Der Nachfolger (eBook)

Lyndon B. Johnson und der Tag, an dem Kennedy starb

(Autor)

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2013 | 1., Deutsche Erstausgabe
65 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-73532-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Nachfolger - Robert A. Caro
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Als John F. Kennedy tödlich getroffen wird, liegt Lyndon B. Johnson auf dem Boden seines Cabriolets. Ein Leibwächter hat sich über den Vizepräsidenten geworfen. Johnson sieht nichts, hört nur panische Stimmen. Erst im Krankenhaus nimmt der Mann, der später die Rassentrennung abschaffen und sein Land in das Desaster von Vietnam führen sollte, das Heft des Handelns in die Hand. Robert A. Caro hat die Ereignisse, die die Welt erschütterten, anhand unzähliger Augenzeugenberichte rekonstruiert. Aus der Perspektive von JFKs Nachfolger erzählt er die Stunden bis zu Johnsons Vereidigung an Bord der Air Force One - so dramatisch und detailreich, wie wir es noch nie gelesen haben.

<p>Robert A Caro wurde 1935 in New York geboren. Für <em>The Power Broker</em>, sein Buch über den amerikanischen Stadtplaner Robert Moses, erhielt der Autor seinen ersten Pulitzer-Preis. Seit den späten siebziger Jahren arbeitet Caro an einer mittlerweile auf fünf Bände angelegten Lyndon-B.-Johnson-Biografie. Für den dritten Band, <em>Master of the Senate</em>, wurde er 2003 erneut mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.</p>

[Cover] 1
[Informationen zum Buch/Autor] 2
[Impressum] 4
Der Nachfolger 5

Für Lyndon Johnson begann Freitag, der 22. November 1963, in Fort Worth mit dieser Schlagzeile auf der Titelseite der Dallas Morning News: »YARBOROUGH BRÜSKIERT LBJ.«

Johnson, der John F. Kennedy auf einer Reise durch Texas begleitete, hatte einen Auftrag erhalten, der dem Präsidenten äußerst wichtig war. Wenn man Texas bei den Wahlen 1964 gewinnen wollte, mussten die Demokraten dort unbedingt geeint auftreten, und der Vizepräsident stand in der Pflicht, den bitteren Bruch innerhalb der Demokratischen Partei zwischen Gouverneur John B. Connally, einem ehemaligen Mitarbeiter Johnsons, und Senator Ralph Yarborough, dem Führer des liberalen Parteiflügels, zu kitten. Aber am Tag zuvor hatte Yarborough sich geweigert, auch nur im selben Wagen wie Johnson zu fahren. Obwohl er den Vizepräsidenten bei einem Autokorso durch San Antonio begleiten sollte, war er in ein anderes Auto gestiegen, so dass nun Johnson und seine Frau, Lady Bird, in der Wagenkolonne verdächtig allein auf dem Rücksitz ihres Kabrioletts saßen, während die übrigen Fahrzeuge hinter der Limousine des Präsidenten erkennbar vollgestopft mit Menschen waren.

An diesem Tag nun berichteten die Zeitungen in allen Einzelheiten über Johnsons Demütigung. »Zweimal schickte Johnson (…) in San Antonio einen Agenten des Secret Service zu Yarborough, der ihn einladen sollte, ihn in seinem Wagen zu begleiten. Beide Male ignorierte der Senator die Einladung und fuhr bei jemand anderem mit«, hieß es in der Los Angeles Times. Und die Chicago Tribune beschrieb die »knappe Handbewegung«, mit der Yarborough den Boten des Vizepräsidenten abblitzen ließ. Die Fehde war nicht nur in Texas, sondern im ganzen Land die Hauptstory des Kennedy-Besuchs. Am Morgen des 22. November saß Johnson in Fort Worth in seiner Suite im Hotel Texas vor diesen Zeitungen – allein die Dallas Morning News brachten vier gesonderte Artikel, einer davon mit der Überschrift: »NIXON SAGT VORAUS, JFK LÄSST JOHNSON MÖGLICHERWEISE FALLEN«. Und dann musste er hinunter zu einer Versammlung von fünftausend Gewerkschaftsmitgliedern gehen, an der auch Kennedy, Yarborough, Connally und einige Kongressabgeordnete teilnahmen, die natürlich alle diese Artikel gelesen hatten. Als sie über die Straße hinüber zu der Versammlung gingen, hatte ein leichter Nieselregen eingesetzt. Johnson trug einen Regenmantel und einen Hut. Kennedy dagegen, schlank und ohne Hut, trug einen eleganten blaugrauen Anzug. Johnson nahm rasch seinen Hut ab. Er hatte die Aufgabe, Kennedy anzukündigen, und als er geendet hatte, begrüßte die Menge den Mann neben ihm mit brausendem Beifall. Kennedy wirkte gelöst und charmant. Er erklärte zunächst, warum Jackie nicht da war (»Mrs. Kennedy ist noch dabei, sich zu organisieren; das dauert etwas länger – aber natürlich sieht sie besser aus als wir«). Johnson musste den Präsidenten um einen Gefallen bitten, nämlich kurz seine jüngste Schwester Lucia zu empfangen, die in Fort Worth lebte. Als Lucia an diesem Morgen dem Präsidenten die Hand schüttelte, war sie entzückt; sie habe immer schon einem Präsidenten die Hand schütteln wollen, sagte sie.

