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Das Haus am Ende der Welt (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2025 | 1. Auflage
432 Seiten
Gerth Medien (Verlag)
978-3-96122-681-8 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
14,99 inkl. MwSt
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Reiten ist ihr Leben, doch als die 15-jährige Mai mit ihrem Pferd auf eine Tretmine im ehemaligen Grenzgebiet zu Mecklenburg-Vorpommern gerät, ist plötzlich alles anders. Schwer verletzt und traumatisiert braucht sie lange, um wieder auf die Beine zu kommen. Während dieser Zeit tauchen in ihrer Erinnerung immer wieder Bilder auf, die so gar nicht zu dem behüteten Leben auf dem Pferdehof ihrer Großeltern passen. Sie beschließt, diesen Bildern auf eigene Faust nachzugehen. Als ihr Vater Tage später einen Anruf eines Ferienhausvermieters im ostfinnischen Karelien erhält, weiß er endlich, wo Mai sich aufhält, und reist ihr hinterher. An diesem Ort müssen sich die beiden ihrer Vergangenheit stellen ...

Katrin Faludi hat jahrelang bei CrossChannel und ERF Pop gearbeitet und schreibt nun regelmäßig Beiträge als Redakteurin für ERF Medien. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt mit ihrer Familie in Bad Vilbel. Sie ist die Autorin von 'Ohne meinen Zweifel glaub ich gar nichts' und dem erfolgreichen Thriller 'Schattenwald'.

Katrin Faludi hat jahrelang bei CrossChannel und ERF Pop gearbeitet und schreibt nun regelmäßig Beiträge als Redakteurin für ERF Medien. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt mit ihrer Familie in Bad Vilbel. Sie ist die Autorin von "Ohne meinen Zweifel glaub ich gar nichts" und dem erfolgreichen Thriller "Schattenwald".

1. Henning


April 2023


Gleißendes Sonnenlicht fließt auf den sattgrünen, mit Mutterschafen und Lämmern gesprenkelten Deich und flutet den Koog. In der Ferne flimmert der Asphalt; das Auto weit vor mir scheint über der Straße zu schweben, als wolle es sich jeden Augenblick in den Himmel emporheben, der Sonne entgegen. Ich lenke entspannt mit einer Hand, öffne das Fach über dem Rückspiegel, ziehe zum ersten Mal in diesem Frühjahr die Sonnenbrille heraus und setze sie auf. Was für ein schöner Tag. Der schönste des bisherigen Jahres, seit Wochen und Monaten herbeigesehnt.

Am liebsten würde ich das Fenster herunterlassen. Während der Herfahrt habe ich mir die gesamte Strecke über am Deich entlang voller Vorfreude die frische Aprilbrise von der See um die Nase wehen lassen. Meine Hand sucht schon den Schalter in der Tür, da zieht es meinen Blick wieder zu dem Wunder, das neben mir Platz genommen hat, um mich nach Hause zu begleiten, und ich überlege es mir anders. Obwohl dies einer der ersten warmen Tage ist, könnte sich meine Tochter im Fahrtwind erkälten. Das will ich nicht riskieren.

Mai hat die Augen geschlossen, ihr Gesicht und ihr Haar heben sich fast weiß von dem dunklen Bezug ab. Ein feines Netz aus lilafarbenen Adern spannt sich über ihre Lider. Sie hat keinen Blick für das beinahe übernatürlich grüne Gras und die Schafe zu ihrer Seite. In den vergangenen Wochen hat sie genug davon gesehen, denn ihr Zimmerfenster ging zum Deich hinaus, und in den ersten Tagen war sie zu kaum mehr fähig, als im Bett zu liegen und die Schafe anzustarren. Das wird irgendwann selbst dem tierliebsten Menschen zu viel, vor allem, wenn er nicht in der Lage ist, das Programm zu wechseln.

Reglos sitzt sie da, den Kopf in die Nackenstütze gepresst. Ich wundere mich, dass ihr das keine Schmerzen zu bereiten scheint. Die Stelle am Hinterkopf ist noch empfindlich. Rotes Narbengewebe schimmert durch das kurze Haar im Nacken, ein Anblick, an den ich mich nicht gewöhnen kann. Mai sieht fremd aus ohne ihren langen Zopf.

„Alles in Ordnung?“, frage ich vorsichtig.

Ein knappes Nicken.

