Trigger, Trauma, toxisch (eBook)
272 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-407-86886-2 (ISBN)
Lukas Maher, Psychologe und Psychotherapeut für Systemische Therapie, arbeitet u.a. am Systemischen Institut Tübingen in der Ausbildung von Psychotherapeut:innen und in der Versorgung von Menschen mit psychischen Störungen. Seit 2020 setzt er sich für die Entstigmatisierung von psychischen Störungen auf Instagram als @systemischegesundheit ein. Dabei klärt er vor allem über die vielen Irrtümer der sogenannten Pop-Psychologie auf. systemischegesundheit.de
Vorwort
»Das triggert mich!« – »Der ist echt toxisch.« – »Seit der letzten Beziehung habe ich voll das Bindungstrauma.« Solche Sätze begegnen uns heute überall. In sozialen Medien, in Gesprächen mit Freund:innen, sogar am Arbeitsplatz. Die Sprache der Psychologie hat Einzug in unseren Alltag gehalten. Doch was steckt wirklich hinter diesen Begriffen? Helfen sie uns tatsächlich dabei, uns selbst und unsere Mitmenschen besser zu verstehen oder unsere mentale Gesundheit zu verbessern?
Als approbierter Psychotherapeut mit mehreren Jahren Erfahrung in der klinischen Praxis und Ausbildung von angehenden Therapeut:innen freue ich mich zunächst, dass mentale Gesundheit eine größere Präsenz in der Öffentlichkeit erlangt hat. Diese Entwicklung trägt dazu bei, Vorurteile abzubauen, psychisches Leid zu normalisieren und Menschen, die leiden, sichtbar zu machen. Psychische Störungen zählen sowohl zu den häufigsten Gründen für eine Arbeitsunfähigkeit (16,1 Prozent)1 als auch für eine frühzeitige Berentung2.
Ein breiter und vorurteilsfreier Wissensschatz über mentale Gesundheit kann dazu beitragen, dass sich Betroffene schneller Hilfe suchen und von ihrem sozialen Umfeld mehr unterstützt werden. Nicht ohne Grund gilt die Stigmatisierung von Menschen mit Schizophrenie als »zweite Erkrankung«. Ein breites Wissen über mentale Gesundheit kann sich also direkt auf das Leid der Betroffenen auswirken. Und treffen kann eine psychische Erkrankung uns alle. 2024 fanden sich bei 33,3 Prozent3 der Deutschen eine oder mehrere psychische Störungen. Wenn wir also selbst nicht betroffen sind, kennen wir mindestens eine betroffene Person.
Pop-Psychologie to go
Das gesteigerte öffentliche Interesse an psychologischen Themen hat jedoch auch seine Schattenseiten: Es ruft Mindset-Coaches und Selbstliebe-Therapeut:innen auf den Plan, die mit bedeutungsschweren Begriffen und dramatischen Definitionen die Aufmerksamkeit von Konsument:innen auf sich ziehen. Sie geben einfache Antworten auf komplexe Probleme und haben nicht selten auch etwas zu verkaufen. Ihr mächtiges Werkzeug dabei: die Pop-Psychologie.
Pop-Psychologie, oder populäre Psychologie, ist die moderne Version der Küchenpsychologie – nur größer, präsenter und weiter verbreitet. Stell dir ein großes All-U-Can-Eat-Buffet vor, bei dem du weder weißt, was sich in den Wärmebehältern befindet, noch, wer das Essen zubereitet hat. Der Preis ist niedrig, aber es gibt im Restaurant weder Informationen über Allergene noch Ansprechpersonen, die dir Auskunft geben können. Einladend, oder?
Die Konzepte der Pop-Psychologie berufen sich zwar auf die Psychologie, haben aber oft wenig mit wissenschaftlicher Psychologie zu tun, da ihre Aussagen oft nicht überprüfbar sind. Wissenschaftliche Psychologie ist eine empirische Wissenschaft, die sich auf systematische Beobachtungen, Experimente und Messungen stützt. Sie verwendet wissenschaftliche Methoden und ist dadurch in ihrem Vorgehen standardisiert und überprüfbar. Damit ist sie anders als die Pop-Psychologie häufig vorsichtig mit ihren Aussagen.
Pop-Psychologie ist leicht verständlich und wird von vielen Menschen akzeptiert. Teilweise entlässt sie uns sogar ein Stück weit aus unserer Eigenverantwortung. Wozu sollte ich an Kommunikation und Konfliktfähigkeit in meiner Partnerschaft arbeiten, wenn ich mein Verhalten einfach mit meinem Bindungsstil begründen und mich darauf zurückziehen kann?
