Essais (eBook)

(Mit Begleittexten vom Philosophie Magazin)
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
256 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-403691-5 (ISBN)

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Essais -  Michel de Montaigne
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Edition Philosophie Magazin: Eine exklusive Auswahl zentraler philosophischer Texte durch das »Philosophie Magazin«. Mit einer Auswahl der berühmtesten Essais: ?Von der Freundschaft? / ?Dass unsere Empfindung des Guten und Bösen großteils von der Meinung abhängt, die wir davon haben? / ?Philosophieren heißt sterben lernen? / ?Von der Einsamkeit? / ?Von der Schonung des Willens? - einer sachkundigen Einleitung von Antoine Compagnon - einer Zeitleiste zu Leben und historischem Kontext - Erläuterungen der Grundbegriffe Montaignes Montaignes ?Essais? markieren eine völlig neue Art der Philosophie: persönliche, literarische und subjektive Erkenntnisse anstatt möglichst objektive und ewige Wahrheit.

Michel de Montaigne (1533-1592) gehört zu den bedeutendsten Philosophen der französischen Renaissance und der Reformation. Das zentrale Thema seines Schaffens ist die Beobachtung und Analyse des Menschen als komplexes, widersprüchliches Wesen. Als konsequenter Skeptiker in Bezug auf weltanschauliche Fragen verurteilte er die menschliche Eitelkeit und pries die Natur als Vorbild. Mit seinem Hauptwerk ?Essais? begründete Montaigne eine bedeutende neue literarische Gattungsform.

Michel de Montaigne (1533–1592) gehört zu den bedeutendsten Philosophen der französischen Renaissance und der Reformation. Das zentrale Thema seines Schaffens ist die Beobachtung und Analyse des Menschen als komplexes, widersprüchliches Wesen. Als konsequenter Skeptiker in Bezug auf weltanschauliche Fragen verurteilte er die menschliche Eitelkeit und pries die Natur als Vorbild. Mit seinem Hauptwerk ›Essais‹ begründete Montaigne eine bedeutende neue literarische Gattungsform. Das »Philosophie Magazin« behandelt die großen und kleinen Fragen des Lebens. In einer lebendigen und ausgewogenen Mischung von Kurzmeldungen und Kolumnen bis zu langen Denkstücken, exklusiven Interviews und Reportagen wendet es sich an ein breites, philosophisch orientiertes Publikum. Es erscheint alle zwei Monate und wird von einem Team um Wolfram Eilenberger und Svenja Flaßpöhler in Berlin herausgegeben.

Dass Philosophieren sterben lernen heiße


Cicero sagt, das Philosophieren sei nichts anders, als eine Vorbereitung zum Tode.[1] Dieses kommt daher, weil das Studieren und die tiefsinnigen Betrachtungen unsere Seele einigermaßen außer uns ziehen, und derselben, ohne dass der Körper daran Teil hat, etwas zu tun verschaffen; welches gleichsam eine Anweisung zu dem Tode ist, und eine gewisse Ähnlichkeit mit demselben hat: oder vielmehr daher, weil alle Weisheit und alles Reden der Welt endlich darauf hinauslaufen, uns zu lehren, dass wir den Tod nicht fürchten sollen. In der Tat, entweder weiß die Vernunft selbst nicht was sie will: oder, sie muss bloß auf unser Vergnügen sehen, und alle ihre Bemühungen müssen überhaupt auf nichts anders abzielen, als uns ein glückseliges Leben und Ruhe zu verschaffen, wie die H. Schrift sagt.[2] Die Meinungen der Menschen stimmen darinnen überein, dass die Belustigung unser Zweck sei; ob sie gleich unterschiedene Mittel dazu zu gelangen ergreifen: sonst würde man dieselben gleich anfangs verbannen. Denn, wer wollte einem Gehör geben, welcher unsern Verdruss und unsere Beschwerlichkeit zu seinem Endzwecke wählte? Die Streitigkeiten der Weltweisen kommen also in diesem Falle bloß auf Worte an. Transcurramus, solertissimas nugas.[3] Es zeigt sich hierbei mehr Eigensinn und Zanksucht, als einem so ehrwürdigen Stande geziemet. Allein, der Mensch mag eine Person vorstellen, welche er immer will, so spielt er doch allezeit die seinige mit unter.

