Nach Marx (eBook)

Philosophie, Kritik, Praxis
eBook Download: EPUB
2013 | 1. Auflage
518 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-73103-1 (ISBN)

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Nach Marx -
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Indem die kapitalistische Produktionsweise in den letzten Jahren ihre Selbstverständlichkeit eingebüßt hat, sind auch der rein individualistische Freiheitsbegriff und mit ihm das gesamte normative Gerüst des Liberalismus in die Krise geraten. Die Gesellschaftskritik von Karl Marx stellt nach wie vor attraktive Alternativen bereit. Die Beiträge dieses Bandes erörtern systematisch Aktualität, Relevanz und Grenzen der Marx'schen Philosophie. Sie untersuchen Marx' Bedeutung für den philosophischen Zusammenhang von Freiheit und Gemeinschaft und diskutieren politische Konsequenzen hinsichtlich der rechtlichen, ideologischen und ökonomischen Analyse und Kritik der Gegenwart.

<p>Rahel Jaeggi, geboren 1967, ist Professorin f&uuml;r Praktische Philosophie an der Humboldt-Universit&auml;t zu Berlin und leitet dort seit 2018 das <em>Centre for Social Critique</em>.</p> Daniel Loick ist Associate Professor für Politische Philosophie und Sozialphilosophie an der Universität Amsterdam.

Cover 1
Informationen zum Buch / zu den Herausgebern 2
Impressum 4
Inhalt 5
Rahel Jaeggi und Daniel Loick 
9 
I. Freiheit und Gemeinschaft 23
Frederick Neuhouser 
25 
Andrew Chitty 
48 
Michael Quante 

69 
II. Normativität und Kritik 87
Raymond Geuss 
89 
Rainer Forst 
107 
Daniel Brudney 
122 
Andrea Maihofer 
164 
III. Wahrheit und Ideologie 193
Terry Pinkard 
195 
Titus Stahl 
228 
Wendy Brown 
255 
IV. Recht und Subjektivität 271
Christoph Menke 
273 
Daniel Loick 
296 
V. Kapitalismuskritik und Klassenkampf 319
Rahel Jaeggi 
321 
Axel Honneth 
350 
Moishe Postone 
364 
Hartmut Rosa 
394 
Hauke Brunkhorst 
412 
VI. Politische Praxis 443
Étienne Balibar 
445 
Alex Demirovic 
463 
Oliver Marchart 
486 
Über die Autorinnen und Autoren 515

9Rahel Jaeggi und Daniel Loick
Marx’ Aktualitäten – Zur Einleitung


1. Aktualität der Kapitalismuskritik und Aktualität von Marx


Die Menschen werden obdachlos, weil zu viele Wohnungen gebaut wurden, sie hungern, weil zu viele Lebensmittel produziert wurden: Selten in der jüngeren Geschichte ist das Vertrauen in die Rationalität des kapitalistischen Wirtschaftssystems so schwer erschüttert worden wie im Zuge der Finanzkrisen der letzten Jahre. Diese Krisen, die zugleich auch politische, polizeiliche, ökologische und letztlich lebensweltliche Krisen sind, haben offenbar die Plausibilität des Kapitalismus in vielerlei Hinsicht in Frage gestellt. Der Schock darüber, dass ein ganzes Weltwirtschaftssystem durch für die meisten undurchschaubare Mechanismen ins Wanken geraten konnte, aber auch der Umstand, dass die politischen Reaktionen darauf so hilflos und für viele auch auf empörende Weise ungerecht zu sein scheinen, nährte nach Jahren des Burgfriedens (zumindest in den Ländern der westlichen Hemisphäre) und der Verlagerung politischer und sozialer Auseinandersetzungen in (auf den ersten Blick) andere Sphären plötzlich wieder die Zweifel an der längerfristigen Stabilität und Nachhaltigkeit des Kapitalismus. Die Kapitalismuskritik erlebt eine Renaissance, nicht nur da, wo sie jenseits aller Konjunkturen ohnehin immer schon hartnäckig (weiter)betrieben worden ist, sondern quer durch die politischen wie auch wissenschaftlichen Lager.

