Mit diesem Buch legen die Autoren eine wissenschaftlich fundierte Geschichte der Bausoldaten in der DDR von 1964 bis 1990 vor. Erstmals werden die Hintergründe der Bausoldatenregelung, die Dimensionen des Ersatzdienstes sowie das Verhalten der offiziellen Stellen gegenüber Bausoldaten umfassend dargestellt. Zu den etwa 15.000 jungen Männern, die das Tragen von Waffen oder den Wehrdienst aus Glaubens- oder Gewissensgründen ablehnten, zählen Rainer Eppelmann, Wolfgang Tiefensee, Werner Schulz, Gerhard Schöne und Rainer Schult. Ein Exkurs zu den etwa 7.500 grundwehrpflichtigen Totalverweigerern vervollständigt den Band.
Bernd Eisenfeld: Jahrgang 1941; Studium der Finanzwirtschaft; 1966/67 Bausoldat; danach Berufsverbot; 1968 – 71 Gefängnisstrafe wegen 'staatsfeindlicher Hetze'; 1975 Übersiedlung nach West-Berlin; 1975 – 92 Referent des Gesamtdeutschen Instituts; ab 2001 Sachgebietsleiter bei der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen; im Juni 2010 verstorben. Peter Schicketanz: Jahrgang 1931; Theologiestudium in Halle (Saale) und Basel; Dorfpfarrer; persönlicher Referent von Bischof Jänicke; Oberkonsistorialrat in Magdeburg; 1979 – 96 Gründer und Dozent der gemeindepädagogischen Ausbildung in Potsdam; Pietismusforscher; Beratung und Begleitung von Wehr- und Waffendienstverweigerern in der DDR.
Einleitung
»Es bleibt mühsam, die verschlungenen Lebenswege in der Diktatur zwischen Widerstand und Ergebung, zwischen Anpassung und Verweigerung zu beschreiben. Noch viel schwerer ist es zu erklären, warum man so und nicht anders entschieden hat und diesen und nicht jenen Weg gegangen ist.«
Wehrdienstverweigerer Axel Noack1
Die Geschichte der Bausoldaten ist überfällig. Vor dem Mauerfall konnte zwar auf ein Buch zurückgegriffen werden, das sich dem Thema komplex zuwandte,2 aber mit dem Herausgeberjahr 1978 lediglich einen bis dahin begrenzten Zeitraum abdecken konnte und auf Quellen beruht, die vornehmlich auf die Stimmen und das Schriftgut von Betroffenen sowie kirchlicher Stellen und auf äußerst magere staatsoffizielle Verlautbarungen zurückgehen. Behandelt als hochgradige Geheimsache, blieben die Hintergründe der Bausoldatenregelung, die Größenordnung und Bewertungen sowie der Umgang mit Bausoldaten durch offizielle Stellen mangels Zugang zu Originalquellen im Wesentlichen verschlossen, so dass dementsprechende Erkenntnisse eher spekulativen bzw. abgeleiteten Charakter besaßen und dem Wahrheitsgehalt Grenzen setzten. Diese Aspekte erfüllten in Verbindung mit dem verstellten Blick hinter die Kulissen zugleich eine vom SED-Staat erhoffte und gewünschte Disziplinierungsfunktion zu allen Gedanken und Versuchen, Öffentlichkeit herzustellen. Das führte mit dazu, dass der »Bausoldat« trotz seiner außergewöhnlichen politischen Brisanz sowohl in der DDR-Geschichtsschreibung als auch in der westlichen Medienlandschaft nur marginal aufgegriffen wurde.3
Das änderte sich nach dem Mauerfall und dem damit möglich gewordenen Zugang zu den Archiven des SED-Staates. Es erschienen inzwischen einige Bücher, die neben Geschichten von direkt Betroffenen auch aus der neuen Quellenlage schöpfen und den subjektiven Erfahrungsbereich vertiefen und erweitern konnten.4 Das 40-jährige Jubiläum der Bausoldaten, das im Jahre 2004 in Form eines Bausoldatenkongresses vom 3. bis 5. September in Potsdam gewürdigt wurde, konnte ebenfalls die bisherigen Kenntnisse anreichern und ein Aufflackern des öffentlichen Interesses bewirken. Letzteres blieb jedoch im Wesentlichen in der Erinnerungskultur und in der Vernachlässigung der geschichtlichen Bedeutung der Bausoldaten hängen. Und selbst im Licht des 20. Jahrestages des Mauerfalls, der euphorisch die Friedfertigkeit des revolutionären Prozesses widerspiegelte und würdigte, blieb die Geschichte der Bausoldaten eher eine Randnotiz, obwohl sie hauptsächlich und über Jahrzehnte vom Geist und Willen der Gewaltlosigkeit geprägt war. Ohne diese Vorgeschichte erscheint der friedliche Charakter der 89er Revolution nicht denkbar.
