Das Empire als Aufgabe des Historikers

Historiographie in imperialen Nationalstaaten: Großbritannien und Frankreich 1919-1968

(Autor)

Buch | Softcover
370 Seiten
2011
Campus (Verlag)
978-3-593-39481-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Empire als Aufgabe des Historikers - Anne Friedrichs
46,00 inkl. MwSt
Historiker stellen sinnstiftende Erzählungen für ihre Gesellschaften bereit. Wie diese in imperialen Nationalstaaten konstruiert sind, untersucht Anne Friedrichs anhand von Handbüchern und prominenten Schriften britischer und französischer Historiker. Insbesondere zeigt sie, wie der Wandel der Imperien und ihrer Beziehungen nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg sowie während der Dekolonisierung reflektiert, gedeutet und aktiv mitgestaltet wurde.

Ausgezeichnet mit dem Johannes-Zilkens-Promotionspreis für Wissenschaftsgeschichte 2012.
Historiker stellen sinnstiftende Erzählungen für ihre Gesellschaften bereit. Wie diese in imperialen Nationalstaaten konstruiert sind, untersucht Anne Friedrichs anhand von Handbüchern und prominenten Schriften britischer und französischer Historiker. Insbesondere zeigt sie, wie der Wandel der Imperien und ihrer Beziehungen nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg sowie während der Dekolonisierung reflektiert, gedeutet und aktiv mitgestaltet wurde.



Ausgezeichnet mit dem Johannes-Zilkens-Promotionspreis für Wissenschaftsgeschichte 2012.

Anne Friedrichs, Dr. phil, Historikerin, ist Referentin für Berufungs- und Forschungsmanagement an der Leuphana Universität Lüneburg. Davor promovierte sie an den Universitäten Leipzig und Cambridge.

Inhalt

Einleitung 9


Teil I: Ernste "Herausforderungen" für die Imperien nach 1919 26

1. Die politisch-territoriale Ordnung nach dem Ersten Weltkrieg 28

2. Die neue Imperialgeschichte und die Begründung des britischen Imperiums 35
Singularität und Liberalität als Garanten für die Fortdauer des britischen Empire 35
Die Institutionalisierung der neuen Imperialgeschichte in der Cambridge History of the British Empire 37
Das Empire in historischen Synthesen zu England und Europa 54
Der Umbau zum "Empire-Commonwealth" und die Historiographie 69

3. Die Etablierung der französischen Kolonialgeschichte als eine Weltanschauungsgeschichte 78
Das kolonialhistorische Handbuch à la française 78
Die imperiale Vergangenheit in der Geschichte Frankreichs, der Völker und der Zivilisationen 89
Reformbestrebungen und historiographische Vergewisserung 100

4. Imperiale Perspektiven 107


Teil II: "Partnerschaften" nach 1945: Überlegenheit oder Gleichwertigkeit 115

1. Die politisch-territoriale Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg 116

2. Standpunkte und Perspektiven zwischen historischer Überlieferung und politischem Wandel 122
2.1. Frankreich: Die Sicherung historischer Kontinuitäten 123
Die Geschichte Frankreichs und der Kolonien: Unterschiedliche Standpunkte 124
Die Rehabilitierung der Nation 133
Parlamentsdebatten über die Union française und die Historiographie 140
2.2. Großbritannien: Die Wiederkehr des Gleichen? 148
Deutungen einer sich wandelnden Welt 149
Sozial- und wirtschaftshistorische Erzählungen 163
Das "multi-ethnische" Konzept des Commonwealth und die Historiographie 174
2.3. Zwischenbilanz 179

3. Herausforderung ›von unten‹: Der Zugang zur historischen Geographie um die Annales 182
"Un livre qui grandit" 184
Die Méditerranée und ihre zeitgenössischen Kontexte 186
Die Gründung der VI. Sektion als Ergebnis transatlantischer Kooperationen 194
Transfer auf die britische Insel? 199


Teil III: Das "Ende" der Imperien? Neue Positionierungen nach 1956 209

1. Wege zu einer neuen politisch-territorialen Ordnung 210

2. Kontroverse Deutungen in den Historiographien 215
Der Umgang mit neuen Staaten und Grenzen 216
Debatten über Imperialismus und europäische Expansion 232

3. Die Wandlung der Institutionen 248
Unterschiedliche Ordnungen des Wissens 249
Die Position der Regionalwissenschaften 277

