Land ohne Unterschichten? (eBook)

Neue Essays zur deutschen Geschichte
eBook Download: PDF | EPUB
2010 | 1. Auflage
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-61502-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Land ohne Unterschichten? - Hans-Ulrich Wehler
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Von den Unterschichten in der Bundesrepublik bis zum EU-Beitritt der Türkei, vom Nationalismus bis zu den lange tabuisierten Opfererfahrungen der Deutschen reicht das Spektrum dieser neuen Essays von Hans-Ulrich Wehler. Der Bielefelder Historiker, der unlängst mit dem fünften und abschließenden Band seiner großen «Deutschen Gesellschaftsgeschichte» selbst eine Kontroverse ausgelöst hat, demonstriert in diesem Band einmal mehr seine besondere Begabung, die Rolle des Wissenschaftlers mit der des tagespolitisch engagierten Publizisten zu verbinden.

<body>Hans-Ulrich Wehler, geb. 1931, war bis zu seiner Emeritierung Professor f&#252;r Allgemeine Geschichte an der Universit&#228;t Bielefeld. Seine &#171;Deutsche Gesellschaftsgeschichte&#187; liegt in f&#252;nf B&#228;nden vollst&#228;ndig bei C.H.Beck vor.</body>

Hans-Ulrich Wehler, geb. 1931, war bis zu seiner Emeritierung Professor für Allgemeine Geschichte an der Universität Bielefeld. Seine «Deutsche Gesellschaftsgeschichte» liegt in fünf Bänden vollständig bei C.H.Beck vor.

Cover 1
Zum Buch 2
Über den Autor 2
Titel 3
Impressum 4
Inhalt 5
Vorwort 7
I. 13
1. Die Bundesrepublik: das einzige Land der Welt ohne Unterschichten? 13
2. Vom Tätervolk zum Opferkult? 18
3. Wird Berlin doch noch Weimar? 24
4. Grenzen und Identität Europas bis zum 21. Jahrhundert 28
5. Türkenprobleme ohne Ende 41
6. Der Fall des Günther Oettinger 43
7. Eine Lanze für Alice Schwarzer 45
II. 49
8. Der Aufstieg des deutschen Nationalismus 1815–1890 49
9. Schon wieder Nationalismus? 69
10. Der Puritanismus als Weltbildspender des amerikanischen Nationalismus 71
11. Ein aufgeklärter Patriotismus? 86
12. Hitler als historische Figur 92
13. Reichsführer-SS – Himmler als Schlüsselfi gur des «Dritten Reiches» 105
14. Gab es von 1914 bis 1945 einen «europäischen Bürgerkrieg»? 111
III. 114
15. Literarische Erzählung oder kritische Analyse? 114
16. Was ist und was will Gesellschaftsgeschichte? 133
17. Intentionalisten, Strukturalisten und das Theoriedefi zit der Zeitgeschichte 151
18. Ein glänzendes Beispiel vergleichender Geschichte 158
19. Droysen: Vom Hellenismus zur Mission Preußens 163
20. Eugen Rosenstock-Huessys «Europäische Revolutionen» 167
21. Theodor Schieder – ein Historiker vor und nach der «zweiten Chance» 169
IV. 177
22. Aufstieg und Niedergang der Großmacht Preußen 177
23. Das Ende der letzten Legende 180
24. Wann kommt der «Zweite Bismarck»? 185
25. Hindenburg zwischen Bismarck und Hitler 187
26. Ein neuer Klassiker zur NS-Geschichte 194
27. Alter Wein in alten Schläuchen 199
28. Klassikergalerie statt Problemorientierung? 201
29. Häppchenkultur eines Pseudohistorikers 204
30. Die Last des Erfolgs: Die Vorteile des «Wirtschaftswunders » und die Bürde der Sozialen Ungleichheit 206
V. 228
Eine Diskussion über Gesellschaftsgeschichte im Lesesaal der FAZ 228
Anmerkungen 269
Bibliographische Notiz 282
Personenregister 283

Vorwort


Hiermit liegt der zwölfte Sammelband von Aufsätzen und Essays vor, wie sie auch für die Vorläufer in ähnlicher Form zusammengefasst worden sind, um die Teilnahme an denkbar unterschiedlichen Diskussionen während einer jüngst vergangenen Zeitspanne zu dokumentieren.1 Das geschieht selbstverständlich in der Hoffnung, dass es neugierige Leser gibt, die sich für den Gang dieser Debatte, insbesondere für die dort von mir vorgetragenen Argumente interessieren. Wie bisher werden in strengerem Sinn wissenschaftliche Aufsätze, die während lohnender Kontroversen entstanden sind, mit tagespolitisch engagierten Essays verbunden. Die Beiträge sind auf vier Abschnitte verteilt, denen abschließend die Diskussion folgt, die im «Lesesaal» der FAZ über den fünften Band meiner «Deutschen Gesellschaftsgeschichte» (1949–1990, 2008) von nahezu 40 Experten geführt worden ist.

