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Stammzellen -  Alina Lindermuth

Stammzellen (eBook)

eBook Download: EPUB
2025 | 1. Auflage
312 Seiten
Verlag Kremayr & Scheriau
978-3-218-01447-2 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
16,99 inkl. MwSt
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Ronja und Elio teilen ihre Faszination für die Natur, frisch verliebt beginnen sie ein gemeinsames Leben in einer Kleinstadt am Fuße der Alpen. Doch schon bald werden auch sie von einem Phänomen eingeholt, das die Welt seit einigen Jahren in Atem hält: der willkürlichen Entwicklung erwachsener Menschen zu Bäumen. In ihrem neuen Roman nähert sich Alina Lindermuth einer Zukunftsvision, die gleichzeitig aufrüttelt und tröstet. Wie erleben Betroffene die sogenannte Dendrose und wie gehen ihre Familien damit um? Wie reagiert die Gesellschaft, was bedeutet das Phänomen für Politik, Unternehmen oder auch Krankenhäuser? Allmählich wird klar, dass die bestehenden Risse in der Bevölkerung dadurch immer tiefer werden. Eine feinfühlige Liebesgeschichte im Zentrum der größten Herausforderung unserer Zeit: Die Autorin denkt angesichts der Klimakrise zu Ende, was geschehen würde, wenn die Natur auf sanfte, aber irreversible Art ihren größten Widersacher zu einem Teil von sich selbst zurückbildet.

Alina Lindermuth wurde 1992 in Villach geboren. Nach dem Schulabschluss ging sie nach Indien, im Anschluss folgten Studien der Südasienkunde, BWL und VWL in Wien und Singapur. Ihr Text 'Zum Schreien' (2010) wurde mit dem Bachmann Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Für ihre Romane 'Die Wahrscheinlichkeit des Zufalls' (2020) und 'Fremde Federn' (2023) erhielt sie Preise und Stipendien, u. a. das Reisestipendium des BMKÖS für Sri Lanka, den Bruno-Gironcoli-Förderpreis oder den Sonderpreis des Wiener Werkstattpreises.

Alina Lindermuth wurde 1992 in Villach geboren. Nach dem Schulabschluss ging sie nach Indien, im Anschluss folgten Studien der Südasienkunde, BWL und VWL in Wien und Singapur. Ihr Text "Zum Schreien" (2010) wurde mit dem Bachmann Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Für ihre Romane "Die Wahrscheinlichkeit des Zufalls" (2020) und "Fremde Federn" (2023) erhielt sie Preise und Stipendien, u. a. das Reisestipendium des BMKÖS für Sri Lanka, den Bruno-Gironcoli-Förderpreis oder den Sonderpreis des Wiener Werkstattpreises.

August


Ihre Schritte hinterlassen auf dem grau gesprenkelten Linoleum des Krankenhausbodens das satte Quietschgeräusch, wenn Turnschuhgummi über Hartplastik reibt. Ansonsten ist es still auf der zentralen Notaufnahme, ein außergewöhnlicher Vormittag. Auf dem Weg von den Toiletten zurück in ihr Behandlungszimmer stößt Ronja beinahe mit Nina zusammen, die gehetzten Schrittes die Kurve eng nehmen wollte. Ronja hakt sich bei ihr ein und dreht sie einmal um die eigene Achse, bis sie in eine Umarmung verschlungen sind.

»Ich hab’s eilig«, sagt Nina, lacht und versucht sich zu lösen.

»Ich nicht.« Ronja lässt nicht los.

»Nein, wirklich, aber um halb eins in der Kantine.« Mit einem Klaps gibt Ronja Nina frei und nickt ihr hinterher.

Zurück in ihrem Zimmer beginnt sie mit der Dokumentation, überträgt die Daten der Patient:innen in den Computer und müht sich dabei durch die antiquierte Eingabemaske. Obwohl das Krankenhaus nicht besonders groß und durch seine ländliche Lage nicht unbedingt eines der Vorzeigehäuser ist, wurde hier schon viel in die Digitalisierung investiert. Sogar das papierfreie Krankenhaus wurde vor Jahren ausgerufen, trotzdem wollten die Geräte nicht immer so wie die Menschen, es blieb ein erbitterter Kampf an den Schnittstellen. Aber das übliche Abwarten, neu Laden, Suchen, Zurückspringen, neu Laden ärgert sie heute nicht, denn ihre Gedanken sind in ihren Zehen. Als ihr zweiter Patient zur Tür hinausgegangen ist, hat sie es wieder gemerkt. Das Kribbeln ist zurück.