Ich sehe wieder auf die Straße, die sich einsam an der Außenkante des Kooges entlangwindet, betrachte die grauweißblauen Wolkenbäusche über dem weiten Marschland, die so tief hängen, als wollten sie die Siele, in denen sie sich spiegeln, trocken tupfen, und wünsche mir, Mai würde wenigstens einmal kurz die Augen öffnen und die raue Schönheit um sich herum genauso genießen wie ich. Wir kommen so gut wie nie nach Nordfriesland. Zu Hause liegt die Ostsee so nahe, dass man schnell mal für einen Nachmittag an den Strand fahren kann, wenn ausnahmsweise Zeit dafür bleibt. Ich erinnere mich nicht mehr, wann ich das letzte Mal in Boltenhagen gewesen bin oder auf dem Priwall. Meistens reicht es nur für eine schnelle Runde frühmorgens im Hofsee, aber das immerhin regelmäßig.

Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, wie Mais linke Hand in die Tasche ihrer Jogginghose gleitet und etwas herauszieht. Alles an ihr ist schmaler geworden, selbst ihre Finger erscheinen mir dünner als je zuvor. Mit spinnenartigen Bewegungen betasten sie den Gegenstand, drehen ihn, wenden ihn, betasten ihn erneut.

Ein Kiefernzapfen.

Ihre Fingerkuppen streichen über die hölzernen Schuppen und drücken sie herunter, was ein tickendes Geräusch ergibt, sobald sie loslässt.

Tick. Tick. Tick.

Bald höre ich weder das leise Brummen des Motors noch das Rollen der Räder oder den Fahrtwind, der von außen übers Auto streicht, sondern allein dieses hypnotisierende Geräusch, so nah, dass ich fast glaube, den Zapfen an meinem Ohr entlangkratzen zu fühlen. Hör damit auf, liegt mir auf der Zunge, doch Mai wirkt ganz versunken, und so lasse ich es.

Ich frage mich, woher sie diesen Zapfen hat. In der nahezu baumlosen Gegend rund um das Klinikgelände war nicht eine einzige Kiefer zu sehen. Auf dem Fensterbrett in Mais Zimmer, meine ich, hätten noch weitere Zapfen gelegen. Vielleicht hat sie die aus der Ergotherapie, um ihre Feinmotorik zu stimulieren.

Die funktioniert immer besser und ich war mehr als stolz, als Mai vor der Abfahrt ihre Schnürsenkel selbst binden konnte. Es hat zwar gedauert, aber die Schleifen saßen. Ich wollte etwas Anerkennendes sagen, wäre sie mir nicht mit einem warnenden Blick zuvorgekommen, sodass ich mich auf ein aufmunterndes Lächeln beschränkte, das ihr nur ein genervtes Augenrollen wert war.

Ich erinnere mich zu gut, wie Mai Wochen zuvor meine Freude darüber, dass sie ohne fremde Hilfe den Klinikflur entlanggehen konnte, heftig abgewehrt hat. Ihr ging das alles zu langsam und sie hasste es, dass sie zum Essen ständig Erbsen und anderes Kleingemüse vorgesetzt bekam, um das Aufpicken mit der Gabel zu üben. Ich aber will einfach nur feiern, dass mein Kind am Leben ist, selbstständig atmen, aufrecht stehen und ohne Hilfe essen kann. Soll sie mit den Augen rollen, so viel sie will. Immerhin ist sie dazu wieder in der Lage.

„Hast du Schmerzen?“, frage ich in die tickende Stille hinein.

Mit einem Kopfschütteln lügt sie mich an.

Natürlich hat sie Schmerzen. Das sehe ich. Ich kenne den angespannten Zug um ihren Mund mittlerweile genau.

„Soll ich anhalten und dir was geben?“

Erneutes Kopfschütteln.

„Hier kann ich eher mal rechts ranfahren, wenn wir erst auf der Autobahn sind …“

„Ich brauche nichts.“

„Wir fahren noch zweieinhalb Stunden.“

Mann!

Okay. Sie ist fünfzehn, sie muss es selbst wissen. Aber ich halte mich bereit. Zweieinhalb Stunden sind eine lange Fahrt in ihrem Zustand.

Wir verlassen den Koog. Bei Husum biege ich ins Landesinnere ab und als wir die A7 bei Schleswig erreichen, ist Mai eingeschlafen. Die Hand mit dem Kiefernzapfen liegt auf ihrem Schoß, die Finger um das schuppige Gebilde gekrampft. Ich bin zufrieden. Wenn Mai schläft, können die Schmerzen nicht allzu stark sein.

