Elemente einer realistischen Philosophie (eBook)

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2014 | 1. Auflage
180 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-73672-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Elemente einer realistischen Philosophie -  Jocelyn Benoist
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Bei welchen Gelegenheiten und auf welche Weise sprechen wir heute von der »Realität«? Welche Rolle spielt diese Idee in unserem Denken und Leben? Jocelyn Benoist verbindet in seinem konzisen Buch meisterhaft Einsichten der Phänomenologie und der analytischen Philosophie und zeigt, dass das Konzept der Realität auch nach der Verabschiedung jeder essentialistischen Definition eine konstitutive Rolle für unser Denken spielt. In pointierten Studien untersucht er, wie der Realitätsbegriff in verschiedenen Bereichen - von der Philosophie des Geistes, der individuellen Intentionalität und der Wahrnehmung, bis hin zum Sozialen und Politischen - zur Anwendung kommt. Ein grundlegender Beitrag zur aktuellen Debatte um den »Neuen Realismus«.

<p>Jocelyn Benoist ist Professor für Philosophie an der Universität Paris 1 Panthéon-Sorbonne und Mitglied des Institut Universitaire de France.</p>

17Erstes Kapitel
Die Repräsentation


Ein Allgemeinplatz der modernen Erkenntnistheorie war und ist zweifelsohne, dass wir niemals anders Zugang zu den Dingen haben als durch deren Repräsentation. Selbst jenseits des eigentlich philosophischen Fachbereichs findet man nicht selten am Anfang von kognitionswissenschaftlichen Darstellungen diese Art von Beteuerungen, die im Ton evidenter Selbstverständlichkeit vorgetragen werden.

In Wahrheit wirft eine solche Beteuerung bereits eine grundsätzliche Schwierigkeit auf: Sind »die Dinge« denn allesamt derart einheitlich beschaffen, dass man sinnvoll sagen kann, wir haben »Zugang« zu diesen oder nicht? Die Zugangsmetapher impliziert, dass es einen Weg gäbe, den man zurücklegen müsste, um bis zu den Dingen zu gelangen. Häufig jedoch triff es eher zu, dass sie auf uns zukommen. Und noch diese Umkehrung der Metapher teilt deren Begrenztheit. Sie setzt in der Tat immer noch einen zurückgelegten Weg dort voraus, wo es nach allgemeiner Regel überhaupt keinen Weg gibt. Denn im Grunde ist es eher wahr, dass wir die Dinge haben in dem Sinne, dass sie ganz einfach als Aufgabe da sind, etwas mit ihnen zu tun.

Freilich gibt es Fälle, bei welchen sich die Frage nach dem Zugang wirklich stellt; gewisse Dinge liegen in der Ferne oder sind versteckt, und es gibt einen Weg, den man zurücklegen muss, einen Aufwand, den man in dem einen oder anderen Sinn treiben muss, um sie aufzusuchen. Jedoch wo würde der Weg zurückgelegt, wenn nicht unmittelbar innerhalb der Dinge, mit welchen wir in Berührung sind und bei denen sich die Zugangsfrage gar nicht erst stellt? Die gewöhnliche Vorstellung, sich einen Weg zu be18stimmten herausgehobenen Dingen zu bahnen, wirft uns zurück mitten unter die Dinge und auf unsere Zugehörigkeit zu diesen.

So wird der Zugangsbegriff im modernen Repräsentationalismus aber nicht verwendet. Alles sieht ganz danach aus, als ob die Repräsentationen im Allgemeinen eine Art Puffer bildeten, durch welchen die Dinge von unserem Geist auf Abstand gehalten würden. Zugang zu den Dingen ist, so sagt man, nur vermittels Repräsentationen zu haben. Und man versteht darunter: durch die Repräsentationen hindurch, ganz gleich, ob man unter diesem Titel die »internen Gehalte« eines individuellen Bewusstseins oder die eines »Begriffsschemas« subsumiert, das eine Art kollektiven Geists konstituieren würde. Gewiss ist es kein Zufall, dass der Gebrauch von »Repräsentation« seine Wurzeln im modernen Internalismus hat, der übrigens noch gute Zeiten vor sich zu haben scheint, nachdem er gegen Ende des 20. Jahrhunderts durch eine gewisse vorherrschende Art, Kognitionswissenschaften zu betreiben, belebt worden ist. Zentral ist jedoch – und zwar ganz unabhängig davon, ob wir von einem »internen« Charakter des repräsentationalistischen Milieus ausgehen oder nicht –, dass der so gebrauchte Begriff von Innerlichkeit epistemologisch verstanden überhaupt nur Sinn ergibt, wenn die Repräsentationen wie eine Projektionsfläche zwischen uns und den Dingen stehen. Die Grundthese besteht darin, dass wir einen Bezug zu den Dingen nur knüpfen können, insofern diese repräsentiert werden.

