Psychologie lernen -  Hans-Peter Nolting,  Peter Paulus

Psychologie lernen (eBook)

Eine Einführung und Anleitung
eBook Download: EPUB
2018 | 15. Auflage
280 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-621-28663-3 (ISBN)
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Ein Buch für alle, die eine kompakte Einführung in die »Wissenschaft des Erlebens und Verhaltens« suchen - vom Studierenden bis zum interessierten Laien. Hans-Peter Nolting und Peter Paulus stellen das breite psychologische Wissen knapp und dennoch auf vielfältige Weise Art miteinander verknüpft dar. Auf diese Weise sollen zwei wichtige Kompetenzen gefördert werden: neue psychologische Themen strukturieren sowie das psychologische Wissen auf Praxisfälle anwenden zu können. Anhand zahlreicher Beispiele erklären die Autoren viele Themen, Fragestellungen und Lösungsvorschläge der Psychologie. In der 15. Auflage bleibt die leicht verständliche und fundierte Grundstruktur des Buches unverändert; zahlreiche Beispiele und Abbildungen wurden jedoch überarbeitet und neue Themen, wie Medienpsychologie und Digitalisierung, betrachtet.

Dr. Hans-Peter Nolting, Abteilung Pädagogische Psychologie, Georg-August-Universität Göttingen.

1Was sind »psychologische« Fragen?


Was sind Fragen, mit denen sich die Psychologie beschäftigt? Wann und wodurch ergeben sie sich? Worin unterscheiden sie sich von denen anderer Wissenschaften?

1.1Psychisch – psychologisch – Psychologie


»Psychologie« ist kein Fremdwort mehr. Der Buchmarkt bietet reichlich Lektüre zur Information. Ein großer bundesweiter Versandhändler listet allein über 65 000 lieferbare Fach- und Sachbücher. Psychologinnen und Psychologen werden auch kaum noch wie Exemplare einer exotischen Gattung betrachtet, denn viele Menschen begegnen ihnen in Beratungsstellen, sozialen Diensten, Kliniken, Volkshochschulen, Medien usw. Auch ist die Verwendung des Wortes »psychologisch« durchaus geläufig (z. B. »das psychologisch wichtige Tor vor Ende der ersten Halbzeit im Fußball«). Dennoch würde es den meisten Menschen schwerfallen, zu sagen, was »psychisch«, »psychologisch« oder »Psychologie« bedeutet.

Geht man vom Wort »Psychologie« aus, dann bezeichnet es die Lehre von der »Seele« oder »Psyche«. Beide Begriffe werden aber in der Psychologie kaum noch verwendet. Einmal, weil sie traditionell durch andere Wissenschaften begrifflich vorbelastet sind (Philosophie, Theologie). Vor allem aber deshalb, weil durch diese Begriffe suggeriert wird, es gebe eine Substanz, eine Art »seelisches Organ«, eben die »Seele«. Ob dies so ist, lässt sich wissenschaftlich nicht überprüfen. Was man dagegen beobachten und damit der wissenschaftlichen Analyse unterziehen kann, sind menschliches »Erleben« und »Verhalten«.

Vom Erleben, verstanden als unmittelbare innere Erfahrung, können Menschen berichten; sie können z. B. ihre Gefühle, Vorstellungen, Wünsche mitteilen. Außenstehende können das Erleben anderer Menschen nicht direkt beobachten. Sie sehen nur körperliche Reaktionen, die man mit dem Erleben in Zusammenhang bringen kann: Weint jemand, könnte man schließen, er sei traurig; denkbar wären aber auch Schmerz oder Freude. Man sieht hier schon eine grundsätzliche Schwierigkeit: Eindeutige Schlüsse vom Verhalten auf das Erleben anderer Personen sind nicht möglich.

