Meine Geschichte der DDR (eBook)

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2009 | 1. Auflage
272 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-10271-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Meine Geschichte der DDR -  Wolfgang Leonhard
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Wolfgang Leonhard gehörte zu den ersten kommunistischen Gründungskadern, die Deutschland nach dem Krieg wiederaufbauen sollten. Bald brach er jedoch mit dem Stalinismus, wie er in der DDR Gestalt annahm. In seinem «brillant geschriebenen Buch» (NZZ am Sonntag) erzählt er von den Anfangsjahren nach 1945, seinem späteren Leben als einer der führenden westlichen Ostexperten und von Plänen der Stasi, ihn zu entführen. Er schildert, wie er die spannungsreichen Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten und schließlich das Ende der DDR erlebt hat. Und er porträtiert prominente DDR-Funktionäre aus eigener Anschauung. Der Rückblick eines Jahrhundertzeugen - und zugleich ein zeitgeschichtliches Dokument ersten Ranges.

Wolfgang Leonhard, geboren 1921 in Wien, lebte als Junge mit seiner Mutter im Moskauer Exil. Nach seiner Rückkehr ins besiegte Deutschland wirkte er als KPD-Spitzenfunktionär und später als Dozent an der SED-Parteihochschule. 1949 floh er über Jugoslawien in die Bundesrepublik. Sein Buch 'Die Revolution entlässt ihre Kinder' machte ihn 1955 weltberühmt. Danach lehrte er mehr als zwanzig Jahre als Professor für die Geschichte des Kommunismus an der Universität Yale. Heute lebt er als Historiker und Publizist in Maderscheid (Eifel).

Wolfgang Leonhard, geboren 1921 in Wien, lebte als Junge mit seiner Mutter im Moskauer Exil. Nach seiner Rückkehr ins besiegte Deutschland wirkte er als KPD-Spitzenfunktionär und später als Dozent an der SED-Parteihochschule. 1949 floh er über Jugoslawien in die Bundesrepublik. Sein Buch "Die Revolution entlässt ihre Kinder" machte ihn 1955 weltberühmt. Danach lehrte er mehr als zwanzig Jahre als Professor für die Geschichte des Kommunismus an der Universität Yale. Heute lebt er als Historiker und Publizist in Maderscheid (Eifel).

ZWEITES KAPITEL

Gruppenarbeit


Wir landeten auf einem kleinen Militärflugplatz irgendwo östlich von Oder und Neiße. Wo genau, wusste ich nicht – bis Ulbricht uns einweihte: «Wir sind in der Nähe der neuen deutsch-polnischen Grenze, zwischen Frankfurt und Küstrin.» Kaum hatten wir die Maschine verlassen, fuhr auch schon ein Privatwagen vor, ein ranghoher sowjetischer Offizier stieg aus und umarmte Ulbricht herzlich, uns anderen nickte er freundlich zu. Ulbricht stand stets im Mittelpunkt, das zeigte sich besonders deutlich, wenn wir mit sowjetischen Militärs zu tun hatten. Er stieg in den Wagen des Offiziers, uns wurde zugerufen, in gut einer Stunde komme ein Lastwagen und bringe uns nach Skwierzyna – der polnische Name für Schwerin an der Warthe.

Zu der wartenden Gruppe gehörten außer mir noch Otto Winzer, der damals seinen Parteinamen Lorenz trug, Richard Gyptner und Karl Maron sowie mein langjähriger Bekannter Hans Mahle. Außerdem waren Fritz Erpenbeck, Gustav Gundelach und Walter Köppe mit dabei. Es gab noch einen weiteren Mann, von dem ich nicht wusste, wie er hieß. Immer wieder kam es vor, dass ein Funktionär seinen Namen nicht nannte, und dann fragte man auch nicht weiter nach. So ließen wir diesen schweigsamen Mann, der bei unseren Besprechungen das Protokoll führte, in Ruhe. Erst nach der Wende erfuhr ich aus dem «Neuen Deutschland» seinen Namen: Otto Fischer. In dem Artikel wurde mein Buch «Die Revolution entlässt ihre Kinder» erwähnt – der verschlossene Sekretär, den ich dort beschrieben hätte, das sei ebenjener Fischer gewesen. Heute nehme ich an, dass der Mann für den sowjetischen Geheimdienst arbeitete.