Im ersten Kapitel werden im Grunde Probleme der Politischen Kultur der Bundesrepublik erörtert. An erster Stelle steht die kurzlebige, aber extrem bizarre Debatte über die deutsche Sozialstruktur: Als einzigem Land der Welt wurde der Bundesrepublik die Existenz von Unterschichten abgestritten. Dass sich dieser realitätsfeindliche Konsens quer durch die gesamte politische Klasse hindurchzog, demonstriert unleugbar, mit welchen Scheuklappen die gesellschaftliche Hierarchie der Bundesrepublik häufig betrachtet und deshalb nur zu oft fatal beschönigt wird – ungeachtet der eindrucksvollen empirischen Befunde zum Stratifikationsgefüge, die in den beiden bisher vorliegenden, umfangreichen Armuts- und Reichtumsberichten der Bundesregierung, für jedermann zugänglich, ausgebreitet worden sind. Die Kritik an einer derartigen verblüffend einstimmigen Realitätsverweigerung wird von der Überzeugung geleitet, dass man sich dem Dauerproblem auch der modernen Marktgesellschaft: der hartnäckigen Persistenz der Sozialen Ungleichheit, nüchtern stellen und die Reformdebatte, erst recht im Zeichen der gegenwärtigen Wirtschaftskrise, ingang halten muss.

Die alte Bundesrepublik hat der Versuchung bravourös widerstanden, neben der zögerlichen Anerkennung der deutschen Täterschaft im «Dritten Reich» gleichzeitig einen allzu leicht anschwellenden Opferkult zu pflegen. Die Warnung davor war berechtigt, da die Viktimisierungsklage die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Täter und Mitläufer mühelos gefährdet hätte. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des Weltkriegs wird jetzt auch an die Opfererfahrungen von Deutschen erinnert – in der «Gustloff»-Novelle von Günter Grass, gefolgt von einem Film über das schauerliche Ereignis, im Bombenkriegsbuch von Jörg Friedrich, in Fernsehfilmen über den Luftangriff auf Dresden und die Flucht aus Ostdeutschland. Das ist zum einen legitim, da auch diese Erfahrungen zur Wahrheit über den «Zweiten Dreißigjährigen Krieg» gehören. Zum anderen gilt es, besonders wachsam auf der Hut zu sein, damit nach Möglichkeit der historische Kontext stets berücksichtigt wird: Die zum Krieg treibende Urheberrolle des Hitler-Regimes, die Loyalität seiner 18 Millionen Soldaten in ihren aberwitzigen Feldzügen über ganz Europa und Russland hinweg, die deutsche Initiative bei gewaltigen Umsiedlungsprojekten und Vertreibungsaktionen, bei der Bombardierung von Städten und den Aktionen des Vernichtungskriegs einschließlich des Holocausts. Wird hier das selbstkritische historisch gerechte Urteil durchgehalten, hängt es außerdem noch von der sprachlichen und ästhetischen Sensibilität ab, ob die Opfererfahrungen angemessen formuliert oder künstlerisch erfasst werden. Was an Kritik inzwischen geboten zu sein schien, ist im zweiten Essay ausgedrückt worden. Auch hier gilt unverändert, dass wir aus der Geschichte lernen müssen, wie das ebenfalls die Lernverweigerung einer Filbinger-Verklärung und die schwierige Problematik der Frauenemanzipation gleichermaßen lehren.2

Dass Europa sein großartiges Projekt, die gesamteuropäische Einheit zu schaffen, durch die keinem einzigen zwingenden Argument folgende Aufnahme von hundert Millionen türkischer Muslime im Kern zerstören würde, wird noch einmal mit stichhaltigen historischen Gründen dargetan. Nachdem die Rot-Grüne Koalition massiv dazu beigetragen hatte, der Türkei als Beitrittskandidat Verhandlungen zu eröffnen, haben seither nicht nur die türkische Reformstagnation, sondern vor allem auch die immer deutlicher erkennbare Kluft zwischen Europa und einem kleinasiatischen Großstaat in Zeiten seiner Reislamisierung den Beitritt fragwürdiger erscheinen lassen. Wer mit klarem Kopf einem kühlen europäischen (und deutschen!) Interessenkalkül folgt, wird weiterhin eine «privilegierte Partnerschaft» zwischen der Europäischen Union und der Türkei für die optimale Lösung halten – auch wenn das dem reizbaren türkischen Nationalismus nicht genügt.3