Das Verhalten ist der Selbstbeobachtung und der Fremdbeobachtung zugänglich. Es umfasst zuerst einmal die für jedermann sichtbaren körperlichen Bewegungen (z. B. ein Mann beobachtet sich beim Rasieren im Spiegel, ein Kind wirft sich brüllend auf den Boden; ein Junge lächelt ein Mädchen an). In der Regel sind es relativ komplexe körperliche Äußerungen wie Sprechen, Mimik, manuelle Tätigkeiten etc., doch können auch einzelne Reaktionen Gegenstand psychologischer Forschung sein (Atmung, Herzschlag, Magenschmerzen, Reflexe etc.). Zunehmend sind auch physiologische Korrelate des Erlebens und Verhaltens wie neuronale, hormonelle oder biochemische Prozesse Gegenstand psychologischer Forschung, insbesondere in der Biologischen Psychologie. Je nach wissenschaftlichem Standort und nach Fragestellung richtet sich der Blick in der psychologischen Analyse eher auf Erlebnisaspekte oder Verhaltensaspekte oder auch beide (s. Tafel 1). Von manchen Autoren wird »Verhalten« als Oberbegriff für alle psychischen Vorgänge benutzt, der dann das Erleben mit einschließt. Wir halten einen solchen Wortgebrauch aber für verwirrend und wenig sinnvoll.

Wie man Psychologie verstehen kann


Hermann Ebbinghaus (1850-1909), ein früher Wegbereiter der kognitiv-psychologischen Forschung und Begründer der Gedächtnispsychologie (s. auch S. 139) definiert sie in seinem Buch »Grundzüge der Psychologie« (1902/1908, S. 1f.) beispielhaft vom Erleben her: »Die Psychologie ist die Wissenschaft von den Inhalten und Vorgängen des geistigen Lebens oder, wie man auch sagt, ›die Wissenschaft von den Bewusstseinszuständen und den Bewusstseinsvorgängen‹. Die Psychologie hat es, wenn man dies kurz ausdrückt, mit den Gegenständen der Innenwelt zu tun, im Gegensatz zur Physik im weitesten Sinne als der Wissenschaft von den Gegenständen der räumlichen und materiellen Außenwelt.«

Floyd L. Ruch & Philip G. Zimbardo (1975, S. 24), der angloamerikanischen Tradition des Behaviorismus folgend (S. 213), stellten in ihrem Standardwerk der Psychologie (»Psychology and Life«) noch allein das Verhalten in den Vordergrund: »Psychologie ist die Wissenschaft vom Verhalten der Lebewesen«. Zwanzig Jahre später gibt Zimbardo (1995) im gleichen Buch (5. Aufl., S. 4) nun eine Definition, die sowohl Verhalten als auch Erleben umfasst: »Der Gegenstand der Psychologie sind Verhalten, Erleben und Bewusstsein des Menschen, deren Entwicklung über die Lebensspanne und deren innere (im Individuum angesiedelte) und äußere (in der Umwelt lokalisierte) Bedingungen und Ursachen.«

In dem von Astrid Schütz et al. herausgegebenen Lehrbuch »Psychologie« heißt es: »Aufgabe der Psychologie ist es, menschliches Erleben und Verhalten zu beschreiben, zu erklären, vorherzusagen und zu beeinflussen« (Wolstein et al., 2015, S. 24).

Auch David G. Myers (2014, S. 6) berücksichtigt in seinem Standard-Lehrbuch »Psychologie« sowohl Erleben als auch Verhalten in der Gegenstandsbestimmung. Nach ihm wird »die Psychologie heute als die Wissenschaft vom Verhalten und von den mentalen Prozessen definiert.«

Neuere Entwicklungen in der Psychologie, die auch die biologischen Grundlagen von psychischen Vorgängen betrachten, werden von Michael Gazzaniga, Todd Heatherington & Diane Halpern (2017, S. 23) aufgegriffen: »Wissenschaftliche Psychologie ist die Anwendung der wissenschaftlichen Methode auf die Untersuchung von Geist, Gehirn und Verhalten.«

