Zwischentöne (eBook)

Stationen der deutschen Lyrik. Vom Barock bis zur Gegenwart
eBook Download: PDF | EPUB
2015 | 1. Auflage
250 Seiten
Tectum-Wissenschaftsverlag
978-3-8288-6217-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Zwischentöne -  Gunter E. Grimm
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Wie keine andere literarische Gattung lebt die Lyrik von 'Zwischentönen' - von Nuancen, Abstufungen, feinen Übergängen, Abtönungen. In ihrer sprachlichen Konzentriertheit und Kürze bleibt die Lyrik nach wie vor die Gattung, in der sich Gefühle und Gedanken am unmittelbarsten aussprechen. Gunter E. Grimm stellt einzelne, für die Entwicklung der deutschen Lyrik repräsentative historische Stationen vor: Vertreten sind alle Jahrhunderte der neueren Lyrikgeschichte vom Barock, über Aufklärung, Klassik, Romantik, 19. Jahrhundert, Fin de Siècle bis zum 20. Jahrhundert, dabei ist keine historische Gesamtdarstellung angestrebt. Fragen des Inhalts und der Form erläutert der Autor an epochenspezifischen und -übergreifenden Themen und Dichterporträts. Die zahlreichen in den Text eingestreuten Gedichte und Vers-Zitate ermuntern den Leser, sich gezielt mit bestimmten Gedichten zu beschäftigen, Vergessenes aufzufrischen und Neues zu erkunden.

Prof. Dr. Gunter E. Grimm war Lehrstuhlinhaber für Neuere deutsche Literatur an der Universität Duisburg-Essen. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Literatur der Aufklärung, Geschichte der deutschen Lyrik, Wissenschafts- und Mentalitätsgeschichte, deutsch-ausländische Literaturbeziehungen, Nibelungen-Rezeption und Schriftstellerinszenierungen.

Prof. Dr. Gunter E. Grimm war Lehrstuhlinhaber für Neuere deutsche Literatur an der Universität Duisburg-Essen. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Literatur der Aufklärung, Geschichte der deutschen Lyrik, Wissenschafts- und Mentalitätsgeschichte, deutsch-ausländische Literaturbeziehungen, Nibelungen-Rezeption und Schriftstellerinszenierungen.

II.„Du steinern Hertzelein“

Petrarkismus in Deutschland

Martin Opitz, der aus dem schlesischen Bunzlau stammende Dichter-Gelehrte, war der Inaugurator der petrarkistischen Liebesdichtung in Deutschland. Er hat durch Übersetzungen aus dem Italienischen und dem Französischen petrarkistische Muster ins Deutsche eingeführt; ein großer Teil seiner liedhaften Lyrik besteht aus Gedichten in der Nachfolge Petrarcas. Vorbild aller Liebesdichter war in der Tat Petrarca und seine Sammlung der italienischen Gedichte „Il Canzoniere“. In ihr hatte er seine unnahbare Geliebte „Laura“ bedichtet und mit ihr die europäische Liebesdichtung auf Jahrhunderte maßgeblich beeinflusst. Die petrarkistische Liebeslyrik konzentriert sich auf die Darstellung innerer Vorgänge, die komplexeren Seelenregungen einer unerfüllten Liebe. So schwankt das Bild Lauras auch zwischen Versucherin und Erlöserin. Züge aus der mittelalterlichen Marienlyrik mischen sich mit dem Ideal der Troubadourlyrik und dem negativen Frauenbild des Mittelalters. Man hat im „Canzoniere“ die Darstellung einer seelischen Entwicklung erkennen wollen, die vom Zwiespalt zwischen Wünschen und Wirklichkeit zu einer mystischen Einstellung des Ichs führt, in der Laura mit der göttlichen Tugend identisch wird. Die Gedichte spiegeln eine Art Psychodrama, das sich stufenweise von der unglücklichen irdischen Liebe, dem Tod der Geliebten und der Reue des Liebenden zum Triumph der himmlischen Liebe entwickelt. Die Gedichte lassen sich als psychische Analyse lesen, als Seismographe eines unglücklich liebenden Gemüts. Die elegische Stimmung, Trauer und Resignation, überwiegen, geradezu narzisstisch ist die Nabelschau, mit der hier die „Schmerzensliebe“ ausgekostet wird. Der Florentiner Neuplatoniker Marsilio Ficino legte den „Canzoniere“ im Sinne der platonischen Philosophie aus: die sinnliche Liebe versklave den Liebenden, aber seine Seele kehre unter Lauras Anleitung in den Himmel zurück, wobei Laura als Verkörperung der göttlichen Schönheit und Tugend galt. In Italien folgten Serafino Ciminelli dall’Aquila, Pietro Bembo („segundo Petrarca“), Michelangelo Buonarotti, Vittoria Colonna und Veronica Gambara dem petrarkistischen Muster. Der Einfluss Petrarcas auf die europäische Literatur ist kaum zu überschätzen. Von Italien wirkte der Petrarkismus zunächst auf Spanien und zuletzt auf Deutschland ein. In Frankreich waren es besonders die Dichter Clément Marot, Joachim Du Bellay und Pierre de Ronsard; in England Thomas Wyatt, Philip Sidney („der englische Petrarca“), Edmund Spenser, William Shakespeare und der Mystiker John Donne, für viele der größte englische Petrarkist.

