Otto John (eBook)
416 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-05731-9 (ISBN)
Benjamin Carter Hett, geboren 1965, ist Professor für Geschichte am Hunter College und am Graduate Center der City University of New York. Nach einem Jurastudium arbeitete er zunächst als Rechtsanwalt, bevor er an der Harvard University in Geschichte promovierte. Für seine Forschungen erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u.a. ein Guggenheim-Stipendium und den Ernst Fraenkel Prize in Contemporary History. 2018 veröffentlichte er «The Death of Democracy. Hitler's Rise to Power».
Benjamin Carter Hett, geboren 1965, ist Professor für Geschichte am Hunter College und am Graduate Center der City University of New York. Nach einem Jurastudium arbeitete er zunächst als Rechtsanwalt, bevor er an der Harvard University in Geschichte promovierte. Für seine Forschungen erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u.a. ein Guggenheim-Stipendium und den Ernst Fraenkel Prize in Contemporary History. 2018 veröffentlichte er «The Death of Democracy. Hitler's Rise to Power». Michael Wala, geboren 1954, ist Professor für Nordamerikanische Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum. Er erforscht zurzeit die Geschichte der Spionageabwehr des Bundesamts für Verfassungsschutz von den Anfängen bis 1990 und hat 2015 zusammen mit Constantin Goschler «‹Keine neue Gestapo›. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die NS-Vergangenheit» veröffentlicht.
Vorwort Otto John und der Kalte Krieg
Mit einer dramatischen, fast verzweifelt klingenden Radioansprache meldete sich Otto John am 23. Juli 1954 aus Ost-Berlin zu Wort: «Deutschland ist in Gefahr, durch die Auseinandersetzung zwischen West und Ost auf ewig zerrissen zu werden», warnte er und rief «alle Deutschen» auf, sich für die Wiedervereinigung einzusetzen. Er selbst habe drei Tage zuvor, am Gedenktag des Attentats auf Hitler, «einen entschlossenen Schritt» getan und «Verbindung mit den Deutschen im Osten aufgenommen».
Diese «demonstrative Aktion» war allerdings keine einfache Verbindungsaufnahme, denn John war Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz und meldete sich über den Rundfunk der DDR zu Wort. Zu den Aufgaben seiner Behörde zählte die Abwehr der Spionage des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR und des KGB, aber in seiner Radiobotschaft klagte er nun über ehemalige Nationalsozialisten, die sich «überall im politischen und auch im öffentlichen Leben» der Bundesrepublik wieder regten. Ihm hingegen – dem ehemaligen Widerstandskämpfer, einem der wenigen Überlebenden des 20. Juli 1944 – habe der christdemokratische Innenminister Schröder die «Grundlage für eine politische Arbeit entzogen».[1] Fünf Tage später legte John in einer weiteren Sendung nach: Die «einseitige Bindung an die amerikanische Seite durch Dr. Adenauer» sei der falsche Weg, denn die «damit verbundene Remilitarisierung und Wiederbelebung des Nationalsozialismus führen zwangsläufig zu einem neuen Krieg».[2]
Am 11. August stellte sich John in Ost-Berlin auf einer Pressekonferenz dann schließlich den Fragen von fast dreihundert Journalisten aus aller Welt. Er blieb in vielen Punkten vage, wiederholte seine Befürchtungen und Klagen und fügte ihnen neue Anschuldigungen hinzu; so habe die Bundesregierung geheime Militärverträge mit den Westalliierten abgeschlossen, und die von den Amerikanern finanzierte Organisation Gehlen spioniere Frankreich aus. Umgekehrt wurde ihm unterstellt, er liefere bundesdeutsche Agenten der Sowjetunion ans Messer und trage mit seinem Verhalten dazu bei, dass die Widerstandskämpfer des 20. Juli nun alle als Verräter angeprangert würden.[3] Drei der anwesenden westlichen Journalisten – Johns alter Bekannter aus seiner Zeit im britischen Exil, Sefton Delmer, der für den Daily Express schrieb, Karl Robson vom News Chronicle und Gaston Coblentz von der New York Herald Tribune – hatten danach die Gelegenheit, vertraulich mit ihm zu sprechen. Im Westen wurde gerätselt, ob John verschleppt worden sei, aber die Unterhaltung ergab keinerlei Anzeichen dafür, dass er zu seinen Erklärungen gezwungen worden war.
