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Unter derselben Sonne (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2025 | 1. Auflage
224 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-3796-5 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
16,99 inkl. MwSt
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Das mitreißende Debüt einer jungen Frau, die sich zwischen zwei Welten behauptet.

»Lisolo« bedeutet auf Lingala, einer der Nationalsprachen des Kongo, Geschichten zu erzählen. Und Geschichten hat Nadège Kusanika viele zu erzählen: von ihrer Kindheit im Kongo, von Süßkartoffelblättern und Mango mit Pili Pili, von undurchdringlichem Nebel und unendlichem Sternenhimmel, von Plastiksandalen auf ewig staubiger Erde. Aber auch Geschichten von Hunger und Armut, vom Ankommen in einem fremden Land und vom Hineinwachsen in die deutsche Gesellschaft. 

»Unter derselben Sonne« ist ein Roman, der mit Sanftheit und Humor eindringliche Fragen nach Heimat und Identität in der alltäglichen Erfahrung des Fremdseins stellt. Ein eindrücklicher Roman über Familie, das Erwachsenwerden und die Suche nach sich selbst in unserer globalen Welt.

»Was für ein großartiges Debüt! Eine zärtliche, wilde, traurige, lustige Reise in ein fernes und nahes Land - eine wahre Heldinnenreise!« Doris Dörrie.

»Eine eingängige, schlicht-schöne Prosa, die vom Wesentlichen spricht.« Julia Schoch.



Nadège Kusanika wurde 1988 in der Demokratischen Republik Kongo geboren und kam im Alter von 15 Jahren nach Deutschland. Sie studierte Rechtswissenschaften an der Universität in Würzburg. Währenddessen engagierte sie sich ehrenamtlich bei der Integration von Geflüchteten. 2022 erhielt sie ein Stipendium der Bayerischen Akademie des Schreibens. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Bonn.

1


Lisolo bedeutet »Geschichte« auf Lingala. Lisolo ist außerdem der Name eines Spiels, das ich in meiner Kindheit gerne gespielt habe. Dazu holte ich einen ebonga, einen Hocker aus Holz, aus dem Haus und suchte mir für ihn einen schönen Platz unter einem Baum. Dann sammelte ich nacheinander alle Nachbarskinder ein, um ihnen unter dem Baum lisolo, eine Geschichte, zu erzählen.

Ähnlich wie ein Comiczeichner, der für jede Szene seiner Erzählung Blatt und Papier braucht, waren der Boden und ein dünnes Stück Holz die perfekten Werkzeuge, um meinen Charakteren Leben einzuhauchen. Hand oder Fuß dienten mir als Radiergummi, um Platz für die nächste Szene zu schaffen. Ich freute mich, wenn es zuvor geregnet hatte, denn dann war die Erde weniger staubig und die Bilder in meinem Kopf ließen sich leichter auf den Boden zeichnen. Dazu musste ich zunächst eine ebene Fläche schaffen und strich mit dem Fuß die Erde glatt. Mit einem Stück Holz, das ich zuvor angespitzt hatte, malte ich ein Haus in den Sand. In das Haus zeichnete ich die passende Einrichtung und die Protagonisten meiner Geschichte. Dann begann ich zu erzählen. Meist ging es um alltägliche Begebenheiten, an die ich mich heute nicht mehr erinnern kann.

In Deutschland werde ich eine Mentorin kennenlernen, die mir von der magischen Kraft berichtet, Geschichten, die eigene Geschichte zu erzählen. Und von der Verpflichtung, die wir alle gegenüber der Menschheit haben, als Zeugen bestimmter Geschehnisse diese in die Welt hinauszutragen.

Ich werde ihr zustimmen, ohne die Tragweite dieser Worte zu begreifen. Bis ich mich dann wieder an die Worte meines Onkels Jean erinnern werde. Er erzählte uns Kindern, wie wichtig es sei, les sans voix, den Stimmlosen, eine Stimme, ihre eigene Stimme zurückzugeben. Seine Worte werden mich sehr lange beschäftigen. Schon seit langer Zeit habe ich das Bedürfnis, denen, die in einem politisch-gesellschaftlichen System leben, in dem ihre Meinung unterdrückt wird, oder denen, die aufgrund ihres Bildungsniveaus nicht in der Lage sind, mit den Stärkeren in einen Dialog zu treten, meine Stimme zu leihen. Zunächst erschien mir meine eigene Geschichte in diesem Zusammenhang zu unbedeutend. Doch wir alle haben das Recht, uns selbst im Kontext der Menschheitsentwicklung kritisch zu betrachten. Gerade in der heutigen Zeit ist die Suche nach einem größeren Sinn besonders für diejenigen Menschen von großer Bedeutung, die unabhängig von ihrer Herkunft versuchen, sich selbst und andere in ihrer kulturellen Vielfalt zu verstehen. Diese, meine Geschichte ist ein Versuch, die magische Kraft unserer Geschichten in die Welt zu tragen, damit sich die Stimmlosen gehört und gesehen fühlen.