Im Unterschied zu ihm kannte ich viele Mitglieder der Gruppe schon seit Jahren. An erster Stelle natürlich Hans Mahle. Er war mir in entscheidenden Situationen meines Lebens begegnet, er hatte mich ja überhaupt erst mit der KPD-Führung in Kontakt gebracht, und später war er maßgeblich daran beteiligt, dass ich in Moskau für das Nationalkomitee «Freies Deutschland» arbeiten konnte. Sein eigentlicher Name war Mahlmann, aber so nannte ihn niemand. Er war zehn Jahre älter als ich, damals also 33 Jahre. Früher war er Jugendführer der Jungen Pioniere Deutschlands gewesen und hatte ihre Zeitung «Die Trommel» herausgegeben. Zu meinen treuesten Pionierzeiten habe ich jede neue Nummer regelrecht verschlungen.

Damals hätte ich mir nie ausmalen können, dass ich einst so eng mit ihm zusammenarbeiten würde. Ich lernte ihn erst in der Sowjetunion persönlich kennen, wo er bei der KPD für alle Jugendfragen zuständig war. Außerdem war er ein Mann des Rundfunks. Nach seiner Tätigkeit bei Radio Moskau wurde er 1944 zusätzlich Leiter des Geheimsenders «Sturmadler», der sich als Sprachrohr oppositioneller Hitlerjungen verstand, und später stellvertretender Chefredakteur des Senders «Freies Deutschland». Auch als linientreuer Funktionär hat er sich seine Menschlichkeit bewahren können, was keinesfalls selbstverständlich war. Ähnlich habe ich ihn übrigens auch in meinem Buch «Die Revolution entlässt ihre Kinder» beschrieben. Nach der Wende erzählte er mir: «Das hat mich in der DDR mein ganzes Leben lang verfolgt, die Leute fragten ständig: ‹Warum hat dich der Verräter so positiv dargestellt?›» Hans Mahle ist 1999 gestorben. Ich habe ihn sehr gemocht.

Zu denen, die ich von früher kannte, gehörte auch Karl Maron. Ein ehemaliger Sportjournalist, der seine Begabung und sein Verständnis für Taktik auf andere Gebiete übertragen konnte. In der Zeitung des Nationalkomitees schrieb er die militärischen Analysen. Stets neutral gehalten und derart fabelhaft formuliert, dass manch ein General der Bewegung Freies Deutschland meinte, seinesgleichen müsse der Verfasser sein. Nach Hans Mahle stand er mir in unserer Gruppe menschlich am nächsten. Später hat er sich jedoch entsetzlich verändert, besonders als er Innenminister der DDR wurde: immer härter, immer bürokratischer, immer diktatorischer.

Ein begnadeter Schreiber war Fritz Erpenbeck. Obwohl ich ihn ebenfalls in der Redaktion des Senders «Freies Deutschland» kennenlernte, merkte ich schnell, dass er in seinem Herzen mehr Schriftsteller als Redakteur war. Er hat mir am Anfang geholfen und häufig Hinweise gegeben, wie die Kommentare am besten zu schreiben waren. Bei aller Freundlichkeit konnte er jedoch manchmal erstaunlich propagandistische Töne spucken. Später hat er politisch keine große Rolle mehr gespielt und nach 1945 vor allem als Journalist und am Theater gearbeitet.

Ulbricht war die klare Nummer eins. Aber auch der Platz hinter ihm war eindeutig vergeben, an Otto Winzer. Allerdings nannte er sich damals nicht so. Noch bei der Wahl zum stellvertretenden Oberbürgermeister in Berlin kandidierte er unter seinem Moskauer Namen «Lorenz». Nicht allein, was das Machtbewusstsein betraf, rangierte er nur knapp hinter Ulbricht, Winzer war fast ebenso hart und unnachgiebig, ein Funktionär durch und durch. In der Sowjetunion war er in der Kommunistischen Internationale tätig gewesen. Als Apparatschik hat er es sehr weit gebracht, aber nicht etwa aus brennendem Ehrgeiz, nein, ich glaube, er hat immer aus fester ideologischer Überzeugung gehandelt. Winzer wurde später Außenminister der DDR.

Mit dem ältesten Mitglied der «Gruppe Ulbricht» habe ich mich gut verstanden: Gustav Gundelach. Damals Mitte fünfzig, war er fünf Jahre älter als Ulbricht. Ein ganz schlichter, verlässlicher und ruhiger Arbeiterfunktionär. Ich war dabei, als er Ende 1945 von Ulbricht zum Präsidenten der Zentralverwaltung für Arbeit- und Zentralfürsorge ernannt wurde, die in den Jahren 1945 bis 1949 die Vorstufe eines Ministeriums bildete. Ulbricht hielt die Zeremonie denkbar knapp: «So, du bist jetzt Präsident der Zentralverwaltung.» Und dann, das ist mir unvergesslich, ratterte er herunter, welche Unterabteilungen Gundelach brauchen würde und welche Person für welchen Posten in Frage komme. Ulbricht hat ihm die komplette Planung bis ins Detail vorgegeben. Bald darauf gehörte er zu den wenigen Genossen, die von Ulbricht in den Westen geschickt wurden, um dort tätig zu sein. Er ging zurück in seine Heimatstadt Hamburg und wurde bei den ersten Wahlen 1949, als die KPD noch den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffte, Abgeordneter des Bundestages.

