Frau sein (eBook)
264 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7481-7718-0 (ISBN)
Dr. Ute Buth ist Frauenärztin, zertifizierte Sexualberaterin (DGfS), Fachberaterin für das Weiße Kreuz Deutschland e.V. und Seminarleiterin für »Team.F«. Sie leitet eine Beratungsstelle für sexuelle Fragen in Bochum: www.herzenskunst-beratung.de.
2. Auf dem harten Boden der Realität
So sehr uns einerseits die Grundidee von Sexualität nach dem Exkurs in die Schöpfungsgeschichte vor Augen stehen mag, so sehr landen wir angesichts des Ist-Zustands auf dem meist harten Boden der Realität. Nach unserer rasanten Zeitreise finden wir uns ernüchtert in einer Gesellschaft wieder, die auf der einen Seite von Traditionen und Stereotypen und auf der anderen Seite von fragwürdiger Überaufgeklärtheit angesichts moderner Medien geprägt ist. Talkshows am Nachmittag lassen uns vom Sofa aus hautnah dabei sein. Doch es entspricht nicht der Lebenswirklichkeit, dass sich schwerwiegende menschliche Konflikte innerhalb von wenigen Sendeminuten lösen lassen. Welche Verhaltensmaßstäbe bekommen die Zuschauer an die Hand? Keine Generation hatte je einen derart voyeuristischen17 Zugang zu so vielen Informationen, aber stand auch in vergleichbarer Weise vor so vielen Ungereimtheiten und Halbwahrheiten. Besonders Teenager, deren Sexualität gerade erst aufblüht, wissen dem wenig entgegenzusetzen. Es ist erschreckend, wie viel Stereotype und Fehlinformationen weiterhin kursieren.
So also sieht es im Jahr 2012 aus. Die neuen Medien sind nur einen Klick entfernt. Das Kapitel »Offene Türen einer Ehe« beschäftigt sich ausführlich mit den sexuellen Fangseilen, die darin begründet liegen. Die Möglichkeiten, die zur Ware verkommende Sexualität zu präsentieren, haben rasant zugenommen. Ebenso rasant steigt die Scheidungsrate. 2010 stehen 187 027 Ehescheidungen gerade mal 3 82 047 Eheschließungen gegenüber18 und etwa 80 Prozent19 der Deutschen ziehen vor der Ehe zusammen. Wo wird das hinführen? Das Tempo nimmt immer mehr zu, der Einzelne bleibt zunehmend auf der Strecke. Wie entwickelt sich angesichts dieser beklemmenden Atmosphäre die Sexualität in unseren Ehen? Man könnte auch fragen: Was hat die sexuelle Revolution mit uns gemacht? Was hat sie uns gebracht? Leben wir unsere Sexualität jetzt befreiter und zufriedener aus? Die Situation in vielen Ehen und Lebenspartnerschaften ist eine ganz andere. »Frust in deutschen Schlafzimmern« so titelt 2009 eine Studie20 der säkularen Partneragentur Parship, die 2 000 Singles und Verheiratete befragte. 46 Prozent der Paare sind demnach mit ihrer Sexualität unzufrieden. 25 Prozent reden nicht über Sexualität. Überhaupt: Partneragenturen schießen in dem Maße aus dem Boden wie Wertmaßstäbe in demselben zu versumpfen scheinen. Wie anders kann es sein, dass gerade ein Fremdgehportal am meisten expandiert, das verheiratete Menschen als ausgesprochene Zielgruppe anspricht? Welt Online21 kommentiert gekonnt: »Dass Biderman22 und Dietrich23 moralischen Widerspruch geradezu herausfordern, ist weder Mut noch Dummheit, sondern eine Vermarktungsstrategie. Denn das Verbotene ist das Alleinstellungsmerkmal ihres Angebots gegenüber Hunderten von Datingportalen. Etwas mediale Empörung käme da gerade recht.« Wie viel mehr Empörung der christlichen Gemeinden ist hier angebracht. Doch der Ball wird erstaunlich flach gehalten. Viel zu viele offene Türen24 laden zum Fremdgehen ein.
Wirklich gut scheint es um die Sexualität in deutschen Ehen und Lebenspartnerschaften also nicht bestellt zu sein. Wenn es schon kein Seitensprung ist, so klagen doch viele Paare über zunehmende Lustlosigkeit und abnehmende Sexualkontakte. Über Jahre war bei unserem Eheseminar25 der Themenworkshop »Was läuft, wenn nichts mehr läuft« stets gut besucht. Entweder sind es beide Partner oder es ist einer, der sexuell aktiv(er) sein möchte und der andere, der eher bremst. Letzterer kann männlich oder weiblich sein. Nicht wenige Frauen klagen darüber, dass sie sich nur noch als »Erfüllungsgespielin seiner sexuellen Bedürfnisse« wahrnehmen. Sie beklagen, dass ihr Partner ihnen keine Wertschätzung oder ehrliches Interesse entgegen bringt.
Nicht wenige Frauen klagen darüber, dass sie sich nur noch als »Erfüllungsgespielin seiner sexuellen Bedürfnisse« wahrnehmen.