Es ist genau wie sonst ganz vorn in den Zehenspitzen zu spüren, direkt unter dem Nagelbett. Sie weiß gar nicht so genau, wann es angefangen hat, vor einem knappen Jahr vielleicht, doch in letzter Zeit ist es häufiger geworden, kommt alle paar Wochen. Zuerst war es kaum spürbar, nur so, als wären ihre Füße eingeschlafen. Dann wurde es stärker, blieb aber auf die Zehen begrenzt. Es dauert ein paar Stunden an, manchmal sogar wenige Tage, dann ist es mit einem Mal wieder weg.

Ronja schließt die Augen und atmet tief aus. Schon sind ihre Finger klamm, schon spürt sie, wie ihr Herzschlag sich beschleunigt, Hitze durchpulst ihre Ohren. Alles ist gut, sagt sie sich im Stillen und atmet wieder tief aus. Es kann nicht sein. Ich bin zu jung. Es ist unmöglich. Doch heute gelingt es ihr kaum, die Panik zu regulieren. Ruckartig steht sie auf und öffnet das Fenster, atmet noch einmal tief durch, schiebt das innere Bild mit Gewalt zur Seite: ihre Füße, steif, von spröder Borke überzogen. Doch es klappt nicht, die Angst wabert weiter heiß durch sie hindurch. Fühlt es sich heute nicht stärker an als das letzte Mal? Sie kann den Impuls nicht unterdrücken, muss sich setzen, zerrt an den Socken und untersucht so lange die Haut an den Zehen, bis es an der Tür klopft und ein Pfleger hereinschaut. »Entschuldigung!«, sagt er schnell.

»Alles gut«, sagt Ronja zu sich selbst und zu ihm, richtet sich rasch auf und greift nach den Socken, spürt, wie die Panik in der Normalität verdunstet. »Was gibt es?«

»Und er baut es allein? Ich dachte, er ist an der Uni und …« Nina lässt den Satz in der Luft hängen und wendet sich ihrem Teller zu.

»Du meinst linke Hände und so?« Manchmal findet Ronja es schade, dass Nina so oft in ihren Schubladen bleibt.

»Nein, nein.« Nina hat ihren Blick bemerkt. »Ich meinte nur, es braucht schon ziemlich viel Spezialwissen, um ein Haus zu bauen. Oder eben zu renovieren, dafür vermutlich sogar noch mehr, und das neben Vollzeitjob und ohne handwerkliche Ausbildung stelle ich mir einfach schwierig vor.«

»Seine Kindheit hat er auf dem Bauernhof verbracht, er sagt, das war so ähnlich wie eine Lehre in allem. Und wenn er so werkt, sieht es erstaunlich professionell aus, muss ich sagen.«

Nina lächelt sie breit an und stürzt ein halbes Wasserglas herunter.

»Schau nicht so. Und sag nichts.«

»Wollte ich gar nicht.« Nina hebt die Schultern fast bis zu den Ohren.

»Du schaust noch immer so«, sagt Ronja, die Augen schmale Schlitze.

»Jetzt komm. Es ist einfach schön anzusehen.«

»Ach hör doch auf.« Ronja rollt mit den Augen und weiß, dass sie damit alles Ungesagte bestätigt. Natürlich hat Nina recht, sie findet es selbst schön anzusehen, alles mit Elio ist schön anzusehen. Und zwar noch immer, nach einem ganzen Frühling und einem ganzen Sommer, so schön, dass sie sich gar nicht mehr erinnern kann, wie alles davor gewesen ist. Manchmal wird die Intensität so groß, dass sie befürchtet, sie könnte sich getäuscht haben, die ganze Zeit über, könnte nur geträumt haben, dass es so etwas wirklich gibt, was sie da zwischen sich gefunden haben.

Nina begleitet Ronja zurück zur Notaufnahme. Bevor sie in den Lift zur Gynäkologie im vierten Stock steigt, legt sie ihr einen Arm um die Schulter und schmatzt ihr Kussgeräusche ins Ohr.

Der Vormittag war trügerisch ruhig. Als Ronja zurück in die Aufnahme kommt, haben sich im Wartebereich mehr Patient:innen und Angehörige angesammelt, als es Sitzgelegenheiten gibt. In einer gewundenen Schlange stehen sie vor der verglasten Anmeldung. Zügig bahnt Ronja sich einen Weg in ihr Behandlungszimmer, noch bevor sie sitzt, geht die Tür schon wieder hinter ihr auf. Ein älterer Herr tritt keuchend an die Liege heran, auf die er sich unaufgefordert fallen lässt. Seine Begleitung, vermutlich die Ehefrau, schließt die Tür, stellt sich neben ihn und scheint schon, bevor sie etwas gesagt hat, mehr verärgert als besorgt zu sein.

