Alles ist möglich - Jen Bricker

Alles ist möglich

Wie ich den Mut fand, meinen Träumen zu folgen

(Autor)

Buch | Softcover
171 Seiten
2019 | 1. Auflage
Francke-Buch (Verlag)
978-3-96362-108-6 (ISBN)
14,95 inkl. MwSt
Als Jen Bricker ohne Beine zur Welt kommt, geben ihre Eltern sie zur Adoption frei. In ihrem neuen Zuhause wird sie nicht nur mit Liebe überschüttet, sondern ihre Adoptiveltern vermitteln der kleinen Jen auch eine positive Lebenseinstellung. Und so lernt Jen, eine Hürde nach der anderen zu überwinden. Volleyballspielen und Roller Skaten gehören genauso zu ihrer Freizeitbeschäftigung wie Surfen und Tauchen. Doch ihre ganze Leidenschaft gilt der Akrobatik. Sie ahnt nicht, dass ihr großes Vorbild, die Turnerin Dominique Moceanu, in Wirklichkeit ihre Schwester ist ...Heute ist Jen nicht nur weltweit als Akrobatin, sondern auch als Motivationstrainerin unterwegs. Ihre Lebensfreude schöpft sie aus dem Glauben, dass Gott es gut mit ihr meint. Sie ist davon überzeugt: Bei ihm sind alle Dinge möglich!

Jen Bricker kam 1987 ohne Beine zur Welt, doch sie hatte das Glück, in einer Adoptivfamilie aufzuwachsen, die sie bei allem unterstützte, so auch bei ihrer großen Leidenschaft, dem Turnen. Heute ist sie als Akrobatin und Motivationstrainerin tätig.

1. Das Baby, das ohne Beine zur Welt kam Gott sieht nämlich nicht auf das, worauf der Mensch sieht. Der Mensch sieht, was vor den Augen ist, der Herr aber sieht das Herz. 1. Samuel 16,7 (EÜ) Ich kam ohne Namen auf die Welt. Meine leiblichen Eltern, Aussiedler aus Rumänien, haben mich gewissermaßen ausgesetzt, indem sie mich einfach im Krankenhaus zurückließen. Aber trotzdem hasse ich sie nicht. Auch wenn das für andere schwer zu verstehen ist, verspüre ich ihnen gegenüber keine Wut. Stattdessen empfinde ich eine große Dankbarkeit, denn dadurch bin ich in eine liebende Familie gekommen, zu meinen Eltern, den Brickers, die mich immer unterstützt haben und mir beigebracht haben, dass mein Leben – jedes Leben – einen Sinn hat. Natürlich war das ein ungewöhnlicher Einstieg ins Leben. In einem winzigen Krankenhauszimmer in Salem, Illinois, brachte meine leibliche Mutter Camelia mich durch einen Kaiserschnitt zur Welt. Ich wurde mit großen dunkelbraunen Augen, einer dichten schwarzen Mähne, langen Wimpern und einer olivfarbenen Haut geboren. Außerdem war das Herz bei mir auf der rechten Seite anstatt auf der linken (die Krankenschwestern haben damals einen Schrecken bekommen, als sie versuchten, mit dem Stethoskop meinen Herzschlag zu finden!). Ich war ganze 33 Zentimeter lang, also etwas länger als ein Lineal. Ironischerweise wurde das Krankenhaus kurz nach meiner Geburt geschlossen. Meine Familie witzelt immer, dass mich keiner übertreffen konnte und sie deshalb zumachen mussten. Camelia hat mich nicht zu Gesicht bekommen. Das lag daran, dass mein leiblicher Vater Dmitri es nicht erlaubte – nicht einmal für den Bruchteil einer Sekunde. Von einem Verwandten weiß ich, dass mir der Arzt, der mich damals auf die Welt holte (auch ein Rumäne), keine Überlebenschance gegeben hätte. Vielleicht glaubte mein Vater, mein Anblick sei zu schmerzlich für meine Mutter. Vielleicht hat er nur versucht, ihr den Kummer oder die Trauer zu ersparen. Vielleicht war es aber auch einfach nur eine Panikreaktion oder er fühlte sich emotional und finanziell überfordert, für ein Kind mit besonderen Bedürfnissen zu sorgen. Vielleicht dachte er auch, er würde mir einen Gefallen tun. Ich weiß es nicht, und ich kann nicht sagen, was er damals dachte. Ich weiß nur: Er hat das kleine Mädchen, das da, wo die Beine sein sollten, nur zwei kurze Stummel hatte, kurz angeschaut und dann beschlossen, dass es bei jemand anderem besser aufgehoben wäre. So verrückt das klingt – ich bin wirklich nicht wütend. Ich beschuldige oder verurteile meine leiblichen Eltern nicht und trage ihnen nichts nach. Wie könnte ich auch, wo sie mir doch das beste Geschenk gemacht haben, das man bekommen kann – eine Familie, die mich genauso brauchte wie ich sie. Meine Eltern waren von Anfang an ehrlich zu mir, was meine Adoption betraf. Sie wollten nicht, dass ich gekränkt bin oder mich zurückgewiesen fühle oder auf meine leiblichen Eltern wütend bin. Sie sagten zu mir: „Jennifer, du musst verstehen, dass deine leiblichen Eltern aus einem anderen Land mit einer anderen Mentalität kamen. Sie waren damals in einer besonderen Situation und du kennst nicht die wahren Hintergründe, warum sie dich weggegeben haben. Aber es spielt auch keine Rolle, warum sie es taten. Gott hat es genau so geplant. Für uns warst du eine Gebetserhörung, ein Wunder. Sie haben uns ein Geschenk gemacht; sie haben uns dich gegeben.