jürgen Hamel und Klaus-Harro Tiemann, die Humboldts Vorträge an der Sing-Akademie erstmals ediert haben. Um die mit dieser Verdichtung zumindest implizit einhergehende Charakterisierung der Vorträge als vereinfachte, damit ›massentaugliche‹ und in diesem Sinne eigentlich ›populärwissenschaftliche‹ Version dessen, was soeben noch als state of the art der damaligen Forschung bezeichnet wurde, kritisch überprüfen zu können, sei im Folgenden ein exemplarischer Blick auf den wissenschaftlichen Inhalt des 14. Vortrags geworfen. Diese Vorlesung bietet sich insofern besonders an, da sie einen Knotenpunkt des gesamten Zyklus darstellt.

In den ersten zehn Vorlesungen entwirft Humboldt die »Skizze eines großen Bildes im Umrisse«, eines »Naturbildes« oder »Naturgemäldes«, das als »Uebersicht der Gesammtheit des Geschaffenen« zur »Weltbeschreibung« wird.23 Zwei Dinge sind daran bemerkenswert. Erstens springt der ›Ich‹-Erzähler in Kohlrauschs Manuskript, Alexander von Humboldt, direkt zu Beginn seiner Vorlesung – und seine Zuhörerinnen und Zuhörer mit ihm – nahezu 22unvorbereitet ins kalte Wasser: keine Begrüßung, keine Captatio benevolentiae, keine Hinführung auf das Kommende. Vielmehr stellt er zunächst »Naturgeschichte« und »Bild der Natur selbst« ( | Bl. 2r) gegeneinander, um bereits mit dem zweiten Satz den Blick in den Himmel zu richten. Die also zunächst für die Astronomie entwickelten Prinzipien geben die Denkmuster vor, die anschließend in der Geognosie, der Klimatologie und weiter in der räumlichen Verteilung der Pflanzen, Tiere und »Menschenracen« ( | Bl. 9v u. ‌ö.) abgearbeitet werden. Das mit dieser Bewegung von Humboldt skizzierte »Naturgemälde« wird so für die Leserinnen und Leser zu einer Reise mit dem Anspruch, das Hier und Jetzt mit dem räumlich Entfernten und dem historisch Zurückliegenden zu verbinden.

Damit sind wir beim zweiten bemerkenswerten Punkt, auf den erst der Beginn der siebten Vorlesung explizit aufmerksam macht, der jedoch implizit bereits im Begriff der »Naturgeschichte« aufscheint. Während nämlich das in den ersten zehn Vorlesungen entworfene »Naturgemälde« ganz dem Lessing'schen Paradigma der bildenden Kunst als Raumkunst verpflichtet ist, also eine atemporale Struktur des reinen Nebeneinanders entwirft,24 geht Humboldt mit der 11. bis 13. Vorlesung zur Erklärung des Natursystems als einem Wissenssystem mit eigener Zeitlichkeit und Geschichte über. Genauso, wie die Dinge im Moment nicht nur neben-, sondern immer zugleich auch nacheinander existieren ( | Bl. 46r), rückt »das vernunftmäßige Begreifen jenes Natur-Ganzen« immer näher ( | Bl. 51r). Mit anderen Worten historisiert sich Humboldt ab der 11. Vorlesung selbst, be23greift sich als Teil einer von ihm ausführlich behandelten Wissensgeschichte, die immer zugleich System ist. Die ›Kosmos-Vorlesungen‹ werden damit zu einem Akteur der sich an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert vollziehenden Verzeitlichung der Natur und ihrer Erkenntnis, jenem von Wolf Lepenies bereits 1976 rekonstruierten Ende der vollkommen unhistorischen historia naturalis, das von ihm zugleich als Anfang der historischen Naturauffassung gesehen wird.25