Die Autobahn Richtung Süden ist frei, ganz ungewohnt, und es kitzelt mich, Gas zu geben. Ich wage es nicht. Auch wenn es länger dauern wird, bin ich fest entschlossen, meine wertvolle, schlafende Fracht unbeschadet nach Hause zu bringen.

Die Reha an der Nordsee hat Mai gutgetan, aber ich bin sicher: Erst zu Hause wird sie wieder ganz die Alte. Nach drei langen Monaten wird sie heute endlich wieder dort sein, wo sie hingehört. Dann wird alles gut.

+++

Februar 2023


Es war der letzte Sonntag im Januar, als zweihundertfünfzig Gramm Sprengstoff in einer alten Plastikdose unser Leben zerrissen.

„Das hätte nicht passieren dürfen“, sagte der Landrat des Nachbarkreises Tage später in einem Fernsehbericht und guckte ratlos in Richtung des Grenzackers drüben in Mecklenburg, der kaum zwei Kilometer von unserem Zuhause entfernt liegt. Die Kamera folgte seinem Blick. Blieb an schwerem Gerät hängen, das sich mehr durch den Februarnebel zu arbeiten schien als durchs Erdreich.

Drei Jahrzehnte zuvor hatten solche Maschinen an selber Stelle schon einmal die Erde durchwühlt. Ich erinnere mich, wie meine drei Geschwister und ich als Jugendliche inmitten anderer Schaulustiger in sicherer Entfernung standen und in aufgekratzter Spannung darauf warteten, dass es knallte. Meine kleine Schwester hielt sich immerfort die Ohren zu.

Es knallte nie. Jahre zuvor hatten die DDR-Grenztruppen schon einmal eine Minenräumung durchgeführt, offenbar gründlich, denn bei der Aktion nach der Wende fand man nichts mehr. Man ging davon aus, dass der Boden sauber sei, und pflanzte Rüben, wo vorher Minen gelegen hatten.

Aber, fügte der Fernsehsprecher hinzu, man schätze, dass bis heute trotz aller Bemühungen noch Tausende verschollene Antipersonenminen im Erdreich entlang der ehemaligen Grenze schlummern. Sie alle zu finden und zu räumen sei unmöglich. Und bis zu jenem letzten Sonntag im Januar sei auch noch niemand dadurch zu Schaden gekommen.

Die Fernsehkamera zoomte auf die Maschinen am Ackerrand. Dazu die Stimme des Landrats: „Nein, das hätte nicht passieren dürfen.“

Auch ich wünschte mir in diesem Augenblick schweres Gerät, um es nach dem Bildschirm an der Wand der Klinikcafeteria zu werfen. Ich hatte die Bilder nicht sehen wollen, denn ich sah sie die ganze Zeit, sogar ohne Fernseher. Sie ließen sich nicht abschalten.

Nach tagelangem Warten lagen meine Nerven blank. Die schier unendliche Geduld, die man mir bis dahin nachgesagt hatte, war implodiert und zu einem heißen Kern zusammengeschmolzen. Ich tigerte über Linoleumflure. Trommelte auf Plastikstuhllehnen. Atmete nicht mehr aus, sondern seufzte, sprang jedes Mal auf, wenn sich Klinikpersonal näherte, und sank – halb enttäuscht, halb erleichtert – zusammen, wenn der Arzt oder Pfleger ohne einen Blick auf mich an mir vorbeirauschte. Irgendwann schmiss mich eine Krankenschwester von der Intensivstation, auf der meine Tochter lag.

„Sie musse was esse!“, befahl sie und schob mich durch die Glastür.

Anschließend stand ich mehrere Minuten davor und starrte wütend durch die Scheibe, bis das Ziehen in meinem Magen, das ich bis dahin nicht gespürt hatte, ihr recht gab. Seit Tagen hatte ich weder vernünftig gegessen noch geschlafen. Ich konnte nicht einmal mit Sicherheit sagen, welchen Wochentag wir hatten. Dienstag oder Mittwoch, vielleicht auch schon Donnerstag.

Widerstrebend ging ich in die Cafeteria. Ich wollte nicht dort sitzen und Erbsensuppe löffeln, während ein paar Flure weiter womöglich gerade mein Kind starb. So saß ich allein an...

Erscheint lt. Verlag 13.3.2025
Verlagsort Asslar
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte Adoption • Familiengeheimnis • Familienkonflikte • Finnland • Missbrauch • Spannung • Vater-Kind-Beziehung
ISBN-10 3-96122-681-4 / 3961226814
ISBN-13 978-3-96122-681-8 / 9783961226818
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