In einem Gespräch mit Günther Gereke klang John kurz darauf allerdings anders. Der ehemalige CDU-Politiker (und einstiger Reichskommissar für Arbeitsbeschaffung unter dem von Hitler ermordeten Reichskanzler Kurt von Schleicher) war zwei Jahre zuvor in die DDR übergesiedelt, weil er Adenauers Politik der Westbindung ablehnte; ihm gegenüber klagte John nun, er komme sich wie ein «Häftling» der Sowjets vor. Eigentlich habe er nur einige DDR-Funktionäre zu Gesprächen treffen und dann in den Westen zurückreisen wollen, nun aber werde er wie ein «Cirkus-Clown» herumgereicht und müsse reihenweise öffentliche Auftritte absolvieren.[4] Wenige Tage darauf wurde John nach Moskau und dann in den Ferienort Gagra am Schwarzen Meer gebracht. Wie zu erwarten war, wurde er in der Sowjetunion eingehend verhört. Erst im Dezember 1954 kehrte er nach Ost-Berlin zurück, hielt Reden und schrieb Pamphlete, in denen er für die Neutralität Deutschlands warb, um die Wiedervereinigung zu ermöglichen, und gab von Zeit zu Zeit Interviews, auch Journalisten westlicher Blätter.
Genauso überraschend, wie John sich nach Ost-Berlin abgesetzt hatte, tauchte er am 12. Dezember 1955 plötzlich wieder in West-Berlin auf. Der dänische Journalist Henrik Bonde-Henriksen hatte den notdürftig verkleideten John durch das Brandenburger Tor ganz einfach in den britischen Sektor chauffiert. Fortan behauptete John, er habe die ganze Zeit über versucht, aus der DDR zu entkommen, nun endlich sei es ihm gelungen.
Doch hatte man ihn wirklich verschleppt? Oder war der Präsident des westdeutschen Inlandsgeheimdienstes «in den Osten» übergelaufen und zum Verräter geworden?
Unstrittig war lediglich, dass sich John kurz vor seinem Übertritt nach Ost-Berlin mit einem Freund aus Zeiten des Widerstands getroffen hatte, dem Arzt Wolfgang Wohlgemuth. Der war einst Protegé des berühmten Ferdinand Sauerbruch gewesen und eine ziemlich schillernde Figur. Tagsüber arbeitete er in seiner Praxis in der Uhlandstraße in West-Berlin, nachts spielte er mit seiner Trompete Jazz, er unterhielt ein emsiges Liebesleben – und Kontakte zu sowjetischen und ostdeutschen Nachrichtendiensten. John erzählte später, der Arzt habe ihn gekidnappt: Am Abend des 20. Juli sei er von Wohlgemuth abgeholt worden, habe dann in dessen Auto das Bewusstsein verloren und sei erst in Ost-Berlin wieder zu sich gekommen – als Gefangener der Sowjets. Wohlgemuth erzählte in den folgenden Jahren eine ganz andere Geschichte. Das Treffen mit den sowjetischen Geheimdienstoffizieren sei zuvor verabredet gewesen, bei einem Abendbankett zu Ehren Johns habe der sich betrunken und spontan entschieden, im Osten zu bleiben.
Während die Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz noch rätselten, wie und warum ihr Präsident in die DDR gelangt war, ob er entführt wurde oder freiwillig nach Ost-Berlin ging, traf der Vorwurf des Verrats die Stimmungslage in weiten Teilen der bundesrepublikanischen Presse und auch der politischen Klasse. Viele hielten Johns Erklärung für vorgeschoben, er habe versucht, Fehlentwicklungen der bundesdeutschen Politik sowie dem Wiedererstarken von Militarismus und Nationalismus entgegenzutreten und damit einen Krieg zu verhindern. Als Angehörigem des Widerstands wurde ihm ohnehin häufig mit Misstrauen begegnet, und das nicht nur seitens derjenigen, die dem nationalsozialistischen Regime treu gedient hatten. John war 1944 aus Deutschland geflohen und hatte im englischen Exil mit den Westalliierten zusammengearbeitet. Da war der Vorwurf eines vermeintlich «neuerlichen» Verrats kaum eine Schreibmaschinenzeile oder Pressemitteilung weit entfernt. Sollten Johns Anschuldigungen gegen die Regierung in Bonn, seine übertrieben scheinenden Warnungen vor einer kriegstreiberischen Politik des Westens also von seinem eigenen Vergehen ablenken? Oder besorgte er mit seinen Äußerungen, wenn er sie tatsächlich ernst meinte, nicht zumindest in naiver Weise das Geschäft der DDR-Propaganda? War er ein Doppelagent im Dienste des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit oder des KGB – oder ein Idealist, der seine Möglichkeiten weit überschätzte, den Lauf des Kalten Krieges anzuhalten?