Dies machen sie an der Rangfolge fest, die sie in seinen Aktivitäten und Unternehmungen einzunehmen scheinen. Wer sich als Ehefrau nach seiner getanen Arbeit, den Emails, dem Body-Workout, den häuslichen Renovierungsarbeiten, dem Gang mit dem Hund und der Steuererklärung gefühlt an Platz 739 vorkommt, empfindet sich meist als eine aufs Abstellgleis Verbannte. Während der Partner doch viele Projekte für beide voranbringt, haben viele Frauen in Folge dessen erst recht das Gefühl, sie dürften nicht rückmelden, wie einsam und wenig wertgeschätzt sie sich vorkommen; denn er tut doch alles für sie. Eine Frau drückte es so aus: »Du kannst als Ehefrau schweineeinsam sein!« Das Grundbedürfnis nach Wertschätzung wird vom Partner rasch als Undankbarkeit und billige Kritik verstanden. Dass Männer selbstverständlich auch eine Wertschätzung ihrer selbst wünschen soll hier keineswegs unterschlagen werden. Das Problem ist das Dilemma eines Patts, beide denken: Wenn er/sie doch seine/ihre Position verändern würde, dann könnte endlich etwas Gutes entstehen. Aber weil beide so denken, kommt es zu einem lähmenden Stillstand.
Ein weiteres Hindernis ist das Lebenstempo. In vielen Familien ist es so hoch, dass Sexualität ein kümmerliches Randdasein fristet – zu zeitaufwendig. Damit können sogar beide einverstanden sein. Sie leben in einer Art »Waffenstillstand« oder missverstehen die eigentliche Bedeutung von Sexualität. Es gibt aber auch Frauen, die sich in der umgekehrten Rolle wiederfinden. Sie haben geheiratet, endlich ihren Traumprinzen gefunden, doch nun verwandelt sich dieser in sexueller Hinsicht zu nichts weniger als einem Statisten. Sex findet kaum statt. Er ist beruflich so ausgelastet, ständig im Stress, dass nichts mehr läuft. Sie ist enttäuscht, fühlt sich womöglich (in manchen Fällen auch real) betrogen. Hier soll aber der Fokus auf die Lustlosigkeit gelegt werden. Jemand hat es kürzlich »Single in der Ehe sein« genannt. Das schmerzt unwahrscheinlich, insbesondere wenn scheinbar so gar kein Bewegungsspielraum da zu sein scheint. Diese in der Sexualität frustrierten Frauen nehmen ihre Lust oft schambesetzt wahr. Sie kommen erst langsam in die Öffentlichkeit und widersprechen durch das Offenlegen ihrer naturgemäßen Bedürfnisse gängigen Stereotypen. Viele dieser Frauen gehen nach anfänglichen Kämpfen frustriert in den Rückzug, der Selbstbefriedigung26, Resignation oder Affäre27 heißen kann. Weitere Ausführungen zu diesem Thema besonders auch im Hinblick auf unseren gesellschaftlichen Kontext finden sich in dem Kapitel »Die Lust der Frau«.
Das Lebenstempo ist in vielen Familien so hoch, dass Sexualität ein kümmerliches Randdasein fristet – zu zeitaufwendig.
Die Rolle der christlichen Gemeinden
Schon in der Bibel wird aufgezeigt, dass sich die Gemeinde mit dem Thema Sexualität auseinandersetzen muss. Doch was ist aus den Anfängen des wunderbaren Schöpfungsberichts und der Leichtigkeit des Umgangs miteinander geworden? Spätestens seit dem Kirchenvater Augustinus28 gab es eine Gemeindegeschichte, die sehr leibfeindlich war und es leider in weiten Teilen auch noch ist. Christliche Gemeinden stellen den Leib Christi dar. Was läge da näher, als die Grundidee des Erfinders von Sexualität begeistert zu lehren und bekannt zu machen? Hinzu kommt die allgemeine gesellschaftliche Sprachunfähigkeit zum Thema Sexualität, die selbstverständlich keinen Bogen um die christlichen Gemeinden macht. Matthias Burhenne gibt in dem Buch »Sexualität und Seelsorge29« gute Tipps, wie Sexualethik in den Gemeindealltag weise integriert werden kann.
In der Beratungspraxis begegnen mir immer wieder Menschen, die nur wenig und oft einseitige Informationen zum Thema Sexualität erhalten haben. Oft werden Bibelstellen und ihre individuelle Auslegung dazu genutzt, bestimmte Vorstellungen zur Rolle der Frau und des Mannes innerhalb der Ehe zu formulieren. Dauerbrenner sind Hinweise, dass Frauen sich ihren Männern unterzuordnen haben30, dass man sich nicht entziehen soll31 (übrigens in manchen Gemeinden auch vor der Eheschließung als Hinweis an die zukünftige Ehefrau) und die Aufforderung: Seid fruchtbar und mehret euch.32 Diese Texte sind ganz sicher biblische Aussagen zur Sexualität. Sie wurden jedoch dem jeweiligen Kontext entnommen. Ich betrachte sie demnach als Mosaiksteine im großen Gesamtbild dessen, was Gottes Gedanke zur Sexualität ist. Dem Anspruch, Gottes Idee umfassend zu verdeutlichen, werden sie jedoch nicht gerecht, wenn man sie aus dem Zusammenhang nimmt und zum Druckmittel macht. »Der Buchtstabe tötet, der Geist macht lebendig«33 mahnt nicht ohne Grund der Apostel Paulus im Neuen Testament. In so vielen Ehen ist Schaden damit angerichtet worden, dass Frauen sich zum...
Erscheint lt. Verlag | 29.1.2019 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Sexualität / Partnerschaft |
ISBN-10 | 3-7481-7718-6 / 3748177186 |
ISBN-13 | 978-3-7481-7718-0 / 9783748177180 |
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Größe: 594 KB
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