Orte der Moderne
Campus (Verlag)
978-3-593-50585-5 (ISBN)
Was haben Kino, Kraftraum und Flugzeug, Bunker, Zeitungsredaktion und Appartement gemeinsam? Sie alle sind Orte, in denen sich alltägliche Erfahrungen auf engstem Raum verdichten - Erfahrungen, die viele Menschen des späten 19. und des 20. Jahrhunderts teilen und die bis heute unsere Lebenswelt prägen. Technik, Mobilität und Kommunikation stehen dabei für den Fortschritt; Erfahrungen von Isolation, aber auch Autonomie und Individualisierung für dessen Folgen.
Alexa Geisthövel, Dr. phil., ist Habilitationsstipendiatin an der Fakultät für Geschichtswissenschaften der Universität Bielefeld. Habbo Knoch, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Assistent am Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte der Universität Göttingen.
Einleitung
Alexa Geisthövel/Habbo Knoch
Bewegen: Orte der Erweiterung
Der Bahnhof
Alfred Gottwaldt
Das Laboratorium
Philipp Felsch
Das Auto
Alexa Geisthövel
Das Flugzeug
Detlef Siegfried
Das Raumschiff
Rebekka Ladewig
Vernetzen: Orte der Steuerung
Die Zeitungsredaktion
Frank Bösch
Die Telefonzentrale
Andreas Killen
Das Arbeitsamt
Britt Schlehahn
Die Parteizentrale
Till Kössler
Der Agrarbetrieb
Uwe Spiekermann
Sich nahe kommen: Orte des Abstands
Der Strand
Alexa Geisthövel
Das Grandhotel
Habbo Knoch
Das Tanzlokal
Alexa Geisthövel
Das Stadion
Per Leo
Gestalten: Orte der Rationalisierung
Das Stahlwerk
Habbo Knoch
Das Hochhaus
Jörn Weinhold
Die Stadtrandsiedlung
Jörn Weinhold
Der Staudamm
Dirk van Laak
Vereinnahmen: Orte des Ausstellens
Das Warenhaus
Uwe Spiekermann
Das Völkerkundemuseum
Anja Laukötter
Das Kino
Daniel Morat
Der Kraftraum
Maren Möhring
Das Stripteaselokal
Pascal Eitler
Verdichten: Orte der Zerstörung
Das U-Boot
Jan Rüger
Die Front
Habbo Knoch
Der Bunker
Marc Buggeln/Inge Marszolek
Das Konzentrationslager
Habbo Knoch
Sich zurückziehen: Orte der Befreiung
Die Kleinstadt
Bernd Hüppauf
Der Kleingarten
Uffa Jensen
Das Appartement
Moritz Föllmer
Die Wahlkabine
Thomas Mergel
Die Couch
Uffa Jensen
Erlebte Welten
Erfahrungsräume der Moderne
Alexa Geisthövel/Uffa Jensen/Habbo Knoch/Daniel Morat
Autorinnen und Autoren
Abbildungsnachweis
"Eine kurzweilige Sachbuchlektüre, welche die ganze Vielschichtigkeit unserer modernen Erfahrungswelt in Form von 32 lesenswerten Aufsätzen aufschlüsselt und so zentrale Entwicklungen der Moderne aufzeigt." Matthias Jakob Schmidt, Media-Mania.de, 09.01.2017
"Eine kurzweilige Sachbuchlektüre, welche die ganze Vielschichtigkeit unserer modernen Erfahrungswelt in Form von 32 lesenswerten Aufsätzen aufschlüsselt und so zentrale Entwicklungen der Moderne aufzeigt." Matthias Jakob Schmidt, Media-Mania.de, 09.01.2017
Einleitung
Alexa Geisthövel/Habbo Knoch
Mitten auf dem hektischen Berliner Alexanderplatz sehnt sich Franz Biberkopf ins Gefängnis zurück. Im gleichnamigen, 1929 erschienenen Roman Alfred Döblins steht er nach langer Haft ungeschützt im Strudel der modernen Stadt. "Hundert blanke Scheiben" blitzen bedrohlich, Passanten wirken wie Schaufensterpuppen und Häuserfronten bieten keine Zuflucht. Biberkopf bricht zusammen, kehrt aber wie gebannt mehrfach zurück. Er fängt an, den Platz und sein Gedränge zu beobachten: "Rumm rumm" wuchtet vor Aschinger, der Bierschwemme mit "Konzert und Großbäckerei", eine Dampframme Eisenstangen in den Boden. Rund um den Platz stehen Bauzäune, ein altes Kaufhaus wird abgerissen. "Ruller ruller fahren die Elek-trischen, [...] Abspringen ist gefährlich. Der Bahnhof ist breit freigelegt, Einbahn-straße nach der Königstraße an Wertheim vorbei."