Den Vorwurf des Verrats hat John erwartet. Einen Tag nach der Pressekonferenz schrieb er seiner Ehefrau, dass es sich wohl kaum umgehen ließ, als «Verräter abgestempelt» zu werden. Er bat sie aber um Verständnis dafür, dass es am 20. Juli «so plötzlich über mich kam». Er habe es einfach nicht mehr ertragen können, «nicht nur ein Mitläufer, sondern sogar Werkzeug einer Politik zu sein, die zur Zerstörung Europas führen muss und wird. Dagegen musste ich aufstehen, um der Welt die Augen zu öffnen.» Er habe ein gutes Gewissen – und brauche «nun auch keinen Whisky mehr, um die Stimmen zu unterdrücken, die mir lange zugeraunt haben, diesen Irrsinn nicht mehr weiter mitzumachen».[5] Im Brief an seine Frau tritt John als Erbwalter des Widerstands gegen Hitler auf, für den die nationale Integrität Deutschlands ebenso wichtig ist wie ein dauerhafter Friede und der dafür, ohne Rücksicht auf das eigene Wohlergehen, hohe Risiken auf sich nimmt. «Nach nicht sehr langer Zeit», schrieb er seiner Frau, werden «immer mehr Menschen … mich verstehen.»[6]
Allerdings wäre sein Verhalten, wenn es tatsächlich durch solche pazifistischen und patriotischen Überlegungen motiviert gewesen ist, hochproblematisch. Hier maßte sich ein Geheimdienstchef an, die Politik der Bundesrepublik in eine andere Richtung zu lenken. Dafür war er weder gewählt worden, noch gehörte dies in irgendeiner Form in seinen Aufgabenbereich. Gerade die Neutralität des Bundesamts für Verfassungsschutz sollte verhindern, dass der deutsche Inlandsgeheimdienst erneut politisch missbraucht wurde. Ganz davon abgesehen hatte sich John als Geheimnisträger eigenmächtig in die Hände des Feindes im Kalten Krieg begeben.
Die Geschichte Otto Johns, der meinte, in die Politik eingreifen zu müssen, um die Einheit Deutschlands zu sichern und einen Krieg und das Wiedererstarken des Nationalismus zu verhindern, ist mehr als eine Geschichte des persönlichen Scheiterns. John sträubte sich gegen die zunehmende Isolierung der Überlebenden des Widerstands und dagegen, dass die politische Entwicklung der jungen Bundesrepublik über sie und ihre Ideale hinwegging.[7] Was Otto John trieb, lässt sich nur verstehen, wenn man sein Handeln vor dem Hintergrund seiner Biographie und im Kontext der politischen Geschichte der frühen Bundesrepublik entschlüsselt. Johns Geschichte ist daher eine biographische Sonde, die die...
Erscheint lt. Verlag | 21.5.2019 |
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Zusatzinfo | Zahlr. s/w Abb. |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Zeitgeschichte ab 1945 |
Geisteswissenschaften ► Geschichte | |
Schlagworte | 50er Jahre • BND • Bonn • Bonner Republik • CIA • DDR • Deutschland • Geheimdienst • Gestapo • Konrad Adenauer • Nachkriegsdeutschland • Nachkriegszeit • Nachrichtendienst • Politik • Politik Deutschland • Politthriller • Spionage • Spionageskandal • Spionagethriller • Stasi • Verfassungsschutz • Wahre Begebenheit |
ISBN-10 | 3-644-05731-1 / 3644057311 |
ISBN-13 | 978-3-644-05731-9 / 9783644057319 |
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