“ Es dauerte jedoch eine Weile, bis meine Adoptiveltern ihr kleines Geschenk fanden. Ein Sozialarbeiter brachte mich zuerst bei einer Pflegefamilie unter – einem lieben Ehepaar, bei dem ich drei Monate lang war, aber wir standen noch jahrelang in Verbindung, bis zu ihrem Tod. Ich sagte Papa und Nana zu ihnen und sie nannten mich Holly Ann. Papa arbeitete bei der Bahn und trug immer Overalls, in deren Tasche ich vorne genau hineinpasste wie ein kleines Känguru in den Beutel seiner Mutter. Wir guckten zusammen ALF (eine Kindersendung) und ich hatte eine kleine ALF-Figur, die ich überallhin mitnahm. Nana und Papa sorgten dafür, dass ich geborgen und zufrieden war, und auch als ich schon eine Bricker war, brachten mich meine Eltern noch lange zu ihnen zu Besuch. Sie waren die ersten Menschen, die mich liebten, und sie hatten ein unglaublich großes Herz. Sie nahmen Kinder auf, die „schwer vermittelbar“ waren, und lernten im Laufe der Jahre viele traurige, glücklose Kinder kennen. Trotz meiner offensichtlichen gesundheitlichen „Probleme“ gehörte ich nicht zu diesen Kindern. Wenn man bedenkt, wie „besonders“ ich war, könnte man meinen, es sei sehr schwierig gewesen, eine Adoptivfamilie für mich zu finden, aber das war es nicht. Mehr als dreihundert Paare wollten mich. Manchmal denke ich darüber nach, dass ich in jeder dieser dreihundert Familien eine andere Jen geworden wäre. Wie ich erzogen wurde, hat dazu beigetragen, dass ich der Mensch wurde, der ich heute bin. Ich bin unendlich dankbar dafür, dass Gott diesen Plan hatte. Beten für ein Wunder Als ich geboren wurde, lebten Sharon und Gerald Bricker – die später meine Eltern werden sollten – in Hardinville, einer winzigen Stadt mitten im Nirgendwo im Osten des Bundesstaates Illinois. Sie hatten bereits drei Jungen: Greg, Brian (alias Bubba) und Brad, die vierzehn, zwölf und zehn Jahre alt waren. Trotzdem wünschten sie sich sehnlichst ein kleines Mädchen. Meine Mutter konnte wegen einer OP keine Kinder mehr bekommen. Also bat sie Gott um ein Wunder. Sie glaubte die ganze Zeit fest daran: Irgendwo auf der Welt muss es ein kleines Mädchen geben, das diese Familie braucht. Die Frau hat echt die Geduld einer Heiligen! Eines Tages rief eine Freundin, die gerade ein Kind adoptierte, bei ihr an und sagte, sie hätte von mir gehört. In diesem Augenblick wusste meine Mom, dass ihre Gebete erhört worden waren. Als sie es meinem Dad erzählte, war er ebenso aus dem Häuschen wie sie. Dann sprachen sie mit meinen Brüdern darüber. Meine Eltern fragten Greg, meinen ältesten Bruder: „Wie wäre es für dich, wenn du eine Freundin mit nach Hause bringst und ihr eine Schwester vorstellst, die keine Beine hat?“ Greg musste nicht einmal überlegen. Er sagte: „Wenn meine Freundin das nicht akzeptieren kann, würde ich nicht mit ihr ausgehen wollen.“ Sie gingen alle denkbaren Szenarien mit meinen Brüdern durch, um sich zu vergewissern, dass es für sie in Ordnung war. Und dann, als die ganze Familie bereit war, fingen sie an, ihren Plan in die Tat umzusetzen. Meine Mutter sagt, sie sei hundertprozentig ehrlich gewesen. Sie hat dem Sozialarbeiter alle Gründe genannt, warum unsere Familie keine weiteren Kinder brauchte, und alle Gründe, warum sie in ihrem Herzen wusste, dass sie mich haben musste. Es dauerte zweieinhalb Monate, bevor meine Eltern mich endlich kennenlernen konnten. In dieser ganzen Zeit des Wartens zeigte man ihnen noch nicht einmal ein Foto von mir, was Absicht war. Die Adoptionsagentur und die Sozialarbeiter wollten sich davon überzeugen, wie die angehenden neuen Eltern reagierten, wenn sie mich erst einmal kennengelernt hatten, und wie sie damit umgehen würden, mich zu wickeln und zu füttern. Meine Mom sagt, sie sei am Abend vorher ein nervliches Wrack gewesen und habe sich im Bett herumgewälzt und sich Gedanken darüber gemacht, wie ich auf sie reagieren würde. All diese Sorgen lösten sich jedoch in Luft auf, als sie das Haus meiner Pflegeeltern betraten. Ich strahlte sie über das ganze Gesicht an. In diesem Moment wusste meine Mutter, dass alles Fügung war. Es war, als hätte sie das fehlende Stück in ihrer Seele gefunden, und mein Lächeln sagte ihr: Endlich seid ihr da. Es war sofort eine Verbindung da. Und meinen Eltern fiel es überhaupt nicht schwer, mich zu versorgen. Meine Pflegeeltern hatten immer Mühe gehabt, mich zu wickeln, weil ich so ein zappeliges kleines Ding war. Aber meine Mutter war ein Profi. Sie rief: „Das ist doch ganz einfach! Da sind keine Beinchen im Weg!