Hier meldet sich ein erster Zweifel: dieser besagt, dass die repräsentierten Dinge und die Dinge zweierlei wären. Weit davon entfernt, dass das Repräsentieren der Dinge einen (vielleicht den?) Modus konstituieren würde, sich mit diesen ins Verhältnis zu setzen – wenn man, einmal mehr, zugesteht, dass es überhaupt sinnvoll sei, sich derart ins Verhältnis zu setzen –, gälte letztlich, dass uns die Repräsenta19tionen mit den repräsentierten Dingen und nicht mit den Dingen ins Verhältnis setzen würden.

Daraus erwächst ein zweiter Zweifel, dass es vielleicht jenseits von diesen »repräsentierten Dingen« schließlich überhaupt keine »Dinge« mehr gäbe, das heißt irgendetwas, worauf man sich derart sinnvoll beziehen könnte.

Diese Behauptung, die in sich mehrdeutig ist, muss man genauer fassen. Sie könnte ja bedeuten, dass das »repräsentierte Ding« im Allgemeinen (wenn wir denn unsere Repräsentationen richtig gebrauchen) das Ding selbst wäre. Fasst man die Behauptung so auf, dann hat sie gute Chancen, wahr zu sein: Meint der Begriff der »Repräsentation« in einer seiner Verwendungen, die zwar nicht die einzig mögliche, aber deshalb doch nicht die weniger wesentliche ist, nicht genau dies? Versteht man es so, hat man jedoch bereits dem repräsentationalistischen Dispositiv widersprochen, das wir soeben dargestellt haben – und für welches die Repräsentationen gewissermaßen wie eine Projektionsfläche zwischen Geist und Dingen stehen. Darüber hinaus fassen dies die (post-)modernen Repräsentationalisten in aller Regel gerade nicht so auf. Gewöhnlich läuft die Behauptung, dass es jenseits der »repräsentierten Dinge« überhaupt keine »Dinge« gebe, schlicht und einfach darauf hinaus, die Vorstellung überhaupt von einem »Ding an sich« abzulehnen. Der so vertretene Standpunkt besteht dann darin zu behaupten, dass wir es stets nur mit Repräsentationen zu tun haben sowie dass die Vorstellung des »Dings« zurück auf das Konto der philosophischen Mythen überwiesen werden muss. Ein solches »Ding«, das seine Repräsentationen übersteigen oder auf jeden Fall sich nicht auf diese reduzieren lassen würde, wäre letzten Endes bloß eine weitere Repräsentation, und eine, von der wir uns als unserer letzten Illusion zu befreien angehalten wären.

Ein solches Prinzip könnte man den (post-)modernen Antirealismus nennen.

20Dieser beruht auf einer gewissen Art und Weise, den Begriff der »Repräsentation« ins Spiel zu bringen. Von den Repräsentationen nimmt man an, dass sie uns so weit von den Dingen trennen würden, bis wir diese schließlich verloren hätten und es gar sinnlos würde, überhaupt von »Dingen« zu sprechen. Anders formuliert würde von diesem Standpunkt aus die Bezugnahme auf Repräsentationen eine realitätsauflösende Wirkung haben.

Diese Beteuerung erweist sich jedoch als befremdlich, denn immerhin liegt hier nichts vor, was durch den gewöhnlichen Wortgebrauch des Begriffs der »Repräsentation« nahegelegt würde. Aus diesem darf man jedenfalls schließen, dass ein anderes Verständnis des Begriffs möglich ist. Dies soll in diesem Kapitel gezeigt werden.

