Odyssee nach Westafrika (eBook)
288 Seiten
Reisedepeschen (Verlag)
978-3-96348-993-8 (ISBN)
Markus Steiner, geboren in Lünen, lebt in Lissabon. Nach Stationen in Bremen, Kiel, Chicago, Sydney und München ließ er eine Karriere im Marketing hinter sich, um die Welt zu bereisen und zu schreiben. Seine Reisereportagen erschienen u. a. bei Spiegel.de, National Geographic und Geo. Als Co-Autor von The Travel Episodes und Autor des Longsellers Weltherz erzählt er auf Lesungen und Veranstaltungen europaweit von seinen Erlebnissen. In 'Odyssee nach Westafrika' verbindet er persönliche Abenteuer mit tiefgehenden Einblicken in die afrikanische Kultur, einer Art Roadtrip durch Marokko, eine Sahara-Durchquerung und interkulturelle Beziehung, sowie Liebe und Freiheit auf Reisen. In dem Westafrika Buch berichtet er außerdem über Migration in Afrika und die Auswirkungen des Klimawandels.
MARKUS STEINER
Odyssee nach
Westafrika
Eine Suche
nach unserem Platz
in der Welt
REISEDEPESCHEN
Originalausgabe
1. Auflage März 2025, Berlin, im Jahr der Schlange
ISBN E-Book: 978-3-96348-993-8
ISBN Hardcover: 978-3-96348-039-3
Alle Rechte vorbehalten
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Gestaltung, Illustrationen, Satz und Herstellung lagen in den Händen von Johannes Klaus. Philipp Laage machte Lektorat und Korrektorat.
Der Fotograf des Autorenfotos auf Seite 288 ist Bob Sala (bob-sala.com).
Das Buch wurde in der Courier Prime von Alan Dague-Greene und der Franziska Pro von Jakob Runge gesetzt.
Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß §44b UrhG (»Text und Data Mining«) zu gewinnen, ist untersagt.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Die wichtigste Art von Freiheit ist, zu sein, wer du wirklich bist.
Jim Morrison
Guerguerat, Sahara
Als ich aufblicke, ist Mojo plötzlich weg. Und mit ihm mein Pass. Der Schreck schießt durch meine Lunge, also ziehe ich den Kopf wieder ein, denn ich bin jetzt allein. In diesen Pulk lärmender Männer gepresst. Wie soll ich aus dieser verdammten Wüste wieder rauskommen? Und wie Mara finden? Alles, was ich sehen kann, ist ein Mann im Pelzmantel auf dem Dach der kleinen Grenzstation. Er wiegt ein Schaf auf seinem Arm. Anschwellende Rufe, unvertraute Laute, fremdes Geschrei. Mein Hals schmerzt, weil mein Herz darin hämmert. Alles pulsiert hier, denke ich. Das Licht ist grell, die Häuser sind in Gelb getaucht und staubig. Wind wischt übers Gesicht. Ich spüre Euphorie, unterwegs zu sein. Wie sie in mir aufsteigt. Ein geiles Gefühl. Ich muss grinsen. Aber nur für einen Augenblick. Dann ist das vorbei. Jetzt fühle ich Angst. Ich will nach Mojo rufen. Und dann denke ich, dass er es einmal mehr besser wusste. Verschwinde.
Vornübergebeugt, fast in der Hocke, blicke ich an mehreren Mantelmännern vorbei auf ödes, trockenes Land, auf eine Steinwüste. Eine Gegend, in der es niemandem auffiele, wenn Luke Skywalker durch sie stapfen würde. Tatsächlich laufen Gestalten mit Umhängen und spitzen Kapuzen durch diese Weltuntergangslandschaft, vorbei an Kratern, von Rost zerfressenen Autowracks und einem mächtigen gelben Sandwall. Die gigantische Sonne frisst den kühlenden Wind einfach auf und die Bisse der verfluchten Bettwanzen jucken auf der Haut. Übermüdet vom Warten schmore ich in der Mittagshitze. Aber ich muss wach bleiben.