“ Seit diesem Tag bin ich Jennifer Bricker. Meine Brüder durften mir einen Namen geben, aber die Sache hatte einen Haken: Sie mussten sich auf einen Namen einigen. Sie diskutierten stundenlang, bis einer von ihnen „Jennifer“ vorschlug und die anderen nickten. Meine Mom hat mir erzählt, dass es eine Weile dauerte, bis ich mich an meine neue Familie gewöhnt hatte. Zwei Wochen lang habe ich sie nicht angelächelt. Dann musste einer meiner Brüder eines Tages niesen und ich brach in hysterisches Gelächter aus. Also nieste er immer wieder, damit sie das erste Foto von mir machen konnten, auf dem ich lächelte! Das war der entscheidende Moment; von da an war ich ein fröhliches kleines Baby. Meine Brüder hatten bestimmte Dinge, die sie mit mir machten. Greg hielt mich gern vor der Brust, wenn er seine Hausaufgaben machte; Bubba steckte mich vorne in seine Latzhose und trug mich he- rum; und Brad gab mir immer die Flasche. Sie waren ganz begeistert von ihrer kleinen Schwester – ich war ein tolles neues Spielzeug! Die Sozialarbeiter vereinbarten einen Termin in der Cardinal Clinic in St. Louis, Missouri, damit meine Eltern umfassend medizinisch aufgeklärt wurden. Meine Prognose war düster: Die Ärzte wollten einen „Eimer“ für mich anfertigen, in dem ich sitzen sollte. Ihrer Meinung nach würde ich niemals in der Lage sein, aufrecht zu sitzen, herumzukrabbeln oder mich von A nach B zu bewegen, ohne getragen zu werden. Als meine Mutter im Sprechzimmer der Ärzte saß, weinte sie sich die Seele aus dem Leib. Aber mein Dad war mit der düsteren Prognose nicht einverstanden. „Nein“, beharrte er. „Das entspricht nicht ihrem Wesen. Das akzeptieren wir nicht.“ Also gingen sie mit mir zu anderen Ärzten, diesmal ins Shriners Hospital für Kinder in St. Louis. „Ich möchte wissen“, fragte mein Vater sie, „ob Jennifer jemals in der Lage sein wird, aufrecht zu sitzen. Wie sieht ihre Zukunft aus?“ Diesmal war die Antwort ermutigend. Der Arzt lächelte und sagte: „Mr und Mrs Bricker, dieses kleine Mädchen wird Dinge tun, die Sie sich im Traum nicht vorstellen können.“ Aber sie konnten es sich vorstellen. Und seitdem haben wir alle die Einstellung: Packen wir’s an. Nichts sollte mir im Weg stehen. Meine Eltern hielten die Zügel nicht zu straff, aber sie ließen mich auch nicht ohne Regeln in die Welt hinaus. Was für meine Brüder galt, galt auch für mich. Nur weil ich keine Beine hatte, genoss ich noch lange keine Sonderbehandlung. Ich sollte als normales kleines Mädchen aufwachsen. Etwas anderes wollten meine Eltern nicht akzeptieren. Sie verwöhnten mich nicht und redeten auch nicht in Babysprache mit mir. Von dem ersten Moment an, als ich den Mund aufmachte, redete ich gerne – und auch laut, wenn ich etwas von ihnen wollte. Es fing damit an, dass ich mich in meinem Kinderbettchen hochzog. „Halten, Mommy!“, rief ich dann und meinte: „Halt mich!“ Und ich setzte mich nicht nur auf, sondern konnte mich auch bewegen – und zwar schnell, jedenfalls schneller, als meine armen Eltern hinterherkamen. Meine Mom nannte mich „Maus“, weil ich mit Lichtgeschwindigkeit herumhuschte. Ich zog mich mit meinen Ärmchen vorwärts und hinterließ eine Spur aus rosa Windelfetzen auf dem Boden. Sobald ich krabbeln konnte, ließen mich meine Brüder vom Sofa springen. Sie legten für mich Kissen auf den Boden, damit ich mir nicht wehtat, aber sie spornten mich an. Es gab keine Herausforderung, die ich nicht annahm. Ich hatte einfach keine Angst. Vor meinem fünften Geburtstag musste ich zwei Operationen über mich ergehen lassen: eine, um eine Wachstumsfuge zu entfernen, wo ein Teilknochen aus meiner Hüfte wuchs, die andere, um meine unteren Gliedmaßen zu entfernen, damit ich meine Prothesen besser tragen konnte. Meine Familie nannte diese Gliedmaßen liebevoll „Flipper“. Ein Stummel hatte einen süßen großen Zeh, eine kleine Wölbung und eine Ferse, der andere war etwas weniger ausgebildet. Als Baby mochte ich Musik und schlug mit meinen Flippern den Takt. Weil ich noch so klein war, weiß ich nicht mehr viel von dieser Zeit, die ich im Krankenhaus verbrachte. Aber meine Eltern haben mir erzählt, dass ich nie Angst hatte und niemals traurig war, wenn ich dort war. Alle Pflegekräfte liebten mich, und ich versicherte ihnen: „Keine Sorge, mir geht es gut!