Apologie des Sokrates (eBook)

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2019 | 2. Auflage
133 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-73766-4 (ISBN)
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Platons «Apologie des Sokrates» oder «Verteidigung des Sokrates» gehört zu den Meisterwerken der philosophischen Weltliteratur und ist in alle Kultursprachen übersetzt worden.
Seit Matthias Claudius (1740 - 1815) und Friedrich Schleiermacher (1768 - 1834) ist sie immer wieder ins Deutsche übertragen worden und gehört zum Grundbestand humanistischer Bildung. Große Texte müssen immer wieder übersetzt werden, denn ihr Sinnpotential muss für jede Generation neu eingeholt werden. Dies leistet auf vorbildliche Weise die Übersetzung des Schweizer Philosophen Rafael Ferber. Ein knapper Kommentar bringt zum Verständnis unabdingbare Sacherklärungen, und im Nachwort werden Ergebnisse der neueren Forschung vorgestellt.

Rafael Ferber ist emeritierter Professor für Philosophie an der Universität Luzern und Titelprofessor für Philosophie an der Universität Zürich.<br>

4. Die göttliche Sendung des Sokrates


Vielleicht könnte nun einer fragen: «Und trotzdem schämst du dich nicht, Sokrates, einer solchen Beschäftigung nachzugehen, bei der du jetzt dein Leben riskierst?» Ich würde ihm berechtigterweise folgende Antwort geben: «Du täuschst dich, mein Lieber, wenn du glaubst, es dürfe ein Mann, sofern er nur ein wenig Selbstachtung hat, bei seinen Abwägungen der Wahrscheinlichkeit von Leben oder Tod das ausschlaggebende Gewicht erteilen. Ich bin vielmehr der Ansicht, er müsse nur jenes eine vor Augen haben: Ob er nämlich, wenn er handelt, recht oder unrecht handelt und die Werke eines guten oder schlechten Mannes tut. Minderwertige Männer [28 c] wären dann nämlich nach deiner Argumentation all diejenigen der Halbgötter, die vor Troja starben. Insbesondere betrifft dies den Sohn der Thetis [Achilles], der lieber, statt die Schande zu ertragen, die Gefahr gering achtete; denn seine Mutter – eine Göttin – sprach zu ihm so ungefähr, wie ich glaube, als er beabsichtigte, den Hektor zu töten: ‹Mein Kind, wenn du den Mord an deinem Kameraden Patroklos rächst und den Hektor tötest, so wirst du selber sterben: Bald, mein Sohn, verblühet das Leben dir, so wie du redest!/Denn alsbald nach Hektor ist dir dein Ende geordnet›![42]. Doch als er dieses gehört hatte, verachtete er die Gefahr des Todes, weil er viel mehr [28 d] fürchtete, als ein schlechter Mann weiter zu leben,[43] ohne seine Freunde zu rächen, und antwortete: ‹Möcht’ ich sogleich hinsterben,[44] nachdem ich den Übeltäter bestraft habe, damit ich nicht hier bleibe, dem Gespött preisgegeben, an den geschnäbelten Schiffen, umsonst die Erde belastend.›[45] Glaubst du denn etwa, dass er an Tod und Gefahr gedacht hat?» Denn es verhält sich, meine Athener, in Wahrheit wie folgt: Wohin einer sich selbst gestellt hat, in der Überzeugung, dass es seine Pflicht sei, oder wohin er von seinem Vorgesetzten gestellt worden ist, dort muss er, wie mir scheint, bleiben und den Gefahren standhalten, wobei er bei seinen Abwägungen weder dem Tod noch etwas anderem mehr Gewicht geben darf[46] als der Gefahr, verwerflich zu handeln. Ich also hätte Schlimmes getan, [28 e] meine Athener, wenn ich zwar damals, als die Befehlshaber, die ihr selbst gewählt habt, um über mich zu befehligen, mir eine Stellung zugewiesen hatten – bei Potidaia, bei Amphipolis und beim Delion[47] –, wie sie es für richtig hielten, in der Stellung ausgeharrt habe, wie manch anderer auch, auf die Gefahr hin zu sterben, – wenn ich aber, nachdem mir der Gott, wie ich fest überzeugt war, befohlen hat, dass ich philosophierend [d.h. auf der Suche nach Weisheit] leben soll,[48] indem ich mich selbst und die anderen prüfe,[49] aus Furcht vor dem Tod [29 a] oder vor irgendetwas anderem die mir zugewiesene Stellung verlassen hätte? Das wäre wirklich schlimm gewesen, und in der Tat könnte man mich dann völlig zu Recht vor Gericht anklagen, dass ich nicht an Götter glaube, weil ich den Orakelspruch nicht befolgte und mich vor dem Tod fürchtete und weise zu sein wähnte, wiewohl ich es nicht bin.

