Bindung und seelische Entwicklungswege (eBook)
382 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-10125-6 (ISBN)
Karl Heinz Brisch, Univ.-Prof., Dr. med. habil., ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychiatrie und Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie Neurologie; Psychoanalytiker für Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Gruppen; Ausbildung in spezieller Psychotraumatologie für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Er war bis 2020 Vorstand des weltweit ersten Lehrstuhls für Early Life Care und leitete das gleichnamige Forschungsinstitut an der PMU in Salzburg. Seine klinische Tätigkeit und sein Forschungsschwerpunkt umfassen den Bereich der frühkindlichen Entwicklung und der Psychotherapie von bindungstraumatisierten Menschen in allen Altersgruppen. Brisch leitete über viele Jahre die Abteilung für Pädiatrische Psychosomatik und Psychotherapie am Dr. von Haunerschen Kinderspital der Universität München und entwickelte dort das MOSES®-Therapiemodell zur erfolgreichen Intensiv-Psychotherapie von früh traumatisierten Kindern und Jugendlichen. Er entwickelte die Präventionsprogramme »SAFE® - Sichere Ausbildung für Eltern« und »B.A.S.E® - Babywatching«, die inzwischen in vielen Ländern Europas, aber etwa auch in Australien, Neuseeland und Russland Verbreitung gefunden haben. Brisch ist Gründungsmitglied der »Gesellschaft für Seelische Gesundheit in der Frühen Kindheit« (GAIMH e. V. - German-Speaking Association for Infant Mental Health) und war dort viele Jahre lang im Vorstand. Die GAIMH ist eine Tochtergesellschaft der WAIMH - World Association for Infant Mental Health. Bis 2022 organisierte er die jährlich stattfindende renommierte Internationale Bindungskonferenz (www.bindungskonferenz.de) so wie von 2018 bis 2021 die Internationale Early Life Care Konferenz in Salzburg (www.earlylifecare.at). Brisch verbreitet die Inhalte und Ergebnisse der Bindungs- und Traumaforschung und -psychotherapie auch durch viele Publikationen, Vorträge und die Teilnahme an zahlreichen Radio- und Fernsehsendungen (www.khbrisch.de).
Karl Heinz Brisch, Univ.-Prof., Dr. med. habil., ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychiatrie und Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie Neurologie; Psychoanalytiker für Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Gruppen; Ausbildung in spezieller Psychotraumatologie für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Er war bis 2020 Vorstand des weltweit ersten Lehrstuhls für Early Life Care und leitete das gleichnamige Forschungsinstitut an der PMU in Salzburg. Seine klinische Tätigkeit und sein Forschungsschwerpunkt umfassen den Bereich der frühkindlichen Entwicklung und der Psychotherapie von bindungstraumatisierten Menschen in allen Altersgruppen. Brisch leitete über viele Jahre die Abteilung für Pädiatrische Psychosomatik und Psychotherapie am Dr. von Haunerschen Kinderspital der Universität München und entwickelte dort das MOSES®-Therapiemodell zur erfolgreichen Intensiv-Psychotherapie von früh traumatisierten Kindern und Jugendlichen. Er entwickelte die Präventionsprogramme »SAFE® – Sichere Ausbildung für Eltern« und »B.A.S.E® – Babywatching«, die inzwischen in vielen Ländern Europas, aber etwa auch in Australien, Neuseeland und Russland Verbreitung gefunden haben. Brisch ist Gründungsmitglied der »Gesellschaft für Seelische Gesundheit in der Frühen Kindheit« (GAIMH e. V. – German-Speaking Association for Infant Mental Health) und war dort viele Jahre lang im Vorstand. Die GAIMH ist eine Tochtergesellschaft der WAIMH – World Association for Infant Mental Health. Bis 2022 organisierte er die jährlich stattfindende renommierte Internationale Bindungskonferenz (www.bindungskonferenz.de) so wie von 2018 bis 2021 die Internationale Early Life Care Konferenz in Salzburg (www.earlylifecare.at). Brisch verbreitet die Inhalte und Ergebnisse der Bindungs- und Traumaforschung und -psychotherapie auch durch viele Publikationen, Vorträge und die Teilnahme an zahlreichen Radio- und Fernsehsendungen (www.khbrisch.de). Klaus E. Grossmann, Dr. phil., Dipl.-Psych., Prof. emeritus seit 2003, Institut für Psychologie an der Universität Regensburg. Zusammen mit seiner Frau Karin Grossmann veröffentlichte er bei Klett-Cotta Bindung – das Gefüge psychischer Sicherheit und Bindung und menschliche Entwicklung. John Bowlby, Mary Ainsworth und die Grundlagen der Bindungstheorie. Karin Grossmann, Dr. phil., Dipl.-Psych., Freie Wissenschaftlerin, assoziiert am Psychologischen Institut der Universität Regensburg, Lehrbeauftragte der Universität Salzburg. Zusammen mit ihrem Mann Klaus E. Grossmann veröffentlichte sie bei Klett-Cotta Bindung – das Gefüge psychischer Sicherheit und Bindung und menschliche Entwicklung. John Bowlby, Mary Ainsworth und die Grundlagen der Bindungstheorie. Lotte Köhler, Dr. med., Psychoanalytikerin (Deutsche Psychoanalytische Vereinigung und Schweizerische Gesellschaft für Psychoanalyse). Zahlreiche Arbeiten zur Anwendung der Ergebnisse der modernen Säuglings- und Kleinkindforschung in der Psychotherapie, darunter auch besonders der Bindungsforschung. Gründerin und bis 2000 Vorstand der Köhler-Stiftung zur Förderung der Wissenschaften vom Menschen.
