Selbstbewußtsein (eBook)

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2011 | 1. Auflage
264 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-76710-8 (ISBN)

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Selbstbewußtsein -  Sebastian Rödl
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Der Gegenstand dieses Buchs ist Selbstbewußtsein, das heißt: das Wissen von sich als von sich. Sebastian Rödls zentrale These lautet, daß dieses Wissen nicht empirischer Natur ist und nicht auf sinnlicher Affektion beruht. Vielmehr ist es ein Wissen durch Spontaneität, dessen Gegenstand und Quelle die Tätigkeit des Subjekts sind, insbesondere sein praktisches wie theoretisches Denken, sein Urteilen wie Handeln. Die Kapitel dieses Buches behandeln Überzeugung, Handeln, Vernunft und Freiheit, rezeptive Erkenntnis und die zweite Person. Jedes dieser Themen verdiente ein eigenes Buch. Und doch wären all diese Bücher solche über Selbstbewußtsein, denn Selbstbewußtsein ist das allen diesen Themen zugrundeliegende Prinzip. Diese fundamentale Einsicht erzwingt eine Neuorientierung in der Handlungstheorie, der Philosophie des Geistes und der Erkenntnistheorie, mit der das vorliegende Buch einen Anfang macht.

Sebastian Rödl wurde 1967 geboren, studierte Philosophie, Musikwissenschaft, Germanistik und Geschichte an der JWG-Universität in Frankfurt am Main und an der FU Berlin. Nach seiner Promotion 1997 mit der Arbeit <em>Selbstbezug und Normativität</em> verbrachte er eineinhalb Jahre als Postdoktorand an der University of Pittsburgh. 2003 habilitierte er sich mit der Arbeit<em> Kategorien des Zeitlichen </em>an der Universität Leipzig. Nach Gastprofessuren an der University of Chicago und der New School University New York war er Heisenbergstipendiat der DFG und Associate Professor of Philosophy an der University of Pittsburgh. Von 2005 bis 2012 war er Ordinarius für Philosophie an der Universität Basel, seit 2012 ist er Professor für Philosophie mit Schwerpunkt Praktische Philosophie an der Universität Leipzig.

Inhalt 6
Vorwort 8
1. Kapitel: Erstpersonales Denken 15
Sinn und Bezugnahme 15
Sinn und Erkenntnisweisen 19
Der Gang unserer Untersuchung 26
2. Kapitel: Handeln und die erste Person 34
Die Frage, was zu tun ist 35
Handeln und die Frage, was zu tun ist 68
Handeln und Selbstbewußtsein 83
3. Kapitel: Überzeugung und die erste Person 94
Die Frage, was zu glauben ist 95
Überzeugung und die Frage, was zu glauben ist 122
Überzeugung und Selbstbewußtsein 133
4. Kapitel: Vernunft, Freiheit und wahrer Materialismus 144
Selbstbewußtsein als Vernunft 144
Selbstbewußtsein als Freiheit 150
Spontane Erkenntnis einer materiellen Wirklichkeit 164
5. Kapitel: Rezeptives Wissen 179
Das Selbstbewußtsein rezeptiver Erkenntnis 181
Fallibilität 195
Die Natur der Erkenntnistheorie 210
6. Kapitel: Die zweite Person 219
Zweitpersonale Erklärungen 221
Zweitpersonale Erkenntnis 234
Zweitpersonale Bezugnahme 245
Literatur 259

7Vorwort


Der Gegenstand dieses Buches ist Selbstbewußtsein. Seine Kapitel besprechen Handeln, Urteilen, Vernunft und Freiheit als materielle Wirklichkeit, rezeptive Erkenntnis und die zweite Person. Natürlich verdient jedes dieser Themen ein eigenes Buch. Und doch wären alle diese Bücher, ob sie darum wüßten oder nicht, Bücher über Selbstbewußtsein, denn Selbstbewußtsein wäre das Prinzip ihres Gegenstandes.

Selbstbewußtsein ist diejenige Natur eines Subjekts, die sich darin zeigt, daß es Gedanken denkt, deren sprachlicher Ausdruck die Verwendung des Pronomens der ersten Person, »ich«, verlangt. Unser Thema ist also eine Form des Denkens eines Gegenstandes oder eine Form der Bezugnahme. Unsere Untersuchung dieser Form ist von einem Prinzip geleitet, das wir in Gareth Evans’ Werk finden und das besagt, daß Formen der Bezugnahme durch ihnen entsprechende Formen der Prädikation zu verstehen sind. Das sollte nicht überraschen. Denn als Aspekte des Denkens eines prädikativen Gedankens bilden der Bezug auf einen Gegenstand und die Prädikation eines Begriffs eine Einheit, was nahelegt, daß formale Unterschiede im einen Aspekt mit formalen Unterschieden im anderen einhergehen. Da die Bezugnahme auf etwas im grundlegenden Fall die Bezugnahme auf etwas Wirkliches ist, sind die relevanten Formen der Prädikation Formen der Erkenntnis, Formen der Erkenntnis des fraglichen Gegenstandes. Eine Untersuchung des Selbstbewußtseins ist die Untersuchung einer Form der Erkenntnis, die Erkenntnis von sich als von sich ist.