“ Ich war zäh. MEINE VIPs In diesen Kästen lernst du die wichtigsten Menschen in meinem Leben kennen, die von ihren Erinnerungen erzählen, was meine Wenigkeit betrifft. Es macht mich demütig und ist mir auch ein bisschen unangenehm, vor allem aber Ersteres. Meine Mom: Sharon Bricker Als ich meinem Vater, Noble Waldrup, erzählte, wir würden ein kleines Mädchen adoptieren, zögerte er. Nicht weil Jennifer ohne Beine auf die Welt gekommen war, sondern weil er Angst hatte, er könnte sie nicht genauso lieben wie seine anderen Enkel. Schließlich war sie nicht sein Fleisch und Blut. Aber das änderte sich von einem Augenblick zum anderen. Als ich mit ihr zu meinen Eltern fuhr, verliebte er sich Hals über Kopf in sie. Die beiden hatten eine sehr enge Beziehung, vor allem in seinen letzten Lebensjahren. Er war oft niedergeschlagen, weil er an einem Sauerstofftank hing. Und wenn meine Mutter mich dann anrief und darum bat, Jennifer vorbeizubringen, ging es ihm sofort besser. Ich weiß noch, dass sie ihm etwas vorsang, um ihn aufzumuntern – sie war die beste Medizin für sein Leiden. Ich erinnere mich daran, wie ich sie beobachtete und dachte, dass sie eine natürliche Gabe hatte, mit anderen Menschen in Beziehung zu treten. Wenn sie heute vor einem riesigen Publikum auftritt und spricht, ist es, als würde sie ganz persönlich mit jedem Einzelnen im Zuschauerraum reden. Sie hat mehr Freunde als alle anderen Menschen, die ich kenne, und das liegt daran, dass jeder, der sie kennenlernt, sie sofort ins Herz schließt und sie mag. Ich denke oft daran, wie sie und mein Vater zusammen waren und dass ich schon damals wusste, welche von Gott geschenkte Begabung sie hat, Menschen zu inspirieren. Ich schaffe das Als ich etwas älter wurde, begann meine Persönlichkeit sich erst richtig zu zeigen. Ich war eine echte Plage! Dass ich mit drei großen Brüdern aufwuchs, verstärkte das sicherlich. Greg brachte mir bei, zur Musik von Garth Brooks abzurocken. Er nahm mich auch zu vielen seiner Verabredungen mit, wahrscheinlich, weil ich so ein ehrlicher Winzling war. Er wusste, ich würde mit meiner Meinung garantiert nicht hinterm Berg halten! Alle meine Brüder gaben vor ihren Freunden damit an, wie stark ich war, und das Ergebnis war, dass nur wenige von ihnen sich von mir zum Armdrücken he- rausfordern ließen. Sie wollten nämlich nicht von einem Mädchen geschlagen werden. Heute als Erwachsene weiß ich, dass ich Männer viel besser verstehe, weil ich mit Brüdern groß geworden bin. Und um ehrlich zu sein, kommt man mit ihnen besser aus als mit den meisten Mädchen – weniger Drama. Die meisten Freunde in meinem Leben sind männlich, und fast alle meine Mitbewohner waren es auch. Wahrscheinlich vermisse ich es einfach, in einem Haus voller Kerle zu leben! Ich habe auch noch eine Schwester, Jodi, die Tochter meines Vaters aus einer früheren Beziehung, bevor er meine Mutter geheiratet hat. Sie ist ungefähr fünfzehn Jahre älter als ich. Als Kind bin ich ihr nicht oft begegnet, weil sie ein paar Bundesstaaten entfernt wohnte. Aber sie versuchte immer, an meinen Geburtstag zu denken. Außerdem besuchte sie uns zu Weihnachten, was immer toll war. Jetzt, wo ich älter bin, sehen wir uns etwas häufiger, weil ich viel auf Reisen bin. Wenn ich in Colorado bin, versuche ich immer, ihr Bescheid zu sagen, damit wir uns treffen können. Als kleines Mädchen war ich für alles begeistert, was körperlich anstrengend war, egal, ob es eine Sportart, ein Spiel oder ein Kletterbaum war. Meine Eltern erzählen immer von der lustigen Begebenheit, dass ich als Baby so gern im Wasser war. Da-rum dachten sie, ich solle schwimmen lernen. Sie zogen mir die Schwimmflügel über die Arme, und als sie mich ins Wasser tauchten und mich losließen, schwamm mein Po gleich nach oben und mein Kopf verschwand unter Wasser. Meine Eltern haben sich zu Tode erschreckt! Normale Schwimmflügel funktionierten bei mir nicht, also besorgten meine Eltern mir einen Badeanzug, in den ein kleiner Schlauch eingearbeitet war. So blieb mein Hinterteil unter Wasser. Aber als ich etwa sechs Jahre alt war, beschloss ich, dass ich lieber tief tauchen als oben schwimmen wollte. Mutig sprang ich ins Wasser, ohne Schwimmhilfen, und meine Eltern ließen mich. Wie sich herausstellte, war ich eine geborene Schwimmerin! Als ich in der vierten Klasse war und meine Schule einen Schwimmkurs im Lincoln Trail College in Robinson veranstaltete, teilte man mich bei den fortgeschrittenen Schwimmern ein. Ich hielt unheimlich gerne die Luft an und eines Tages, während ich im Schwimmbad von Robinson tauchte, wollte ich etwas ausprobieren: Wie lange konnte ich am Boden des Beckens bleiben, ohne zum Luftholen nach oben zu kommen? Reggie, der Rettungsschwimmer, dachte, ich würde ertrinken, und sprang ins Wasser, um mich zu retten. Ich weiß noch, wie er nach mir tauchte, mich hochzog und dann über Wasser hielt. „Was machst du da?