Beatrice Beebe, Joseph Jaffe, Frank Lachmann, Stanley Feldstein, Cynthia Crown, Michael Jasnow KOORDINATION VON SPRACHRHYTHMUS UND BINDUNG* Systemtheoretische Modelle
Dieser Beitrag stellt anhand der Forschung über die Koordination des Sprachrhythmus, die sowohl an Gesprächen Erwachsener als auch an Mutter-Kind-Interaktionen gemessen wurde, systemorientierte Konzepte dar. Es werden Daten über die Koordination des Sprachrhythmus zwischen Mutter und Kind und einer fremden Person und dem Kind im Alter von vier Monaten zusammengefaßt und anschließend eine Vorhersage der Bindungsqualität des Kindes im Alter von 12 Monaten vorgenommen. Außerdem soll ein optimales mittleres Maß an Koordination dargestellt werden. Auch die in den Daten enthaltenen Implikationen für die Kindesentwicklung und die Psychoanalyse werden angesprochen.
Unsere Arbeit steht in einer Art intellektueller Schuld gegenüber Louis Sander. Aus der Vielzahl seiner Veröffentlichungen beeinflußte uns am meisten seine 1977 abgegebene Erklärung bezüglich seiner systemorientierten Sichtweisen, in der er sagte, daß man »Organismus, Umgebung und gegenseitigen Austausch als System darstellen oder diskutieren kann … der Austausch zwischen interagierenden Elementen eines Systems erreicht, durch gegenseitige Veränderung, eine harmonische Koordination, die konsistent mit den Überlebensvoraussetzungen eines jeden Elements ist« (S. 138). Ein grundlegender Aspekt seiner systemorientierten Sichtweise war das Timing, also die zeitliche Abstimmung als Kernelement der Koordination: »… der Bereich der Zeit (der Zeitfaktor) und die zeitliche Organisation von Ereignissen … bilden einen Bezugsrahmen, um … die Schwierigkeiten bei der Konzeptualisierung der Schnittstelle zweier geltender Organisationsformen zu beseitigen« (S. 137). Diese beiden Konzepte, die systembezogene Sichtweise und die zentrale Relevanz des Zeitfaktors bei der Koordination zwischen zwei Personen, bilden die Grundlage der Arbeit, die hier vorgestellt werden soll.
Systemorientierte Modelle dyadischer Kommunikation können einen wertvollen Beitrag zur Entwicklungspsychologie und für die Psychoanalyse leisten. Sie können nämlich die Organisationsprinzipien interaktiver Modelle der Dyade, der Entwicklung und der Psyche liefern. Dieser Beitrag beschreibt systembezogene Konzepte. Er diskutiert die Forschung zur Koordination des Sprachrhythmus, die sowohl an Gesprächen Erwachsener als auch an Interaktionen zwischen dem Kind und einem Erwachsenen umfangreich dokumentiert wurde.