Die Schutzpolizei "beherrscht gewaltig den Platz" und regelt den Verkehr. Auf ihr Signal hin "ergießt sich der Norden nach Süden, der Süden nach Norden". Viele "biegen auch seitlich um, von Süden nach Osten". Dabei geben sich die Fußgänger "so gleichmäßig wie die, die im Autobus, in den Elektrischen sitzen". Biberkopf kapituliert angesichts dieser Apathie: "Was in ihnen vorgeht, wer kann das ermitteln, ein ungeheures Kapitel." Er bleibt ein Fremdkörper in der Stadt. Restaurant, Tram, Bahnhof, Warenhaus, Autobus, Straßenkreuzung: Seine Sinne sind den modernen Verkehrsmitteln, Gebäuden und Bewegungen nicht gewachsen. Die Stadt im Umbruch lässt ihm dafür auch keine Zeit.
Am heutigen Alex sind Aschinger und Wertheim verschwunden, doch die Szenerie ist vertraut geblieben: Vergnügungslokale, Grandhotels und Kinos bieten immer noch ihre Dienste an, Bahnhöfe, U-Bahn-Stationen und Ampelkreuzungen sind nach wie vor Knotenpunkte der modernen Bewegungsgefährte. Wo Biberkopf Bauzäune sah, entstanden erste Hochhäuser und neue Großraumbüros, deren Etagen durch Aufzüge verbunden waren. Über den Himmel, für den Biberkopf kaum einen Blick übrig hatte, zogen schon zu seiner Zeit Flugzeuge. Bahnen und Autos verbanden damals wie heute Stadtrandsiedlungen mit dem Zentrum. Wer es sich leisten konnte, fuhr mit ihnen an den Strand.
Wer heute städtische Räume, aber auch manche Landschaft durchstreift, sieht sich von einer Fülle von Orten umgeben, die zwischen 1870 und 1930 in der Zeit der "klassischen Moderne" entstanden. Sie haben die räumlichen Erfahrungen des modernen Menschen bis in die Gegenwart geprägt. Bahnhöfe, Fabriken und Passagen machten nach 1830 den Anfang. Ihre Verbindung von technischem Fortschritt und neuen Verhaltensformen krönten pathetische Deutungen, die sie als Träger der Zukunft sahen. Große Bahnhofshallen avancierten zu repräsentativen Schauseiten der Stadt und zu Orten einer funktionalen, rationell gestalteten Bewegungsführung; Passagen boten in luxuriösem Ambiente eine Vielzahl von Waren an und brachten auf engstem Raum Konsumenten verschiedener Schichten zueinander, die neue Fertigkeiten des Beobachtens, Kommunizierens und Verhaltens erlernen mussten.
Doch Zahl und Reichweite solcher erlebter Welten nahm erst in den Jahrzehnten um 1900 erheblich zu. Im Zuge der zweiten, auf Elektrizität fußenden Industri-alisierung und der Urbanisierung, in der die Großstadt zur "Synchronisationsma-schine" (Armin Nassehi) des modernen Lebens wurde, durchdrangen diese Orte und die Prinzipien ihrer Raumorganisation mehr und mehr das öffentliche und private Leben. Sie übernahmen ausdifferenzierte Funktionen, machten Angebote für bislang unbekannte Bedürfnisse und wuchsen zu einem Ensemble städtischer und ländlicher Orte zusammen, die untereinander vielfältig vernetzt waren. Orte des Bewegens und Erkundens, des Vergnügens und Vermittelns, des Begegnens und Zerstörens begründeten eine neue räumliche Ordnung der Erfahrung.
Wie Bahnhof und Eisenbahn die Poststation und die Kutsche nach und nach abgelöst hatten, so drängten auch spätere Orte der Moderne
Erscheinungsdatum | 08.03.2016 |
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Zusatzinfo | ca. 30 s/w Abb. |
Verlagsort | Frankfurt |
Sprache | deutsch |
Maße | 154 x 228 mm |
Gewicht | 542 g |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Allgemeines / Lexika |
Geschichte ► Teilgebiete der Geschichte ► Kulturgeschichte | |
Schlagworte | 19. Jahrhundert; Geistes-/Kultur-G. • 19. Jahrhundert; Sozial-/Wirtschafts-G. • 20. Jahrhundert; Geistes-/Kultur-G. • 20. Jahrhundert; Sozial-/Wirtschafts-G. • Deutschland • Deutschland, Geschichte; Geistes-/Kultur-Geschichte • Deutschland, Geschichte; Sozial-/Wirtschafts-Geschichte • Die Moderne • Geschichte / Kultur-u. Altagsgeschichte • Kulturgeschichte • Technikgeschichte |
ISBN-10 | 3-593-50585-1 / 3593505851 |
ISBN-13 | 978-3-593-50585-5 / 9783593505855 |
Zustand | Neuware |
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