Deutschland schafft sich ab (eBook)

656 Seiten
LangenMüller (Verlag)
978-3-7844-8510-2 (ISBN)
Einleitung
Alle politische Kleingeisterei besteht in dem
Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist.
ferdinand lassalle
In den wirtschaftlich und gesellschaftspolitisch sehr erfolgreichen Jahrzehnten seit dem Zweiten Weltkrieg wuchs in Deutschland der Stolz auf den Fleiß und die Tüchtigkeit seiner Bürger, auf den stetig steigenden Lebensstandard und den immer weiter ausgebauten Sozialstaat. Die vier größeren Wirtschaftskrisen – 1966/67, 1974/75, 1981/82 und zuletzt 2008/09 – haben diesem Stolz und dem Vertrauen in die Solidität des eigenen Wirtschafts- und Sozialmodells wenig anhaben können. Selbst die Auswirkungen der Globalisierung, die Verschiebung der Gewichte in der Welt, die Umweltbelastungen und die zu befürchtenden Folgen des Klimawandels haben den Grundoptimismus der Deutschen – auch wenn sie gerne jammern – bisher nicht nachhaltig beeinträchtigt. Dieser Grundoptimismus und die Jahrzehnte des fast ungetrübten Erfolgs haben aber die Sehschärfe der Deutschen getrübt für die Gefährdungen und Fäulnisprozesse im Innern der Gesellschaft.
Das hat sich geändert. Die Zukunftserwartungen der Deutschen haben sich nachhaltig eingetrübt. 72 Prozent der Deutschen meinten Ende 2023, dass wir in schwierigen Zeiten leben, und nur 16 Prozent vertraten die Meinung, dass wir in glücklichen Zeiten leben. In der regelmäßig erhobenen Allenbach-Umfrage sind das die negativsten Werte seit 60 Jahren.71 Das grundsätzlich sinkende Systemvertrauen der Deutschen zeigen auch der Aufstieg der AfD am rechten und des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) am linken Rand des politischen Spektrums.
»Deutschland schafft sich ab?« – welch eine absurde Befürchtung, mögen viele denken, wenn sie dieses solide Land mit seinen 80 Millionen Einwohnern in der Mitte Europas betrachten: die Städte, die Industrie, die Autos, Handel und Wandel, Leben und Treiben … Ein Land aber ist das, was es ist, durch seine Bewohner und deren lebendige geistige sowie kulturelle Traditionen. Ohne die Menschen wäre es lediglich eine geografische Bezeichnung. Die Deutschen aber schaffen sich allmählich ab. Eine Nettoreproduktionsrate von 0,7 oder weniger, wie wir sie seit 40 Jahren haben, bedeutet ja nichts anderes, als dass die Generation der Enkel jeweils halb so groß ist wie die der Großväter. Die Geburtenzahl sank in Deutschland von über 1,3 Millionen jährlich in der ersten Hälfte der sechziger Jahre auf 650000 im Jahr 2009 ab. Geht das so weiter – und warum sollte sich etwas ändern an diesem Trend, der schon über vier Jahrzehnte anhält –, dann wird nach drei Generationen, also in 90 Jahren, die Zahl der Geburten in Deutschland bei rund 200000 bis 250000 liegen. Höchstens die Hälfte davon werden Nachfahren der 1965 in Deutschland lebenden Bevölkerung sein.
2023 wurden in Deutschland 693 000 Kinder geboren, bei rund der Hälfte hatten die Eltern einen Migrationshintergrund. Die gegenüber meinen damaligen Schätzungen weitaus höhere Einwanderung in Deutschland beschleunigt auch den Rückgang des Anteils ethnischer Deutscher an den Geburten.