Der Begriff „Petrarkismus“ stammt von Heinrich Heine, er hielt ihn für eine Art von lyrischer Donquichotterie. Seitdem gab es zahlreiche Definitionen und Versuche, den Petrarkismus thematisch bzw. formal zu charakterisieren. Hans Pyritz hat den Petrarkismus als „das zweite große erotische System von internationaler Geltung nach dem Minnesang“ bezeichnet. Gegen diese – in der Forschung (Richard Alewyn, Richard Newald, Manfred Windfuhr) lange Zeit herrschende – Auffassung hat Leonard Forster dem Systembegriff nur noch den Wert einer wissenschaftlichen Hypothese zugebilligt. Als orientierendes Zentrum des Petrarkismus galt ihm das Formprinzip des Witzes; der Petrarkismus wurde Teil des umfassenden Rhetorik-Systems. Auch Hugo Friedrich hat den Scherz-Begriff in seiner Untersuchung italienischer Barocklyrik betont. Opitz’ eigene Definition im „Buch von der Deutschen Poeterey“, die liebe sei „gleichsam der wetzstein“, an dem die Dichter ihren „subtilen Verstand scherffen / vnd niemals mehr sinnreiche gedancken vnd einfälle haben / als wann sie von jhrer Buhlschafften Himlischen schöne / jugend / freundligkeit / haß vnnd gunst reden“ (OBP, 19), fügt sich diesem Witzverständnis an, das mit Pointen arbeitet, aber auch den Erfindungsreichtum, die Spitzfindigkeit (lateinisch argutia) und die Fähigkeit zum Kombinieren verschiedener Themen und Motive bezeichnet. Es gab verschiedene Spielarten des Petrarkismus – eine ovidische, eine anakreontische, eine emblematische und eine politische Variante, um nur einige zu nennen. Zum Petrarkismus gehören vor allem solche Lyriktypen, die motivisch und stilistisch auf Formen des „Canzoniere“ zurückgreifen. Feste Bestandteile dieser Liebeslyrik sind der Frauenpreis, die Beschreibung körperlicher Schönheit (etwa der Augen), die Liebesklage und der Todeswille, das elegische Schwanken zwischen irdischer Leidenschaft und himmlischer Verklärung.

Die petrarkistische Liebesdichtung verfügt über ein einigermaßen konsistentes Arsenal von Motiven: die Liebe begegnet als Liebeskrieg oder als Schifffahrt auf stürmischem Meer, der lockere Knabe Cupido oder Amor ist als netzbewaffneter Jäger verkleidet. Die Geliebte erscheint im Allgemeinen als Eisblock. Hinter der bezaubernden Schönheit pocht ein kaltes Herz. Die schöne Dame ist ein mit immer denselben Ingredienzien ausgeschmücktes Kunstgebilde: goldene Haare, feine weiße Hände, schwarze Augen, ebenholzfarbige Augenbrauen, perlenweiße Zähne, korallenfarbige Lippen, die Rosen und Lilien ihrer Wangen, globenförmige Alabaster-Brüste – alles Qualitäten, die offenbar bereits Laura besessen hatte. Ein Dichter konnte die Schönheit der Dame durch Metaphern ausschmücken, auf mythologische Gestalten anspielen (Aphrodite als Schönheitsgöttin) oder ihre Wirkung umschreiben. Es gibt Gedichte, die sich ausschließlich einer Eigenschaft der Angebeteten widmen. Vorbild waren Petrarcas drei Canzonen über die Augen der Laura.