Als Kennedy sich früh am Morgen ankleidete, hatte er ein enges, mit Metallstäben verstärktes Leinenkorsett angelegt und darüber wie auch über seine Hüften achtförmig eine elastische Bandage geschlungen; es würde ein langer Tag werden. Jetzt war es neun Uhr und Zeit, bei einem Frühstück der Handelskammer von Fort Worth im Festsaal des Hotels eine Ansprache zu halten. »Na gut, gehen wir!«, sagte er.

***

Neun Uhr in Texas, das war zehn Uhr in Washington. Um zehn Uhr in Washington, etwa um dieselbe Zeit, zu der Kennedy sich auf den Weg in den Festsaal in Fort Worth machte, betrat der Versicherungsmakler Don B. Reynolds aus Maryland in Begleitung seines Anwalts Raum 312 des Old Senate Office Building auf dem Capitol Hill, um Fragen zweier Mitglieder des Senate Rules Committee zu beantworten: Burkett Van Kirk, Vertreter der republikanischen Minderheit, und Lorin P. Drennan, Rechnungsprüfer des General Accounting Office, der zur Unterstützung des Ausschusses abgestellt worden war.

Reynolds war vorgeladen worden, weil das Rules Committee mit der Untersuchung eines Skandals begonnen hatte, in dessen Mittelpunkt Johnsons Schützling Robert G. (Bobby) Baker stand, den Johnson in seiner Zeit als Mehrheitsführer im Senat zum Sekretär der Senatsmehrheit gemacht hatte. In den letzten beiden Monaten hatte der Skandal sich von Woche zu Woche verschärft. In einem verzweifelten Versuch, die Untersuchung abzuwenden, war Baker schließlich zurückgetreten (er sagte später, wenn er geredet hätte, »wäre Johnson von diesen Enthüllungen möglicherweise tödlich getroffen worden«, und sie hätten ihn »sein Amt kosten können«), doch der Rücktritt verstärkte nur den Sturm, der auf den Titelseiten der Zeitungen im ganzen Land und in den Sensationstitelgeschichten der wichtigsten Magazine ausbrach. Der Skandal hatte sich bislang auf den Mann konzentriert, der in Washington »Klein-Lyndon« genannt wurde, aber die Berichterstattung begann mehr und mehr, Johnson selbst in den Mittelpunkt zu rücken. Am Montag der Woche, in der Kennedy nach Texas flog, war in Time ein langer, ausführlicher Artikel mit dem Titel »Der Skandal in Washington zieht immer weitere Kreise« erschienen, der auf der Arbeit eines Rechercheteams unter Leitung des Pulitzer-Preisträgers William G. Lambert basierte. Dieser Artikel berichtete nicht einfach nur über Bakers Finanzgebaren, sondern machte deutlich, dass er bei der Verteilung der Spendengelder und seinen sonstigen Aktivitäten im Senat »Lyndons skrupellosester Helfer bei der Organisation der Show« gewesen war. Und an diesem Morgen nahm die Sache noch schärfere Konturen an. Reynolds, ein ehemaliger Geschäftspartner von Baker, war in Raum 312 gekommen, um den Ermittlern des Senatsausschusses Auskunft über einige von Bakers Aktivitäten zu geben, deren eine – den Kauf von TV-Werbezeit und einer teuren Stereoanlage als Gegenleistung für die Ausstellung einer Versicherungspolice – Baker selbst später als »Schmiergeld reinsten Wassers« für Johnson bezeichnete. Auf Anraten seines Anwalts hatte Reynolds Dokumente – Rechnungen und stornierte Schecks – mitgebracht, die seine Behauptungen beweisen sollten. Auch eine weitere Aktivität von Baker, die Reynolds an diesem Morgen offenzulegen begann, stand, wie sich zeigen sollte, in einem Zusammenhang mit Johnson: eine überteuerte Zahlung für eine Leistungsgarantie – der Bauunternehmer Matthew McCloskey, ein wichtiger Geldgeber der Demokratischen Partei, hatte für eine Leistungsgarantie, die dreiundsiebzigtausend Dollar gekostet hatte, insgesamt einhunderttausend Dollar gezahlt, wobei von dem Überschuss, wie Reynolds später aussagte, fünfundzwanzigtausend Dollar in »Mr. Johnsons Wahlkampfkasse« flossen.