Denn den Tod zu fürchten, meine Männer, bedeutet in der Tat nichts anderes, als weise zu scheinen, ohne es zu sein, denn man täuscht vor, etwas zu wissen, was man nicht weiß. So weiß niemand vom Tod,[50] ob er nicht vielleicht das größte aller Güter für den Menschen ist. Und doch fürchtet man sich vor ihm, als ob man genau wüsste, [29 b] dass er das größte aller Übel sei. Und ist dies nicht die erwähnte Unwissenheit der tadelnswerten Art,[51] zu glauben, etwas zu wissen, was man nicht weiß? Ich aber, meine Männer, zeichne mich vielleicht auch darin vor den meisten Menschen aus, und wenn ich in etwas wirklich weiser zu sein scheine, dann darin, dass ich, wenn ich nicht ausreichend Bescheid weiß über die Dinge im Hades, auch nicht glaube, es zu wissen.

Unrecht handeln aber und dem Besseren [d.h. dem besseren Vorgesetzten], sei es einem Gott oder einem Menschen, ungehorsam sein, davon weiß ich, dass es übel und verwerflich ist.

Mehr als die Übel, von denen ich weiß, dass sie Übel sind, werde ich mich vor dem, wovon ich nicht weiß, ob es sich nicht vielleicht als ein Gut herausstellt, nie fürchten noch vor ihm fliehen.[52]

Auch wenn [29 c] ihr mich jetzt also freisprechen wollt, weil ihr dem Anytos keinen Glauben schenkt, welcher sagte, dass man mich entweder von vornherein nicht hätte vor euer Gericht ziehen sollen oder, nachdem man es getan habe, es unmöglich würde, mich nicht zu töten – mit der Begründung, dass, wenn ich jetzt davonkäme, eure Söhne weiterbetrieben, was Sokrates lehrt, und alle ganz und gar verdorben würden[53] – wenn ihr mir also dazu sagen solltet: «Sokrates, wir wollen jetzt zwar dem Anytos nicht folgen, sondern dich freisprechen, unter der Bedingung freilich, dass du dich nicht mehr mit dieser deiner Suche abgibst und nicht mehr philosophierst; falls [29 d] du aber weiterhin dabei ertappt wirst, musst du sterben.» – wenn ihr mich also, wie ich sagte, unter diesen Bedingungen freisprächet, würde ich euch entgegnen: «Meine Athener, ihr seid mir lieb und teuer; gehorchen aber werde ich dem Gott mehr als euch, und solange ich lebe und dazu imstande bin, werde ich gewiss nicht aufhören zu philosophieren, euch zu ermahnen und, wem immer von euch ich begegne, mit meinen gewohnten Worten Folgendes nachzuweisen: ‹Mein ausgezeichneter Mann, du bist doch ein Athener, ein Bürger der, was Kultur und Macht betrifft, führenden und berühmtesten Stadt. Schämst du dich nicht, dich nur darum zu kümmern, wie du zu so viel Einkünften wie möglich kommst, [29 e] und zu Ruhm und Ehre, um Einsicht aber und um Wahrheit und um die bestmögliche Verfassung deiner Seele kümmerst und sorgst du dich nicht?›[54] Und wenn einer von euch es abstreitet und behauptet, er kümmere sich darum, werde ich ihn nicht gleich in Ruhe lassen und selber weitergehen, sondern ihn ausfragen, prüfen und zur Rechenschaft zwingen, und wenn er mir keine Tugend zu besitzen scheint, [30 a] es aber behauptet, werde ich ihm sagen: ‹Schande über dich, dass du das Wertvollste [d.h. die wichtigsten Dinge (ta megista)] am wenigsten achtest, das weniger Wertvolle aber höher›».[55]