“, fragte ich ihn lachend. Es war ihm peinlich, aber mir machte es gar nichts aus. Ich fand Reggie total süß, und wenn er mich „retten“ wollte, hatte ich damit überhaupt kein Problem! Meine Eltern vertrauten darauf, dass ich immer wusste, was ich schaffen konnte und was nicht. So wie sie mich ins Schwimmbecken springen ließen, so ließen sie mich auch ins Leben hüpfen. Sie behandelten mich schon ziemlich früh wie eine Erwachsene, anstatt wie ein Kind. Ich glaube, deshalb habe ich so früh sprechen und lesen gelernt. Alle in meiner Familie hatten Spaß am Lesen, also wurde es auch von mir erwartet. Ich liebte Bücher und lernte ganze Geschichten auswendig. Als die Erzieherin im Kindergarten fragte, ob ich ihr etwas vorlesen könne, sagte ich: „Natürlich!“ Dabei hatte ich einfach alles auswendig gelernt, weil meine Familie mir die Geschichten immer wieder vorgelesen hatte. Dieses Geheimnis habe ich bis heute für mich behalten – meine Erzieherin dachte, ich wäre ein Genie! Meine Eltern machten sich auch nie Gedanken darüber, was die Leute über mich denken würden. Anfangs sagte meine Mom dieses kleine Gebet: „Gott, bitte schenke ihr ein hübsches Gesicht, damit die Menschen nicht bemerken, dass sie keine Beine hat!“ Übrigens behauptet sie, dass Gott ihr Gebet auch erhört hat, aber sie ist nicht gerade unparteiisch! Und Demut hatte ich offenbar noch nicht gelernt, denn wenn die Leute stehen blieben und sagten: „Ach, bist du aber süß!“, dann antwortete ich: „Ich weiß!“ Dann wurde meine Mutter immer ganz rot. „Jennifer!“, sagte sie zu mir. „So etwas sagt man nicht. Man sagt Danke.“ Seitdem antwortete ich: „Danke. Ich weiß!“ Tatsächlich vergaßen die meisten Leute einfach, dass mir die unteren Gliedmaßen fehlten. Die beste Freundin meiner Mutter, die sie schon seit der Highschool kennt, hat eine Tochter, die dreieinhalb Monate jünger ist als ich, und sie schickte uns immer Kleidung, die ihrer Tochter zu klein geworden war. Eines Tages erhielt meine Mutter einen Karton mit solchen abgelegten Sachen und fand darin einen ganzen Stapel Socken und Schuhe. Sie rief ihre Freundin an und fragte lachend: „Und was soll ich damit machen?“ Ihre Freundin war entsetzt und peinlich berührt; sie hatte völlig vergessen, dass ich mit Socken und Schuhen nichts anfangen konnte. Aber so war es schon immer. Den Menschen in meiner Kleinstadt war ich so vertraut, dass sie schnell vergaßen, dass ich anders war. Und weil sie es vergaßen, vergaß ich es auch. Meine ersten Beinprothesen bekam ich, als ich noch ein Kleinkind war – etwa zwei Jahre alt. Zuerst schrie ich, weil ich es nicht leiden konnte, wie sie zwickten und drückten und mich durch ihr Gewicht behinderten. Sie waren so fremd, so schwer und unhandlich, und ich war zu klein, um zu verstehen, warum meine Eltern sie mir anschnallten. Als ich älter wurde und mich daran gewöhnt hatte, lernte ich sie schätzen. Ich konnte mir hübsche Socken und Schuhe anziehen und trug die Prothesen zum Kindergarten. Eines Tages ging ich auf die Toilette und vergaß sie versehentlich dort. Ein Junge aus meiner Gruppe ging nach mir aufs Klo und kam weiß wie ein Gespenst in den Gruppenraum zurück. „Im Bad liegen Beine!