Sie mögen sagen, was sie wollen: selbst bei der Tugend ist unsere Hauptabsicht die Wollust. Ich gebe ihnen mit Fleiße dieses Wort an zu hören, welches ihnen so verhasst ist. Und bedeutet dasselbe ein vorzüglich großes Vergnügen und ungemeines Ergötzen: so ist es eher vermittelst der Tugend, als vermittelst sonst etwas, zu erhalten. Diese Wollust ist desto mehr eine wahre Wollust, je lebhafter, stärker und männlicher sie ist: ja, wir sollten ihr den Namen des Vergnügens beilegen, welcher vorteilhafter, angenehmer und natürlicher ist, und sie nicht Munterkeit (vigueur) nennen, wie wir getan haben. Die andere niederträchtigere Wollust müsste, wenn sie anders diesen schönen Namen verdiente, denselben nur gemeinschaftlich, nicht aber vorzüglich führen. Ich finde sie nicht so von Unbequemlichkeiten und Widerwärtigkeiten befreiet, als es die Tugend ist. Ohne daran zu gedenken, dass ihr Genuss nur einen Augenblick dauert, flüchtig und vergänglich ist: so geht sie noch darzu nicht ununterbrochen fort, sie hat ihre Beschwerlichkeiten, und kostet blutsauern Schweiß; überdies aber wird sie von so vielerlei schmerzhaften Leidenschaften begleitet, und hat zur Seite einen so starken Ekel, dass derselbe so gut als die Reue ist. Wir tun sehr unrecht, wenn wir meinen, ihre Unbequemlichkeiten dienten ihrer Süßigkeit statt eines Stachels und Gewürzes, gleichwie in der Natur entgegengesetzte Dinge einander beleben; und hernach, wenn wir auf die Tugend zu reden kommen, sprechen, sie wäre mit dergleichen Folgen und Unbequemlichkeiten überhäuft, und würde dadurch rauh und unzugänglich gemacht: da dieselben doch hier, weit mehr, als bei der Wollust, das göttliche und vollkommene Vergnügen, welches sie uns verschaffet, edler und empfindlicher machen, und erheben. Gewiss! Derjenige ist nicht wert sie kennen zu lernen, welcher derselben Geschmack ihrem Nutzen entgegensetzt, und weder ihre Annehmlichkeiten noch ihren Gebrauch erkennet! Sagen uns diejenigen, welche uns vorstellen, dass sie beschwerlich und mühsam aufzutreiben, ihr Genuss aber angenehm sei, wohl etwas anders, als dass sie allezeit unangenehm? Denn, durch was für menschliche Mittel kann man jemals zu derselben Genusse gelangen? Die Allervollkommensten haben sich wohl begnügt darnach zu trachten, und sich demselben zu nähern, doch ohne denselben zu erhalten. Allein sie betrügen sich: weil bei allen uns bekannten Ergötzlichkeiten sogar das Bestreben nach denselben ergötzlich ist. Die Unternehmung ist von eben der Art, als die Sache, auf welche sie abzielet: denn sie ist ein wichtiger Teil der Wirkung, und gleichen Wesens. Die Glückseligkeit und Wonne, welche in der Tugend hervorleuchtet, erfüllet alle ihr Zubehör und ihre Zugänge; sogar den ersten Eingang, und die äußersten Grenzen.

Allein unter die vornehmsten Vorteile, welche uns die Tugend verschaffet, gehöret die Verachtung des Todes: ein Mittel, welches unserm Leben eine holde Ruhe verschafft, und uns desselben Genuss rein und angenehm macht, ohne welches alle andere Wollust verloschen ist. Dieses ist die Ursache, warum alle Sekten der Weltweisen in diesem Stücke übereinstimmen. Denn, ob sie uns gleich alle einmütig den Schmerz, die Armut, und andere Zufälle, welchen das menschliche Leben unterworfen ist, zu verachten Anleitung geben; so geschieht es doch nicht so sorgfältig: teils, weil diese Vorfälle nicht so unvermeidlich sind, da die meisten Menschen ihr Leben hinbringen, ohne etwas von der Armut zu wissen, und noch andere gar ohne Schmerz und Krankheit zu empfinden, wie Xenophilus, der Tonkünstler, welcher 106 Jahre bei vollkommener Gesundheit gelebet hat; teils, auch deswegen, weil der Tod, wenn es auf das Schlimmste geht, nach unserm Belieben allen Unbequemlichkeiten ein Ende machen, und abhelfen kann.[4] Allein der Tod selbst ist unvermeidlich.