Der Liebhaber fühlt sich ganz als Sklave; er leidet unter der Hartherzigkeit der Dame. Seine Gedichte klagen überwiegend. Seine Gefühle sind bitter und süß zugleich. Denn die Liebe, so schön und erhebend sie ist, erzeugt immer auch Schmerzen. So schwanken seine Gefühle zwischen Erhebung und Trauer, Anbetung und Verzweiflung. Im Gegensatz zur ungetreuen Geliebten ist der Liebhaber von unwandelbarer Treue beseelt.

In der klassischen petrarkistischen Situation verhält sich die Dame hartherzig, sie genießt geradezu die Qual des Verehrers. Ist der Liebhaber ein Masochist, so ist seine Angebetete eine Sadistin.6 Vergleiche ihres harten Herzens mit Stein, Stahl oder Diamant, ihrer Kälte mit Eis und Schnee sind an der Tagesordnung.

Der Gemeinplatz von der Liebe als einem Feuer ist sehr alt; auch Petrarca hat ihn ausgiebig verwendet. Die Flammen werden zu einem Bild für die Liebe selbst; das Symbol lebt noch in der Redensart von der „alten“ oder „neuen Flamme“. Petrarca verglich sich zuweilen mit einem Salamander, der in den Flammen der Liebe lebt. Häufig begegnet das Bild vom Feuer der Liebe und vom eiskalten Herz der Dame, oder der Topos vom Leben im Tod und vom Tod im Leben. Die Dame wird zur Spenderin des Lebens, verwandelt den Tod in Leben. Daneben spielen das Motiv des Todes und des Traums eine wichtige Rolle: die Vereinigung mit der Herzensdame erfolgt im Traum oder im Tod. Der Tod avanciert zum „süßen Tod“, der fleischlich-sinnliche und seelisch-mystische Vereinigung umfasst. Aber auch der Liebhaber hat ein Trumpf-As in der Hand. Als Dichter droht er der unholden Schönen, dass ihre an sich vergängliche Schönheit nur in seinen Versen überleben kann. Der Topos vom Unsterblichkeit verleihenden Dichter kann geradezu als Druckmittel eingesetzt werden. Ein frühes Beispiel stammt von Johann Hermann Schein (1628):

O Sternen Äugelein!

O Seiden Härelein!

O Rosen Wängelein!

Corallen Lippelein!

O Perlen-Zeenelein!

O Honig Züngelein!

O Perlemutter öhrelein!

O Helfenbeinern Hälßelein!

O Pomerantzen Brüstelein!

Bißher an euch ist alles fein:

Abr O du steinern Hertzelein,

Wie daß du tödst das Leben mein?    (Schöne, 696)

Das ist einerseits Schönheitspreis, andererseits Klage des nichterhörten Liebhabers – ein Motiv, das bereits im mittelalterlichen Minnesang und dann bei Petrarca begegnet. Das parataktische Reihen der einzelnen Partikel mutet etwas naiv an: Die weibliche Schönheit wird so beschrieben, als ob sie in einzelne Bestandteile zerlegbar wäre und aus einzelnen Teilen wieder zusammen montiert werden könnte, in der Art von technisch-mechanischen Gebilden, die an E.T.A. Hoffmanns mechanische Puppe Olimpia erinnern.

Bereits vor Opitz wurde der Versuch gemacht, einige Gedichte Petrarcas ins Deutsche zu übersetzen, etwa von Theobald Hoeck in der Sammlung „Schönes Blumenfeld“ von 1601, oder von Georg Rodolf Weckherlin, aber man meisterte die Form des Sonetts nicht. Erst Opitz gelang es, die Sonettform ins Deutsche zu transponieren. So wurde er der erste deutsche Petrarkist, und er hat die Einführung des „Petrarquiser, das ist / wie Petrarcha buhlerische reden brauchen“ (OBP, 36), auch als sein Verdienst angesehen. Er ist für die deutsche Literatur das, was Philip Sidney für die englische und Pierre de Ronsard für die französische waren: Wegbereiter des Petrarkismus. In seiner Dichtung finden sich alle petrarkistischen Motive wieder: der Schönheitskatalog, die Härtemetapher, der...

Erscheint lt. Verlag 23.6.2015
Verlagsort Baden-Baden
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Literaturwissenschaft
Schlagworte Alfred Andersch • Andreas Gryphius • Fin de siècle • Franz Josef Degenhardt • Hans Magnus Enzensberger • Johann Wolfgang von Gothe • Lyrikgeschichte • Naturlyrik • Nibelungengedichte • Romantik
ISBN-10 3-8288-6217-9 / 3828862179
ISBN-13 978-3-8288-6217-3 / 9783828862173
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