Entstalinisierung als Wohlfahrt

Sozialpolitik in der Sowjetunion 1953-1970
Buch | Softcover
280 Seiten
2015
Campus (Verlag)
978-3-593-50284-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Entstalinisierung als Wohlfahrt - Galina Ivanova, Stefan Plaggenborg
42,00 inkl. MwSt
Sozialpolitik war in der Sowjetunion sowohl als Begriff wie als Sache lange Zeit abwesend. Warum sollte ein sozialistisches System Sozialpolitik betreiben, verkörperte es doch die soziale Gerechtigkeit schlechthin? Sozialpolitik galt dem Kreml als Reparaturarbeit an den
Auswüchsen des Kapitalismus. Die Zeiten änderten sich jedoch nach Stalins Tod. Bis 1953 hatte Sozialismus in der UdSSR Massenarmut, Konsumverzicht und miserable Lebensverhältnisse bedeutet. Ab 1956 wurde Sozialpolitik zu einem zentralen Baustein der Entstalinisierung - denn Bedürftigkeit und Armut ließen sich auch in der UdSSR nicht mehr übersehen. In der Breschnew-Zeit erreichte die Sozialpolitik ihren Höhepunkt.
Sozialpolitik war in der Sowjetunion sowohl als Begriff wie als Sache lange Zeit abwesend. Warum sollte ein sozialistisches System Sozialpolitik betreiben, verkörperte es doch die soziale Gerechtigkeit schlechthin? Sozialpolitik galt dem Kreml als Reparaturarbeit an denAuswüchsen des Kapitalismus. Die Zeiten änderten sich jedoch nach Stalins Tod. Bis 1953 hatte Sozialismus in der UdSSR Massenarmut, Konsumverzicht und miserable Lebensverhältnisse bedeutet. Ab 1956 wurde Sozialpolitik zu einem zentralen Baustein der Entstalinisierung - denn Bedürftigkeit und Armut ließen sich auch in der UdSSR nicht mehr übersehen. In der Breschnew-Zeit erreichte die Sozialpolitik ihren Höhepunkt.

Galina Ivanova arbeitet am Institut für Russische Geschichte an der Akademie der Wissenschaften in Moskau. Stefan Plaggenborg ist Professor für Osteuropäische Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum.

Inhalt

Entstalinisierung: Auf dem Weg zur Sozialen Planwirtschaft 7

1. Einleitung 20
1.1 Das Thema des Buchs 20
1.2 Historiographie, Quellen und Forschungsmethoden 31

2. Auf dem Weg zum sowjetischen Wohlfahrtsstaat 46
2.1 Die sozialen Folgen des Krieges und der Stalinschen Modernisierung 46
2.2 Die Auswahl der sozialen Strategie und die politischen Diskussionen 59
2.3 Malenkovs »sozialer Kurs« 69
2.4 Die Entstalinisierung und das Sozialprogramm Chrusevs84
2.5 Die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen der Sozialpolitik94

3. Die Sozialpolitik im Kontext der ökonomischen Entwicklung der UdSSR113
3.1 Der Mechanismus der sozialistischen Wirtschaftstätigkeit113
3.2 Die finanziellen Aspekte der sozialen und ökonomischen Entwicklung der UdSSR127
3.3 Probleme der sowjetischen Modernisierung und soziale Risiken143
3.4 Die soziale Effektivität der gesellschaftlichen Produktion 163

4. Die gesellschaftlichen Verbrauchsfonds - der Kern des sowjetischen Wohlfahrtsstaates 179
4.1 Zweckbestimmung und ökonomischer Gehalt 179
4.2 Finanzierungsquellen und Ausgabenarten 190
4.3 Umfang, Struktur und Dynamik 214
4.4 Die Gewerkschaften und die gesellschaftlichen Verbrauchsfonds 229

