Das Gute im Sozialen

Eine perfektionistische Grundlegung des Sozialstaats

(Autor)

Buch | Softcover
463 Seiten
2019
Campus (Verlag)
978-3-593-50976-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Gute im Sozialen - Oliver Krüger
52,00 inkl. MwSt
Der Sozialstaat ist eine der am stärksten umkämpften Institutionen unserer Zeit. Umso dringlicher erscheint deshalb die Frage nach seinen normativen Grundlagen. Oliver Krüger entwickelt in diesem Buch eine Theorie des Sozialstaats, die sich dem politischen Perfektionismus verschreibt. Ohne einen Bezug zum guten Leben lässt sich der Sozialstaat nicht überzeugend begründen. Das zeigt er unter anderem am Beispiel aktueller sozialstaatlicher Diskurse zu Arbeit, Behinderung und Bildung. So wird eine Grundlegung des Sozialstaats konzipiert, die sich von abstrakten Gerechtigkeitstheorien abgrenzt und die Praxis im Blick hat.
Der Sozialstaat ist eine der am stärksten umkämpften Institutionen unserer Zeit. Umso dringlicher erscheint deshalb die Frage nach seinen normativen Grundlagen. Oliver Krüger entwickelt in diesem Buch eine Theorie des Sozialstaats, die sich dem politischen Perfektionismus verschreibt. Ohne einen Bezug zum guten Leben lässt sich der Sozialstaat nicht überzeugend begründen. Das zeigt er unter anderem am Beispiel aktueller sozialstaatlicher Diskurse zu Arbeit, Behinderung und Bildung. So wird eine Grundlegung des Sozialstaats konzipiert, die sich von abstrakten Gerechtigkeitstheorien abgrenzt und die Praxis im Blick hat.

Oliver Krüger ist Philosoph und arbeitet als wiss. Mitarbeiter für Ethik und Sozialwissenschaften an der Medical School Hamburg.

Inhalt
Vorwort von Axel Honneth 9
Einleitung 15
I. Die normativen Grundlagen des Sozialstaats 21
1. Der Sozialstaat als soziales Institutionengefüge 23
Die historische Genese 25
Ziele des Sozialstaats 33
Sozialstaatliche Grundmodelle 53
2. Die Diagnose einer Krise des Sozialstaats 61
Die Krisenrhetorik und ihre Kritik 63
Der widersprüchliche Handlungsrahmen des Sozialstaats 72
Selbstinduzierte Krisen 76
3. Die Normativität sozialer Probleme 82
Über Armut 84
Entwürdigung 90
Exklusion 103
4. Begründungen des Sozialstaats 109
Assoziative Pflichten 112
Soziale Rechte 121
Bedürftigkeit 127
II. Die Flucht in die abstrakte Theorie 136
1. Die Gerechtigkeitstheorie von John Rawls 137
Die theoretischen Grundlagen 140
Sozialpolitische Implikationen 151
Eine Theorie des Sozialstaats? 161
2. Das Gebot der staatlichen Neutralität 176
Spielarten der staatlichen Neutralität 178
Doppelte Zurückhaltung 192
Der Vorrang des Rechten 202
III. Der politische Perfektionismus 216
1. Der Begriff des Perfektionismus 218
Der Perfektionismus als ethischer Ordnungsbegriff 220
Die Kritik an der staatlichen Neutralität 234
Die Gefahr des Perfektionismus 247
2. Der liberale Perfektionismus – ein Oxymoron? 264
Liberalismus und Perfektionismus 266
Lob der Autonomie 283
Das perfektionistische Selbst 298
3. Grenzen und Möglichkeiten des liberalen Perfektionismus 316
Praktische Inkompetenzen 318
Das kritische Potenzial 328
Praktischer Perfektionismus 341
IV. Der Perfektionismus in sozialstaatlichen Kontexten 358
1. Die Organisation der Arbeit 360
Das Gute in der Arbeit 362
Workfare 369
Forderungen an Arbeitsverhältnisse 375
2. Der sozialstaatliche Umgang mit Behinderungen 382
Behinderung und Wohlergehen 383
Chancengleichheit? 389
Selbstbestimmung und Sorge 395
3. Erziehung und Bildung 403
Staatliche Erziehung ohne Perfektionismus? 404
Bildung und Autonomie 411
Der demokratische Bürger 416
Fazit: Der Perfektionismus des Sozialstaats 423
Literatur 429
Danksagung 462

