Jenseits von Zen (eBook)
248 Seiten
TWENTYSIX (Verlag)
978-3-7407-9372-2 (ISBN)
Dr. Dieter Wartenweiler, geboren 1945, ist autorisierter Zen-Lehrer und Psychologe. Er führt ein Zendo in der Schweiz, ist als Referent und Kursleiter tätig und veröffentlichte mehrere Bücher. www.zendo-staefa.ch
Wie hell ist das Licht des Zen?
Auf meinem Schreibpult steht eine Tischlampe, die mit einer der modernen Halogen-Glühbirnen bestückt war. Sie stammt aus meinem Elternhaus und stand neben dem Sofa, wo sie an manchen Abenden die Gespräche erhellte – damals noch mit einer wirklichen Glühbirne, die mehr Hitze abstrahlte als Licht. Vor einigen Tagen fiel diese Lampe zu Boden. Dabei zersprang der moderne Leuchtkörper, der immer noch wie die alten Glühbirnen aussieht, im Innern aber ein helles kleines Halogenlicht hat. Genau gesagt war es so, dass der äußere bauchförmige Glasmantel zersprang und die innere Lichtquelle unversehrt blieb. Sie leuchtete fast noch heller als zuvor – war aber nicht mehr geschützt. Genau so verhält es sich beim spirituellen Erwachen. Der Glasmantel des Ich zerspringt und legt das innere Licht ganz frei. Und dabei versteht man, dass das Licht immer schon da war, und fragt sich, warum man das vorher nicht gesehen hat. Da lebten wir doch im vollen Licht der inneren Quelle und sahen es nicht. So leben viele Menschen, und einige gehen auf die Suche nach dem Licht. Und dabei sind sie die Lampe selbst, die jenes Licht ausstrahlt, das sie suchen.
Viele Menschen leiden an sich selbst. Meistens gründet dies darin, dass die Welt nicht den eigenen Vorstellungen entspricht und man damit nicht zurechtkommt. Wie soll man sich in diesem Falle verhalten, um nicht weiter zu leiden, depressiv oder aggressiv zu sein? All dies spielt sich in jenem Bereich ab, den wir das „Ich“ nennen – verglichen mit meiner Halogenlampe im Bauch der Glühbirne –, wo alle unsere Erinnerungen, Prägungen, Erwartungen, Meinungen, Beurteilungen und all das liegt, was uns als „Person“ ausmacht. Darin liegt wohl auch der Grund unserer Unfreiheit, ebenso wie die Sehnsucht nach deren Überwindung. Dabei muss nur die äußere Birne platzen, um das immer schon leuchtende innere Licht als Quelle freizulegen. Wir leiden an unseren Strukturen und damit an unseren Problemen. Durch all unsere Meinungen, Vorstellungen, Wünsche, Gefühle und Urteile werden wir ja erst zur „Persönlichkeit“, die sich so tapfer durchs Leben schlägt.
Eine wachsende Anzahl von Menschen ist damit aber nicht mehr zufrieden, und sie gehen auf die Suche. Wenn das Wesentliche nicht in der Welt ist, dann muss es anderswo sein. Zu spüren, dass „etwas fehlt“, ist dabei bereits Teil des Findens. Dennoch kann man nicht sagen, dass das Finden direkt mit der Suche zu tun hat. Finden passiert auf einer anderen Ebene als Suchen. Die Birne muss herunterfallen, damit sie zerplatzt, und wie soll man sie zerplatzen lassen, wenn man in ihrem Glasbauch sitzt? Das kann man nicht machen. Es muss geschehen. Vielleicht braucht es einen Anstoß von außen, jemand der am Kabel zieht. So wie ich mich mit dem Fuß versehentlich im Kabel verhedderte und meine Lampe deshalb herunterfiel.
Zen ist eine Form der Suche im geistigen Osten. Aus Japan kam Zen im vergangenen Jahrhundert bei uns in einer äußerlich abgespeckten Form an, und bezüglich seines Gehalts ist nicht klar, in welcher Form Zen im Westen Bestand haben wird. Es scheint deshalb notwendig, den Zen-Weg gründlich zu reflektieren, um eine Einstellung und Formen zu finden, die den westlichen Gegebenheiten entsprechen. Dabei geht es nicht nur um Formen wie die Rituale, sondern vor allem um den Kern – wie wird vermittelt, dass das Eigentliche alles übersteigt? Welcher Zen-Lehrer sagt, dass wahres Erkennen jenseits aller Sitzkissen und Meditationsformen liegt?
Im Westen gibt es viele Versuche der Anpassung des Zen an die westliche Kultur, und nur zu leicht nimmt der Kern dabei Schaden. Die Radikalität des Zen – das Schwert des Manjushri, das alle Illusionen abschneidet – ist vielleicht schon in Japan stumpf geworden, und bei uns wetzt man nicht die Klinge, sondern macht dafür ein schönes Futteral. In der Variante „light“ heißt es im Westen jetzt „Meditation im Stile des Zen“, wozu Sitzkissen aus der Zen-Welt verwendet werden, sogenannte Zafu, oder kleine Bänke, welche das Sitzen angenehmer machen. Manjushri hat aber auch in den ernsthaft geführten Zen-Zentren des Westens nicht überall einen leichten Stand. Da wird intensiv meditiert und man geht den Zen-Weg sehr verbindlich, doch – sind wir bereit, auf alles zu verzichten, was unsere „Person“ ausmacht? Sind wir bereit, selbst Zen zu überschreiten?