Das ist erstaunlich, macht man sich klar, dass nur einige Jahre vorher selbst die Verwendung der Vokabel »Kapitalismus« anrüchig geworden zu sein schien, so dass diese aus der öffentlichen Diskussion ebenso wie aus den Diskursen der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften fast verschwunden war. Weniger erstaunlich ist es vielleicht, dass sich in einer solchen Situation viele auch wieder demjenigen Theoretiker zuwenden, der wie kein anderer Ressourcen dafür anzubieten scheint, den Kapitalismus als eine nicht nur latent gewalttätige, sondern auch systematisch krisenhafte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu identifizieren, zu analysieren 10und mit Blick auf die Möglichkeiten einer verändernden Praxis zu kritisieren. Nicht nur die Kapitalismuskritik, auch Marx ist also aktuell – wie nicht zuletzt die immense Resonanz auf das weltweit sich intensivierende Angebot an Marx-Schulungen, Tagungen und Kongressen bezeugt.

2. Vorsicht mit der Aktualität


Mit dieser Aktualität allerdings sollte man es sich nicht zu leicht machen. Die theoretische Anstrengung, die Marx unternommen hat, erlaubt es bekanntlich nicht, sich unbefangen über die Ungerechtigkeit kapitalistischer Verhältnisse zu empören. Auch wäre es – sosehr mit Marx der Anspruch auf ein »Praktischwerden« der Theorie verbunden ist – bekanntermaßen falsch, in ihm den Ansprechpartner für die mancherorts beschworene »Wiederbelebung der Utopie« zu suchen. Und einfache Antworten auf die oben skizzierte Krisenwahrnehmung, sowohl was deren Verständnis als auch was deren Lösung anginge, findet man bei Marx ebenfalls nicht.

Nicht also, dass Marx, wie viele seiner (und unserer) Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, den Kapitalismus für ein zu überwindendes Übel hält, macht die Bedeutung seines Werkes aus; interessant wird es vielmehr durch die spezifische Weise, in der er sich einerseits der vordergründig moralisierenden Beschreibung enthält, die praktisch-normative Einstellung aber andererseits nicht einfach der Analyse systemischer Komplexitätsanforderungen und Eigendynamiken moderner Gesellschaften opfert. Seine Originalität macht auch nicht aus, dass Marx, wie viele seiner (und unserer) Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, die kapitalistische Vergesellschaftung in ihren negativen Auswirkungen auf die soziale Infrastruktur aufgefasst hat – nämlich als Gemeinschaftsverlust. Vielmehr besteht seine Originalität darin, den Fehler in der atomistischen Tiefengrammatik der hier zugrunde liegenden Sozialtheorie aufgespürt zu haben und damit nicht etwa das ethische Übel von Dissoziierung und Individualisierung, sondern die Folgen der systematischen Verkennung des gesellschaftlichen Zusammenhangs als eines, in dem man sich »nur in Gesellschaft vereinzeln kann«, in den Blick zu bekommen. Es ist, methodisch gesprochen, die komplexe Einheit von Analyse und Kritik und damit verbunden der Anspruch, 11aus der gesellschaftstheoretischen Analyse der Funktionsweise der ökonomischen, sozialen und politischen Verhältnisse, die die kapitalistische Gesellschaft bilden, Maßstäbe für deren Kritik zu gewinnen, die angesichts der gegenwärtig vorherrschenden Aufteilung in normative Analyse einerseits und deskriptive Einstellung andererseits Impulse zu geben vermögen. Das gilt selbst dann, wenn seine Analyse des kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems nicht etwas ist, an das man ohne weitere Überlegungen geradezu und unmittelbar wieder anknüpfen könnte. Und das gilt auch dann, wenn über die Maßstäbe einer solchen Kritik ausführlicher nachgedacht werden muss, als Marx selbst es getan hat.

Wenn Marx also »wieder« aktuell ist, dann gerade nicht, weil er vor 150 Jahren bereits die richtigen Antworten gegeben und die Lösung all unserer Probleme formuliert hätte – dies würde nicht zuletzt der tiefgreifenden Probleme spotten, die sich aus den vielen bisherigen Anwendungsversuchen ergeben haben. Aktuell wird Marx auch nicht schon durch Persistenz der Probleme, mit denen auch er sich beschäftigt hat. Aktuell wird er allenfalls durch die Relevanz seiner Problemstellung – und diese Relevanz der Problemstellung ist vor allem darin begründet, dass sie sich auf einem Reflexionsniveau bewegt, das in Bezug auf die hier angesprochenen Fragen in manchen Hinsichten überhaupt erst wieder erreicht werden muss.