Einer der Männer stößt mich weg. Ich stürze beinahe, weil ich mit einem so kräftigen Stoß nicht gerechnet habe. Der Mann trägt einen braunen Umhang, aus der Kapuze ragt seine spitze Nase. Er murmelt etwas. Spricht er zu mir? Soll das ein Gebet sein? Ich weiß es nicht. Ich verstehe es nicht. Ich verstehe nicht einmal mehr, was ich hier überhaupt mache. Eigentlich will ich rufen: Hey, was soll das?
Aber das ist ein lächerlicher Impuls. Ich starre den Mann an, bis er sein Gesicht zu mir dreht und unsere Blicke sich ineinander verhaken. Er hat ein schönes Gesicht, trotz der scharfen Wangenknochen. Ein schönes und ein fiebriges Gesicht und das macht die Sache bedrohlich. Dann beachtet er mich nicht weiter und wendet sich abrupt ab.
Die Sahara ist kein sicherer Ort. Hier – bei den Marokkanern – wird es gut gehen, habe ich gedacht, hier haben sie ein Auge auf jede Regung im Sand. Denn drüben, vor dem Grenzposten der Mauretanier, wartet Niemandsland. Wüstenbanditen, Drogenschmuggler, Islamisten, Rebellen auf Kamelen, Ausgestoßene. Sie teilen sich diesen Landstrich. Es ist ein leeres Land, in dem man sich nicht verstecken kann. Meine einzige Deckung ist dieses johlende Durcheinander aus Dschellabas und Kapuzen. Überall Arme und Hände, Laute schießen durch die Luft wie Patronen. Alle wollen jetzt sofort den Ausreisestempel nach Mauretanien.
Wir haben an diesem Ort einen glühenden Tag ausgeharrt und eine eisige Nacht lang gefroren. Mich muss jeder bei unserer Ankunft entdeckt haben, wie eine Musikkapelle in einem Meditationskloster. Der Einzige im schäbigen Teesalon ohne rostige oder schwarze Haut; der Einzige, dem die Wüste keine Rinnen ins Gesicht gekerbt hat. Überhaupt, die Gesichter hier: verschleiert, nicht zu deuten, zwischen Finsternis und Heiterkeit. Auf dem Weg an die Grenze ziehen einige Männer eine Dschellaba über Jeans und T-Shirt, weil sie nicht auffallen wollen. Ich nicht. Das hätte wie eine Verkleidung gewirkt, dachte ich. Jetzt wünsche ich mir das Gewand, um die Kapuze tiefer in mein verräterisches Gesicht ziehen zu können. Um zu verbergen, wer ich bin.
Jeden Glücklosen zermürbt die Sahara. Sie ist ein erbarmungsloser Landstrich. Mit greller Gleichgültigkeit bemächtigt sich die Wüste jedem, der sie durchqueren will. Seit Tagen schon nackter Horizont. Überflutendes Licht. Ein Himmel, der giftig glüht. Beim Schlucken schmecke ich den Sand. Trocken klebt die Zunge an meinem Gaumen.
Allein kauerte ich in der klirrenden Nacht auf der Rückbank von Mojos Wagen, das Taschenmesser zitterte in meiner Hand. Natürlich lag ich wach, bis in die Morgendämmerung hinein. Draußen lauerten die Dschihadisten. Überall sprachen sie davon. Oder umzingelten sie nur meine Gedanken?
Die Finsternis umschloss alles, es war eine klare Nacht, olivenschwarz. Sie kam schnell, wie immer, seitdem wir in der Wüste unterwegs sind. Irgendwie fand der Wind die Ritzen, Sand formierte sich auf meiner Jacke und auf meiner Zunge. Er trieb über die Frontscheibe, wo sich noch etwas bewegte. Ein Skorpion, der im Schutz der Dunkelheit jagte. Im Lichtkegel meiner Taschenlampe erstarrte der Jäger für einen Augenblick und schoss dann davon. Ich öffnete ein Fenster und spuckte den Geschmack von Sand und Bier hinaus, der mir im Mund hing. Und meine Angst.