Die Deutschen hätten sich damit quasi abgeschafft. Manche mögen dieses Schicksal als gerechte Strafe empfinden für ein Volk, in dem einst SS-Männer gezeugt wurden – nur so lässt sich die zuweilen durchscheinende klammheimliche Freude über die deutsche Bevölkerungsentwicklung erklären. Andere trösten sich damit, dass auch ein kleines Volk leben und überleben kann, und verweisen auf Dänemark mit seinen rund 5 Millionen Einwohnern. Deutschland wäre dann eben künftig ein Dänemark auf etwas größerer Fläche. Ginge das nicht auch? Was wäre daran so schlimm? Es würde vielleicht gehen, wären da nicht die qualitativen demografischen Verschiebungen jenseits der schieren Nettoreproduktionsrate sowie die Armutsmigration und der Bevölkerungsdruck über die Grenzen hinweg.
Vernünftig diskutiert haben wir über die demografische Entwicklung in Deutschland in den letzten 45 Jahren nicht. Wer nicht mit im Strom der Beschwichtiger und Verharmloser schwamm, wer sich gar besorgt zeigte, der musste bald frustriert erkennen, dass er alleine stand, und nicht selten fand er sich in die völkische Ecke gestellt. Abgesehen davon befindet sich der gesellschaftliche Diskurs in Deutschland in einem merkwürdigen Widerspruch: Einerseits ist die öffentliche Diskussion geprägt von Unterhaltungslust und dem Vergnügen an Skandalisierungen, andererseits ist sie zunehmend von den Euphemismen der politischen Begrifflichkeit beherrscht:
– Über die Folgen des Geburtenrückgangs durfte man Jahrzehnte überhaupt nichts sagen, wenn man nicht unter völkischen Ideologieverdacht geraten wollte. Das hat sich inzwischen geändert, da die Generation der Achtundsechziger Angst um ihre Rente bekommen hat. Aber jetzt ist es 40 Jahre zu spät.
– Die sozialen Belastungen einer ungesteuerten Migration waren stets tabu, und schon gar nicht durfte man darüber reden, dass Menschen unterschiedlich sind – nämlich intellektuell mehr oder weniger begabt, fauler oder fleißiger, mehr oder weniger moralisch gefestigt – und dass noch so viel Bildung und Chancengleichheit daran nichts ändert. Da dieser Grundsachverhalt geleugnet wurde, war jeder Diskussion über die zahlreichen Fehlsteuerungen des Sozialstaats der Boden entzogen. Es war tabu, darüber zu reden,
– dass man zwar 90 Prozent der Schüler einer Jahrgangsstufe zur Hochschulreife führen kann, aber dennoch nicht einmal 10 Prozent von diesen den Anforderungen eines Mathematikstudiums gewachsen sind
– dass wir als Volk an durchschnittlicher Intelligenz verlieren, wenn die intelligenteren Frauen weniger oder gar keine Kinder zur Welt bringen
– dass der Einzelne selbst für sein Verhalten verantwortlich ist und nicht die Gesellschaft.
»Wer nicht lernt, bleibt unwissend. Wer zuviel isst, wird dick.« Solche Wahrheiten auszusprechen, gilt als politisch inkorrekt, ja als lieblos und eigentlich unmoralisch – zumindest aber ist es unklug, wenn man in politische Ämter gewählt werden möchte. Die Tendenz des politisch korrekten Diskurses geht dahin, die Menschen von der Verantwortung für ihr Verhalten weitgehend zu entlasten, indem man auf die Umstände verweist, durch die sie zu Benachteiligten oder gar zu Versagern werden:
– Kann ein Schüler dem Unterricht nicht folgen, so liegt das an der Bildungsferne des Elternhauses.
– Leiden Kinder aus einfachen Verhältnissen auffallend häufig an Übergewicht infolge Bewegungsmangel, so liegt das nicht an der Vernachlässigung durch die Eltern, sondern an der sozialen Notlage der Familie.