Andere Versuche, Zen im Westen zu inkulturieren, erweitern Zen um die Erkenntnisse der westlichen Psychologie und dabei vor allem um die Arbeit an den „Schattenseiten“ des Individuums. Der Schatten wird dabei als jene Seite der Persönlichkeit verstanden, die man an sich nicht so gerne sieht. (Wer über seinen Schatten mehr wissen möchte, kann sich bei seinen Nächsten – zum Beispiel der Partnerin oder dem Partner – danach erkundigen, und wird sofort eine Liste von Eigenschaften erhalten, mit denen man sich im Rahmen der „Schattenintegration“ auseinandersetzen kann.) In Japan hat die Beschäftigung mit dem Schatten weniger Tradition, weil es dort eher um die Gesichtswahrung zu gehen scheint, als darum, sich selber zu hinterfragen. Wie diese psychologische Arbeit aber in Zen einbezogen werden kann, scheint noch nicht klar zu sein. Manche empfehlen, sich parallel zur Zen-Meditation auch einer Psychotherapie zu unterziehen oder diese Seiten sonstwie mit Menschen zu besprechen. Das kann durchaus nützen, denn manche kommen in der Meditation nicht tiefer, weil sich innere Aspekte in einem Knoten verwickelt haben.
Im Westen stellt sich die Frage, was Zen „eigentlich“ ist. Dafür müssen wir zu seinem ursprünglichen Anliegen zurückgehen, so wie dies in der Geschichte schon einige Male geschehen ist. Jedes Mal, wenn Zen von einem Kontinent zum nächsten kam – von Indien nach China und später von dort nach Japan – erneuerte es sich, indem es wieder zu seinen Ursprüngen zurückkehrte. Das steht auch an, wenn Zen jetzt in den Westen gekommen ist. Dabei genügt es nicht, nur die äußeren Formen und Rituale anzupassen. Zen im Westen hat die Gelegenheit, sich wieder ganz auf seinen Kern zurückzubesinnen, weil es hier keine Rücksicht auf historisch entwickelte Formen zu nehmen braucht. Der Kern ist die Wahrnehmung dessen, was im Buddhismus als das „Wahre Selbst“ bezeichnet wird, und dieser muss im Vordergrund stehen. In Zen-Kreisen wird viel davon geredet, und es gibt auch Erfahrungen davon, aber es ist zweifelhaft, ob sie tief und radikal genug sind. Vielleicht sind wir im Westen erst dabei, das wahre Wesen des Zen zu ergründen. Dieses wahre Wesen gibt es auch außerhalb des Zen, und Zen ist nur ein Weg, uns dahin zu führen. Dies klar zu sehen scheint mir wichtig für eine fruchtbare Beschäftigung mit der Frage des Zen im Westen.
Auch die Zen-Schulung im Westen muss zum Kern vorstoßen, um den es wirklich geht. Das entscheidende Tor, das durchschritten werden muss, ist nicht die erste Schranke, welche die Patriarchen für die Zen-Schüler aufstellten. Diese Schranke wird von den Zen-Lehrern im Allgemeinen in Form des Koan MU errichtet. Koan sind Lehrgespräche zwischen alten Zen-Meistern und ihren Schülern, welche diesen zu einem Durchbruch verhelfen sollen. Im Falle des Koan MU ist es die Antwort des alten Zen-Meisters Jôshû, der im 8. Jh. in China lebte. Es trägt den Titel „Jôshûs Hund“ und ist das berühmteste Koan überhaupt. „Ein Mönch fragte Jôshû in allem Ernst; ‚Hat ein Hund Buddhanatur oder nicht‘? Jôshû sagte: ‚MU!‘.“4 Der Begriff Mu wird im Japanischen häufig in Wortkombinationen mit der Bedeutung von un- verwendet, (wie im deutschen etwa in „unerfreulich“). MU wirkt in der Zen-Meditation wie ein Mantra und hilft, die Schranke des Denkens zu überwinden. Es geht hier nicht darum, dieses Koan zu kommentieren, sondern um die Feststellung, dass das Durchschreiten dieser ersten Schranke für eine volle Erfahrung noch nicht genügt. Ist der entscheidende Punkt erkannt, so hat man doch erst eine Ahnung davon, um was es geht. In manchen Zen-Schulen wird dieser erste Schritt für eine Bestätigung der Erkenntnis anerkannt, aber Zen im Westen muss sich der vollen Herausforderung stellen.
Dazu gibt es die berühmte alte Zen-Geschichte vom „Ochs und seinem Hirten“5, in welcher der Hirte sein wahres Selbst (den Ochsen) sucht und ihn nach langem schließlich auch findet. Damit hat er ihn aber noch nicht gefangen und schon gar nicht gezähmt, was seine Zeit dauert. Das sind schöne Bilder von der Zeit der spirituellen Suche, in der man erfährt, wie leicht sich eine erste Erkenntnis verflüchtigen kann und man wieder am Anfang steht. Bis man schließlich auf dem Ochsen „nach Hause“ reiten kann, braucht es viel. Es ist die Situation, wo man nach langem Bemühen gelassen im Strom des Lebens schwimmt und dem vertraut, was sich ereignet. Aber das genügt noch nicht – man muss die Sache radikal begreifen, nicht nur sich anvertrauen. Erst dadurch entsteht ein wirklich neues Verhältnis zum Leben. Wir glauben zunächst, als Person im Zentrum unseres eigenen Lebens zu stehen, was aber nicht einer tieferen...
Erscheint lt. Verlag | 21.2.2019 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Religion / Theologie ► Buddhismus |
ISBN-10 | 3-7407-9372-4 / 3740793724 |
ISBN-13 | 978-3-7407-9372-2 / 9783740793722 |
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