Luther im 19. Jahrhundert: die Musik
Seiten
2018
Neisse Verlag
978-3-86276-215-6 (ISBN)
Neisse Verlag
978-3-86276-215-6 (ISBN)
Luther ist in der Musik oft präsent durch Choräle, die auf ihn oder seine Redaktion zurückgehen. Als Sujet von Oratorien aber fand er erst im 19. Jahrhundert die Aufmerksamkeit von Komponisten, die zunächst nur Begleitmusik für Luther-Dramen auf dem Theater schrieben. Noch Robert Schumanns Projekt eines Luther-Oratoriums, schon weit gediehen nach Maßgabe eines hier zum ersten Mal vorgestellten Textentwurfs, blieb unausgeführt. Mehr als einen Achtungserfolg erzielte dann Ludwig Meinardus mit seinem „Luther in Worms“, Vorbild für zahlreiche oratorische Werke, deren Intention es war, dem großen Reformator auch kompositorisch ein Monument zu errichten: ein Kapitel deutscher Kulturgeschichte, das der vorliegende Band mit zahlreichen Dokumenten rekonstruiert.
Die Reformationsjubiläen 1817 und 1917 bilden den Rahmen eines Versuchs, Momente einer musikalischen Erinnerungskultur zu beschreiben, die nur mit der Intention nationaler Identitätsbildung Profil gewinnt. Nicht zufällig bildet das Pathos der Befreiungskriege den Hintergrund, dass eine Nation sich ihrer konfessionellen Basis vergewisserte, deren künstlerische Überhöhung eine transzendentale Legitimierung ersetzen sollte. Dazu eignete sich die Musik umso mehr, als der neue Staat auf herausragende Komponisten rekurrieren konnte, deren Werke sich für eine Instrumentalisierung besonders eigneten.Allen voran Johann Sebastian Bach, der mit dem "Endzweck" eines Wirkens als Thomaskantor seine Kunst ganz in den Dienst einer Verkündigung religiöser Wahrheiten gestellt hatte und dessen geistliche Musik als umso bedeutender galt, je mehr sie auf Texte von Chorälen Martin Luthers Bezug nahm: eine Konstruktion, die gleich doppelt historische Dignität garantierte, sich jedoch zunächst auf die Werke beider beschränkte, bevor die biographischen Subjekte selbst in den Blick gerieten.Sowenig die Person Bachs schon Gegenstand künstlerischer Reflexion war, so geringes Interesse fand die Figur Luthers als Sujet eines Werkes. Die Stilisierung beider zu Heroen nationaler Dimension wurde erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts forciert, freilich mit nur geringem Erfolg. Die Facetten der Person des Reformators zu bündeln, gelang noch weniger als beim Pendant des Thomaskantors. Zu schillernd ist die Fülle von Dokumenten über das Leben eines Reformators, der sich, wie bei näherem Hinsehen leicht zu erkennen, kaum als Glaubenskrieger eignete. Denn die Berichte frühen Zweifels wie späterer Überheblichkeit waren auch seinerzeit schon nicht mehr zu einem schlüssigen - und vorteilhaften - Bild zu formen. Zudem wollte einer exklusiven Vereinnahmung von Religion seitens des Staates nach der Jahrhundertmitte kaum mehr ein Komponist von Rang das Wort reden.So ist Luther in der Musik zwar oft präsent durch Choräle, die auf ihn oder seine Redaktion zurückgehen. Doch als Sujet von Oratorien fand er eher selten die Aufmerksamkeit der Komponisten. Schumanns Projekt eines Luther-Oratoriums etwa, schon weit gediehen nach Maßgabe eines - hier zum ersten Mal vorgestellten - Textentwurfs, der sehr konkrete Hinweise auf die musikalische Gestalt enthält, blieb unausgeführt; mehr als einen Achtungserfolg erzielte nur Ludwig Meinardus, dessen Luther in Worms starke Ähnlichkeiten mit Schumanns Entwürfen hatte, wenngleich nicht nachzuweisen ist, dass eine Beziehung zwischen beiden Komponisten bestand, die über den eher flüchtigen Austausch von Höflichkeiten hinausreichte. Das Problem oratorischer Werke, die sich Luther als Sujet widmeten, war jedoch nicht nur, dass kaum geeignete Libretti zur Verfügung standen, sondern auch der Platz, den solche Kompositionen im öffentlichen Leben hätten einnehmen können. Strukturelle Fragen, wie Oratorien "nach Mendelssohn-Bartholdy" zu schreiben waren, konvergierten einerseits mit organisatorischen und andererseits nicht zuletzt auch den Aspekten der Gesinnung eines Komponisten, so dass es wenig wundert, dass die Mehrzahl der heute zumindest bibliographisch nachweisbaren Werke eher lokalen Gegebenheiten ihre Entstehung verdankt und die oft eben nur an entlegenem Ort und in geringer Auf lage herausgebrachten Stücke selbst in größeren Fachbibliotheken nicht mehr greifbar sind: auch das ein Grund, einige Kompositionen hier nicht nur im Libretto, sondern mit umfangreicheren Ausschnitten zu präsentieren.Gegen Ende des hier gewählten Betrachtungszeitraums ist das Luther-Bild weniger homogen als noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Je deutlicher divergierende biographische Aspekte - und auch Schattenseiten eines Polemikers und Hasspredigers - wurden und je stärker der Einfluss von Zeitgenossen und Freunden, allen voran Philipp Melanchton und Johann von Staupitz, desto problematischer geriet die Postulierung einer exklusiven Konjunktion von Lut