Tafel 1: Beispiele für Definitionen der Psychologie

Kommt man mit den Begriffen »Verhalten« und »Erleben« überhaupt aus, um den Gegenstand der Psychologie zu benennen? Gehören zum psychischen Geschehen nicht auch »unbewusste« Vorgänge, die nicht eigentlich »erlebt« werden? Zweifellos: Die Sinnesorgane nehmen manche Informationen »unbemerkt« auf; viele alltägliche Aktivitäten laufen als Routine ohne bewusste Kontrolle ab, und ein Mensch kann aus Motiven handeln, die ihm selbst nicht klar sind. Einige Psychologen, vor allem tiefenpsychologisch orientierte, nehmen sogar eine eigene, abgegrenzte Region psychischer Vorgänge an, die als »das Unbewusste« bezeichnet wird. Andere sehen zwischen »bewusst« und »unbewusst« fließende Übergänge, ein Mehr oder Weniger an »Bewusstheit«. Wie dem auch sei: Da nicht-bewusste psychische Vorgänge für die Psychologie nur insoweit von Interesse sind, als sie das Erleben und Verhalten bestimmen, kann man es bei diesen beiden Begriffen belassen, um ihren Gegenstand zu benennen; denn als erklärender »Hintergrund« sind die nicht-bewussten Prozesse indirekt mit einbezogen. Vorsichtshalber werden wir allerdings in diesem Buch oftmals von »inneren psychischen Prozessen« statt von »Erleben« sprechen, um dem Missverständnis vorzubeugen, dass mit der »Innenwelt« nur klar bewusste psychische Vorgänge gemeint seien.

Da Menschen sich nicht nicht verhalten können und ständig innere psychische Prozesse ablaufen, haben alle Sachverhalte, an denen Menschen beteiligt sind, immer auch einen psychischen Aspekt. Ob er bei der Betrachtung des Sachverhaltes berücksichtigt wird, ist eine andere Frage. So können physiologische Vorgänge im Körper (z. B. Herzschlag, Blutdruck, Muskelanspannung) vollkommen unabhängig vom psychischen Geschehen betrachtet werden oder auch in Zusammenhang mit ihm.

Manche Sachverhalte werden durch die Art der Blickrichtung zu Sachverhalten mit psychischem Aspekt. Das Haus, das in sich zusammenstürzt, der Apfel, der vom Baum fällt – diese Sachverhalte sind zunächst physikalischer Art. Aber: Der Hausbesitzer, der weinend vorm zusammengestürzten Haus steht, das Kind, das den Apfel vom Baum fallen sieht – diese Sachverhalte enthalten psychisches Geschehen. Rückt dieses psychische Geschehen ins Blickfeld eines Beobachters, nimmt er eine psychologische Perspektive ein. Ihn interessiert, was die beobachteten Personen erleben und wie sie sich verhalten. Welche Sachverhalte ein Mensch aus psychologischer Perspektive betrachtet, hängt offensichtlich auch mit dem theoretischen Vorverständnis des Beobachtenden zusammen. So werden nicht alle Menschen auf die Idee kommen – wie in der Astrologie –, Sternbewegungen mit psychischem Geschehen in Verbindung zu bringen!

Verhalten aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet


Beispiel Cybermobbing: Eine Schülerin der Sekundarstufe wird wiederholt und über einen längeren Zeitraum von Mitschülern im Internet beleidigt, verleumdet und bloßgestellt.


Perspektive

Mögliche Fragen

Psychologisch:

Welche Auswirkungen hat ein solches Verhalten auf das Erleben und Verhalten der Schülerin? Wie reagieren andere Mitschüler, wenn sie davon erfahren?

Pädagogisch:

Ist ein solches Verhalten des Schülers mit den Werten und Normen der Schule...

Erscheint lt. Verlag 17.9.2018
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften
ISBN-10 3-621-28663-2 / 3621286632
ISBN-13 978-3-621-28663-3 / 9783621286633
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