Dies werde ich mit jedem, den ich gerade treffe, tun, sowohl mit einem Jüngeren als auch mit einem Älteren,[56] mit einem Fremden so gut wie mit einem Einheimischen, eher aber mit euch Einheimischen, da ihr mir der Abstammung nach nähersteht. Denn dies befiehlt der Gott – seid euch dessen wohl bewusst – und ich bin der Meinung, dass euch in dieser Stadt noch kein größeres Gut widerfahren ist als mein Dienst am Gott. Denn ich gehe umher und versuche nichts anderes, als Jüngere und Ältere unter euch zu überzeugen, sich nicht so sehr und nicht in erster Linie um euren Körper [30 b] und eure Einkünfte zu kümmern als vielmehr um eure Seele, damit sie so gut wie möglich werde, indem ich sage: «Nicht aus den Einkünften entsteht die Tugend, sondern die Tugend macht erst die Einkünfte und alles andere [d.h. alle anderen Güter wie Leben, Ehre und Ruhm] gut für die Menschen; sowohl für den Privatmann als auch für die Stadt.»[57] Wenn ich also mit solchen Reden die Jugend verderbe, dann dürften diese wohl schädlich sein. – Wenn aber einer behauptet, dass ich etwas anderes sage, so ist das Unsinn. Zusammenfassend will ich festhalten, meine Athener: Lasst euch überzeugen von Anytos oder nicht, sprecht mich frei oder nicht. – Ich werde nichts [30 c] anderes tun, auch dann nicht, wenn ich noch so oft den Tod erleiden müsste.

Hört auf zu pöbeln, meine Athener, sondern erfüllt mir meine Bitte, nämlich mich nicht durch Zwischenrufe zu unterbrechen, sondern mir zuzuhören; denn meiner Meinung nach werdet ihr aus dem Zuhören Nutzen ziehen. Ich habe nämlich vor, euch noch das eine oder andere zu sagen, worüber ihr vielleicht in Buhrufe ausbrechen möchtet, – aber tut es nicht wieder. Denn seid euch dessen wohl bewusst: Wenn ihr mich tötet – einen Mann, wie ich ihn soeben beschrieben habe –, dann werdet ihr euch einen größeren Schaden zufügen als mir. Mir können nämlich weder Meletos noch Anytos irgendwie schaden. Dazu dürften sie gar nicht in der Lage sein; – denn die gottgegebene Ordnung, so meine ich, lässt nicht zu, [30 d] dass ein besserer Mann von einem schlechteren Schaden erleidet.[58] Zum Tod freilich könnte er ihn vielleicht verurteilen lassen oder zur Verbannung oder zum Verlust der Bürgerrechte; und dies halten er und viele andere für große Übel – ich aber nicht. Ich halte es dagegen viel mehr für ein Übel, so zu handeln wie jetzt dieser hier, nämlich sich darum zu bemühen, einen Mann zu...

Erscheint lt. Verlag 16.5.2019
Reihe/Serie Beck Paperback
Übersetzer Rafael Ferber
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie Altertum / Antike
Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Literaturwissenschaft
Schlagworte Antike Philosophie • Apologie des Sokrates • Griechische Literatur • Kommentar • Platon • Sokrates • Übersetzung • Verteidigung • Verteidigungsschrift
ISBN-10 3-406-73766-8 / 3406737668
ISBN-13 978-3-406-73766-4 / 9783406737664
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