“, berichtete er heulend, und die Erzieherin nahm mich beiseite und ermahnte mich, sie nicht überall herumliegen zu lassen. Als ich älter wurde, war ich aktiver und wollte die Prothesen kaum noch tragen. Irgendwann trug ich sie nur noch zum Ausgehen. Die erste Sportart, die ich ausübte, war Softball. Das spielte ich etwa bis zum Ende der dritten Klasse. Ich hatte so dichtes Haar, dass mir wegen meines dicken Pferdeschwanzes kaum ein Helm passte. Meine Brüder und die Trainer brachten mir bei, bis zur dritten „Base“-Linie zu schlagen, damit ich mehr Zeit hatte, die Base zu erreichen. Aber uns allen war bald klar, dass ich schnell wie der Blitz war – man sah nur eine Staubwolke, wenn ich loslegte. Ich erinnere mich noch an eine Zeit, als ich den Ball zum Spieler auf der ersten Base warf. Niemand rechnete damit, dass ich rechtzeitig die Base erreichte, aber ich lief einfach los, immer weiter, ohne den Blick von der Base abzuwenden, und als der Gegner den Ball aufheben wollte, hechtete ich vor und berührte die Unterlage. Gerettet! Es war eine großartige Lektion für mich: Richte deinen Blick immer auf das Ziel und auf Gottes Verheißungen für dein Leben. Selbst wenn etwas absolut unmöglich aussieht, kann sich in letzter Sekunde noch alles ändern. Während Softball ein Sport ist, der sich auf dem Boden abspielte, ging es beim Trampolinspringen darum, in die Luft zu fliegen. Ich spielte ein Spiel namens Popcorn, bei dem ich andere herausforderte, höher zu springen als ich, aber ich habe immer gewonnen. Außerdem beschloss ich, dass ich auch Basketball spielen konnte, und meine Stärke war es, anderen den Ball abzuluchsen. Natürlich war es für mich eindeutig schwieriger, einen Korb zu legen, weil ich so viel kleiner war als die anderen, aber dann musste ich eben kräftiger werfen. In der sechsten Klasse beschloss ich, es mit Volleyball zu versuchen, weil Mr Corn der Trainer war. Und er war unheimlich cool. Er war auch unser Kunstlehrer, und zu Künstlern fühlte ich mich schon immer hingezogen, obwohl meine eigene „künstlerische Seele“ sich noch nicht so recht gezeigt hatte. Weil er sah, dass ich auf dem Volleyballplatz etwas für mein Selbstbewusstsein tun musste, machte er es mir nicht leicht. Ich war ausgesprochen schüchtern und nervös bei Aufschlägen. Da ich so klein war und dem Boden so nah, fiel es mir schwer, von ganz hinten am Spielfeldrand aufzuschlagen. Immer wieder landete mein Ball im Netz. Also brachte er mir bei, mich seitlich zu drehen und den Ball so zu schlagen. Natürlich war ich nicht die beste Angreiferin der Mannschaft, aber im hinteren Mittelfeld war ich richtig gut. Wenn der Ball sich senkte, wer war dann schon am Boden und musste sich nicht erst mit einem Hechtbagger auf die Knie werfen? Das war ich. Ich glaube, jeder, der mich kannte, war gespannt darauf zu sehen, was ich als Nächstes tat. Ich probierte ständig Dinge aus, zu denen ich „eigentlich“ nicht in der Lage war. Meine Eltern waren die Einzigen, die von meinen körperlichen Kapriolen nicht überrascht waren. Wenn ich etwas Neues ausprobieren wollte und frustriert sagte: „Ich kann das nicht!“, schimpften sie mit mir. „In unserem Haus ist der Satz ‚Das kann ich nicht‘ ein unanständiger Ausdruck und du solltest ihn nicht gebrauchen, Jennifer“, sagten sie dann. Also wuchs ich mit der Vorstellung auf, dass ich alles tun konnte, was ich mir vornahm, so wie der kleine Zug in einer meiner Lieblingsgeschichten, Die kleine Dampflokomotive immer vor sich hin sagt: „Ich glaub, ich schaff das, ich glaub, ich schaff das.“ Die Botschaft dieser Geschichte finde ich bis heute wunderbar: Sei mutig, bleib dran, glaube fest an dich. Wenn wir neue Dinge ausprobieren, entdecken wir, wie stark wir sind, und erkennen, dass unsere einzigen Beschränkungen die sind, die wir uns selbst auferlegen. Irgendwann erklärte ich meinen Eltern, ich bräuchte vielleicht Füße, um Rollschuh zu laufen. Wenn man in der Pampa wohnt, gibt es nicht so viel, was man tun kann, also war die Rollschuhbahn der angesagte Treffpunkt! Ich bat meine Eltern, mit mir zum Geschäft zu fahren und mir ein Paar Rollschuhe zu kaufen, und das taten sie auch, ohne zu zögern. Der Verkäufer muss gedacht haben, wir hätten den Verstand verloren! Was soll das Mädchen mit Rollschuhen anfangen? Wenn ich mir in den Kopf gesetzt hatte, dass ich das Rollschuhlaufen lernen würde, dann glaubten meine Eltern das auch. Sie wussten, dass ich es schaffen würde. Natürlich dauerte es eine Weile, bis ich die Bahn einmal umrundet hatte – und noch länger dauerte es, bis ich rückwärts laufen konnte. Aber ich wollte partout nicht aufgeben. Und als ich es dann konnte, klatschten alle und ich kam mir vor wie ein Star! Besonders liebte ich die Gelegenheiten auf der Bahn, wenn jemand „Limbo!“ rief. Weil ich so klein war, konnte ich besser Limbo tanzen als alle anderen. Wie tief schaffte ich es? So etwas hatten die anderen noch nie gesehen! Mit Gottes Augen sehen Ich hatte eine glückliche und ganz wunderbar normale Kindheit. Ich habe haufenweise Plastikfigürchen, Püppchen und Plüschtiere gesammelt. Als ich einmal mit meinem Lieblingsspielzeug – einem Troll mit leuchtend blauen Haaren – in die Stadt gegangen bin, sagte eine Frau auf der Straße zu mir: „Was für ein hässliches Baby hast du denn da?