  Omnes eodem cogimur, omnium

  Versatur urna, serius ocius

  Sors exitura et nos in aeternum

  Exilium impositura cymbae.[5]

Und folglich haben wir, wenn wir uns vor demselben fürchten, beständig Ursache zu einer Marter, die auf keine Art gelindert werden kann. Es ist kein einziger Ort, von welchem sie nicht herkommen sollte. Wir können, wie in einer verdächtigen Gegend, den Kopf immerfort herumdrehen: quae quasi saxum Tantalo semper impendet.[6] Unsere Parlamente lassen öfters die Missetäter auf der Stelle, wo das Verbrechen begangen worden ist, hinrichten. Man führe sie unter Weges durch die schönsten Häuser: man tue ihnen so viel zu gute, als man will,

   – Non Siculae dapes

  Dulcem elaborabunt saporem;

  Non avium cytharaeque cantus

  Somnum reducent.[7]

Meint man wohl dass sie sich daran ergötzen werden? Dass ihnen der Endzweck ihrer Reise, welcher ihnen gemeiniglich vor Augen schwebet, nicht allen Geschmack an diesen Ergötzlichkeiten benommen und verdorben hat?

  Audit iter, numeratque dies, spatioque viarum

  Metitur vitam, torquetur peste futura.[8]

Das Ziel unseres Laufes ist der Tod. Auf diesen Gegenstand müssen wir unumgänglich unsere Absicht richten. Erschrecken wir vor demselben: wie ist es möglich, dass wir ohne Schauer einen Schritt fortsetzen können? Der Pöbel hilft sich dadurch, dass er nicht daran gedenket. Allein, durch was für viehische Dummheit verfällt er in einen so groben Fehler? Er muss den Esel bei dem Schwanze zäumen.

  Qui capite ipse suo instituit vestigia retro.

Es ist nicht zu verwundern, wenn derselbe so oft betrogen wird. Man macht die Menschen bloß mit dem Namen des Todes furchtsam, und die meisten kreuzigen und segnen sich davor, wie vor dem Teufel. Und weil desselben in den Testamenten Meldung geschieht: so darf man nicht denken, dass sie eher Hand daran legen werden, als bis ihnen der Arzt das Leben abspricht; und Gott weiß mit was für Überlegung sie bei Schmerz und Schrecken dasselbe schmieden. Die Römer, welchen dieses Wort allzu hart klang, und ein böses Anzeichen zu sein schien, haben dasselbe mildern und umschreiben gelernet. Anstatt zu sprechen, er ist tot, sagten sie, er hat zu leben aufgehöret, er hat gelebet. Sie sind zufrieden, wenn es nur Leben ist, gesetzt, dass es vorbei ist. Von denselben haben wir unser feu Maistre Jehan (weyland Herr Johann) entlehnet.[9] Zum Glücke gelten, wie es heißt, die Worte wie die Münze. Ich bin gegen 11 Uhr und Mittags den letzten Tag des Hornungs geboren, im Jahre 1533, wie wir jetzo rechnen, da wir von dem Wintermonate anfangen. Es sind gerade 15 Tage, dass ich das neun und dreißigste Jahr zurückgelegt habe; und wenigstens muss ich noch einmal so lang leben. Indessen würde es eine Torheit sein wenn man nicht auch an so weit entfernte Dinge denken wollte. Allein, was? Junge und Alte büßen das Leben auf einerlei Art ein. Keiner geht anders aus der Welt, als ob er den Augenblick erst in dieselbe getreten wäre; wozu noch kommt, dass kein so abgelebter Greis ist, der, wenn er es auch so hoch als Mathusalem gebracht hat, nicht noch zwanzig Jahre mitzulaufen gedächte. Überdies, armer Tropf, wer hat denn deinem Leben ein gewisses Ziel gesetzt? Du verlässest dich auf das Geschwätze der Ärzte. Betrachte vielmehr das, was wirklich geschieht, und was die Erfahrung lehret. Nach dem gemeinen Laufe der Natur lebst du aus einer außerordentlichen Gnade lange. Du hast das gewöhnliche Ziel des Lebens überschritten. Lass es sein. Rechne einmal, ob nicht unter deinen Bekannten ungleich mehr gestorben sind, ehe sie in deine Jahre gekommen, als nachdem sie dieselben erreicht. Ja, bring einmal sogar diejenigen, welche ihr Leben durch den erlangten Ruhm geadelt haben, in ein Verzeichnis. Ich will mich verwetten deren mehr...

Erscheint lt. Verlag 10.3.2016
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Allgemeines / Lexika
Schlagworte Aristoteles • Essai • Essay • Freundschaft • Gütigkeit • Humanismus • Lebenskunst • Michel Eyquem de Montaigne • Philosophie • Schriften • Selbstbeobachtung • Sitte • Sterben lernen • Subjektivität • Unbeständigkeit • Vernunft • Weisheit
ISBN-10 3-10-403691-8 / 3104036918
ISBN-13 978-3-10-403691-5 / 9783104036915
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