Vorwort Dass der Sozialstaat bislang moralphilosophisch auf schwachen Füßen steht, zeigt sich spätestens immer dann, wenn seine Kritiker die Stimme erheben, um ihm die Verletzung elementarer Freiheiten oder angeblich wohlverdienter Privilegien vorzuwerfen; regelmäßig stoßen in solchen Augenblicken die kritischen Einwände schnell auf neugieriges Interesse oder sogar Zustimmung, weil, so hat man den Eindruck, jedes durchsichtige, allgemein nachvollziehbare Argument für sozialstaatliche Maßnahmen zu fehlen scheint – man denke nur zurück an die geistige Verwirrung, die vor einigen Jahren der Angriff Peter Sloterdijks auf eine Steuerpolitik zugunsten der Schlechtergestellten in den bundesrepublikanischen Feuilletons ausgelöst hat (Sloterdijk 2009). Gewiss, es gibt da und dort ernstzunehmende Versuche, den Sozialstaat politisch-philosophisch zu begründen, indem etwa auf die Verpflichtung demokratischer Staaten zum Schutz des Wohlergehens oder der Partizipationschancen aller seiner Bürger und Bürgerinnen verwiesen wird; im bundesrepublikanischen Kontext hat einen solchen Vorschlag vor zwanzig Jahren Frank Nullmeier mit der interessanten These unterbreitet, dass nur mit Hilfe sozialstaatlicher Maßnahmen allen Gesellschaftsmitgliedern gegenüber jenes Mindestmaß an sozialer Wertschätzung öffentlich zum Ausdruck gebracht werden kann, welches auf Dauer das Aufkommen giftiger, gesellschaftszersetzender Konflikte um Rang und Status zu verhindern vermag (Nullmeier 2000). Aber im Großen und Ganzen sind Begründungen dieser Art gering an der Zahl und arm an gedanklicher Substanz; die herrschende Doktrin des Liberalismus scheint sich schwer damit zu tun, aus sich heraus Argumente dafür zu entwickeln, warum wir uns als demokratische Bürger und Bürgerinnen zur beherzten Unterstützung sozialstaatlicher Umverteilungen und Sicherungen verpflichtet fühlen sollten. Diesem theoretischen Defizit abzuhelfen, ist das erklärte Ziel des Buches, das es hier kurz vorzustellen gilt. Sein Autor, Oliver Krüger, hat sich nicht nur vorgenommen, die Gründe zu erkunden, die der unzulänglichen Beschäftigung des politischen Liberalismus mit dem Sozialstaat zugrunde liegen könnten; er will darüber hinaus auch eine moraltheoretische Perspektive umreißen, die es erlauben soll, die vielfältigen Leistungen von sozialstaatlichen Einrichtungen besser, überzeugender und konsistenter zu begründen. Beide Aufgaben werden in der Studie in einer Weise angegangen, die durchaus als mustergültig angesehen werden kann: Kritische Erörterungen der wichtigsten Literatur zum Thema wechseln sich mit anschaulichen Darstellungen der zentralen Herausforderungen der Sozialpolitik ab, häufig noch verlebendigt durch Beispiele aus Romanen oder Filmen, so dass insgesamt ein gut lesbarer, systematisch aufgebauter Text entstanden ist, der zugleich historische Rückschau, soziologische Aufklärung und philosophische Begründungsarbeit liefert. Den Auftakt der Studie, die auf eine Dissertation am Fachbereich Philosophie der Universität Hamburg zurückgeht, bildet mit guten Gründen der Versuch, zunächst erst einmal zu bestimmen, warum der moderne Rechtsstaat überhaupt Aufgaben zu lösen haben soll, die sich als »sozial« verstehen lassen. Die Antwort, die Oliver Krüger auf diese Ausgangsfrage gibt, lässt sich wohl am besten als »rekonstruktiv« bezeichnen, werden doch in Form eines Nachvollzugs der mutmaßlichen Gerechtigkeitsvorstellungen der in einem Sozialstaat lebenden Bürger die Argumente freigelegt, die aus deren Sicht staatliche Hilfeleistungen für durch bestimmte Risiken betroffene Personengruppen begründen können: Das »sozialstaatliche Institutionengefüge«, welches sich in den letzten beinah einhundertfünfzig Jahren in vielen Staaten Europas in verschiedenen Gestalten und mit jeweils unterschiedlichen Begründungen herausgebildet