Politisierung oder Verrechtlichung?

Der Streit um die Verfassungsgerichtsbarkeit in Deutschland (1921-1958)
Buch | Softcover
267 Seiten
2016
Campus (Verlag)
978-3-593-50618-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Politisierung oder Verrechtlichung? - Hauke-Hendrik Kutscher
42,00 inkl. MwSt
Befördern Verfassungsgerichte eine Verrechtlichung der Politik? Oder leisten sie einer Politisierung des Rechts Vorschub? Solche Kontroversen begleiteten auch das Bundesverfassungsgericht, seitdem es 1951 seine Tätigkeit aufgenommen hatte. Das Buch zeigt, wie das Gericht seinen Anspruch auf Deutungshoheit über das Grundgesetz in der Auseinandersetzung mit konkurrierenden Akteuren betonte.
Befördern Verfassungsgerichte eine Verrechtlichung der Politik? Oder leisten sie einer Politisierung des Rechts Vorschub? Solche Kontroversen begleiteten auch das Bundesverfassungsgericht, seitdem es 1951 seine Tätigkeit aufgenommen hatte. Das Buch zeigt, wie das Gericht seinen Anspruch auf Deutungshoheit über das Grundgesetz in der Auseinandersetzung mit konkurrierenden Akteuren betonte.

Hauke-Hendrik Kutscher, Dr. phil., war wiss. Mitarbeiter an der Universität Bielefeld.

Inhalt

I. Einleitung9
1. Gegenstand und Fragestellung9
2. Methodisches Vorgehen18
3. Forschungsstand, Literatur und Quellen23

II. Begriff und historische Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit33

III. Das Politische als Problem: Die Debatte in der Weimarer Republik40
1. Die Debatte um das richterliche Prüfungsrecht auf dem Deutschen Juristentag 1921-192644
2. Die Debatte in der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer60
2.1 Die Staatsrechtslehrertagungen von 1922, 1925 und 192660
2.2 Die Auseinandersetzung zwischen Triepel und Kelsen über "Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit" 192870
3. Zwischenfazit85

IV. Das Politische als Aufgabe: Die Verfassungsgerichtsbarkeit bei der Entstehung des Grundgesetzes91
1. Die Vorarbeiten zum Grundgesetz auf dem Verfassungskonvent von Herrenchiemsee94
2. Die Entstehung des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat97
3. Funktion und Status des Bundesverfassungsgerichts100
4. Selbständige Verfassungsgerichtsbarkeit oder Verfassungsgerichtsbarkeit als Teil des Obersten Bundesgerichts?103
5. Wahl und Qualifikation der Verfassungsrichter109
6. Die Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts116
6.1 Der Organstreit116
6.2 Föderative Streitigkeiten121
6.3 Die Normenkontrolle122
6.4 Die Verfassungsbeschwerde125
6.5 Weitere Kompetenzen132
7. Zwischenfazit133

V. Politik oder Recht: Die Entstehung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes137
1. Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts als 'Verfassungsorgan'140
2. Die Zusammensetzung des Spruchkörpers143
3. Die vorgeschlagene Einführung eines Bundesanwalts147
4. Die Wahl des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts148
5. Die Einführung der Verfassungsbeschwerde150
6. Zwischenfazit156

VI. Das Politische als Grenze: Reaktionen der Staatsrechtslehre auf Grundgesetz und Verfassungsgerichtsbarkeit159
1. Das Grundgesetz und das Politische: Fesseln oder Grenzen?161
2. Die "Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit": Die 'Natur der Politik' und das 'Wesen der Justiz'167
3. Zwischenfazit180

VII. Politik und Recht: Wer ist Hüter der Verfassung?184
1. Richterwahl und Eröffnung des Bundesverfassungsgerichts185
2. Der Streit um den Status des Bundesverfassungsgerichts im Verfassungsgefüge des Grundgesetzes194
3. Der Streit um die Wiederbewaffnung203
4. Das Beamtenurteil (1953)212
5. Rechtsprechung als Medium der Verrechtlichung des Politischen: Die Konstituierung der 'objektiven Wertordnung' des Grundgesetzes222
5.1 Die wehrhafte Demokratie: Die Parteiverbote von SRP (1952) und KPD (1956)223
5.2Das Elfes-Urteil (1957)226
5.3 Das Lüth-Urteil (1958)229
6. Zwischenfazit234

VIII. Fazit237

IX. Quellen und Literatur246
1. Abkürzungen246
2. Rechtsprechung247
3. Archivalien248
4. Gedruckte Quellen und Literatur248

Dank267

"Insgesamt handelt es sich bei dem Buch um eine methodisch klare und argumentativ überzeugende Analyse des Streits um die Verfassungsgerichtsbarkeit in Deutschland zwischen Weimar und Bonn. [...] Zu einer dringend notwendigen historisierenden Betrachtung der Verfassungsgerichtsbarkeit und ihrer Rechtsprechung liefert diese Studie zweifellos einen wichtigen Beitrag." Christian Wöhst, H-Soz-Kult, 01.06.2017

»Insgesamt handelt es sich bei dem Buch um eine methodisch klare und argumentativ überzeugende Analyse des Streits um die Verfassungsgerichtsbarkeit in Deutschland zwischen Weimar und Bonn. […] Zu einer dringend notwendigen historisierenden Betrachtung der Verfassungsgerichtsbarkeit und ihrer Rechtsprechung liefert diese Studie zweifellos einen wichtigen Beitrag.« Christian Wöhst, H-Soz-Kult, 01.06.2017

