Kaiser, Kriege und Kokotten (eBook)
320 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-11161-5 (ISBN)
Christoph Schulte-Richtering, geboren 1968, hat Germanistik, Anglistik, Mediävistik und Linguistik studiert. Seit vielen Jahren arbeitet er als Autor und Coach für TV-Produktionen («Wetten, dass..?», «Kanzlerduell», «Laureus World Sports Awards»). Er schrieb für Bill Murray, Stefan Raab, Thomas Gottschalk, Joko Winterscheidt und berichtete von der Oscar-Verleihung in Hollywood. Schulte-Richtering lebt mit seiner Familie in Köln.
Christoph Schulte-Richtering, geboren 1968, hat Germanistik, Anglistik, Mediävistik und Linguistik studiert. Seit vielen Jahren arbeitet er als Autor und Coach für TV-Produktionen («Wetten, dass..?», «Kanzlerduell», «Laureus World Sports Awards»). Er schrieb für Bill Murray, Stefan Raab, Thomas Gottschalk, Joko Winterscheidt und berichtete von der Oscar-Verleihung in Hollywood. Schulte-Richtering lebt mit seiner Familie in Köln.
Nero
Das Trojanische Schwein
Herzlich willkommen zu «Gute Zeiten, schlechte Zeiten – die Rom-Edition»! Heute die Folge «Kaiser Nero».
Was bisher geschah: Kaiser Claudius war mal mit einer gewissen Messalina verheiratet und hat mit ihr einen Sohn und eine Tochter, Britannicus und Octavia. Jetzt verliebt sich Claudius aber in seine Nichte Agrippina (Neros Mutter), heiratet sie und lässt seine Ex hinrichten. Nero wiederum heiratet seine Stiefschwester Octavia, und weil Agrippina netterweise seinen Stiefbruder Britannicus kaltgestellt hat, gelangt Nero auf den Thron. Damit Kaiser Claudius gegen die Sache nichts einzuwenden hat, vergiftete Agrippina ihn beizeiten mit einem Pilzgericht. Nero bedankt sich bei seiner Mutter für die Krone, indem er sie, schwupps, umbringen lässt, genau wie auch Britannicus und Octavia.
«Das kann man unmöglich so senden», sagt der GZSZ-Produzent – zu unrealistisch! Und doch sieht sie so aus, die Realität im ersten Jahrhundert nach Christus.
Dieser Nero – was für eine verrückte Type! Erzogen wird er von einem syrischen Tänzer und einem griechischen Friseur. Nero stinkt ganz eklig, sein Körper ist voller Flecken, und er stakst mit fettem Leib auf dürren Beinchen barfuß durch seinen Palast. Er trägt kein Kleidungsstück zweimal, geht angeln mit Netzen aus Gold – und wenn er das Haus verlässt, hat er 500 Kutschen dabei. Damit ist Nero allerdings schon fast ein Langweiler – einer seiner Nachfolger, der Transen-Kaiser Elagabal, machte es nicht unter 1000 Kutschen – und die, in der Elagabal saß, wurde von nackten Frauen gezogen. Sicher hübsch anzuschauen – aber weit kommt man auf diese Weise nicht.
Als Kaiser ist Nero ein Versager. Das ist ihm aber egal – er selbst versteht sich ohnehin mehr als Künstler denn als Politiker. Dabei dilettiert er gleich in mehreren Disziplinen: Gesang, Schauspiel, Dichtung – aber auch Wagenlenken und Ringen gehören zu den kaiserlichen Hobbys. Und er macht sich einen Spaß daraus, nachts inkognito um die Häuser zu ziehen, sich zu betrinken und mit dem gemeinen Volk Streit anzufangen. Hier und da bekommt der Kaiser dabei sogar eins aufs Maul, so zum Beispiel vom Senator Iulius Montanus, dessen Frau er eines Nachts zwischen die Beine fasst. Als Montanus ihn dafür vermöbelt, erkennt er den Kaiser und fällt vor ihm auf die Knie. Hätte er Nero nicht erkannt, wäre nichts passiert. So kostet die Sache ihn das Leben – wie so viele andere nach ihm, die ein falsches Wort sagen oder falsch gucken.