Humboldts ›Kosmos-Vorlesungen‹ entfalten sich also zunächst entlang einer räumlichen (1./2. bis 10. Vortrag), sodann entlang einer raumzeitlichen (11. bis 13. Vortrag) Achse. Erst als raumzeitliches Gebilde erlauben sie ein Erkennen der Natur als ›Einheit in der Vielheit‹26 und der gegenwärtigen Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. In diesem Sinne sind Humboldts ›Kosmos-Vorträge‹ eben nicht bloß Ausflüge in räumlich entfernte Gegenden der Welt – sie sind zugleich und zwangsläufig Reisen in die (eigene) Vergangenheit. In diesem raumzeitlichen Reisen spürt Humboldt der Einheit der Natur bzw. genauer: der Geschichte der Entwicklung des Gedankens von der Einheit der Natur nach – und an dieser epistemisch wie vermittlungsstrategisch verdoppelten Reise lässt er das Berliner Publikum der Sing-Akademie teilhaben, er schickt es geradezu auf eine Zeitreise.

Womit wir nun zu der Frage kommen, welche Funktion die letzten drei Vorlesungen haben bzw. wie der wissenshistorische Status der 14. Vorlesung einzuschätzen ist. Um diese Frage beantworten zu können, sei die These aufgeworfen, 24dass der 14. Vorlesung nicht ein einzelnes Problem oder ein Teilbereich der »physischen Weltbeschreibung« zugrunde liegt, sondern schlichtweg das System der Physik: Humboldt spannt in dieser zentralen Vorlesung deren gesamten Wissensraum auf. Er beschränkt sich also nicht auf eine Darstellung des vorhandenen und gesicherten Wissens seiner Zeit, sondern adressiert Probleme, die in systematischer Hinsicht wichtig sind, indem sie Zusammenhänge vorwegnehmen, die erst deutlich später explizit erkannt bzw. formal erklärt werden. Gehen wir nun vor diesem Hintergrund ins Detail.

Als inhaltlichen Einstiegspunkt in seine ›Physik-Vorlesung‹ wählt Humboldt drei Entdeckungen, an denen sich ihm zufolge der wissenschaftliche Fortschritt ablesen lässt. Diese liegen zum Zeitpunkt des Vortrags unterschiedlich lange zurück, nämlich etwa 30 bis 40, 15 bis 20, und fünf bis sechs Jahre, führen also sukzessive in die Physik seiner Gegenwart. Mit der ersten, am weitesten zurückliegenden Entdeckung schöpft Humboldt quasi aus dem Vollen des zeitgenössischen Wissens, d. ‌h. das Auditorium weiß genau, wovon er spricht: Es handelt sich um »die große Entdeckung der Contacts-Elektricität« durch Luigi Galvani ( | Bl. 64r). Dieser hatte 1780 entdeckt, dass ein Froschschenkel, der mit einem Kupferhaken an einem Eisengitter aufgehängt ist, zusammenzuckt, sobald er das Eisengitter berührt.27 War zur Jahrhundertmitte das Vorführen elektrostatischer Entladungsversuche zu einem Modespektakel höfischer Unterhaltung geworden, sind es nun die zuckenden Froschschenkel Galvanis, die zu einer experimentellen Alltagspraxis 25wurden, während sich Humboldt im Selbstversuch von südamerikanischen Zitteraalen elektrische Schläge versetzen lässt.28

Im April 1820, und damit springen wir zur dritten von Humboldt genannten Entdeckung, beobachtet der dänische Physiker Hans Christian Ørsted während einer Vorlesung erstmals jene merkwürdige »Identität« zwischen Elektrizität und Magnetismus ( | Bl. 65v), die erst zwischen 1855 und 1873 von James Clerk Maxwell mathematisch formuliert wurde. Ørsteds...

Erscheint lt. Verlag 12.8.2019
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften
Schlagworte 19. Jahrhundert • Berlin • Bildung • Erstmals finale Textgestalt • Fachbuch • Frauenbildung • Geografie • Geologie • Geophysik • Geowissenschaften • Humboldt-Jahr • insel taschenbuch 4719 • IT 4719 • IT4719 • Kosmos • Lichtgeschwindigkeit • Naturwissenschaften • Planeten • Sing-Akademie • Sonnensystem • Technik • Universum • Vorlesung • weltweit einmalig • Wissen • Wissenschaft • Wissenschaftsgeschichte • zitierfähige Ausgabe
ISBN-10 3-458-76259-0 / 3458762590
ISBN-13 978-3-458-76259-1 / 9783458762591
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