Gefahren und Missverständnisse
Wir begegnen der Pop-Psychologie jeden Tag: Nach einer Trennung brauchen wir »Heilung«, Erschöpfung im Alltag braucht die Beruhigung des Nervensystems und an schlechten Tagen müssen wir »Depris schieben«. Was eigentlich darauf abzielen soll, Menschen zu unterstützen und ihr Erleben besser zu verstehen, produziert oft Missverständnisse und vereinfachte Vorstellungen von der menschlichen Psyche. In schwierigeren Fällen kann dies dazu führen, dass man sich mit fehlinformierenden Büchern oder Onlinekursen eindeckt, die ihr Geld nicht wert sind. Im schlimmsten Fall landet man in einem unseriösen Coaching oder einer »Pseudo-Therapie«, weil man eigentlich an einem ernsthaften Problem arbeiten möchte. Dort bekommt man dann Lösungen übergestülpt, die zwar unglaublich gut klingen, aber entweder gar nicht wirken oder sogar schädlich sind – mindestens für den Geldbeutel.
Immer wieder ist von Menschen zu lesen, die eine Traumatherapie unter falschen Versprechungen bei einem:r Coach oder eine:r Heilpraktiker:in beginnen und diese mit einer stärkeren Traumatisierung als zuvor verlassen. Und das kann mitunter – keine Triggerwarnung an dieser Stelle – tödlich enden.
Außerdem wissen wir, dass Menschen, die eine Behandlung abbrechen, eine höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen, in Zukunft keine weitere Behandlung mehr in Anspruch zu nehmen. Einfacher gesagt: Wer Opfer von Quacksalbern wird, begegnet zukünftigen Therapien bestenfalls misstrauisch oder bleibt diesen ganz fern. Letzteres ist für die eigene Genesung eine Katastrophe. Daneben besteht eine weitere Gefahr darin, komplexe Zusammenhänge auf vermeintlich einfache psychologische Ursachen zurückzuführen. Dadurch unterschlagen wir wichtige soziale und strukturelle Faktoren. Wir pathologisieren den einzelnen Menschen, obwohl das Problem in der Gesellschaft als Ganzes liegt. Ist es hilfreich, alle missliebigen Ex-Partner:innen mit der Diagnose Narzissmus zu belegen und damit die Verantwortung für die oftmals gewaltvollen Kommunikationsprozesse der Beziehung auf die vermeintliche Krankheit der Einzelperson abzuwälzen? Unterschlagen wir dabei nicht ein viel weitreichenderes Thema, das uns alle etwas angehen sollte? Nämlich Partnerschaftsgewalt.
Wissenschaft vs. Pop-Kultur
Als Psychotherapeut weiß ich um die Komplexität der menschlichen Psyche. Fünf Jahre Psychologiestudium und eine mehrjährige Ausbildung waren nötig, um mich heute Psychotherapeut nennen zu dürfen. Und selbst jetzt bin ich verpflichtet, mich stetig fortzubilden und meine Behandlungen sowie meinen öffentlichen Auftritt wissenschaftlich zu begründen. Mag die wissenschaftliche Psychologie für Außenstehende manchmal kompliziert wirken, so ist sie der Pop-Psychologie doch in einem entscheidenden Punkt überlegen: Sie wirkt. Evidenzbasierte psychotherapeutische Methoden helfen Menschen nachweislich, lindern Depressionen, Angststörungen oder Essstörungen. Pop-psychologische Konzepte tun das nicht. Sie lassen sich ja nicht einmal beweisen.
Trotzdem beeinflussen sie unser Zusammenleben und den Blick auf uns selbst. Sie vereinfachen, etikettieren Verhaltensweisen und ordnen Emotionen. Klar, diese Labels sprechen uns an, sie reduzieren Komplexität in einer chaotischen, informationsüberflutenden Welt.
Was einmal bei Sternzeichen begann, scheint nun auf jeden Bereich unserer Persönlichkeit oder unseres täglichen Miteinanders übergegangen zu sein. Wir achten auf das Gesetz der Anziehung, arbeiten an unserem Mindset und stellen unsere Beziehungen infrage, weil Bindungsstil oder Liebessprache nicht passen. Menschen haben keine problematischen Eigenschaften oder verhalten sich uns gegenüber unfair, nein, wir haben auch keine Konflikte mehr miteinander. Denn unser Gegenüber ist schlicht eine Red Flag und damit eine Ansammlung entmenschlichter Eigenschaften, die eine Auseinandersetzung unmöglich machen.
Typisierungen und Vereinfachungen sind im Trend, geben einem teilweise sogar eine (neue) Identität. Ein Beispiel: Nicht ohne Grund hört man im Alltag immer wieder Sätze wie: »Ein bisschen ADHS haben wir doch alle.« Derartige Komplexitätsreduktionen sollen Betroffenen von psychischen Störungen helfen, sich besser zu verstehen und mitteilen zu können. Hinter ADHS verbirgt sich aber nicht nur ein bisschen Zuspätkommen oder gelegentliche Konzentrationsprobleme oder Intoleranz von Langeweile. ADHS ist eine neurologische Entwicklungsstörung mit überdauernden...
Erscheint lt. Verlag | 20.3.2025 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung |
ISBN-10 | 3-407-86886-3 / 3407868863 |
ISBN-13 | 978-3-407-86886-2 / 9783407868862 |
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