Freiheit am Arbeitsplatz

Betriebsdemokratie und Betriebsräte in Deutschland und Schweden (1880-1950)

(Autor)

Buch | Softcover
592 Seiten
2015
Campus (Verlag)
978-3-593-50491-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Freiheit am Arbeitsplatz - Klaus Neumann
56,00 inkl. MwSt
Welche Rolle spielten Konzepte von Freiheit und Demokratie bei der Entwicklung unterschiedlicher Modelle betrieblicher Ordnung? In einer Zusammenschau über einen Zeitraum von siebzig Jahren verfolgt Klaus Neumann die ideengeschichtliche und arbeitsrechtliche Entwicklung deutsch-schwedischer Betriebsdemokratie. Er zeigt, wie in beiden Ländern das Modell der Alleinherrschaft des Unternehmers in eine Legitimitätskrise geriet und sich unterschiedliche Formen von Betriebsräten etablierten.
Welche Rolle spielten Konzepte von Freiheit und Demokratie bei der Entwicklung unterschiedlicher Modelle betrieblicher Ordnung? In einer Zusammenschau über einen Zeitraum von siebzig Jahren verfolgt Klaus Neumann die ideengeschichtliche und arbeitsrechtliche Entwicklung deutsch-schwedischer Betriebsdemokratie. Er zeigt, wie in beiden Ländern das Modell der Alleinherrschaft des Unternehmers in eine Legitimitätskrise geriet und sich unterschiedliche Formen von Betriebsräten etablierten.

Der Historiker Klaus Neumann arbeitet am Friedrich-Meinecke- Institut der FU Berlin.

Inhalt

Teil I: Freiheit und Demokratie in der Geschichte der betrieblichen Ordnung

1 Einleitung15
2 Forschungsstand19
2.1 Betriebe als soziale Interaktions- und Herrschaftsräume20
2.2 Interessenvertretungen, die Politik und das Arbeitsrecht21
2.3 Betriebsdemokratie als Gegenstand historischer Forschung23
3 Operationalisierung29
3.1 Deutschland und Schweden als Fallbeispiele29
3.2 Untersuchungszeitraum31
3.3 Methoden: Vergleich, Problemgeschichte, kollektive Akteure33
3.4 Akteure und Quellen36

Teil II: Freiheit im langen 19. Jahrhundert

1 Deutschland: Einheit und soziale Sicherheit statt Freiheit49
1.1 Kontext: Einheit und Sicherheit im "Obrigkeitsstaat"49
1.2 Gewerkschaften: Lokale vs. zentrale Organisation53
1.3 Freiheit im Betrieb - kaum ein Thema60
1.4 Ein untypischer Unternehmer: Heinrich Freese und die "konstitutionelle Fabrik"71
2 Schweden: Kollektive Kompromisse und Polarisierung77
2.1 Gesellschaftlicher Kontext77
2.2 Arbeiterbewegung und Arbeitgeber: Polarisierung oder Konsens?84
2.3 Freiheit im Betrieb?95
3 Zusammenfassung109

Teil III Kriegsgemeinschaft und Betriebsgemeinschaft (1914-1918)

1 Deutschland: "Burgfrieden" auch in den Betrieben115
1.1 "Volksgemeinschaft" im Krieg115
1.2 Wirtschaftliche Volks- und Betriebsgemeinschaft128
2 Schweden: Vergebliches Bemühen um einen "Arbeitsfrieden"143
2.1 Deutschland in der veröffentlichten schwedischen Meinung143
2.2 Betrieblicher "Burgfrieden" auch in Schweden?146
2.3 Polarisierung gegen Kriegsende155
3 Zusammenfassung161

Teil IV:Klassenkampf oder Zusammenarbeit? (1918-1924)

1 Deutschland: Arbeiterräte vs. Arbeitsgemeinschaft167
1.1 Zusammenbruch und Aufbruch167
1.2 Herrschaft der Arbeiterräte im Betrieb?175
1.3 Das Gegenmodell zur Revolution: Mitbestimmung und Betriebsgemeinschaft195
1.4 Die Weimarer Verfassung und der Artikel 165204
1.5 Die Debatte über das Betriebsrätegesetz 1919/1920211
2 Schweden: Das Scheitern der "industriellen Demokratie"239
2.1 Rahmenbedingungen239
2.2 "Industrielle Demokratie" in der Publizistik, 1919-1920247
2.3 Das "Komitee für industrielle Demokratie", 1920-1923263
2.4 Deutsch-schwedische Transfers267
2.5 Das vorläufige Ende der "industriellen Demokratie", 1923-1924284
3 Zusammenfassung301