Ein erstpersonaler Gedanke bezieht sich auf das Subjekt, das diesen Gedanken denkt; Descartes’ »Ich weiß, daß ich ein Denker bin« ist in jedem erstpersonalen Gedanken enthalten. Daran ist nichts Cartesianisches. Im Gegenteil verfehlt eine Theorie des Selbstbewußtseins, die ein Subjekt erstpersonaler Gedanken nicht als eines ausweist, das sich selbst als Denker erkennt, aus ebendiesem Grund ihren Gegenstand. Das legt nahe, daß wir zunächst solche erstpersonalen Gedanken untersuchen müssen, die Begriffe des Denkens verwenden. Diejenige Form der Erkenntnis, die mit der erstpersonalen Bezugnahme einhergeht, ist in erster Instanz eine 8Form der Erkenntnis von Akten des Denkens. Wir werden zwei Arten des Denkens unterscheiden: praktisches und theoretisches Denken, Handeln und Urteilen. Im Anschluß an ein einführendes Kapitel, das erklärt, warum Selbstbewußtsein als Form der Prädikation oder Form des Wissens verstanden werden muß, beschreiben wir im zweiten Kapitel die Weise, in der ich weiß, daß ich etwas tue, wenn dieses Wissen Selbstbewußtsein ist, und im dritten Kapitel die Weise, in der ich weiß, daß ich etwas glaube, wenn ich das so weiß, daß ich weiß, daß ich es glaube.

Es ist kein Zufall, daß Handeln und Urteilen selbstbewußt sind. Vielmehr gehört es zur Natur von Überzeugungen und Handlungen, daß ihr Subjekt von ihnen erstpersonal weiß; Akte des Denkens sind wesentlich selbstbewußt. Deshalb ist eine Theorie des Selbstbewußtseins eine Theorie des Handelns, des Urteilens und der Erkenntnis. Wenn uns unsere Untersuchung in das Gebiet der Handlungstheorie, der Philosophie des Geistes und der Erkenntnistheorie führt, dann liegt das in der Natur ihres Gegenstandes. Es ist ein zentraler Gedanke der Tradition des Deutschen Idealismus, daß das philosophische Studium des Handelns und der Erkenntnis Teil einer Untersuchung des Selbstbewußtseins ist. Man kann dieses Buch als einen Versuch betrachten, den Gedanken dieser Tradition zu verstehen.

Die zeitgenössische Philosophie hat diesen zentralen Gedanken des Deutschen Idealismus aus den Augen verloren. Es gibt Autoren, die zu Recht beeindruckt sind, daß der, der etwas absichtlich tut, weiß, daß er es tut, und zwar, so scheint es, nicht deshalb, weil er beobachtet, was er tut, sondern kraft dessen, daß er der ist, der es tut. Doch diese Autoren berücksichtigen nicht, daß das handelnde Subjekt dieses Wissen mit dem Pronomen der ersten Person ausdrücken würde. Es stimmt, daß sie das relevante Wissen als ein Wissen bezeichnen, das man von sich selbst hat. Das bedeutet bei diesen Autoren aber bloß, daß das wissende Subjekt der Gegenstand seines Wissens ist. Andererseits haben Autoren, die die Verwendung von »ich« untersuchen, bemerkt, daß es der Weise, wie sich ein Subjekt in »ich«-Gedanken vorstellt, wesentlich ist, daß solche Gedanken unmittelbar in die Erklärung ihrer absichtlichen Handlungen eingehen können. Aber diese Autoren untersuchen nicht die Natur des absichtlichen Handelns und die Form seiner Erklärung. Da die Untersuchung des Begriffs des absichtli9chen Handelns und die Untersuchung des logischen Charakters erstpersonaler Gedanken denselben Gegenstand haben, müssen sie in einer Untersuchung zusammengeführt werden, wenn sie diesen Gegenstand begreifen sollen. Und was für die Handlungstheorie gilt, gilt ebenso für die Philosophie des Geistes.

Die erstpersonale Bezugnahme muß durch Formen des Wissens verstanden werden, durch die man Wissen von sich als von sich erlangt. Unsere zentrale Aussage wird sein, daß erstpersonales Wissen von Handlungen und Überzeugungen nicht rezeptiv ist; man erkennt einen Gegenstand nicht dadurch erstpersonal, daß man von ihm affiziert wird. Vielmehr ist erstpersonale Erkenntnis von Akten des Denkens spontan. Im Gegensatz zu rezeptiver Erkenntnis, deren Gegenstand unabhängig von dieser Erkenntnis wirklich ist, ist spontane Erkenntnis mit ihrem Gegenstand identisch: Mein Handeln ist dieselbe Wirklichkeit wie mein erstpersonales Wissen, daß ich so handle, und meine Überzeugung, daß dies und das der Fall ist, ist dieselbe Wirklichkeit wie mein erstpersonales Wissen, daß ich das glaube.