Das wunderbare Gefühl des Nichtwissenwollens, dem man sich unterwegs mit ausschweifendem Vertrauen hingibt, weil es Freiheit bedeutet, ist fort, verschwunden, wie ein Sandkorn, das man auf eine Düne gelegt hat. Jetzt will ich wissen. Denn ich muss weiter. Oder umkehren. Auch wenn ich Mara nicht wiedersehen werde. Nichts bewegt sich. Nur der Sand.
Ich habe Sehnsucht, mich zu bewegen. Das ist die schönste Freiheit von allen. Sich zu bewegen, versichert einem, dass man existiert. Wie ein tiefer Atemzug.
Eingeklemmt in dieser kilometerlangen Schlange von Trucks und Geländewagen hängen wir am Grenzposten fest. Überall wimmelt es von müden Reisenden und Männern mit blauen Turbanen, denen das Warten und dieser grässliche Ort nichts auszumachen scheinen. Sie sitzen in der Teestube oder liegen auf Teppichen ausgestreckt im Sand und im Schatten der Trucks, trinken süßen Tee, rauchen und reden oder fummeln stumm an ihren Ketten rum.
Gleich hinter der Sperre sollen die Sahrauis einen Marokkaner mit Öl übergossen und dann in Brand gesetzt haben. Also haben die Marokkaner die Grenze gestern geschlossen. Die Wüstennomaden wollen ihr Land zurück, immer noch. König Hassan II. hat es 1976 von den maurischen Saharabewohnern geraubt.
Vor der Hütte ist die Hölle los. Der wild gewordene Sahraui im Pelzmantel ist auf das marokkanische Grenzhaus gestiegen. Der Typ macht mich verdammt unruhig. Wie er jetzt dasteht, breitbeinig, wie der Anführer einer großen Sache. Meine Sache ist die: Mojo hat meinen Pass, er soll den Stempel besorgen und zurückkommen. Aber daran glaube ich in diesem Moment nicht mehr.
Gut fünfzig Männer vor der Hütte wollen sofort ihren Stempel, schreien und drängeln und schieben, als würden sie heute noch das Ende der Welt oder die Ankunft irgendeines Propheten erwarten, denn der Grenzposten ist wieder aufgesperrt. Marokkaner, Mauretanier, die Sahrauis – sonst belauern sie sich aus der Ferne, jetzt stehen sie eng zusammen, vielleicht zu eng. Irgendwann wird das hier explodieren, denke ich.
Auf dem Dach turnt der Mantelmann herum. Unten kauere ich in der rumorenden Meute. Um die Stechfliegen zu erwischen, schlage ich mit der flachen Hand auf meinen Arm. Mojo ist wie vom Wüstensand verschlungen, dabei überragt er sonst immer alle. Ich will nicht, dass mich der wahnsinnige Sahraui entdeckt, mache mich kleiner, will eines der Sandkörner sein. Es ist unfassbar hell.
Sie haben ihm das Schaf auf das Dach gereicht, die Beine mit einem Strick festgebunden. Der Wahnsinnige schwingt einen Pass. Dann packt er das Schaf an den Beinen und stemmt es in die Höhe, wie Muhammad Ali den Weltmeisterschaftsgürtel nach dem Kampf. Man kann es sicher bis nach Mauretanien sehen. Blut läuft an dem Tier herunter und tropft auf die flatternden Haare des Mantelmannes, rinnt langsam an der Schläfe hinab. Irgendjemand hat dem Schaf die Kehle aufgeschnitten.
Jetzt schwingt der Mann sich an dem marokkanischen Fahnenmast wieder...
Erscheint lt. Verlag | 1.3.2025 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Reisen |
ISBN-10 | 3-96348-993-6 / 3963489936 |
ISBN-13 | 978-3-96348-993-8 / 9783963489938 |
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Größe: 8,4 MB
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