Mentale Repräsentationen (eBook)

Grundlagentexte
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2018 | 1., Originalausgabe
566 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-75464-1 (ISBN)

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Mentale Repräsentationen -
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Der Begriff der mentalen Repräsentation spielt eine zentrale Rolle in Theorien über geistige Phänomene und Mechanismen der Informationsverarbeitung. Philosophen, Psychologen und Neurowissenschaftler diskutieren lebhaft darüber, wie es uns beziehungsweise unserem Gehirn gelingt, die Welt zu repräsentieren, und was mentale Repräsentationen genau sind. Der Band versammelt die zentralen Texte der Debatte - von Ned Block und Fred Dretske bis zu Jerry Fodor und Ruth Millikan - erstmals in deutscher Übersetzung. Ein Grundlagenwerk zur Philosophie des Geistes und der Kognitionswissenschaft.



<p>Tobias Schlicht ist Lichtenberg-Professor f&uuml;r Philosophie des Bewusstseins und der Kognition am Institut f&uuml;r Philosophie II der Ruhr-Universit&auml;t Bochum.</p> <p>Joulia Smortchkova ist Postdoktorandin im Forschungsprojekt &raquo;Situierte Kognition&laquo; am Institut f&uuml;r Philosophie II der Ruhr-Universit&auml;t Bochum.</p>

Tobias Schlicht ist Lichtenberg-Professor für Philosophie des Bewusstseins und der Kognition am Institut für Philosophie II der Ruhr-Universität Bochum. Joulia Smortchkova ist Postdoktorandin im Forschungsprojekt »Situierte Kognition« am Institut für Philosophie II der Ruhr-Universität Bochum.

9Tobias Schlicht und Joulia Smortchkova

Einleitung


Der amerikanische Philosoph William Ramsey beginnt sein viel diskutiertes Buch Representation reconsidered folgendermaßen: »Es ist mittlerweile wohl ein Klischee zu behaupten, dass die wichtigste explanatorische Entität in der heutigen Kognitionsforschung der Begriff der Repräsentation ist. Wie die meisten Klischees trifft es zu.« (Ramsey 2007, S. xi) Ähnlich gesteht der Psychologe George Miller, einer der Gründungsväter der Kognitionswissenschaft, dass »die ursprüngliche Vision einer Einheitswissenschaft, die die repräsentationalen und komputationalen Fähigkeiten des menschlichen Geistes und ihre strukturelle und funktionale Realisierung im menschlichen Gehirn aufdeckt, immer noch eine Anziehungskraft besitzt, der ich nicht widerstehen kann« (Miller 2003, S. 144). Und schon 1975 war der kürzlich verstorbene Jerry Fodor der Ansicht, die von ihm maßgeblich entwickelte Komputational-Repräsentationale Theorie des Geistes (KRTG) sei die einzige ernstzunehmende Theorie mentaler Vorgänge (Fodor 1975).

Der Begriff der mentalen Repräsentation bildet seit der »kognitiven Revolution« der 1950er Jahre das Herzstück der Kognitionswissenschaft und die Grundlage von Forschungsprojekten in den Neurowissenschaften, der Psychologie, der Linguistik und den Forschungen zur Künstlichen Intelligenz, in der kognitiven Anthropologie und Ethologie wie auch in der Philosophie des Geistes. In all diesen Fächern werden mentale Repräsentationen zur Erklärung geistiger Fähigkeiten wie Sprache und Wahrnehmung, Erinnern oder vernünftiges Schließen und Handeln herangezogen, ja, für viele Philosophen läuft ein Verständnis des Begriffs der mentalen Repräsentation sogar darauf hinaus, das Wesen des Denkens selbst zu begreifen.

101. Mentale Repräsentationen in der Kognitionswissenschaft


Eine mentale Repräsentation ist eine geistige Entität mit semantischen Eigenschaften. Diese Eigenschaften beinhalten das wesentliche Merkmal, »für etwas anderes zu stehen« oder »einen Inhalt zu haben«. Die Repräsentation bezieht sich auf, bezeichnet oder handelt von etwas, das (in der Regel) außerhalb der Repräsentation selbst liegt. Der Inhalt einer mentalen Repräsentation legt die Bedingungen fest, unter denen die Referenz erfolgreich ist oder scheitert (der Inhalt kann wahr oder falsch sein, erfüllt oder unerfüllt). Beispiele für solche Repräsentationen sind Gedanken, Vorstellungen, Erinnerungen und Wahrnehmungen. Mentale Repräsentationen werden vornehmlich eingeführt zur Erklärung des flexiblen intelligenten Verhaltens von Lebewesen (siehe dazu den Text von Zenon Pylyshyn in diesem Band). Intelligentes Verhalten setzt demnach die Fähigkeit voraus, die Welt als in bestimmter Weise seiend zu repräsentieren – und je genauer die Repräsentation, desto erfolgreicher das Verhalten (Varela 1988). Damit setzt sich die Kognitionswissenschaft in ihrer Gründungsphase in den späten 1950er Jahren von dem bis dahin vorherrschenden behavioristischen Paradigma ab, das ein simples Reiz-Reaktions-Schema zugrunde legte. Typisch für die Kognitionswissenschaft sind drei Beschreibungsebenen des Verhaltens (Marr 1982, Dennett 1987): Grundlegend ist erstens die physikalische Beschreibungsebene, die allein auf die Zusammensetzung eines Systems und die physikalischen Gesetzmäßigkeiten, denen es unterliegt, Rücksicht nimmt. Um das Verhalten eines Steins zu beschreiben, müssen lediglich physikalische Parameter dieser Art bekannt sein. Zweitens gibt es die funktionale Beschreibungsebene: Das Verhalten meines Weckers lässt sich am besten dadurch beschreiben, dass man auf seinen Gestaltungszweck und seine Funktionsweise Bezug nimmt. Das Material, aus dem er besteht, ist dabei zweitrangig. Drittens gibt es schließlich die repräsentationale Ebene, die insbesondere Pylyshyn im vorliegenden Beitrag von der funktionalen Ebene unterscheidet. Sie trägt deshalb entscheidend zur Erklärung des Verhaltens eines komplexen Systems (wie zum Beispiel eines Menschen) bei, weil mentale Repräsentationen als physikalisch realisierte Kodes in kausale Relationen eintreten können. Wegen der zentralen Rolle dieser Entitä11ten wurde die Kognitionswissenschaft in der Folge vornehmlich zur Wissenschaft interner Repräsentationen, wie schon ein erster Blick auf die beteiligten Felder zeigt.