4. Neue Positionierungen in der Welt 290
Neuanfang in Frankreich? 290
Doppelte Traditionen in Großbritannien 297

Schlussbetrachtung 307

Dank 324
Anhang 326
Abkürzungen und Siglen 337
Quellen und Literatur 340

Es wird nur ein Frankreich geben, ein größeres Frankreich, meinte Ernest Lavisse 1922. Frankreich sei wahrhaftig nur die zweite unter den Kolonialmächten und der Abstand zur ersten sei groß; das französische Empire (notre empire) sei neben dem englischen zwar recht bescheiden, doch sei es womöglich stabiler. Mit dem Interesse für imperiale Fragen stand Ernest Lavisse in den Jahrzehnten nach dem Ersten Weltkrieg nicht allein. Zahlreiche Historiker in Frankreich wie Großbritannien wandten den Blick nach Übersee, um historisch begründete Diagnosen der Gegenwart zu stellen, das Reich symbolisch zu integrieren oder zur Lösung großer "Probleme" beizutragen. Der Sichtweise von Lavisse kam gleichwohl ein besonderer Stellenwert zu, da er den Lehrstuhl für Moderne Geschichte (histoire moderne) an der traditionsreichen Sorbonne innehatte und Leiter der zehn-bändigen Histoire de France contemporaine war, die sowohl über den neuesten Kenntnisstand der Disziplin informieren als auch Grundzüge des historischen Verlaufes hervorheben und an die nachkommende akademische Generation weitergeben sollte. Dass um 1920 - auf dem Höhepunkt der Ausdehnung des französischen Kolonialreichs und gleichzeitig einer Zeit der Krise der imperialen Gesellschaften - der Herausgeber eines Handbuchs über die französische Geschichte den Bezug auf das "Empire" suchte und darüber hinaus mehrfach auf die imperiale Vergangenheit zu sprechen kommen sollte, hieß nicht, dass dieser das koloniale Unternehmen an sich unterstützte. Vielmehr deutet das Zitat darauf hin, dass die heute als ein französischer Erinnerungsort par excellence bekannte Histoire de France contemporaine die Vergangenheit einer imperial agierenden Nation rekonstruierte und damit spezifische, ›weltanschaulich‹ fundierte Ordnungsvorstellungen bekräftigte. Und auch in Großbritannien nahmen führende Fachvertreter zur Reichweite ihrer Leitideen Stellung. Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, welche Rolle britische und französische Historiker als Produzenten und Vermittler von geschichtlichem Sinn auf dem Höhepunkt der Ausdehnung der britischen und französischen Kolonialreiche, während deren Restaurierung und Erneuerung sowie im Zeitalter der Auflösung der territorialen Imperien übernahmen. Welche sinnstiftenden Erzählungen stellten Vertreter des Fachs Geschichte in Großbritannien und Frankreich jeweils bereit? Wie veränderten sie diese unter den Bedingungen einer allmählichen Verschiebung der politischen Ordnung in einer Zeit, in der sich das Souveränitätsprinzip verallgemeinerte, das Selbstbestimmungsrecht der Nationen gestärkt und Menschenrechte und Anti-Rassismus zu vorrangigen Normen der internationalen Gemeinschaft wurden? Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen Handbücher und ergänzend Publikationen, die britische und französische Historiker in einschlägigen Fachzeitschriften diskutierten. Ziel der Studie ist es, zu erschließen, welche Entwürfe zur Ordnung des Sinns der politischen Zusammengehörigkeit und des menschlichen Lebens diese jeweils mithilfe ›großer Erzählungen‹ bekräftigten. Es geht darum, das Verhältnis zwischen den geschichtlichen Interpretationen und den politischen Rahmenbedingungen genauer zu fassen. Hierzu reicht eine Analyse der historiographischen Texte nicht aus. Deshalb wird der Blick ebenfalls auf die Träger der jeweiligen Erzählungen sowie auf parallel geführte politische Debatten und die damit einhergehenden Änderungen der Ordnung für das Staats- und Einflussgebiet gerichtet. Die Arbeit bezeichnet Großbritannien und Frankreich im Titel als "imperiale Nationalstaaten" und im Text synonym als Imperien. Die Literatur hat in den vergangenen Jahren öfter auf gleichzeitig ablaufende, wenn nicht sogar komplementäre politische und kulturelle Prozesse der Nationalisierung und der Imperialisierung im 19. und frühen 20. Jahrhundert sowie auf die unterschiedlichen Zuschreibungen durch die Zeitgenossen hingewiesen. Zwar lassen sich Imperium und Nationalstaat typologisch einigermaßen sauber unterscheiden, doch standen sie in der historischen Wirklichkeit in vielfältigen Beziehungen zueinander. Dem soll auch bei der Untersuchung der britischen und französischen Historiographien Rechnung getragen werden, denen die neuere historiographie-geschichtliche Forschung eine Ausrichtung auf den Nationalstaat bis mindestens zum Ende des Zweiten Weltkriegs nachsagt. Insbesondere für die Historiker in Frankreich und Großbritannien, die als führende Repräsentanten ihres Faches die Geschichtsbilder auch über die Profession hinaus prägten, liegt es geradezu auf der Hand, dass sie imperiale und koloniale Fragen zumindest berücksichtigten. Zu klären bleibt allerdings, wie sie sich auf diese bezogen und wer ihnen zu welchen Zeitpunkten einen besonderen Stellenwert gab.

Erscheint lt. Verlag 4.10.2011
Verlagsort Frankfurt
Sprache deutsch
Maße 143 x 215 mm
Gewicht 474 g
Themenwelt Geisteswissenschaften Geschichte Allgemeines / Lexika
Geisteswissenschaften Geschichte Allgemeine Geschichte
Schlagworte Frankreich • Frankreich, Geschichte • Geschichtsschreibung • Geschichtsschreibung / Historiographie • Großbritannien • Großbritannien, Geschichte • Historiographiegeschichte • Imperialismus • Kolonialismus • Nationalismus
ISBN-10 3-593-39481-2 / 3593394812
ISBN-13 978-3-593-39481-7 / 9783593394817
Zustand Neuware
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