I. Einleitung

1. Gegenstand und Fragestellung

Im modernen Verfassungsstaat steht das Recht in einem besonderen Verhältnis zur Politik. Einerseits sind Rechtsnormen Produkte des politischen Prozesses. Es sind politische Akteure und politische Verfahrensweisen, die über den Inhalt des Rechts entscheiden. Politik kann sich des Rechts als Instrument bedienen, um ihre Zwecke zu verfolgen. Andererseits wird die Politik ihrerseits durch das Recht bestimmt. Einmal gesetzte Rechtsnormen verlangen Beachtung auch von politischen Akteuren, sie wirken also auf diese zurück. Recht kann sich schließlich auch unmittelbar an die Politik richten. In diesem Fall tritt es in Form von Normen auf, die den politischen Prozess selbst formal und inhaltlich zu regeln beanspruchen. Eine Form, die solche Rechtsnormen bevorzugt angenommen haben, ist die moderne (schriftlich fixierte) Verfassung.
In modernen, demokratischen Staaten hat sich dabei ein Verständnis entwickelt, nach dem Verfassungen die grundlegenden und wichtigsten Rechtsnormen für die Konstituierung des Staates beinhalten. Verfassungen heben sich von allen weiteren Rechtsnormen ab und stehen zumindest im Bereich des positiven, gesetzten Rechts an der Spitze einer Normenhierarchie. Das bedeutet, dass unterverfassungsrechtliche Normen, wie einfache Gesetze oder Rechtsverordnungen, nicht im Widerspruch zum Verfassungsrecht stehen dürfen. Insofern kommt dem Verfassungsrecht eine größere Bedeutung und höhere Verbindlichkeit zu als dem sonstigen positiven Recht. Die herausgehobene Stellung des Verfassungsrechts zeigt sich aber noch in einem weiteren Sinne. Auch das Verfassungsrecht verdankt sich politischer Setzung und ist durch politische Entscheidung grundsätzlich wieder änderbar. Im Falle einer Verfassungsänderung gelten dabei jedoch üblicherweise erhöhte Anforderungen an die politischen Akteure. Beispielsweise müssen in den zur Entscheidung berufenen parlamentarischen Körperschaften in der Abstimmung über eine Verfassungsänderung größere Mehrheiten erreicht werden als im Falle der Änderung einfachen Gesetzesrechts. Damit ist das Verfassungsrecht dem politischen Prozess in geringerem Maße verfügbar als unterverfassungsrechtliche Normen.
So werden gerade die formalen und inhaltlichen Vorgaben des Verfassungsrechts an die Politik auf größere Dauer gestellt und gegenüber wechselnden Konjunkturen des politischen Prozesses stabilisiert. Betrachtet man das Politische nicht als einen mehr oder weniger klar umrissenen und wesenhaft-natürlich bestimmten Zusammenhang von Fragen, Akteuren oder Verfahrensweisen, sondern versteht Politisches als einen historisch wandelbaren Kommunikationsraum, dessen Grenzen, Zugangsberechtigungen und internen Regeln stets neu ausgehandelt werden, so lässt sich für das Recht insgesamt und für das Verfassungsrecht im Besonderen eine spezifische Funktion annehmen. Als These lässt sich formulieren, dass das (Verfassungs-)Recht entpolitisierend wirkt. Denn dadurch, dass politische Programme in rechtliche Normen überführt werden, wird die politische Kommunikation zwar nicht notwendig beendet, aber doch in charakteristischer Weise begrenzt. Solange die entsprechenden Rechtsnormen gelten, ist der Verbindlichkeitsanspruch, den politische Kommunikation erreichen kann, dem Anspruch der Rechtsnormen unterlegen.
Der entpolitisierende Charakter des (Verfassungs-)Rechts äußert sich darin, dass bestimmte fundamentale Grundsätze des politischen Gemeinwesens tendenziell außer Streit gestellt werden. Zwar kann im Prinzip jede Sachfrage jederzeit zum Gegenstand politischer Aushandlung und politischen Streits werden, auch dann, wenn sie bereits in der Verfassung entschieden worden ist. Aber die politische Kommunikation muss sich dann dem grundsätzlich überlegenen Verbindlichkeitsanspruch der Verfassung beugen oder sie muss den Weg der Verfassungsänderung beschreiten, um eine neue Verbindlichkeit zu setzen. Umgekehrt ist plausibel, dass die angenommene entpol

Erscheinungsdatum
Reihe/Serie Historische Politikforschung ; 24
Verlagsort Frankfurt
Sprache deutsch
Maße 140 x 213 mm
Gewicht 338 g
Themenwelt Geisteswissenschaften Geschichte Allgemeines / Lexika
Geisteswissenschaften Geschichte Allgemeine Geschichte
Schlagworte 20. Jahrhundert • Bundesrepublik Deutschland • Bundesverfassungsgericht • Deutschland, Geschichte; Recht • Karlsruhe • Leipzig • Politikgeschichte • Rechtsgeschichte • Verfassungsgerichtsbarkeit • Verfassungsgeschichte • Weimar • Weimarer Republik
ISBN-10 3-593-50618-1 / 3593506181
ISBN-13 978-3-593-50618-0 / 9783593506180
Zustand Neuware
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