hat, erfüllt die intuitiv vollkommen einleuchtende Funktion, denen zu helfen, die unverschuldet von Armutslagen bedroht sind, die sie entweder der Entwürdigung ausliefern oder aus dem gesellschaftlichen Leben ausschließen würden. Insofern ruht der gegebene Sozialstaat, soweit es ihn heute in althergebrachter Form überhaupt noch gibt, auf einem Sockel von alltäglichen Überzeugungen, moralischen Begründungsfiguren und entsprechenden Institutionen, denen es gemeinsam ist, mit geeigneten Mitteln soziale Gerechtigkeit walten zu lassen. Allerdings mangelt es diesen normativen Gegebenheiten derart deutlich an Stringenz, Systematik und Kraft, dass sie jederzeit wieder entweder in Gänze oder in Teilen in Zweifel gezogen werden können; und so stellt sich für Oliver Krüger daher mit Fug und Recht die Frage, ob sich nicht das, was wir an sozialstaatlichen Praktiken bereits besitzen, mit Hilfe eines einzigen Prinzips oder einer konsistenten Theorie so rechtfertigen ließe, dass sich zukünftig Dispute über Sinn und Wert des Sozialstaats weitgehend erübrigen würden. Der Versuch, eine solche stimmige, normativ überzeugende Konzeption des Sozialstaats zu entwickeln, bildet den Kern dessen, was sich Oliver Krüger mit seiner Studie vorgenommen hat; ihm geht es darum, die bereits bestehenden Praktiken und Überzeugungen in einer moralphilosophischen Form zu rekonstruieren, die ihnen auf Dauer allgemeine Zustimmungsfähigkeit verleihen kann. Um dies leisten zu können, bedarf es nach seiner Auffassung allerdings zunächst des Nachweises, dass die heute vorherrschende Doktrin des politischen Liberalismus zu einer derartigen Theorie nicht in der Lage ist; wäre es anders, böte also die normative Gerechtigkeitstheorie der Gegenwart bereits die angemessenen Mittel für eine moralphilosophische Fundierung des Sozialstaats, würde sich die Suche nach neuen Wegen der Vereinheitlichung unserer schon disparat existierenden Praktiken ja erübrigen. Es sind zwei Elemente am zeitgenössischen, im wesentlichen durch die Theorie von John Rawls bestimmten Liberalismus, die Oliver Krüger als Grund für dessen Unvermögen ausmacht, zu mehr als nur diffusen, unzusammenhängenden Bestimmungen der Aufgaben des Sozialstaats zu gelangen: Da ist zum einen die Tendenz, es bei bloß prozeduralen Bestimmungen von Gerechtigkeitsgrundsätzen zu belassen, so dass die Ebene konkreter Maßnahmen sozialpolitischen Handeln selbst dann nicht erreicht werden kann, wenn »abstrakt« jedem Gesellschaftsmitglied ein Anrecht auf ein »soziales Minimum« an sogenannten »Grundgütern« eingeräumt wird; und da ist zum anderen das selbstauferlegte Neutralitätsgebot, das besagt, sich angesichts des bestehenden Wertpluralismus gegenüber spezifischen Auffassungen des »Guten« neutral zu verhalten, so dass Aussagen über das ethische Ziel staatlichen Handelns nicht gefällt werden dürfen. Beide Bestandteile des politischen Liberalismus der Gegenwart zusammengenommen, die »Flucht in die abstrakte Theorie« und das »Gebot staatlicher Neutralität«, verhindern aus der Sicht von Oliver Krüger, dass sich auf dessen Boden eine überzeugende, in sich kohärente Konzeption des Sozialstaats entfalten lässt. Ist dieser Weg aber versperrt, wenn es um die Möglichkeit einer solchen einheitlichen Theorie geht, so bietet es sich an, die Lösung in der genau entgegengesetzten Richtung zu suchen; und daher prüft Oliver Krüger im nächsten Schritt seiner Studie, ob sich der dem Neutralismus kontrastierende, letztlich auf Aristoteles zurückgehende »Perfektionismus« eher dazu eignet, unseren sozialstaatlichen Praktiken einen moralisch konsistenten, öffentlich rechtfertigbaren Ausdruck zu verleihen. Ein wenig erstaunlich an dieser Zuflucht zum Gegenpol