Linguistik

Noam Chomskys (1959) ausführliche Rezension von B. F. Skinners Buch Verbal behavior gilt als eines der Gründungsdokumente der Kognitionswissenschaft, da sie zahlreiche Probleme für Skinners behavioristische Theorie des Spracherwerbs anführte. In der Folge revolutionierte Chomsky die Linguistik; mentale Repräsentationen spielten fortan eine unersetzliche Rolle. Er schlug vor, dass alle Menschen mit einem angeborenen Wissen über sprachliche Prinzipien ausgestattet sind, der sogenannten Universalgrammatik, die allen natürlichen Sprachen zugrunde liegt. Beim Erwerb einer konkreten Sprache justieren die Sprecher lediglich die Parameter ihrer einzelsprachlichen Grammatik auf der Basis des Inputs der Sprachgemeinschaft. Auch wenn zum Beispiel die Stellung des grammatischen Subjekts in Sätzen verschiedener Sprachen differiert, so haben doch alle Sprachen ein solches Subjekt. Die Linguistik wird daher von den meisten Forschern als Untersuchung einer bestimmten Form mentaler Repräsentation verstanden, die unserem Sprachvermögen zugrunde liegt. Chomskys unbewusste mentale repräsentationale Struktur dient Jerry Fodor (1975) später als Vorbild für seine Theorie einer Sprache des Denkens, für die er auch in seinem Beitrag zu diesem Band argumentiert. Auch Ned Blocks Beitrag diskutiert diese Theorie und verteidigt sie gegen John Searles klassisches Argument des Chinesischen Zimmers.

Kognitionspsychologie und Alltagspsychologie

Mentale Repräsentationen, verstanden als theoretische Konstrukte sowohl in den empirischen Wissenschaften als auch in der Philosophie, haben ihre Wurzeln in unserem naiven, vortheoretischen Verständnis des Geistigen. Philosophen haben unsere Fähigkeit, auf überraschend erfolgreiche Weise das alltägliche Verhalten Anderer durch die Zuschreibung von gehaltvollen Überzeugungen und Wünschen effizient zu erklären, auch »Alltagspsychologie« genannt (Sellars 1957, Churchland 1981). Wenn eine Person zum Kühlschrank geht, um sich ein Stück Kuchen herauszunehmen, dann machen wir uns ihr Verhalten dadurch verständlich, 12dass wir auf ihren Wunsch nach Kuchen und ihre Überzeugung, dass sich im Kühlschrank Kuchen befindet, Bezug nehmen. Die Alltagspsychologie mag manchen trivial erscheinen; die Fähigkeit jedoch, Andere als Wesen zu begreifen, deren Handlungen durch ihre Überzeugungen, Wünsche und Absichten geleitetet sind, gehört zu den grundlegendsten menschlichen Fähigkeiten und liegt allen anspruchsvollen sozialen Interaktionen zugrunde, zu denen Menschen fähig sind (Schlicht 2018). Ob unsere alltagspsychologischen Begriffe von Überzeugungen, Erinnerungen, Vorstellungen usw. einen legitimen Platz in der Kognitionswissenschaft haben, ist durchaus umstritten. Repräsentationale Strukturen sind allerdings zentral für die Erklärung kognitiver Leistungen, auch wenn sich Vertreter einer Repräsentationalen Theorie des Geistes über die Natur und das Format socher Repräsentationen uneinig sind.

Entwicklungspsychologie

Mentale Repräsentationen sind folglich auch bedeutsam in der Entwicklungspsychologie, die sich auf die Erklärung der Genese kognitiver Fähigkeiten konzentriert (Barresi und Moore 1996). Zunächst treten Kinder in dyadische Beziehungen entweder zu Objekten oder zu anderen Personen, sie spielen zum Beispiel mit Bauklötzen oder interagieren mit ihren Eltern. Erst gegen Ende des ersten Lebensjahres sind Kinder dazu in der Lage, in...

Erscheint lt. Verlag 9.7.2018
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie der Neuzeit
Schlagworte Dretske • fodor • Informationsverarbeitung • millikan • Philosophie de Geistes • STW 2226 • STW2226 • suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2226
ISBN-10 3-518-75464-5 / 3518754645
ISBN-13 978-3-518-75464-1 / 9783518754641
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