Kaiser Nero (Serviervorschlag)
Nero trinkt in Wasser aufgelösten Wildschweinmist (macht stark!) und lässt den Tag, an dem er sich das erste Mal rasiert, zum Feiertag erklären. Der Typ ist ein amtlich zertifizierter Vollbekloppter auf dem Kaiserthron. Mit der Meinung steht man nicht alleine da, für Plinius den Älteren ist Nero die «Pestilenz des Erdkreises», und für den Nobelpreisträger Theodor Mommsen ist er der «nichtswürdigste Kaiser, der je auf dem römischen Thron gesessen hat».
Vielleicht sollte man erwähnen, dass Sport und Schauspiel im alten Rom ungefähr so angesehen sind wie heute Zuhälterei oder Drogenhandel. Schauspieler sind wie Gladiatoren und Prostituierte unterste Schublade. Dass sich Nero mit solchen Leuten einlässt, kommt bei den Senatoren gar nicht gut an. Aber das ist dem Kaiser egal, er kann Senatoren fördern oder auch hinrichten, wie es ihm beliebt – noch. Mehr und mehr widmet er sich der Kunst und immer weniger seinem Staatsamt: Er spielt im Theater die Rolle einer Frau, die gerade ein Kind bekommt, und wälzt sich dafür mit spitzen Schreien auf dem Bühnenboden. Er läuft öffentlich in einer griechischen Mini-Tunika mit Blümchenmuster herum und kann beim Ringkampf in der Sporthalle beobachtet werden: eingeölt und nackt.
Auch das Spiel mit der Kithara (einem Saiteninstrument, von dem das Wort «Gitarre» abstammt) liebt er, und noch mehr liebt er es, überraschend im Theater aufzutauchen und die Zuschauer stundenlang mit seinen Gesängen zu malträtieren. Natürlich ist es streng verboten, während seiner Darbietung das Theater zu verlassen. Überall sitzen Spione: Wer nicht genügend applaudiert, wer gähnt oder gar ironisch den Mund verzieht, riskiert sein Leben. Es soll Zuschauer gegeben haben, die sich tot stellten, um aus dem Theater getragen zu werden.
Nero liebt ausschweifende Gelage und ausgefallene Speisen, Flamingozungen lässt er servieren und Straußenhirn. Das «Trojanische Schwein» ist besonders beliebt: Hierbei wird ein Spanferkel geöffnet, und aus der Bauchhöhle fliegen lebendige Drosseln. Außerdem ist es gefüllt mit Eiern, Austern und Fleischklößchen. Lecker! Nach dem Gelage übergibt Nero sich häufig und verschafft sich auch hintenrum mit einem Einlauf Erleichterung.
Manchmal lässt sich Nero in ein Tierfell einnähen und in einen Käfig sperren. Dann hat man ihn freizulassen, worauf er sich auf an Pfähle gefesselte nackte Männer und Frauen stürzt und sich an ihnen vergeht. Anschließend ist er seinem Mundschenk sexuell gefügig. Seinen Lustknaben Sporus heiratet er. Von Nero entmannt und vorsintflutlichen Versuchen einer Geschlechtsumwandlung ausgesetzt, ist dieser Sporus so eine Art Lorielle London der Antike. Das alles klingt gar nicht gut – aber entgegen der landläufigen Meinung hat Nero als Künstler durchaus Talent. Als er einmal den Herakles spielt, wirkt er in einem Moment der Not so glaubwürdig, dass ein Mitglied seiner Leibwache auf die Bühne stürzt, um den Chef zu retten. Wer so was hinkriegt, ist keine Knallcharge. Trotzdem bringt Nero sicherheitshalber zu seinem ersten öffentlichen Konzert in Neapel 5000 bezahlte Claqueure und Jubelrömer mit (zum Begriff «Jubelperser» siehe das Kapitel → 1968). So belegt er 64 n. Chr. den ersten Platz in diesem Vorläufer des Eurovision Song Contest – dass es während seines Auftritts zu einem Erdbeben kommt, hat wohl nichts mit seinem Gesang zu tun.
Nero liebt Griechenland und alles Griechische. Deshalb ist es nur konsequent, dass er seinen großen Traum verfolgt, Olympiasieger zu werden! Eigentlich plant er, nach seinem Triumph in Neapel weiter nach Griechenland zu fahren und die Sache in Angriff zu nehmen, da ereilt ihn eine schreckliche Nachricht: Rom brennt! Eine solche Lappalie soll ihn eigentlich nicht von seinem Griechenland-Trip abhalten, als aber das Inferno nach sechs Tagen immer noch nicht gelöscht ist und vor allem einen seiner nagelneuen Paläste bedroht, macht er sich auf die Socken, organisiert Notunterkünfte in den kaiserlichen Gärten und gewährt ein umfassendes Hilfsprogramm.