Es ist das Anliegen der Autoren, mit diesem Buch auf der Grundlage vorliegender Veröffentlichungen, Archivalien und eigener Forschungsergebnisse eine nunmehr möglichst weithin geschlossene und wissenschaftlich fundierte Geschichte der Bausoldaten vorzulegen, die diesen verengten Blickwinkel erweitert und der Bedeutung der Bausoldaten gerecht wird.
Dazu gehört, dass die Autoren bemüht waren, die Phasen der Entwicklungsgeschichte der Bausoldaten in die jeweiligen innen- und außenpolitischen Rahmenbedingungen einzubinden. Und es sind vor allem die »periodenübergreifenden Themenfelder«, die neue und vertiefende Einblicke in die Bausoldatengeschichte geben: wie etwa die Wandlung der Motive der Bausoldaten und ihr Verhältnis zu den Vorgesetzten, die politischen Aktivitäten oder das Medienecho in beiden deutschen Staaten sowie die Situation der Reservisten.
Als besonders schwierig erwies sich die Aufbereitung soziologischer Daten über die Bausoldaten, denn sie spiegelt einerseits das Problem wider, dass die Sammlung solcher Daten außerhalb staatlicher Instanzen streng untersagt bzw. als Geheimnisverrat geahndet werden konnte; andererseits unterlagen Datenerfassungen, die hauptsächlich durch die HA I des MfS als Überwachungs- und Kontrollorgan der NVA erfolgten, vorrangig der Aktenvernichtung. So wie die NVA mit den Bausoldaten nur unwillig umging, so war offensichtlich auch ihre Aktenführung, denn sie verzichtete auf eine spezielle Bestandsführung, so dass auch hier nur ein recht mageres und punktuelles Datenmaterial auszumachen ist. Befragungen ehemaliger Bausoldaten nach dem Untergang der DDR, wie sie etwa bei Treffen anlässlich des 30- und 40-jährigen Bestehens der Bausoldaten 1994 und 2004 unternommen wurden, konnten mangels nur spärlicher Rückläufe die Defizite ebenfalls nicht ausgleichen.
So war es also Aufgabe der Autoren, aus den verschiedensten Quellen, also aus der Literatur, vornehmlich aber aus verbliebenen Datenbeständen des MfS und aus den Selbstzeugnissen von Bausoldaten sowie unter Rückgriff auf bereits veröffentlichte Befragungsergebnisse in den siebziger Jahren, die dort erfassten Daten zusammenzuführen und auszuwerten und daraus ein Bild abzuleiten, das wissenschaftlich vertretbar erscheint.
Das Geschichtsbild über die Bausoldaten wäre höchst unvollkommen, wenn es auf die Zeit beschränkt bliebe, in der sie Träger der Uniform mit dem Spatensymbol waren. Auf der einen Seite käme hinsichtlich der Diskriminierung der waffenlosen Soldaten nur die halbe Wahrheit ans Licht. Auf der anderen Seite ginge ein Zusammenhang verloren, der insbesondere die Rolle der Bausoldaten in der Oppositionsgeschichte beleuchtet, denn was Bausoldaten unter der Befehls- und Disziplinierungsgewalt der Armee vermieden oder nur ansatzweise in Gruppen umsetzen konnten, das griff nach der Armeezeit umso beherzter eine besonders engagierte Minderheit auf. Beides hat, weil in dieser Komplexität bisher auch nicht behandelt, ein gesondertes Kapitel verdient.
Letztlich haben sich die Autoren auch für einen Exkurs »Totalverweigerung« entschieden. Das diesbezügliche Quellenmaterial ist nicht nur mangels soziologischer Daten, sondern generell und nicht zuletzt wegen der mageren Selbstzeugnisse derart dünn, dass abgesehen von den bisher vorliegenden Arbeiten über die Zeugen Jehovas von einer abgeschlossenen Geschichte keine Rede sein kann. Der Exkurs ist aber insofern unumgänglich, als die Totalverweigerung mit der Geschichte der Bausoldaten eng und wechselseitig verbunden ist.