»Er verweigert immer den Rollstuhl.«

»Wenn man sich einmal hineingesetzt hat in so ein Monstrum«, sagt er langsam, »dann ist es sowieso vorbei.«

»Jetzt sind Sie ja hier«, sagt Ronja, bemüht um einen höflichen Tonfall. »Ihr Name und Geburtsdatum bitte.«

Am frühen Abend, zweieinhalb Überstunden nach ihrem regulären Dienstschluss streift sie hastig ihre Kleidung ab, eine eng gewordene Reptilienhaut, die sich nur unfreiwillig lösen lässt. Stattdessen schlüpft sie in die gepolsterte Radlerhose und zieht erst auf dem Weg nach draußen den Reißverschluss des Trikots nach oben, Schlüssel, Telefon und Geldtasche in den drei Rückenfächern verstaut. Die Trinkflasche hat sie unter den Arm geklemmt, sie tropft noch vom raschen Auffüllen. Nach wenigen Metern biegt sie vom Krankenhausgelände auf die Hauptverkehrsader ein, lässt die Schuhe in die Pedale einrasten und mit jedem Meter den Arbeitstag ein Stückchen weiter hinter sich. Sie will ihre kurze Afterwork-Runde fahren, hinunter ans Steinbachufer, schnell fort von den Autos, dann hinaus über die Felder, sie biegt ein auf den Radweg und atmet tief aus.

Nach exakt zehn Kilometern piepst das Fahrradnavi leise, um die Distanz zu vermelden. Heute gelingt es ihr wieder einmal schlecht abzuschalten. Doch das Kribbeln in den Zehenspitzen wird endlich schwächer, ein verlässlicher Effekt des Radfahrens, vielleicht wegen der Bewegung, vielleicht auch wegen der engen Schuhe.

Sie radelt durch die Kastanienallee, deren üppiger Wuchs die Straße zu einem grünen Tunnel formt. Aktiv nimmt sie wahr, was um sie herum geschieht. Wie ist die Beschaffenheit des Asphalts? Wurde ringsum erst vor Kurzem gemäht? Riecht es nach von der Sonne heiß getrockneten Heublumen oder nach Kompost? Welchen Grünton haben die unreifen, stacheligen Fruchthülsen der Kastanien? Wer ist das auf dem vierten Plakataufsteller innerhalb von nur zwanzig Metern? Zu wem gehört das übermäßig stark belichtete Frauengesicht? Sie unterbricht ihre Ablenkungsfragen verärgert und sofort springt die Denkmaschine wieder an und beginnt zu grübeln, welche möglichen Ausgänge die bevorstehenden Wahlen haben könnten.

In ihrer frühen Jugend hatte sie sich kurzzeitig sehr für Politik interessiert, zu einer Zeit, in der das Klima auch abseits der Wörtlichkeit vom -wandel, zur -krise und schließlich zur -katastrophe avancierte. Sie marschierte mit anderen Demonstrierenden durch die Straßen, schon lange war in den Kleinstädten der Alpentäler nicht mehr demonstriert worden, schon lange hatten sich die Menschen nicht mehr zusammengestellt, um gegen etwas aufzubegehren. Aber dann gab es ein Momentum und sogar in Farnburg ging man hinaus und blockierte den Verkehr. Ronja zeichnete Plakate, feilte tagelang an Slogans und Begriffen, die sich auf Planet B, Katastrophe oder Umweltschutz reimten. Mitten in der Menge zu marschieren elektrisierte sie, die Erinnerung an die Sprechchöre verursachen ihr bis heute Gänsehaut. Und kurz hatte es sich sogar so angefühlt, als könnte dadurch wirklich etwas verändert werden, als könnten die Parolen, das Aufstehen zum Sand im Getriebe des...

Erscheint lt. Verlag 12.3.2025
Verlagsort Wien
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alpen • Bäume • Beziehung • Klimakrise • Liebe • Liebesgeschichte • Magischer Realismus • Natur • Nature writing • Umwelt • Zukunft
ISBN-10 3-218-01447-6 / 3218014476
ISBN-13 978-3-218-01447-2 / 9783218014472
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