Schon bald geht das Gerücht, Nero habe Rom absichtlich anzünden lassen, um seine gewaltigen Bauvorhaben realisieren zu können. Außerdem soll er angeblich in den Hügeln über der Stadt den Brand mit seiner Kithara besungen haben. In «Quo Vadis» spielt Peter Ustinov als Nero diese Szene unvergleichlich, er war 1952 dafür oscarnominiert – den Oscar staubte gemeinerweise jedoch Karl Malden für «Endstation Sehnsucht» ab – Karl Malden, das ist sonst der kartoffelnasige Mike Stone aus den «Straßen von San Francisco».
Historisch belegen lässt sich Neros Ständchen an die brennende Stadt nicht. Das Gerücht wird von seinen Gegnern gestreut, in der Hoffnung, das Volk werde sich gegen den Kaiser erheben. Dass Nero den Brand aber durchaus als Kunstwerk sah, davon kann man ausgehen – er unterschied halt zwischen Ethik und Ästhetik. Gut, sagt er sich, es kommen Menschen um – aber hübsch aussehen tut’s trotzdem! Als Ethiker war er eine Null; als Ästhet aber ein raffinierter Genießer. Ein wenig erinnert das an die Haltung des Komponisten Karlheinz Stockhausen, der die Anschläge vom → 11. September «das größte Kunstwerk, das es je gegeben hat» nannte. Diese Aussage ist natürlich problematisch, weil sie das Schicksal von Tausenden Menschen zugunsten des ästhetischen Aspekts ausblendet. Das Gegenteil aber, nämlich Ethik und Ästhetik in einen Topf zu werfen, ist genauso falsch: nämlich die Idee, dass ein schlechter Mensch gar kein guter Künstler sein könne – oder umgekehrt, dass man einem mittelmäßigen Künstler mit aufrechter politischer Gesinnung (vielleicht sogar mit Engagement für die Armen und Entrechteten) noch den größten Mist verzeiht. Die Akademie in Stockholm vergibt manchmal so ihre Literaturnobelpreise, aber das nur nebenbei.
Ob die Geschichte nun stimmt oder nicht, die Römer haben Nero seine Haltung jedenfalls übelgenommen – also braucht Nero Schuldige. Die findet er in den Christen: Sie werden den Löwen zum Fraß vorgeworfen oder als lebende Fackeln verbrannt.
Nero hat durch die christlich geprägte Geschichtsschreibung seinen schlechten Ruf weg, nicht weil er ein gefährlicher Spinner war, sondern weil er den Christen an den Kragen ging. Zweifellos zu Recht gilt er als schlechter Kaiser. Kaiser Konstantin hingegen, der ebenfalls Sohn, Frau, Schwager und Neffen ermorden ließ und auch sonst einiges auf dem Kerbholz hat, gilt als guter Kaiser – weil er auf dem Totenbett Christ wurde. Aber so ist das eben – Siegerjustiz.
Sein großes Ziel, in Griechenland Olympiasieger zu werden, hat Nero unterdessen nicht aus den Augen verloren: Ihm zuliebe werden die Spiele um zwei Jahre verlegt und neue Disziplinen geschaffen – man will dem Kaiser das Siegen so einfach wie möglich machen. Im Jahr 67 n. Chr. ist es so weit. Als er beim Wagenrennen blöderweise in einer Kurve aus dem Wagen fällt und Jürgen-Hingsen-mäßig nicht einmal...
Erscheint lt. Verlag | 2.5.2012 |
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Zusatzinfo | Zahlr. s/w Abb. |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Allgemeines / Lexika |
Geschichte ► Teilgebiete der Geschichte ► Kulturgeschichte | |
Schlagworte | Finanzkrise • Humor • Kaiser Nero • Karl den Großen • Kreuzzüge • Luther • Mauerfall • Shakespeare • Weltgeschichte |
ISBN-10 | 3-644-11161-8 / 3644111618 |
ISBN-13 | 978-3-644-11161-5 / 9783644111615 |
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