Teil V: Betriebsgemeinschaft, Arbeitsfrieden und Krieg (1924-1945)

1 Deutschland: Autoritäre "Volksgemeinschaft" statt Arbeitsrecht309
1.1 Weimars vergebliche Suche nach Gemeinschaft310
1.2 NS-Volksgemeinschaft - NS-Betriebsgemeinschaft?320
2 Schweden: Kollektivvertrag statt Gesetz351
2.1 Vergebliche Suche nach Wegen zum Arbeitsfrieden, 1924-1930351
2.2 Die Zuspitzung der Konflikte in den frühen 1930er Jahren 355
2.3 Einigung ohne Staat: Die Annäherung der Tarifpartner ab 1935358
2.4 Die schwedische "Zentralarbeitsgemeinschaft": Der Huvudavtal 1938 361
2.5 Schweden im Zweiten Weltkrieg364
3 Zusammenfassung369
3.1 Das Scheitern des Arbeitsrechts369
3.2 Die NS-"Betriebsgemeinschaft"371
3.3 Die schwedische Lösung: Kollektivvertrag, ohne Staat373
3.4 Weltkrieg und Planungen für die Nachkriegszeit374

Teil VI: Ein Freiheits- oder ein Produktionsproblem? (1943/45-1950)

1 Deutschland: Die Debatte über Betriebsräte am Fallbeispiel Hessens, 1945-1948379
1.1 Hessen in der direkten Nachkriegszeit 1945/46379
1.2 (K)eine Vorentscheidung: Die Hessische Verfassung401
1.3 Die Debatte über das Hessische Betriebsrätegesetz, 1946-1948404
1.4 Das Veto der amerikanischen Militärregierung424
1.5 Ausblick: Der Weg zum Betriebsverfassungsgesetz 1952436
2 Schweden 1943-1946: Einigung auf Betriebsausschüsse441
2.1 Kontext441
2.2 Die Debatte über industrielle Demokratie, 1943-1946449
2.3 Die Etablierung der Betriebsausschüsse, 1945/46458
2.4 Reaktionen auf den Vertrag471
2.5 Ausblick: Die 1950er Jahre477
3 Zusammenfassung479
3.1 Vom Zweiten Weltkrieg zu den Betriebsräten der Nachkriegszeit479
3.2 Betriebsdemokratie oder betriebliche Zusammenarbeit?481
3.3 Entscheidende Akteure und die Frage: Gesetz oder Vertrag?483

Teil VII: Fazit

1 Ergebnisse des Vergleichs487
1.1 Periodisierung: Siebzig Jahre "Betriebsdemokratie" (1880-1950)487
1.2 Einfluss der Kriege auf die Betriebsordnung?493
1.3 Transfers und nationale Spezifika496
2 Betriebsdemokratie - ein Freiheitsproblem?501
2.1 Wessen Freiheit? Kollektive Akteure in der Arena der Betriebe502
2.2 Konkurrierende Ziele: Sicherheit, Gemeinschaft, Produktion506
2.3 Schlussbetrachtung: Die Rolle von "Freiheit" in der betrieblichen Ordnung des 20. und 21. Jahrhunderts511

Anhang1 Technische Hinweise519
2 Quellen und Literatur521
3 Verzeichnisse579
Danksagung589
Short Summary and C.V.591