Die Koordination des Sprachrhythmus kann sowohl bei psychoanalytischen Interventionen auf der Couch als auch in direkten Dialogen untersucht werden. Sie bietet eine Untermauerung des Dialogs, die sich meistens außerhalb des Bewußtseins sowohl des Analytikers als auch des Patienten vollzieht. Sobald eine der Personen spricht oder einen Laut äußert, entsteht eine Art der Koordination des Rhythmus. Außerdem trägt der Grad der rhythmischen Koordination stark zur Veränderung des emotionalen Klimas im Laufe des Lebens bei. Im Verlauf dieses Beitrags verweisen wir immer wieder auf eine Videoaufnahme einer Face-to-face-Interaktion zwischen einem 12 Monate alten Kind (Celia) und einer fremden Person (der Erstautorin), um verschiedene Aspekte der Koordination des Sprachrhythmus und systembezogener Modelle zu illustrieren.
Unsere Forschung zur Koordination des Sprachrhythmus bei Interaktionen zwischen Mutter und Kind, zwischen dem Kind und einem Fremden und zwischen der Mutter und einem Fremden (Beebe u. a., 1985; Beebe und Jaffe, 1992; Beebe u. a., 1997; Jaffe u. a., 2001) bietet eine reiche Darstellung der Konzepte zweier verschiedener systemorientierter Theorien: 1) ein dyadisches System-Modell der Kommunikation und 2) eine nicht-lineare dynamische Systemtheorie. Ersteres wurde erstmals von Sander (1977, 1985, 1995) in den Bereich der Kleinkindforschung eingeführt, wurde dann von Piaget (1954), Werner (1948), Weiss (1969), Bertalanffy (1968) und Sameroff (1983) beeinflußt und von Gianino und Tronick (Gianino und Tronick, 1988; Tronick, 1989) im Bereich der Kleinkindforschung weiter ausgearbeitet, so daß interaktive Modelle der Dyade und der Entwicklung daraus entstehen konnten (siehe Beebe u. a., 1992). Letzteres, wie es unter anderem von Thelen und Smith (1994), Edelman (1992), Fogel (1992a, b) und Masterpasqua und Perna (1997) erläutert wurde, führte zur Entwicklung eines interaktiven Modells über die Funktionsweise des Gehirns, welches zu einem interaktiven Modell der Psyche im Rahmen der Psychoanalyse beitragen könnte (siehe auch Stolorow, 1997; Shane u. a., 1997).
Die Koordination des Sprachrhythmus
Die zeitliche Abstimmung (Timing) und der Rhythmus gehören zu den Organisationsprinzipien jeglicher Kommunikation, und Rhythmen liegen auch jeglichem Verhalten zugrunde (Lenneberg, 1967). Die Koordination zeitlicher Muster ist also eine entscheidende Form der Organisation sozialer Bezogenheit. Unter Timing versteht man beispielsweise das Innehalten, die Unterbrechung und ihre Folgen, das abwechselnde Sprechen, die Sprachgeschwindigkeit (und -kadenz) und die Pause beim Wechsel vom Ende des Beitrags der einen Person zum Beginn des Beitrags der anderen. Im Rahmen der Erforschung der Koordination von Sprachrhythmen wird die Dauer von An/aus- sowie Laut/Stille-Rhythmen untersucht. Andere wichtige paralinguistische Phänomene, wie etwa die Prosodie, die Tonlage, die Melodie oder die Kontur oder der verbale Inhalt werden allerdings nicht betrachtet.
Der Prozeß der Beziehungsaufnahme zu einer anderen Person bedarf eines mehr oder weniger ununterbrochenen Feedbacks, das jede der beteiligten Personen über den subjektiven Zustand des jeweils anderen informiert. Das Timing bietet eben diese Art von kontinuierlichem Informationssystem, welches sich in jeglichem kommunikativen Verhalten zeigt und jedem der Gesprächspartner Feedback über den Zustand des anderen liefert (Byers, 1976; Lenneberg, 1967). Dieses System befindet sich im allgemeinen außerhalb unseres Bewußtseins. Dennoch reagieren wir auf subtile Veränderungen des Timings, wie etwa ein Zögern oder eine zu lange Pause im Wechsel zwischen dem eigenen Beitrag und dem des anderen. Diese Fluktuationen verändern unsere Einschätzung des Zustands der Bezogenheit zum Gesprächspartner. Das sprachliche Timing mag nur als ein kurzer Moment im Kontinuum des Lebens erscheinen, aber es steht mit verschiedenen kinetischen Merkmalen in Verbindung, wie etwa dem Gesichtsausdruck, der Kopfbewegung und den Blickmustern, so daß möglicherweise das gesamte »kommunikative Paket« davon beeinflußt wird. Stern (1994) argumentiert, daß die zeitliche Abstimmung das »Rückgrat« jeglicher interpersoneller Repräsentation sei. Das Timing ist ein System, das sich ideal in der Kindheit erforschen läßt, weil auch Kleinkinder Zeit wahrnehmen und sogar schon im Mutterleib Zeitabstände einschätzen (DeCasper und Fifer, 1980; DeCasper und Carstens, 1981).
