Soziale Ungleichheit im Visier
Nur selten blicken Arbeiten zum Thema Armut auf das Gegenstück: Reichtum. Kann man das eine soziale Phänomen ohne das andere überhaupt denken, lesen oder gar analysieren? Dieser Band eröffnet eine interdisziplinäre Perspektive auf bislang nicht zusammengedachte soziale Vorstellungen und vergleicht dabei grenz- und fachübergreifende Wahrnehmungsweisen miteinander. Ein wesentlicher Schwerpunkt liegt dabei auf der Rolle der Massenmedien.
Eva Maria Gajek, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Institut der Universität Gießen.
Christoph Lorke, PD Dr. phil., lehrt am Historischen Seminar der Universität Münster.
Inhalt
(An)Ordnungen des Sozialen. "Armut" und "Reichtum"
in Konstruktion und Imagination nach 1945
Eva Maria Gajek und Christoph Lorke 7
Teil I. Oben - Mitte - Unten.
"Arm" und "Reich" in der "alten" Bundesrepublik und den USA
Mediale Repräsentationen Hamburger Unternehmer
in der "alten" Bundesrepublik
Lu Seegers 33
Reichtum im Fernsehen der 1980er Jahre. Rezeption von
Dallas und Denver Clan in der westdeutschen Öffentlichkeit
Anne Kurr 57
Kein Zeitalter der Extreme. Die Mitte als gesellschaftliches
Leitbild in der Bundesrepublik
Rüdiger Schmidt 85
Konstruierte Unterschiede. Die untere Mittelklasse, Populisten
und der US-Wohlfahrtsstaat in den 1960er Jahren
Christian Johann 101
"The poorest of the poor in this country". Die Culture of Poverty
und Debatten um die Armut mexikanischer Einwandererfamilien
in den USA der 1960er Jahre
Claudia Roesch 131
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Teil II. Utopien des Egalitarismus.
Soziale Imaginationen und soziale Abweichungen im Staatssozialismus
Die egalitäre DDR? Staatssozialistische Intersektionalität und der
lange Schatten des Intershops
Jens Gieseke 163
Media Images of "Conspicuous Consumption" and Private
Entrepreneurs in Post-communist Poland
Patryk Wasiak 181
Erlaubte Wörter, verbotene Bilder. Armut und Reichtum in Medien
der Volksrepublik Bulgarien
Anelia Kassabova 205
Tunejadstvo in der Sowjetunion. Zeitautonomie zwischen staatlicher
Repression und individuellen Gestaltungsansprüchen
Tatiana Hofmann 231
Teil III. Erinnerungen, Selbstzeugnisse und gegenwärtige Reflexionen.
"Armut" und "Reichtum" in individuellen Konstruktionen
In der besseren Hälfte Deutschlands. Biografische Erinnerungen
an soziale Gerechtigkeit und Solidarität in der DDR
Sabine Kittel 253
"Aber damals waren wir alle gleich." Nostalgische Repräsentationen über Armut, Reichtum und Gleichheit in der späten Sowjetunion
Kirsten Bönker 275
Selbstzeugnisse von Obdachlosen. Zur medienspezifischen
Varietät von Armutsbildern
Gertraud Koch und Bernd Jürgen Warneken 291
Der Konsum der Reichen. Ein Essay zur gegenwärtigen Lage
Thomas Hecken 311
Autorinnen und Autoren 329