des liberalen Neutralismus bleibt freilich, dass Zwischenpositionen wie die der Habermasschen Diskurstheorie des Rechts erst gar nicht daraufhin befragt werden, ob sie sich nicht ebenso gut für eine wirklichkeitsnähere, empirisch gehaltvolle Rechtfertigung sozialstaatlicher Maßnahmen eignen würden (Habermas 1992). War es dem Autor schon ein wichtiges Anliegen, dem politischen Liberalismus eine möglichst umfassende, seinen Stärken und Schwächen gerecht werdende Darstellung zu widmen, so gilt das in noch stärkerem Maße für den »politischen Perfektionismus«, fristet dieser doch im politisch-philosophischen Diskurs der Gegenwart eher ein Schattendasein – jedem, der sich mit der entsprechenden Strömung vertraut machen möchte, ist daher mit der Lektüre des ihr zugedachten Kapitels im vorliegenden Buch bestens geholfen. Im Unterschied zur herrschenden Doktrin des Liberalismus geht der politische Perfektionismus davon aus, dass sich begründete Aussagen über staatliche Aufgaben nicht ohne Rekurs auf die wertvollen, verbesserungsfähigen Anlagen des Menschen fällen lassen; für alle Vertreter dieser Auffassung gilt demnach, wie Oliver Krüger sehr schön darlegt, dass dem staatlichen Handeln immer auch die Pflicht oder Bestimmung zukommt, dasjenige an den Gesellschaftsmitgliedern zu fördern und zu kultivieren, was sich an ihnen als »objektiv« oder »intersubjektiv« gut begreifen lässt. Natürlich lädt eine solche ethische Theorie schnell zum Missbrauch ein, weil mit ihrer Hilfe unter Verweis auf angeblich wertvolle Eigenschaften des Menschen unschwer staatliche Maßnahmen begründet werden können, die deutlich illiberale oder stark paternalistische Züge tragen; um dieser Gefahr von vornherein entschieden zu begegnen, schränkt Oliver Krüger das Spektrum des für seine Absichten tauglichen Perfektionismus sogleich auf nur solche Positionen ein, die die Autonomie oder die Selbstverwirklichung als den förderungswürdigen Wert aller Bürger und Bürgerinnen begreifen – damit, so ist er zu Recht überzeugt, bleibt ausgeschlossen, dass ein derartiger Perfektionismus je zu Zwecken verwendet werden könnte, die dem liberalen Grundsatz der gleichen Freiheit aller Gesellschaftsmitglieder widersprechen. Was es nun aber heißen könnte, den Wert der individuellen Autonomie zum förderungswürdigen Ziel aller sozialpolitischen Aufgaben des Staates zu erklären, kreist Oliver Krüger im nächsten Schritt seiner Studie weiter ein, indem er sich die Lehre des britischen Idealisten Thomas H. Green zur Richtschnur nimmt; und ohne es ausdrücklich hervorzuheben, wird damit in diesem Buch ein Denker für die politische Philosophie erneut fruchtbar gemacht, der trotz all seiner großen Verdienste für die Entstehung des britischen Wohlfahrtstaates zumindest im deutschsprachigen Raum stets ein weitgehend Unbekannter geblieben ist. Green war der Überzeugung, dass es die Aufgabe des Staates sei, allen Bürgern und Bürgerinnen mit Hilfe sozialpolitischer Leistungen diejenigen Bedingungen bereitzustellen, die es ihnen erlauben würden, »den Pfad der Selbstrealisierung« zu beschreiten; die dafür geeigneten Maßnahmen erblickte er, wie Oliver Krüger ausführt, in Reformen des bestehenden Bildungssystems, der herrschenden Arbeitsbedingungen und des existierenden Systems der Gesundheitsfürsorge, die allesamt das Ziel haben sollten, Hürden der Realisierung des eigenen, besseren Selbst zu beseitigen. Ausgestattet mit dem Rüstzeug eines solchen durch Green belehrten »liberalen Perfektionismus« macht sich Oliver Krüger im letzten Schritt seiner Abhandlung dann an die Aufgabe, zumindest an exemplarischen Feldern zu umreißen, wie eine konsistente Theorie sozialstaatlichen Handelns heute beschaffen sein könnte. Das