Dann gab es noch Richard Gyptner, ein Bürokrat reinsten Wassers. Er war Otto Winzer ähnlich, nur konnte er nicht ganz so hart sein – ob er es wollte, weiß ich nicht. Vielleicht war er dafür doch zu gemütlich. Eine hübsche junge Genossin kam eines Tages zu uns, sie hieß Friedel Semrich, und arbeitete fortan als unsere Sekretärin. Gyptner heiratete sie, blieb aber genauso langweilig, wie er es schon immer gewesen war. Friedel ist dabei langsam, aber sicher voller Traurigkeit zugrunde gegangen. Gyptner selbst war immer parteitreu, immer strebsam, aber ohne Ausstrahlung.

Bleibt noch Walter Köppe aus Berlin-Neukölln, ein ganz besonderes Kaliber, oder besser: eine echte Fehlbesetzung. Wieso er in der Gruppe Ulbricht war, ist mir noch heute ein Rätsel. Später saß er in der Leitung der KPD Berlin, aber da konnte man ihn nur sechs Wochen halten. Er hockte in der Parteizentrale herum und erzählte Schnurren, sonst tat er nichts. Was sollte man mit ihm nur machen? Einfach abservieren ging nicht, er hatte sich ja früher einige Verdienste erworben. Schließlich wurde er Wirtschaftsdirektor der Parteihochschule, eigentlich wurde diese Stelle «Wirtschaftsleiter» genannt, aber er bestand darauf, als Direktor bezeichnet zu werden. Man tat ihm den Gefallen.

 

Als der Lastwagen uns am Flugplatz einlud, dämmerte es bereits. Doch das Gebäude der Kommandantur in Skwierzyna leuchtete strahlend hell. Alle Mann standen bereit, um uns willkommen zu heißen. Ich wusste nicht, wie mir geschah. Wir wurden zu einer üppig gedeckten Tafel geführt, und der sowjetische Kommandant erhob feierlich das Wort: «Wir freuen uns außerordentlich, Sie begrüßen zu dürfen, da wir gehört haben, dass Sie die Mitglieder der neuen deutschen Regierung sind.»

Um Gottes willen! Wen meinte er? Uns? Die «Gruppe Ulbricht» als neue Regierung? Mir stockte der Atem. Nur Hans Mahle reagierte gelassen und bemühte sich, den Irrtum der lieben Genossen Offiziere aufzuklären. Dies aber bewirkte genau das Gegenteil. Sie deuteten es als Bescheidenheit und sahen sich in ihrer Meinung nur noch bestätigt. Heute weiß ich, dass sie so Unrecht nicht hatten. Wohl entsprach ihre Einschätzung nicht der Realität und schon gar nicht unserem Selbstverständnis. Aber allein der Blick auf Ulbricht, Winzer und Maron zeigt, dass in der Tat ein gewichtiger Teil der späteren DDR-Führung an jenem 30. April 1945 an der Oder gelandet war – Innenminister, Außenminister und, in einer Person vereint, Staatsratsvorsitzender und Erster Sekretär des Zentralkomitees der SED.

Behandelt wurden wir allerdings fast wie Staatsmänner. Am nächsten Morgen, es war der 1. Mai, stand für jeden von uns ein eigener Wagen vor der Tür. Gestern saßen wir noch auf der Pritsche eines rostigen Lasters, nun nahmen wir in Karossen Platz, die mit sowjetischen Wimpeln geschmückt waren. Pro Wagen ein Chauffeur, ein Mitglied der «Gruppe Ulbricht» und ein sowjetischer Begleitoffizier, so fuhren wir los. Die Wagenkolonne bewegte sich zunächst nach Norden. Gegen jede Regel im Umgang mit Vorgesetzten konnte ich es mir nicht verkneifen, doch eine Frage zu stellen: «Wohin geht’s denn?» Der Offizier schaute mich verärgert an: «Na sapad! – Nach Westen!»

Der genauere Verlauf unserer Route offenbarte sich mir erst während der Fahrt. Zunächst erreichten wir Küstrin, von...

Erscheint lt. Verlag 5.10.2009
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Zeitgeschichte ab 1945
Geisteswissenschaften Geschichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte DDR • DDR-Funktionäre • Erinnerungen • Gruppe Ulbricht • Kommunismus • Porträt • Sozialismus • Stalinismus • Stasi • UdSSR
ISBN-10 3-644-10271-6 / 3644102716
ISBN-13 978-3-644-10271-2 / 9783644102712
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