In New York sollte an diesem Morgen ebenfalls ein Dutzend Reporter und Redakteure zusammenkommen, in den Räumen George P. Hunts, des Redaktionsleiters des Life Magazine. In den letzten Wochen hatten Reporter, die nach Texas geschickt worden waren, um die Finanzen des Vizepräsidenten unter die Lupe zu nehmen, weite Felder aufgetan, die eine genauere Untersuchung verdienten. So hatten sie begonnen, Grundbücher und andere Archive nach neueren Grundstücksverkäufen durchzuschauen, und dabei hatten sie herausgefunden, dass die Immobilien- und Bankgeschäfte der Johnsons Familie gehörenden L.B.J. Company einen weitaus größeren Umfang besaßen, als man bislang vermutet hatte. Andere Reporter gingen dem Werbegeschäft und weiteren Aktivitäten von KTBC nach, dem Eckpfeiler der umfangreichen Beteiligungen Johnsons an Radio- und Fernsehsendern, und auch dort stießen sie auf immer mehr Details, die eine genauere Untersuchung verdienten. »Mit jedem Tag dieser Woche (…) wurde die Story größer und größer«, sagte Lambert später, und es war nun nicht mehr nur eine Bobby-Baker-Story, sondern eine »Lyndon-Johnson-Story«. Nach dreißig Jahren im Staatsdienst »war er ein vielfacher Millionär«. Aber, so meinte Lambert, inzwischen arbeiteten so viele Reporter in Johnsons Heimat Austin und dem Hill Country, dass sie »sich gegenseitig auf die Füße traten«. Ein Mitglied der Redaktion, Keith Wheeler, hatte bereits einen Artikel mit einigen der neuen Rechercheergebnisse geschrieben. Nun musste entschieden werden, ob man diese Story in der nächsten Ausgabe des Magazins bringen oder ob man das vorhandene Material noch zurückhalten wollte, bis noch mehr hinzugekommen war, so dass man es zu einer mehrteiligen Serie über »Lyndon Johnsons Geld« verarbeiten konnte – ein »Netto-Job«, wie Lambert dies nannte. Ein Meeting, auf dem man diese Entscheidung treffen und die Recherchefelder in Texas aufteilen wollte, hatte man für den 22. November um 11.30 Uhr anberaumt.

***

Während Don Reynolds den Leuten vom Rules Committee Informationen gab, die schon bald für Schlagzeilen sorgen würden, und während Life Rechercheaufträge verteilte, die für noch größere Schlagzeilen sorgen konnten, machte die Fahrzeugkolonne des Präsidenten sich vom Hotel in Fort Worth auf den Weg zum Flughafen und zum Flug nach Dallas.

An seinem Revers trug Lyndon Johnson eine weiße Nelke, die man ihm beim Frühstück der Handelskammer angesteckt hatte, und in seinem Wagen saß Ralph Yarborough. »Es ist mir egal, ob Sie Yarborough mit Gewalt zu Lyndon in den Wagen zerren müssen«, hatte Kennedy am Morgen zu Larry O’Brien, seinem Berater für Fragen der Legislative, gesagt, »aber sehen Sie zu, dass er drin sitzt.« Und seinem persönlichen Assistenten Ken O’Donnell hatte er den Auftrag gegeben, Yarborough auszurichten: »Wenn er heute nicht mit Lyndon...

Erscheint lt. Verlag 16.9.2013
Übersetzer Michael Bischoff
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Original-Titel The Transition (erschienen im New Yorker vom 2. April 2012)
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Zeitgeschichte ab 1945
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte Johnson • Johnson Lyndon B. • Johnson, Lyndon B. • kennedy • Kennedy-Attentat • Lyndon B. • The Transition (erschienen im New Yorker vom 2. April 2012) deutsch • Vereinigte Staaten von Amerika USA
ISBN-10 3-518-73532-2 / 3518735322
ISBN-13 978-3-518-73532-9 / 9783518735329
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