aber darf für ihn auf keinen Fall bedeuten, wie wir gleich zu Beginn gehört haben, nun einfach nur diese perfektionistische Einsichten auf die soziale Wirklichkeit anzuwenden, um derart aus ethischen Grundsätzen die angemessenen sozialpolitischen Maßnahmen gleichsam zu deduzieren; vielmehr sollen umgekehrt nach dem bereits im Titel des Buches formulierten Vorsatz, stets zunächst nach dem »Guten im Sozialen« zu fahnden, in den bestehenden Praktiken diejenigen Ansätze eines sozialstaatlichen Handelns identifiziert werden, in denen sich liberal-perfektionistische Prinzipien bereits niedergeschlagen haben, ohne freilich als solche explizit in Erscheinung getreten zu sein. Die Aufgabe, die sich Oliver Krüger im letzten Teil seines Buches stellt, besteht mithin darin, mit Hilfe des liberalen Perfektionismus ein ethisches Tun im Bereich der Sozialpolitik zu benennen, zu systematisieren und dadurch zu verbessern, welches sich in unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit in unartikulierter, impliziter Form schon angelegt findet; als »mäeutisch« oder »rekonstruktiv« könnte man ein solches Verfahren bezeichnen, da es den Versuch unternimmt, an der sozialen Realität das »Gute« zu bergen oder explizit zu machen, das sich darin immer schon ein Stück weit verwirklicht haben soll. Mit dieser gehörigen Portion von Optimismus geht Oliver Krüger dann auch ans Werk, wenn er nun in den Feldern der neueren Organisation von Arbeit, des sozialstaatlichen Umgangs mit Behinderungen und der öffentlichen Erziehungspraxis diejenigen Tendenzen freizulegen versucht, die nur darauf zu harren scheinen, in der ihnen angemessenen Sprache des liberalen Perfektionismus ausgedeutet und gerechtfertigt zu werden; und auch, wenn man hier mit den Schlussfolgerungen Krügers nicht in allen Einzelheiten übereinstimmen mag, bietet dieses Kapitel doch einen fulminanten Überblick über solche Entwicklungen des gegenwärtigen Sozialstaats, die sich, recht betrachtet, der Absicht einer Förderung von Bedingungen der individuellen Selbstrealisierung verdanken. So begründet dann am Ende das, was in der sozialen Wirklichkeit bereits zur Geltung gekommen ist, die Theorie und nicht umgekehrt die Theorie das, was in jener zu gelten hätte: Weil sich unsere sozialstaatlichen Praktiken nur angemessen verstehen und begründen lassen, wenn wir das in ihnen bereits wirksame Element eines liberalen Perfektionismus zu erkennen vermögen, soll dessen philosophische Theorie das richtige Mittel sein, um dem Sozialstaat im Ganzen zu seinem adäquaten Selbstverständnis zu verhelfen. Haben wir ein solches Selbstverständnis aber erst einmal gewonnen und wissen also, wie wir unsere disparaten Praktiken konsistent zu deuten hätten, so dürfte der Sozialstaat nicht mehr so einfach wie in der Vergangenheit zu kritisieren sein; dann nämlich könnte dem Kritiker entgegengehalten werden, dass er schlicht eine politische Wirklichkeit ignoriert, die wir inzwischen mit Gründen und aus wohlerwogener Einsicht für richtig befunden haben. Das nicht geringste Verdienst dieses kühnen und originellen Buches besteht mithin darin, uns einen philosophisch höchst bedenkenswerten Vorschlag unterbreitet zu haben, wie wir in Zukunft unseren Sozialstaat gegenüber seinen Verächtern wirkungsvoller verteidigen können.

Erscheinungsdatum
Verlagsort Frankfurt
Sprache deutsch
Maße 140 x 213 mm
Gewicht 574 g
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Politische Theorie
Schlagworte Arbeit • Bildung • Neutralität • Perfektionismus • Philosophie • Politische Theorie • Sozialstaat • Wohlfahrtsstaat
ISBN-10 3-593-50976-8 / 3593509768
ISBN-13 978-3-593-50976-1 / 9783593509761
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