“ Ich schwöre, meine Mom hätte sie am liebsten geohrfeigt, als sie sah, wie sehr die Worte der Frau mich getroffen hatten. „Mom“, heulte ich, „sie hat mein Baby hässlich genannt!“ Meine Mutter hockte sich hin und erklärte mir liebevoll, dass jedes Geschöpf in Gottes Augen schön ist. „Dein Baby ist nicht hässlich“, sagte sie zu mir. „Die Frau hatte nur einen schlechten Tag.“ Und so wuchs ich auf – in dem Wissen, dass ich in Gottes Augen schön und vollkommen war. Unser Körper ist nur ein Teil dessen, was wir als Menschen sind. Was in unserem Innern ist, das ist genauso wichtig und vielleicht noch wichtiger. Meine Eltern haben mich in ihre Familie und in ihr Leben aufgenommen mit Herzen voller Liebe und einem riesigen Glauben. Sie wussten, dass das Leben für mich nicht immer einfach sein würde. Sie wussten, dass ich Enttäuschungen und Kummer erleben und Menschen begegnen würde, die mich so ansahen, wie die Frau damals meine Trollpuppe angesehen hatte. Sie wussten auch, dass sie mich nicht immer würden beschützen können. Ich musste lernen, alleine klarzukommen. Aber sie glaubten auch, dass Gott seine Gründe gehabt hatte, warum er mich zu ihnen geschickt hatte. Sie spürten die große Verantwortung, die sie übernommen hatten: mich so gut wie möglich auf die Herausforderungen des Lebens vorzubereiten, damit ich sie meistern konnte. Das kann ich nicht war nie eine Option. Angst kam für mich nicht infrage. Lieber fiel ich auf die Nase, als dass ich etwas nicht ausprobiert hätte. Und es ist ein Segen, dass meine Eltern den Mut hatten, mich eigene Erfahrungen machen und auch scheitern zu lassen, damit ich meinen Weg und mein Vertrauen zu Gott selbst finden konnte. Meine Eltern sprachen ganz offen darüber, woher ich kam und dass ich adoptiert war. Sie fanden nie, dass sie das aus Scham oder Verlegenheit vor mir verheimlichen sollten. Einige Kinder werden von ihren Eltern auf die Welt gebracht. Andere werden erwählt. Meine Mom sagt, als ich klein war, hätte ich sie einmal gefragt: „Mommy, glaubst du, dass meine Eltern mich weggegeben haben, weil ich keine Beine hatte?“ Bevor sie mir eine Antwort gab, dachte sie lange nach. „Jennifer“, sagte sie sanft, „mein Bauch war kaputt, und Gott hat eine ganz liebe Frau mit einem heilen Bauch gefunden, und bei der warst du so lange, bis ich zu dir kommen konnte.“ Ich habe ihr diese Frage nie wieder gestellt, denn die Erklärung leuchtete mir völlig ein, und ehrlich gesagt hat sich daran bis heute nichts geändert. Das kannst du mir glauben! Eins will ich dir sagen: Alles Wissen der Welt wird dir nichts nützen, wenn du dich darauf ausruhst. Wenn du etwas dazulernst, solltest du es auch anwenden. Sonst ist es so, als würdest du einen Basketball in der Hand halten und nie auf den Korb werfen! Nichts geschieht ohne Grund Vertraue darauf, dass jede Erfahrung – ob gut, schlecht oder katastrophal – dich zum Besseren verändert. Jeder Fehler und jedes Unglück sind eine Gelegenheit, um daraus zu lernen und daran zu wachsen. Es geht darum, das große Ganze zu sehen, das Ziel, auf das du hinarbeitest, und darum, dass alles, was du dabei erlebst, zur Reise dazugehört. Nur weil ich ohne Beine auf die Welt kam, könnte ich in Selbstmitleid versinken, und wahrscheinlich würde es mir niemand übelnehmen. Aber das tue ich nicht … niemals. Stattdessen sehe ich meinen Körper als eine riesige Chance, weil er mir die Gelegenheit gibt, eine ganz einzigartige Perspektive auf das Leben zu haben. Und er erlaubt es Gott, durch mich zu wirken, um andere zu inspirieren und zu motivieren. Natürlich ist mein Leben in mancherlei Hinsicht schwieriger. Ich müsste lügen, wenn ich etwas anderes behaupten würde. Aber es wäre zu einfach, mich von negativen Gedanken runterziehen zu lassen. Stattdessen konzentriere ich mich lieber auf all das Positive in meinem Leben, das es nur deswegen gibt, weil ich keine Beine habe: die Gelegenheiten, die Menschen, die Chance, dass meine Stimme gehört wird. Und wenn ich an all diese Dinge denke, überwiegt eindeutig das Gute. Unterm Strich gilt: Wenn ich nicht ohne Beine geboren wäre, hätte ich nicht das Leben, das ich jetzt habe. Und erst recht nicht würde ich dieses Buch schreiben!