Noch einmal steht, wie schon mehrfach zuvor, der Nationalismus als mächtige Mobilisierungs- und Integrationsideologie der politischen Neuzeit im zweiten Abschnitt zur Debatte. Außer einem gerafften Überblick über den Aufstieg des deutschen Nationalismus im 19. Jahrhundert – ursprünglich nicht als wissenschaftliche Abhandlung, sondern für das größere Publikum der «SPIEGEL»-Leser geschrieben – geht es insbesondere um den Puritanismus als Weltbildspender des amerikanischen Nationalismus. Wenn in der gegenwärtigen Globalgeschichtsschreibung an prominenter Stelle behauptet wird, mit dem amerikanischen Bürgerkrieg «begann so etwas wie ein amerikanischer Nationalismus zu entstehen», verrät dieses krasse Fehlurteil, wie man eine zuvor bereits 200 Jahre andauernde Entwicklungsgeschichte des amerikanischen Nationalismus, der sich unter dem Großklima puritanischer Leitideen entfaltete, schlechterdings ignorieren kann.4

An dem Befund, dass der deutsche Radikalnationalismus mit Hitler und unter seiner Führerherrschaft den Höhepunkt eines leidenschaftlichen Engagements und besessener kollektiver Egozentrik erreicht hat, kann dagegen kein Zweifel aufkommen. Darauf lenken noch einmal einige Beiträge hin, die einer früher schon mehrfach verfolgten Interpretationslinie folgen.5

Angesichts der Interessen des Verfassers an methodischen und theoretischen Fragen der Geschichtswissenschaft wird der dritte Abschnitt nicht überraschen, geht es doch dort um eben solche Probleme. An erster Stelle rangiert die Verteidigung der kritischen, argumentativen Analyse gegenüber dem modischen Anspruch auf Überlegenheit der literarischen Erzählung; ein Plädoyer für die Gesellschaftsgeschichte ist in diesem Kontext nicht fehl am Platz. Die narrative Darstellungsform befindet sich inzwischen, zumal gleichzeitig auch die Hochzeit der kulturalistischen Welle vorüber zu sein scheint, auf dem Rückzug. Vor 150 Jahren hatte Johann Gustav Droysen, der scharfsinnigste theoretische Kopf des deutschen Historismus, in seiner «Historik» bereits unmissverständlich klargestellt, man dürfe «nicht meinen, dass sie (die analytische Geschichte) so viel einfacher, so viel leichter und bequemer ist, als etwa die erzählende. Sie erfordert vielmehr eine größere Konzentration und Schärfe der Gedanken. Denn sie will nicht wie die erzählende anschaulich sein, sondern überzeugen; sie will nicht die Phantasie beschäftigen, sondern den Verstand befriedigen», ihre ‹eigentliche Eigenschaft› ist «die Präzision, die Knappheit und Geschlossenheit der Beweisführung». Dem ist wenig hinzuzufügen. Ohnehin ist aber auch die Einsicht vorgedrungen, welches schriftstellerische Talent der Historiker besitzen muss, um dem hochgemuten Versprechen literarischer Erzählung gerecht zu werden. Wer besitzt schon die Begabung, die in Golo Manns Werk seit dem Erscheinen seiner «Deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts» (1958) so unübersehbar zutage getreten ist?6

Der Vergleich ist mit nicht minder hohen Anforderungen verbunden. Deshalb verdient die großartige vergleichende Geschichte, die MacGregor Knox über die italienische und die deutsche Diktatur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verfasst hat, uneingeschränkte Bewunderung, da sie diese schwierige Aufgabe so überzeugend bewältigt hat. Der Rückblick auf einflussreiche Historiker knüpft an wissenschaftsgeschichtliche Interessen an, die ich seit längerem intensiv verfolgt habe.7

Schließlich finden sich im vierten Abschnitt einige Werkstücke zu umstrittenen Fragen, die im Verlauf historischer und politischer Kontroversen aufgetaucht sind. Noch immer fällt es schwer, die unumgängliche Kritik an belastenden preußischen Traditionen mit einer gerechten Anerkennung der Leistungen des Hohenzollern-Staates zu verbinden. Keinem deutschen Historiker, sondern dem in Cambridge lehrenden australischen Historiker Christopher Clark ist es gelungen, 60 Jahre nach der formellen Auflösung Preußens eine faire Synthese zu schreiben. Wie alle bedeutenden Bücher wirft auch sie alte und neue Fragen auf. Doch fortab muss sich alle Konkurrenz an diesem...

Erscheint lt. Verlag 16.11.2010
Reihe/Serie Beck'sche Reihe
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Geschichte Allgemeines / Lexika
Schlagworte 20. Jahrhundert • Bundesrepublik • DDR • Deutschland • Essays • Geschichte • Gesellschaft • Nationalismus • Politik • Sozialgeschichte • Zeitgeschichte
ISBN-10 3-406-61502-3 / 3406615023
ISBN-13 978-3-406-61502-3 / 9783406615023
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