»[Der Band] leistet einen wertvollen Beitrag zur historischen Vermittlung und Sichtbarmachung von sozialer Ungleichheit und bietet nützliche Anknüpfungspunkte für weitere Arbeiten in diesem Bereich - möglicherweise auch hinsichtlich der Verknüpfung von Rekonstruktionen sozialer Imaginationen mit quantitativ-statistischen Befunden.« Christopher Banditt, H-Soz-Kult, 01.09.2016»Indem der Band die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts als Kontinuum auffasst und 'Westen' und 'Ostblock' zugleich betrachtet, liefert er ein interessantes Sample von Studien über die damalige 'Erste' und 'Zweite' Welt.«, Sehepunkte, 15.11.2016»Ein sehr empfehlenswertes Buch, weil es thematisiert, was wir zu den Themen Armut und Reichtum wahrnehmen - und was nicht. Weil der Sammelband es entweder hereinholt und oder als Auslassung sichtbar werden lässt, wird die Bedeutung unserer Vorstellungen über Armut und Reichtum greifbar.« Prof. Dr. Wilfried Hosemann, socialnet.de, 02.08.2016»Ein anregendes Kaleidoskop von Studien zu den Repräsentationen sozialer Ungleichheit seit der Mitte des 20. Jahrhunderts.« Beate Althammer, Neue Politische Literatur, 25.04.2017
»[Der Band] leistet einen wertvollen Beitrag zur historischen Vermittlung und Sichtbarmachung von sozialer Ungleichheit und bietet nützliche Anknüpfungspunkte für weitere Arbeiten in diesem Bereich – möglicherweise auch hinsichtlich der Verknüpfung von Rekonstruktionen sozialer Imaginationen mit quantitativ-statistischen Befunden.« Christopher Banditt, H-Soz-Kult, 01.09.2016
»Indem der Band die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts als Kontinuum auffasst und ›Westen‹ und ›Ostblock‹ zugleich betrachtet, liefert er ein interessantes Sample von Studien über die damalige ›Erste‹ und ›Zweite‹ Welt.«, Sehepunkte, 15.11.2016
»Ein sehr empfehlenswertes Buch, weil es thematisiert, was wir zu den Themen Armut und Reichtum wahrnehmen – und was nicht. Weil der Sammelband es entweder hereinholt und oder als Auslassung sichtbar werden lässt, wird die Bedeutung unserer Vorstellungen über Armut und Reichtum greifbar.« Prof. Dr. Wilfried Hosemann, socialnet.de, 02.08.2016
»Ein anregendes Kaleidoskop von Studien zu den Repräsentationen sozialer Ungleichheit seit der Mitte des 20. Jahrhunderts.« Beate Althammer, Neue Politische Literatur, 25.04.2017
(An)Ordnungen des Sozialen. "Armut" und "Reichtum" in Konstruktion und Imagination seit 1945
Eva Maria Gajek und Christoph Lorke
Das Institut für Demoskopie in Allensbach führte in den Jahren 1955, 1964 und 1971 eine Umfrage durch, die sich unter anderem mit der fol-genden Frage an die westdeutsche Bevölkerung wandte: "Würden Sie selbst gern in einem Land leben, in dem es keine Reichen und keine Armen gibt, sondern alle möglichst gleich viel haben?" Während in den 1950er Jahren noch die Hälfte (49 Prozent) der Befragten mit "ja, möchte ich" antworteten, waren es neun Jahre später weitaus weniger (37 Prozent). Zu Beginn der 1970er Jahre bejahte dann wieder gut die Hälfte aller Personen diese Frage der Demoskopen (51 Prozent). Soziale Ungleichheit ist und war in der bundesdeutschen Gesellschaft eine blei-bende Konstante, auch wenn sich das Niveau von Einkommen und Ver-mögen fortwährend wandelte. Was ebenfalls stetigen Veränderungen unterlag und daher stets im zeitlichen Kontext zu diskutieren ist, ist die Bewertung sozialer Ungleichheit, was nicht zuletzt die Zahlen dieser gerade einmal gut fünfzehn Jahre auseinanderliegenden Umfragen nahe legen.