– Machen die Kinder von Alleinerziehenden in pädagogischer Hinsicht Schwierigkeiten, so ist dafür die Gesellschaft verantwortlich, die den Alleinerziehenden nicht genügend Unterstützung gewährt. Dabei wäre doch zu fragen, welche gesellschaftlichen Umstände und individuellen Dispositionen dazu führen, dass es so viele Alleinerziehende gibt, und was man dagegen tun kann.
– Sprechen türkische Migranten auch in der dritten Generation noch nicht richtig deutsch, so wird eine Integrationsfeindlichkeit des Umfeldes ausgemacht. Aber warum, so fragt man sich, beobachtet man diese Schwierigkeiten bei fast allen anderen Migrantengruppen nicht?
Aus der soziologisch richtigen aber banalen Erkenntnis, dass in der Gesellschaft alles mit allem zusammenhängt, hat sich eine Tendenz entwickelt, alles auf die gesellschaftlichen Verhältnisse zu schieben und so den Einzelnen moralisch und weitgehend tatsächlich von der Verantwortung für sich und sein Leben zu entlasten. Wie Mehltau hat sich politische Korrektheit über die Struktur- und Steuerungsfragen der Gesellschaft gelegt und erschwert sowohl die Analyse als auch die Therapie.
Welch einen Sturm der Empörung löste ich als Berliner Finanzsenator aus mit dem detaillierten Nachweis, dass man sich mit dem Betrag für Essen und Getränke in der staatlichen Grundsicherung sehr wohl gesund und abwechslungsreich ernähren kann. Übergewicht infolge falscher Ernährung ist dann aber nicht auf eine objektive Lebenslage zurückzuführen, für die der Einzelne nichts kann, sondern das Ergebnis individueller Verhaltensweisen, für die jeder selbst die Verantwortung trägt. Das aber wollten weder viele Betroffene noch die politisch Korrekten hören. Dass viele der Betroffenen sich in E-Mails und Leserbriefen empört äußerten, konnte ich verstehen, weniger, dass die sogenannten Gutmenschen über mich herfielen, als ich in einem Interview beiläufig erwähnte, dass das Tragen eines Pullovers helfen könne, Energiekosten zu sparen, da man dann weniger heizen müsse.
In die Steuerung der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung sollte einfließen, was man erreichen will, sowie die realistische Einschätzung tatsächlicher Wirkungszusammenhänge. Jeder, der über Gesellschaft nachdenkt oder diese mitgestalten will, agiert aber implizit oder explizit aus einem normativen Zusammenhang. Wenn er dabei die Natur des Menschen und die tatsächlichen soziologischen und psychologischen Wirkungszusammenhänge vernachlässigt oder falsch einschätzt, lebt und agiert er in einem Zerrbild. Sozialingenieure, die so verfahren, richten mehr Schaden als Nutzen an. Leider gibt es sie, und viele von ihnen schaden unserer Gesellschaft und trüben unsere Zukunftsaussichten. So wurde viel zu lange übersehen, dass die Alterung und Schrumpfung der deutschen Bevölkerung einhergeht mit qualitativen Veränderungen in deren Zusammensetzung. Über die schiere Abnahme der Bevölkerung hinaus gefährdet vor allem die kontinuierliche Zunahme der...
Erscheint lt. Verlag | 20.1.2025 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | aktuelle politische themen • Argumente zur Einwanderungspolitik • deutsche Politik und Gesellschaft • Deutschland schafft sich ab • explosive Buchinhalte • gesellschaftlicher Wandel in Deutschland • gesellschaftspolitische Debatte 2010 • kommentierte Neuauflage • kritische Auseinandersetzung • Langenmüller • Migration • Migrationspolitik • Politische Analyse • politische Vorschläge und deren Umsetzung • relevante Fakten zur Migration • Thilo Sarrazin • thilo sarrazin buch • Thilo Sarrazin Kommentare • unveränderte Inhalte |
ISBN-10 | 3-7844-8510-3 / 3784485103 |
ISBN-13 | 978-3-7844-8510-2 / 9783784485102 |
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