5. Das sowjetische Modell der Sozialpolitik 241

6. Fazit 264

Abkürzungsverzeichnis269
Quellen 273
Literatur 274

Entstalinisierung: Auf dem Weg zur Sozialen Planwirtschaft

Vorwort von Stefan Plaggenborg

Sozialpolitik, der Gegenstand des Buches der Moskauer Historikerin Galina Ivanova, war in der Sowjetunion sowohl als Begriff wie als Sache lange Zeit abwesend. Warum sollte ein sozialistisches System Sozialpolitik betreiben, verkörperte es doch als solches die soziale Gerechtigkeit schlechthin. Sozialpolitik war Reparaturarbeit an den Auswüchsen des Kapitalismus. In der Sowjetunion bedurfte es solcher Tätigkeiten nicht.
Eine derartige Sichtweise hat sich als Selbsttäuschung herausgestellt. Die Probleme sozialer Ungleichheit, Bedürftigkeit, Armut sowie viele andere Fälle von notwendiger Unterstützung infolge von Lebensrisiken ließen sich auch in der Sowjetunion nicht übersehen. Sie veranlassten die Regierung in Moskau, in der Sache Dinge zu tun, die den üblichen Namen nicht tragen durften. Im Vergleich zu westlichen Staaten begann der Kreml spät mit Sozialpolitik. Zwar wurde auch schon zuvor soziale Fürsorge betrieben, doch erst nach 1956 wurde sie Schritt für Schritt systematisch ausgebaut.
Erstmals liegen nun zwei umfassende Studien zu diesem Gebiet der sowjetischen Geschichte nach Stalin vor, die auf umfangreichen Archivalien beruhen. Neben Ivanovas Buch ist die grundlegende Untersuchung zur Altersversorgung von Lukas Mücke zu nennen. Grundlegend deshalb, weil in ihr nicht nur der Gegenstand mustergültig erforscht worden ist, sondern auch, weil an der Art und Weise, wie ein Regime mit den Alten umgeht, die soziale Verfassung einer Gesellschaft erkennbar wird. Beide Arbeiten sind in einem gemeinsamen Forschungsprojekt an der Ruhr-Universität Bochum entstanden. Sie können unser Wissen sowie unseren Blick und die Interpretation der Jahre nach Stalin erheblich verändern.
Den Lesern, die sich in die einzelnen Kapitel des vorliegenden Buches von Galina Ivanova vertiefen, sei mit einer kurzen Einführung geholfen, die, erstens, den historischen Kontext der sowjetischen Sozialpolitik erläutert, zweitens die wichtigsten Ergebnisse des Buches zusammenfasst und offene Fragen anschließt und drittens die Resultate der Untersuchung in eine knapp skizzierte Diskussion über vergleichende und theoretische Aspekte von Sozialpolitik und Wohlfahrtsstaat einführt.
Historisch ist die sowjetische Sozialpolitik in den Zusammenhang der Entstalinisierung einzuordnen. Für die sowjetische Geschichte liegt hier eine tiefgreifende Zäsur vor, welche die poststalinistische UdSSR deutlich von den Jahren der stalinistischen Herrschaft abhebt. Bisher haben wir uns an eine bestimmte Sicht dieser neuen Phase der sowjetischen Geschichte gewöhnt. Entstalinisierung, das war die Abkehr des Regimes von der massenhaften Gewalt, der in den Jahren des Stalinismus Millionen Menschen zum Opfer gefallen waren. Wir denken an die "Geheimrede" des Ersten Sekretärs Nikita Chrus?ev auf dem 20. Parteitag der KPdSU 1956, in der er mit Stalin abrechnete, ihn als Verbrecher bezeichnete, zahlreiche Terrormaßnahmen beschrieb und ebenso viele nicht erwähnte und das riesige Problem des massenmörderischen Stalinismus unter dem Begriff des Personenkultes zusammenfasste, das heißt verkleinerte. Entstalinisierung bedeutete - wie sich herausstellte: vorübergehende - Liberalisierungen in den Wissenschaften, sogar in der ideologisch gebundenen Geschichtswissenschaft, vor allem aber in der Kunst. Das "Tauwetter", der Titel eines Romans von Ilja ?renburg, gab diesen neuen Tendenzen den Namen. Erstmals durfte die literarische Verarbeitung von Lagererfahrungen erscheinen: Aleksandr Solzenicyns Ein Tag im Leben des Ivan Denisovi?. Nach der ersten großen Amnestie von Lagerhäftlingen 1953 wurden die Lager des Gulag schrittweise aufgelöst. Rehabilitierungen der Opfer des Stalinismus kamen auf die politische Tagesordnung, wurden aber nur halbherzig betrieben. Rechtsreformen führten 1957/58 zu einer Demilitarisierung der Rechtsprechung. Ein formeller Verbrechensbegriff, de

Erscheint lt. Verlag 9.2.2015
Übersetzer Lukas Mücke, Shirin Schnier
Verlagsort Frankfurt
Sprache deutsch
Original-Titel ...
Maße 140 x 213 mm
Gewicht 355 g
Themenwelt Geschichte Allgemeine Geschichte Zeitgeschichte
Geschichte Teilgebiete der Geschichte Wirtschaftsgeschichte
Schlagworte Armut • Entstalinisierung • Moskau • Nikita Chruschtschow • Sowjetunion • Sowjetunion; Politik/Zeitgesch. • Sozialpolitik • UdSSR • Wohlfahrt
ISBN-10 3-593-50284-4 / 3593502844
ISBN-13 978-3-593-50284-7 / 9783593502847
Zustand Neuware
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