Die Bundesrepublik durchlebte seit ihrer Gründung verschiedene Phasen der Wahrnehmung sozialer Disparität, die eng mit der soziologischen Erforschung und damit der Konzeptualisierung von "Ungleichheit" ver-knüpft waren. Hans-Ulrich Wehler unterscheidet dabei vier Zeitabschnitte, denen unterschiedliche Ungleichheitskonzepte zu Grunde lagen und die dadurch auch unterschiedlich gewichtete Diskussionen initiierten. Hatten die Wirren der untermittelbaren Nachkriegszeit und nicht zuletzt die Währungsreform die Auflösung ökonomischer und sozialer Hierarchien suggeriert, die der Soziologe Helmut Schelsky dann in den 1950er Jahren mit dem Begriff der "nivellierten Mittelstandsgesellschaft" auf den Punkt brachte, setzte der gesellschaftliche Wandel in einer zweiten Phase seit Mitte der 1960er Jahre bis etwa zur Mitte der 1970er Jahre erste kritische Stimmen frei. Nicht nur neomarxistische Strömungen innerhalb der Soziologie bemängelten die weitgehende Nicht-Reflexion sozialer Schieflagen in Wissenschaft und Öffentlichkeit und lieferten alternative gesellschaftliche Beschreibungsformeln. In der dritten Phase bis Mitte der 1980er Jahre wiederum rückte nunmehr jenseits der vertikalen die horizontale Ungleichheit in den Blick. Zum Untersuchungsgegenstand der Soziologie wurden fortan neben dem Geschlecht, dem Alter und der Ethnie auch die Familie, die Generation oder die Region. Diese breitere Kontextualisierung der sozialen Ungleichheit setzte sich in der vierten und letzten Phase mit der "kulturalistischen Wende" weiter fort, die mit einer Lebensstilanalyse die Begriffe Individualisierung, Pluralisierung, Lebensstil und Klasse in die Diskussion einbrachte. Seit dieser Zeit, so Wehler, würden sich Forschung sowie gesamtgesellschaftliche Debatten vorrangig an der Beckschen Vorstellung einer "Risikogesellschaft" abarbeiten.
In jüngster Zeit könnte den aufmerksamen Zeitungsleser das Gefühl beschleichen, das Thema der sozialen Ungleichheit durchlebe eine mar-kante Perspektiverweiterung. Es spricht gar einiges dafür, nun möglicher-weise von einer fünften Phase zu sprechen. Denn das 2013 erschienene Buch von Thomas Piketty erneuerte die Diskussionen über die Vermögensverteilung und setze, so der Deutschlandfunk, eine "Pikettymania" frei, die den Franzosen als "Popstar der Wirtschaftswissenschaften" feiere. Der Ökonom, der eine Untersuchung der Vermögensverteilung seit dem 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart vornimmt, kommt zu dem zentralen Befund, dass insbesondere seit den 1970ern von einer oligarchi-schen Verteilung des Reichtums zu sprechen sei. Diese Art Refeudalisie-rung prägt, lautet eine seiner zentralen Thesen, bis heute die soziale Realität und strukturiert wiederum auch aktuelle gesellschaftliche Diskussionen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Hans-Ulrich Wehler
Erscheint lt. Verlag | 8.4.2016 |
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Co-Autor | Eva Gajek, Jens Gieseke, Thomas Hecken, Hofmann Tatiana, Christian Johann, Anelia Kassabova, Sabine Kittel, Nathalie Knors, Gertraud Koch, Anne Kurr, Christoph Lorke, Maja Malik, Claudia Roesch, Rüdiger Schmidt, Lu Seegers, Johannes Stollhof, Bernd Jürgen Warneken |
Zusatzinfo | 9 Tabellen |
Verlagsort | Frankfurt |
Sprache | deutsch |
Maße | 140 x 213 mm |
Gewicht | 424 g |
Themenwelt | Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► Zeitgeschichte |
Geschichte ► Teilgebiete der Geschichte ► Wirtschaftsgeschichte | |
Schlagworte | Armut • Armut / Arme • Deutschland • Europa • Europa; Politik/Zeitgeschichte • images • Massenmedien • Medien • Reichtum • Reichtum / Reiche • Soziale Ungleichheit • USA; Politik/Zeitgesch. • USA; Politik/Zeitgeschichte • Wahrnehmung |
ISBN-10 | 3-593-50472-3 / 3593504723 |
ISBN-13 | 978-3-593-50472-8 / 9783593504728 |
Zustand | Neuware |
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