Was bezeichnen wir gewöhnlich als »Repräsentation«? Bei einem Besuch von Frank Lloyd Wrights Studio in Oak Park beispielsweise unterstreicht die Architekturstudentin, welche die Führung leitet, dass dieses oder jenes Möbel nicht das Original, sondern »eine Repräsentation« sei. Was möchte sie damit zum Ausdruck bringen? Einfach dass es sich nicht um das Möbelstück selbst handelt, das zu der Zeit im Zimmer stand, als Wright dort lebte, sondern um eine Reproduktion. Die Museumsführerin unterscheidet also zwischen dem Ding selbst und seiner Repräsentation.

Doch könnte das Prinzip dieser Unterscheidung in diesem Fall auch nicht einleuchten. Denn immerhin, so könnte man versucht sein zu sagen, was ist daran gelegen, dass es sich tatsächlich um »das Original« handelt, wenn doch die Reproduktion ihm exakt gleicht? Man kann zwar einräumen, dass die Echtheit des Möbelstücks oder die Tatsache, dass es wirklich von Wright ist, relevant seien. Ansonsten müsste man in der Malerei auch Fälschungen zulassen, und es wäre unverständlich, warum man in die Museen eilen sollte, um echte Bilder zu sehen. Gleichwohl wird im Falle von Wrights Studio deutlich, dass die beiden Anforderun21gen häufig erfüllt sind. Also weshalb diese Versessenheit auf das »Ding selbst«? Reichen die extreme Ähnlichkeit und die gemeinsame Urheberschaft des Gegenstandes nicht aus, um diesen als »dasselbe Ding« zu bestimmen? Freilich wird diese Überlegung dadurch beeinflusst, dass es sich um Architektur und Inneneinrichtung handelt. Wenn diese in der allgemeinen Anordnung nicht verändert wurde, was ist daran gelegen, dass jedes einzelne Möbelstück exakt das Original ist? Hielte man dies für wichtig, dann hätten die gotischen Kathedralen, bei welchen man sich bereits an den Wiederaufbau machte, als sie noch nicht fertig waren, keine Identität. Und was wollte man von jenen japanischen Holztempeln sagen, an welchen sich kein einziges »Originalbrett« mehr befindet? Im letzten Fall wäre die Vorstellung eines »Originals« sinnlos: die Dinge sind nicht dafür gemacht worden.

Ganz gleich was man von der Altertümelei des (post-)modernen Abendlandes zu halten hat, aufgrund welcher man sich fragt, ob der Frisierstuhl in jenem Zimmer wohl wirklich der von Frau Wright gewesen ist, wenn man das Studio Frank Lloyd Wrights besucht, so gehört doch diese Art von Überlegungen gleichwohl zu den Fragen, die wir uns stellen. Wir besuchen den Ort, an dem Wright gelebt und gearbeitet hat, nicht bloß, um die architektonische und dekorative Schönheit des Werkes zu bewundern, sondern auch, um dort eine Spur des Genies zu finden, um in eine Art biographischen Kontakt mit ihm zu treten. Deshalb liegt einem daran, erläutert zu bekommen, dass es sich in einigen Fällen nicht um das Ding selbst, sondern um eine Repräsentation handelt.

Was von einem gewissen Standpunkt aus als dasselbe gelten und also für das Ding selbst gehalten werden kann, kann demnach von einem anderen Standpunkt aus diese Eigenschaft aufgeben und zur Repräsentation werden. Die Selbstheit dessen, was wir das »Ding selbst« nennen, hat 22perspektivischen Charakter. Angesichts aller Gegebenheit zielt die Grundfrage, sobald wir ein Problem in...

Erscheint lt. Verlag 10.11.2014
Übersetzer David Espinet
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Original-Titel Élements de philosophie réaliste
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie der Neuzeit
Schlagworte Philiosophie • Realismus • Realität • STW 2100 • STW2100 • suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2100
ISBN-10 3-518-73672-8 / 3518736728
ISBN-13 978-3-518-73672-2 / 9783518736722
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