Wie gezeigt wird, haben die SED und die NVA zum einen ohne jeglichen Seitenblick auf die anderen Ostblockstaaten die Bausoldatenanordnung entwickelt und durchgesetzt, zum anderen aber die verschiedensten Vorstöße der Bausoldaten, den waffenlosen Dienst in einen Zivildienst umzuwandeln, u.a. auch mit dem Argument zurückgewiesen, dass die DDR mit dem Zugeständnis eines waffenlosen Wehrdienstes innerhalb des Ostblocks eine Regelung schuf, die durch weitere Zugeständnisse nicht mehr zu halten sei. Diese Argumentation, die den Bausoldaten bei ihren weitergehenden Forderungen auch seitens kirchlicher Repräsentanten entgegenschlug, trug zu der weitverbreiteten, bis in die heutige Zeit hineinwirkenden stereotypischen Auffassung bei, dass der waffenlose Dienst in der DDR innerhalb des Ostblocks eine Ausnahme und deshalb umso verdienstvoller gewesen sei. Da die Auseinandersetzung mit dieser Frage die Geschichte der Bausoldaten sprengen würde, dieses Buch aber nicht dazu beitragen soll, diesem Stereotyp Vorschub zu leisten, soll an dieser Stelle kurz auf Entwicklungen verwiesen werden, die den Nimbus der Einmaligkeit des waffenlosen Wehrdienstes in der DDR im Ostblock relativieren.
Bezogen auf die ČSSR und Bulgarien gab es zwar im strengsten Sinne des Wortes für Wehrpflichtige keine gesetzliche Grundlage für eine Alternative, aber immerhin ließen interne Verwaltungsvorschriften, wenn auch nur für bestimmte religiöse Gruppen wie etwa die Zeugen Jehovas, einen waffenlosen Dienst in der Armee bzw. einen mehrjährigen Arbeitsdienst zu.5
In Ungarn bestand eine gesetzliche Grundlage. Sie erlaubte einen waffenlosen Dienst in der Armee für solche Mitglieder von Religionsgemeinschaften, deren Religion, wie etwa bei den Zeugen Jehovas und Nazarenern, ausdrücklich die Ableistung eines Wehrdienstes verbietet.6
In Polen gab es laut Auskunft des Generalkonsulats der Volksrepublik in Leipzig schon seit 1967 die Möglichkeit, auf der Grundlage eines Gesetzes vom 21. November 1967 im Gesundheitswesen, bei der Sozialfürsorge, in Pflegeheimen und im Umweltschutz sowie in öffentlichen Einrichtungen »einen ersatzweisen Wehrdienst über die allgemeine Verteidigungspflicht der VR Polen« zu absolvieren.7 Zudem lief man der DDR 1988 auch den gesetzgeberischen Rang ab, als am 13. Juli im Rahmen einer Änderung des Gesetzes über die allgemeine Wehrpflicht der Begriff »Wehrersatzdienst« durch den Begriff »Ersatzdienst« abgelöst und schwarz auf weiß festgelegt wurde, dass »aus religiösen oder moralischen Gründen bei der regionalen Musterungskommission schriftlich und begründet die Ableistung des Ersatzdienstes beantragt werden konnte und die Zuweisung zu einem solchen 36monatigen Dienst zugunsten des Umweltschutzes, der Sozialfürsorge, der Kommunalwirtschaft und der Wasserwirtschaft« von den örtlichen Organen der staatlichen Leitung unter Kontrolle des Ministers für Arbeit und Sozialwesen erfolgte.8
Die weitverbreitete, aber falsche Auffassung über die Sonderstellung der DDR dürfte möglicherweise ein Grund dafür gewesen sein, dass Wehrdienstverweigerer erst in den späten achtziger Jahren versuchten, Kontakte mit Gleichgesinnten innerhalb des Ostblocks aufzubauen. Mit diesem Konjunktiv deutet sich ebenfalls eine Forschungslücke an, die noch zu schließen ist.
Zur Arbeitsweise bei der Erarbeitung der Texte ist zu sagen: Die einzelnen Abschnitte sind jeweils unter Berücksichtigung des...
Erscheint lt. Verlag | 1.1.2012 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Zeitgeschichte ab 1945 |
Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte | |
ISBN-10 | 3-86284-091-3 / 3862840913 |
ISBN-13 | 978-3-86284-091-5 / 9783862840915 |
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