Die Quelle rezeptiver Erkenntnis ist sinnliche Affektion, spontane Erkenntnis hingegen entspringt dem Denken: Ich weiß erstpersonal, was ich tue, indem ich bestimme, was zu tun ist, und ich weiß erstpersonal, was ich glaube, indem ich bestimme, was zu glauben ist. Man hat gesagt, die Rede von Gründen sei zweideutig, da Gründe erklärend oder rechtfertigend sein können. Erklärende Gründe erklären, warum jemand getan hat, was er getan hat, wohingegen rechtfertigende Gründe dafür sprechen, etwas zu tun und es als etwas vorstellen, das zu tun gut ist. Und entsprechend: Erklärende Gründe erklären, warum jemand glaubt, was er glaubt, während rechtfertigende Gründe dafür sprechen, es zu glauben und es als wahr oder wahrscheinlich vorstellen. Wenn diese Unterscheidung triftig ist, kann Erkenntnis dessen, was man tut und glaubt, nicht dem Nachdenken darüber entspringen, was zu tun und zu glauben ist. Wiewohl aber Menschen oft aufgrund von Überlegungen handeln, die ihr Handeln nicht rechtfertigen, zeigt das nicht, daß es nicht tatsächlich nur einen Begriff des Grundes gibt: den Begriff einer Ursache, der ein Handeln so erklärt, daß er es als eines ausweist, das einer vernünftigen Ordnung entspricht, oder, anders gesagt, den Begriff einer Ursache, die so wirkt, daß es kein Zufall ist, daß ihre Wirkung einer vernünftigen Ordnung 10entspricht. Wenn das richtig ist, bezeichnet das Wort »Grund« eine Form der Erklärung: Eine Handlung auf diese Weise zu erklären, bedeutet, sie als recht und einer vernünftigen Ordnung entsprechend auszuweisen, welche Ordnung der erklärten Handlung daher intern ist. Wir werden sehen, daß diese Form der Erklärung die Quelle des Selbstbewußtseins ist. Der Einheit der Erklärung und der Rechtfertigung von Handlungen und Überzeugungen entspringt das erstpersonale Wissen von Handlungen und Überzeugungen. Darin besteht die Verbindung von Selbstbewußtsein und Vernunft.

Der Handlungstheorie und der Philosophie des Geistes ist schlecht gedient, wenn man ihr Prinzip ignoriert: Selbstbewußtsein. Das gilt ebenso für die Erkenntnistheorie. Wenn Kant die Fragen formuliert, die das Interesse der Vernunft ausdrücken – unter anderem, »Was kann ich wissen?« –, verwendet er das Pronomen der ersten Person. Man muß hier nicht deshalb »ich« verwenden, weil man, wenn man fragte »Was kann er wissen?«, eine andere Frage stellte, sondern weil Erkenntnis wesentlich selbstbewußt ist. Die grundlegende Verwendung des Begriffs der Erkenntnis – die, ohne die es keine andere gäbe – ist seine Verwendung in erstpersonalen Gedanken, also solchen, die man mit »Ich weiß …« ausdrückt. Daß sich die zeitgenössische Erkenntnistheorie in eine begriffliche Sackgasse manövriert hat, hat seinen Grund darin, so werden wir zeigen, daß sie sich nicht als Teil einer Theorie des Selbstbewußtseins versteht.

Die besondere Beziehung, in der ich zu meinem eigenen Handeln und Urteilen stehe, hat jüngst erneut Beachtung gefunden. Denn der Standpunkt der ersten Person schien ein Bollwerk gegen den Empirismus und den Psychologismus in der Philosophie des Geistes und der Handlungstheorie. In ihren edlen Verteidigungsbemühungen scheinen einige Autoren jedoch einzuräumen, daß Empirismus und Psychologismus eine angemessene Beschreibung der Weise geben, wie man ein selbstbewußtes Subjekt aus der Perspektive der dritten Person erfaßt. Doch Gedanken, in denen man sich auf sich selbst bezieht, können sich ihrer Form nach nicht von Gedanken unterscheiden, in denen man sich auf einen anderen bezieht. Gedanken, die sich auf ein anderes selbstbewußtes Subjekt beziehen, müssen derselben Form des Denkens angehören, die erstpersonale Gedanken aufweisen. In Übereinstimmung mit der 11genannten Tendenz wird der Gegensatz zwischen dem Standpunkt der ersten und der...

Erscheint lt. Verlag 24.8.2011
Übersetzer David Horst
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Original-Titel Self-Consciousness
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie
Schlagworte Philosophie • Selbstbewußtsein • Selbsterkenntnis • STW 1992 • STW1992 • suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1992
ISBN-10 3-518-76710-0 / 3518767100
ISBN-13 978-3-518-76710-8 / 9783518767108
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