Die Reformationsjubiläen 1817 und 1917 bilden den Rahmen eines Versuchs, Momente einer musikalischen Erinnerungskultur zu beschreiben, die nur mit der Intention nationaler Identitätsbildung Profil gewinnt. Nicht zufällig bildet das Pathos der Befreiungskriege den Hintergrund, dass eine Nation sich ihrer konfessionellen Basis vergewisserte, deren künstlerische Überhöhung eine transzendentale Legitimierung ersetzen sollte. Dazu eignete sich die Musik umso mehr, als der neue Staat auf herausragende Komponisten rekurrieren konnte, deren Werke sich für eine Instrumentalisierung besonders eigneten.Allen voran Johann Sebastian Bach, der mit dem "Endzweck" eines Wirkens als Thomaskantor seine Kunst ganz in den Dienst einer Verkündigung religiöser Wahrheiten gestellt hatte und dessen geistliche Musik als umso bedeutender galt, je mehr sie auf Texte von Chorälen Martin Luthers Bezug nahm: eine Konstruktion, die gleich doppelt historische Dignität garantierte, sich jedoch zunächst auf die Werke beider beschränkte, bevor die biographischen Subjekte selbst in den Blick gerieten.Sowenig die Person Bachs schon Gegenstand künstlerischer Reflexion war, so geringes Interesse fand die Figur Luthers als Sujet eines Werkes. Die Stilisierung beider zu Heroen nationaler Dimension wurde erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts forciert, freilich mit nur geringem Erfolg. Die Facetten der Person des Reformators zu bündeln, gelang noch weniger als beim Pendant des Thomaskantors. Zu schillernd ist die Fülle von Dokumenten über das Leben eines Reformators, der sich, wie bei näherem Hinsehen leicht zu erkennen, kaum als Glaubenskrieger eignete. Denn die Berichte frühen Zweifels wie späterer Überheblichkeit waren auch seinerzeit schon nicht mehr zu einem schlüssigen - und vorteilhaften - Bild zu formen. Zudem wollte einer exklusiven Vereinnahmung von Religion seitens des Staates nach der Jahrhundertmitte kaum mehr ein Komponist von Rang das Wort reden.So ist Luther in der Musik zwar oft präsent durch Choräle, die auf ihn oder seine Redaktion zurückgehen. Doch als Sujet von Oratorien fand er eher selten die Aufmerksamkeit der Komponisten. Schumanns Projekt eines Luther-Oratoriums etwa, schon weit gediehen nach Maßgabe eines - hier zum ersten Mal vorgestellten - Textentwurfs, der sehr konkrete Hinweise auf die musikalische Gestalt enthält, blieb unausgeführt; mehr als einen Achtungserfolg erzielte nur Ludwig Meinardus, dessen Luther in Worms starke Ähnlichkeiten mit Schumanns Entwürfen hatte, wenngleich nicht nachzuweisen ist, dass eine Beziehung zwischen beiden Komponisten bestand, die über den eher flüchtigen Austausch von Höflichkeiten hinausreichte. Das Problem oratorischer Werke, die sich Luther als Sujet widmeten, war jedoch nicht nur, dass kaum geeignete Libretti zur Verfügung standen, sondern auch der Platz, den solche Kompositionen im öffentlichen Leben hätten einnehmen können. Strukturelle Fragen, wie Oratorien "nach Mendelssohn-Bartholdy" zu schreiben waren, konvergierten einerseits mit organisatorischen und andererseits nicht zuletzt auch den Aspekten der Gesinnung eines Komponisten, so dass es wenig wundert, dass die Mehrzahl der heute zumindest bibliographisch nachweisbaren Werke eher lokalen Gegebenheiten ihre Entstehung verdankt und die oft eben nur an entlegenem Ort und in geringer Auf lage herausgebrachten Stücke selbst in größeren Fachbibliotheken nicht mehr greifbar sind: auch das ein Grund, einige Kompositionen hier nicht nur im Libretto, sondern mit umfangreicheren Ausschnitten zu präsentieren.Gegen Ende des hier gewählten Betrachtungszeitraums ist das Luther-Bild weniger homogen als noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Je deutlicher divergierende biographische Aspekte - und auch Schattenseiten eines Polemikers und Hasspredigers - wurden und je stärker der Einfluss von Zeitgenossen und Freunden, allen voran Philipp Melanchton und Johann von Staupitz, desto problematischer geriet die Postulierung einer exklusiven Konjunktion von Lut
Reihe/Serie | Lutherbibliothek 2017 ; Reihe 4, Band 2 |
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Mitarbeit |
Herausgeber (Serie): Gerd-Hermann Susen, Edith Wack |
Zusatzinfo | Mit den Reproduktionen der Originalausgaben |
Verlagsort | Dresden |
Sprache | deutsch |
Maße | 155 x 220 mm |
Themenwelt | Kunst / Musik / Theater ► Musik ► Musikgeschichte |
Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► Neuzeit (bis 1918) | |
Geschichte ► Teilgebiete der Geschichte ► Religionsgeschichte | |
Geisteswissenschaften ► Sprach- / Literaturwissenschaft ► Literaturwissenschaft | |
Schlagworte | Bach, Johann Sebastian • Bartholdy, Felix Mendelsohn • Identität • Lutherbibliothek • Nation • Reformation • Schumann, Robert |
ISBN-10 | 3-86276-215-7 / 3862762157 |
ISBN-13 | 978-3-86276-215-6 / 9783862762156 |
Zustand | Neuware |
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