1 Einleitung

Frei zu sein, das bedeutet einer einfachen Definition zufolge, tun oder lassen zu können, was man will, also nicht dem Willen eines anderen unterworfen zu sein. Dies ergibt sich auch aus dem Ursprung des Wortes "Freiheit". Das deutsche Wort geht, ebenso wie das schwedische frihet und das englische freedom auf die germanische Silbe frija- zurück, die "mit freiem Halse" bedeutet. Frei war bei den Germanen derjenige, der keine Ketten trug, der weder Sklave noch Gefangener war. Das Bild der Freien einerseits und der in Ketten gelegten andererseits verweist auf ein grundlegendes Problem der Freiheit: Menschen existieren nur in der Theorie als völlig freie Individuen. In der Realität sind sie in Gemeinschaften eingebunden. Sie müssen sich mit den Freiheiten der anderen auseinandersetzen und mitunter ihre eigene Freiheit vor den Übergriffen anderer schützen, um sie nicht zu verlieren. Wie also kann ein Mensch in einer Gesellschaft leben und dennoch frei sein? Im politischen Bereich hat ein beachtlicher Teil der Menschheit durch einen jahrhundertelangen Prozess für dieses Freiheitsproblem eine Lösung gefunden: Demokratie, die Herrschaft des Volkes über sich selbst. Wenn sich die Menschen nur Gesetzen unterwerfen müssen, die sie sich zuvor selbst per Mehrheitsbeschluss gegeben haben, so die Überlegung von Rousseau, Locke und anderen, können sie auch in Gemeinschaft frei leben. Herrscht das Volk, sind letztlich alle frei.
Die Entwicklung der Demokratie war ein Prozess mit Um- und Irrwe-gen, in dem die Definition dessen, was Demokratie ausmacht, immer wieder neu verhandelt wurde. Die demokratischen Grundideen, derzu-folge die einzelnen Menschen frei sein sollten, über ihr Leben und - per Mehrheitsbeschluss - über die Entwicklung des Staates selbst zu entschei-den, wurden im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts in zahlreichen Ländern der Erde zu gesellschaftlichen Leitprinzipien erhoben. Damals wie heute funktionieren jedoch relevante Teile der gesellschaftlichen Ordnung nach einer anderen Logik als der, dass die Mehrheit die Regeln bestimmen soll: In der Wissenschaft kommt niemand auf die Idee, über wahr und falsch abzustimmen. Generäle fragen selten ihre Truppen, ob sie einen Befehl als freiheitsbeschränkend empfinden. Und auch am Arbeitsplatz herrscht in aller Regel nicht die Mehrheit der dort tätigen Personen. Im modernen Industriebetrieb des 19. und 20. Jahrhunderts entschied in aller Regel der "Arbeitgeber" über die auszuführenden Arbeiten und die Bedingungen am Arbeitsplatz. Der Unternehmer war, wie es ein noch im vorigen Jahrhundert geflügeltes Wort beschrieb, "Herr im eigenen Hause". Ihn wählen oder abwählen zu können, gehörte ins Reich der Utopie.
War der Arbeitsplatz also ein Bereich des menschlichen Lebens, in dem die Freiheit, sich per Abstimmung selbst die "Spielregeln" zu geben, keine Bedeutung hatte? So sah es zumindest die in der Tradition des Liberalismus stehende Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts. Sie negierte, dass in den Betrieben ein Freiheitsproblem bestand: Mit der Abschaffung der Leibeigenschaft sei jeder Mensch frei, einen Arbeitsvertrag mit einem Arbeitgeber auszuhandeln und zu unterschreiben - oder eben nicht. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts geriet diese Position und mit ihr die Form der betrieblichen Ordnung, die sich mit der Industriellen Revolution verbreitet hatte, immer stärker unter Druck. Vor allem die erstarkende Arbeiterbewegung kritisierte das System, das viele "Lohnabhängige" dem Willen eines Arbeitgebers unterwarf und propagierte die "Befreiung" der Arbeiterschaft aus der "Lohnsklaverei". Für sie existierte in den Betrieben sehr wohl ein Freiheitsproblem. Die Macht im Betrieb ließ sich aus ihrer Sicht nur einmal verteilen: Die große Freiheit des Arbeitgebers, allein über seinen Betrieb zu bestimmen, bedeute automatisch die Unfreiheit der Beschäftigten. Ihr offen ausgesprochenes Ziel war es daher, die Macht in den Betrieben zu erobern. Das Schlagwort der "Sozial

Erscheint lt. Verlag 10.12.2015
Zusatzinfo zahlr. Abbildungen und Tabellen in s/w
Verlagsort Frankfurt
Sprache deutsch
Maße 140 x 213 mm
Gewicht 745 g
Themenwelt Geschichte Teilgebiete der Geschichte Kulturgeschichte
Geschichte Teilgebiete der Geschichte Wirtschaftsgeschichte
Schlagworte Betriebsrat (BR) • Betriebsräte • Betriebsrätegesetz • Deutschland, Geschichte; Sozial-/Wirtschafts-Geschichte • Geschichte der Betriebsräte • Industrielle Demokratie • Mitbestimmung • Schweden, Geschichte; Sozial-/Wirtschafts-G. • Wirtschaftsdemokratie
ISBN-10 3-593-50491-X / 359350491X
ISBN-13 978-3-593-50491-9 / 9783593504919
Zustand Neuware
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