3. Marx als Anreger und »Klassiker«?


Nicht nur das, was man als das Ziel der Marxschen theoretischen Anstrengung identifizieren könnte, ist unabgegolten, auch viele der philosophischen und grundlagentheoretischen Implikationen des Marxschen Werkes können auf vielfältige Weise für gegenwärtige Fragestellungen der Philosophie fruchtbar gemacht werden. Ihre Wiederaneignung und Wiedereinbeziehung in die sozialphilosophische, sozialkritische und gesellschaftstheoretische Diskussion ist auf unabsehbare Weise ertragreich und sollte deshalb auf so vielfältige Weise wie möglich geführt werden – so könnte man die diesem Sammelband zugrunde liegende Ausgangshaltung formulieren.

Dabei lässt sich Marx als Bezugspunkt ganz verschiedener methodischer Einstellungen und philosophisch-politischer Erbschaf12ten entdecken. Das gilt, wie sich in den hier versammelten Beiträgen zeigt, für die Verbindungen, die von einem neu interpretierten Hegel zu einem neu zu interpretierenden Marx ausgehen, das könnte für das erneute Produktivmachen der Mittel analytischer Philosophie für die Interpretation zentraler Fragestellungen des Marxismus gelten; das gilt für die vielfältigen Anschlusspunkte, die sich aus einer poststrukturalistischen Relektüre Marxscher Überlegungen ergeben, ebenso wie für die Bestandsaufnahme der Bedeutung von Marx vor dem Hintergrund rawlsianisch inspririerter Theorien sozialer Gerechtigkeit. Dieser durchaus nicht unverbindlich gemeinte Pluralismus und der Versuch, solche Tendenzen miteinander ins Gespräch zu bringen, haben in vielerlei Hinsicht die Zusammenstellung dieses Bandes motiviert. Es geht diesem Aufsatzband dabei, wie unschwer zu sehen ist, nicht darum, den Stand der internationalen Marx-Diskussion (wie sie nie abgerissen ist) abzubilden – weder in Bezug auf die ungeheuer produktiven editorisch-philologischen Fortschritte der letzten Jahre noch in Bezug auf die expliziter politisch-aktivistische marxistische Diskussion. Man könnte die Zusammenstellung eher als ein Experiment auffassen, dem es darum ging, die Produktivität des Marxschen Werks daran zu erweisen, dass hier sowohl Theoretikerinnen und Theoretiker versammelt sind, die sich schon seit langer Zeit mit Marx auseinandersetzen, als auch solche, die die eigene theoretische Perspektive erst neuerdings mit derjenigen von Marx konfrontieren. Dabei soll durchaus kein Schaukampf zwischen unterschiedlichen Schulen, Strömungen oder Fraktionen lanciert werden, sondern ein gewissermaßen »frischer« Blick auf die genuin philosophischen Implikationen des Marxschen Ansatzes ausprobiert werden.

Nicht nur, dass man – wie sich auch in der Auswahl der Autorinnen und Autoren dieses Bandes zeigt – keine Marxistin (mehr) sein muss, um sich mit Marx zu beschäftigen; auch dass Marx’ Schriften neuerdings wieder als ein Steinbruch für Beiträge zu aktuellen Diskussionen in einer Vielzahl philosophischer Disziplinen fungieren, dass man also mit Marx auch unterhalb des Bezugs auf das Gesamtsystem arbeiten kann, ist in dieser Hinsicht als ein gutes Zeichen zu werten. Es bedeutet nämlich, Marx zum Anreger und Dialogpartner zu machen und ihn – in einem Sinn, der nichts damit zu tun hat, ihn ins verstaubte Archiv eines Kanons ablegen zu wollen – als das zu behandeln, was er auch ist: einer der wichtigs13ten Klassiker der Sozialphilosophie. Als solcher wird er im Lichte neuerer Tendenzen reinterpretiert, es wird auf dem Hintergrund neuer Fragestellungen an ihn angeschlossen, er wird kritisiert und auf seine Anschlussfähigkeit hin befragt, man nimmt sich Stücke und Motive aus seinem vielfältigen Werk, die für die eigenen systematischen Interessen produktiv sind. Nicht orthodox – aber noch nicht einmal mehr offensiv unorthodox. Vielleicht wird erst durch...

Erscheint lt. Verlag 17.6.2013
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie
Schlagworte 2011 • Berlin • Kapitalismus • Karl • Kongress • Marx • Marx Karl • Marx, Karl • Philosophie • Philosophischer Buchpreis 2024 • Rezeption • STW 2066 • STW2066 • suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2066
ISBN-10 3-518-73103-3 / 3518731033
ISBN-13 978-3-518-73103-1 / 9783518731031
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