Wir stimmen ständig unsere eigenen Sprachrhythmen in bezug auf die unseres Gesprächspartners ab. Dies gilt sowohl für Gespräche unter Erwachsenen als auch für Interaktionen zwischen Erwachsenen und Kindern, zwischen Mutter und Kind oder zwischen dem Kind und einer fremden Person. Manche interaktive Rhythmen werden als »gute Schwingungen« erlebt (Byers, 1976), insofern als sie eine sichere Bindung im Alter von einem Jahr vorhersagen; andere werden dagegen als störend wahrgenommen und prognostizieren dementsprechend unsichere Bindungen.
Die Idee einer Sprachrhythmus-Studie, wie sie im folgenden dargestellt werden soll, stammt aus der Arbeit mit Erwachsenen von Jaffe und Feldstein (1970). 24 Barnard-Studenten, die einander nicht kannten, wurden in sechs Vierer-Gruppen aufgeteilt. Die Teilnehmer eines jeden Quartetts nahmen der Reihe nach die Dialoge auf, die sie eine halbe Stunde lang über frei gewählte Themen miteinander führten. Die gesamte Prozedur wurde achtmal wiederholt, wobei die Aufnahmen jeweils mit einem Tag Pause dazwischen durchgeführt wurden. Im Laufe einer Unterhaltung paßten sich Frauen jeweils an die Pausendauern an. Je höher die Übereinstimmung eines Paares war, desto mehr berichteten sie anschließend darüber, sich gegenseitig als warmherzig, gleichgesinnt und als jemanden, den man gerne zum Essen einladen würde, erlebt zu haben. Unserer Meinung nach stehen zwischenmenschliche Anziehung und Empathie, wie sie sich etwa bei der Wahl eines Liebhabers oder eines Therapeuten äußern können, in Zusammenhang mit Ähnlichkeiten bei der zeitlichen Abgestimmtheit des kommunikativen Verhaltens (Jaffe und Anderson, 1979; Feldstein und Welkowitz, 1978; Beebe u. a., 1985; Beebe u. a., 1992; Crown, 1991).
Zu unseren erstaunlichsten Ergebnisse aus zehn Jahren Forschung gehört, daß die zeitliche Abgestimmtheit von Dialogen in der vorsprachlichen Zeit (sowohl in Lauten als auch in Bewegungen) der zeitlichen Abgestimmtheit des sprachlichen Dialogs von Erwachsenen sehr ähnlich ist. Beide sind beispielsweise bidirektional koordiniert. Tatsache ist, daß die Koordination zwischen Kind und Erwachsenem sogar eine engere Kontingenz aufweist als die von erwachsenen Gesprächspartnern untereinander (Jaffe u. a., 2001). Auch die Regulierung des Sprecherwechsels durch die Dauer der Wechselpause ist bei beiden ähnlich (Beebe u. a., 1988). Diese Koordination der Dauer der Sprecherwechselpause ist der wichtigste Anhaltspunkt für die Gesprächspartner, um zu erkennen, wann sie an der Reihe sind. Eine zu kurze Wechselpause wird im Gespräch Erwachsener als Unhöflichkeit empfunden, eine zu lange Pause dagegen als »nicht ganz bei der Sache sein«. Deshalb ist die Koordination...
Erscheint lt. Verlag | 4.12.2015 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Allgemeine Psychologie |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Bindung • Bindungsforschung • Bindungstheorie • Bowlby • brisch • Eltern • Eltern-Kind • Familie • Familienberatung • Familientherapie • Kleinkind • Langzeitstudie • Pädiatrie • Psychotherapie • Systemische Therapie • Trauma • Traumatherapie • Traumatisierung |
ISBN-10 | 3-608-10125-X / 360810125X |
ISBN-13 | 978-3-608-10125-6 / 9783608101256 |
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