1. Das Baby, das ohne Beine zur Welt kamGott sieht nämlich nicht auf das, worauf der Mensch sieht. Der Mensch sieht, was vor den Augen ist, der Herr aber sieht das Herz.1. Samuel 16,7 (EÜ)Ich kam ohne Namen auf die Welt. Meine leiblichen Eltern, Aussiedler aus Rumänien, haben mich gewissermaßen ausgesetzt, indem sie mich einfach im Krankenhaus zurückließen. Aber trotzdem hasse ich sie nicht. Auch wenn das für andere schwer zu verstehen ist, verspüre ich ihnen gegenüber keine Wut. Stattdessen empfinde ich eine große Dankbarkeit, denn dadurch bin ich in eine liebende Familie gekommen, zu meinen Eltern, den Brickers, die mich immer unterstützt haben und mir beigebracht haben, dass mein Leben - jedes Leben - einen Sinn hat.Natürlich war das ein ungewöhnlicher Einstieg ins Leben. In einem winzigen Krankenhauszimmer in Salem, Illinois, brachte meine leibliche Mutter Camelia mich durch einen Kaiserschnitt zur Welt. Ich wurde mit großen dunkelbraunen Augen, einer dichten schwarzen Mähne, langen Wimpern und einer olivfarbenen Haut geboren. Außerdem war das Herz bei mir auf der rechten Seite anstatt auf der linken (die Krankenschwestern haben damals einen Schrecken bekommen, als sie versuchten, mit dem Stethoskop meinen Herzschlag zu finden!). Ich war ganze 33 Zentimeter lang, also etwas länger als ein Lineal. Ironischerweise wurde das Krankenhaus kurz nach meiner Geburt geschlossen. Meine Familie witzelt immer, dass mich keiner übertreffen konnte und sie deshalb zumachen mussten.Camelia hat mich nicht zu Gesicht bekommen. Das lag daran, dass mein leiblicher Vater Dmitri es nicht erlaubte - nicht einmal für den Bruchteil einer Sekunde. Von einem Verwandten weiß ich, dass mir der Arzt, der mich damals auf die Welt holte (auch ein Rumäne), keine Überlebenschance gegeben hätte. Vielleicht glaubte mein Vater, mein Anblick sei zu schmerzlich für meine Mutter. Vielleicht hat er nur versucht, ihr den Kummer oder die Trauer zu ersparen. Vielleicht war es aber auch einfach nur eine Panikreaktion oder er fühlte sich emotional und finanziell überfordert, für ein Kind mit besonderen Bedürfnissen zu sorgen. Vielleicht dachte er auch, er würde mir einen Gefallen tun.Ich weiß es nicht, und ich kann nicht sagen, was er damals dachte. Ich weiß nur: Er hat das kleine Mädchen, das da, wo die Beine sein sollten, nur zwei kurze Stummel hatte, kurz angeschaut und dann beschlossen, dass es bei jemand anderem besser aufgehoben wäre.So verrückt das klingt - ich bin wirklich nicht wütend. Ich beschuldige oder verurteile meine leiblichen Eltern nicht und trage ihnen nichts nach. Wie könnte ich auch, wo sie mir doch das beste Geschenk gemacht haben, das man bekommen kann - eine Familie, die mich genauso brauchte wie ich sie. Meine Eltern waren von Anfang an ehrlich zu mir, was meine Adoption betraf. Sie wollten nicht, dass ich gekränkt bin oder mich zurückgewiesen fühle oder auf meine leiblichen Eltern wütend bin. Sie sagten zu mir: "Jennifer, du musst verstehen, dass deine leiblichen Eltern aus einem anderen Land mit einer anderen Mentalität kamen. Sie waren damals in einer besonderen Situation und du kennst nicht die wahren Hintergründe, warum sie dich weggegeben haben. Aber es spielt auch keine Rolle, warum sie es taten. Gott hat es genau so geplant. Für uns warst du eine Gebetserhörung, ein Wunder. Sie haben uns ein Geschenk gemacht; sie haben uns dich gegeben."Es dauerte jedoch eine Weile, bis meine Adoptiveltern ihr kleines Geschenk fanden. Ein Sozialarbeiter brachte mich zuerst bei einer Pflegefamilie unter - einem lieben Ehepaar, bei dem ich drei Monate lang war, aber wir standen noch jahrelang in Verbindung, bis zu ihrem Tod. Ich sagte Papa und Nana zu ihnen und sie nannten mich Holly Ann. Papa arbeitete bei der Bahn und trug immer Overalls, in deren Tasche ich vorne genau hineinpasste wie ein kleines Känguru in den Beutel seiner Mutter. Wir guckten zusammen ALF (eine Kindersendung) und ich hatte eine kleine ALF-Figur, die ich überallhin mitn

Erscheinungsdatum
Übersetzer Dorothee Dziewas
Zusatzinfo 16-seitiger farbiger Bildteil
Sprache deutsch
Original-Titel Everything is possible
Maße 205 x 135 mm
Einbandart Paperback
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Romane / Erzählungen
Religion / Theologie Christentum Moraltheologie / Sozialethik
Schlagworte Adoption • Akrobatik • Behinderung • Christlicher Glaube
ISBN-10 3-96362-108-7 / 3963621087
ISBN-13 978-3-96362-108-6 / 9783963621086
Zustand Neuware
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