Als Kind schien mir das Erzählen von Geschichten viel selbstverständlicher und intuitiver. Oftmals entbrannte zwischen uns Kindern ein Wettstreit: Wer vermochte es, die spannendere Geschichte zu erzählen? Es war schwer, meine Zuhörer mit meiner Erzählung zu fesseln, wenn sich direkt neben mir ein Nachbarskind niederließ und ebenfalls anfing, eine lisolo zu erzählen, die vielleicht sogar spannender war als meine. Dann standen die anderen Kinder auf und gingen zu meiner Rivalin hinüber; ich hingegen blieb allein mit meiner Geschichte zurück. Gekränkt von dem Verrat zog ich mich in solchen Momenten ins Haus zurück. Manchmal war ich aber auch diejenige, die der lisolo der anderen Kinder lauschte.

Jeder Kongolese, oder zumindest jeder, der in Kinshasa aufgewachsen ist, kennt dieses Spiel. Wenn es regnete, wurden die besten lisolo erzählt.

Oft verlor ich mich in meinen Geschichten. Meine Mutter hingegen hasste es, wenn ich lisolo spielte, denn meine Füße wurden beim Glattstreichen des Bodens immer besonders schmutzig. Sie schimpfte jedes Mal mit mir, wenn ich mit meinen dreckigen Füßen das Haus betrat. Vorher musste ich mir deshalb jedes Mal die Füße waschen.

Wenn es nicht genug Wasser gab, verbot meine Mutter mir, lisolo zu spielen.

»Das wenige Wasser ist nicht dazu da, deine dreckigen Füße zu waschen«, sagte sie dann.

In solchen Momenten bat ich bei unseren Nachbarn um das Wasser, in dem sie zuvor ihre Wäsche gewaschen hatten, um meine Füße damit zu säubern.

Der Regen schenkte mir nicht nur den schönsten und feuchtesten Boden für meine lisolo. Auch für andere Spiele wie kede, also das Hüpfspiel »Himmel und Hölle«, war es besonders vorteilhaft, wenn es zuvor geregnet hatte. Viele Jahre später werde ich feststellen, dass dieses Spiel, das ich für eine kongolesische Erfindung gehalten hatte, von Kindern auf der ganzen Welt gespielt wird.

Spielplätze, die von der Stadt für die kleinen Bürger bereitgestellt werden, kannte ich damals noch nicht. Viele Spiele, die ich als Kind gespielt hatte, wären auf einem angelegten und durchgeplanten Spielplatz, wie es sie in Deutschland gibt, gar nicht möglich gewesen. Im Kongo tendieren wir dazu, alles, was aus dem Westen kommt, zu glorifizieren und pauschal als besser zu betrachten. Aber als ich schließlich an dem Ort stand, von dem ich als Kind so oft geträumt hatte, konnte ich keine besondere Freude empfinden. Ich konnte mich nicht so austoben, wie ich es aus meiner Heimat gewohnt war. Denn weite Sandflächen und die Erde, die uns so erfinderisch werden ließ, spielten eine entscheidende Rolle in den meisten Spielen meiner Kindheit.

Die Liebe zum Fußball forderte ebenfalls unsere Kreativität heraus. Im Kongo bastelten wir Kinder unsere eigenen Fußbälle, denn einen richtigen Ball konnten wir uns nicht leisten. Oft spielten mein Bruder und seine Freunde mit einem aus Socken oder Plastiktüten improvisierten Fußball. Die Straßen Kinshasas, voller Sand und Erde, waren ihr Spielfeld. Auf diesem Untergrund zu spielen, erfordert besonders große körperliche Anstrengung. Aber ich liebte es, barfuß durch die Gegend zu rennen. Ich liebte es, wenn die Erde an meinen Füßen klebte. Wenn ich die Hitze des Bodens unter meinen Sohlen spürte.

Ich war oft barfuß oder in meinen mapapa unterwegs – meinen Flip-Flops –, die nicht selten auseinanderbrachen. Selbst die mamas, die kilometerweit mit ihren Waren auf dem Kopf nach Kundschaft suchten, trugen stets mapapa. Nur selten sah ich meine Mutter in anderen Schuhen, ihren schwarzen High Heels. Auf dem Hinweg zur Kirche trug sie noch ihre mapapa, um dann, kurz bevor wir die Kirche erreichten, ihre schwarzen Pumps aus der Tasche hervorzuholen. Bevor sie hineinschlüpfte, wischte sie mit einem Taschentuch den Staub von ihren Füßen. Dann schritt sie anmutig mit ihren Pumps zum Gottesdienst. In diesen Momenten wirkte sie auf mich wie Naomi Campbell auf dem Laufsteg. Ich konnte es kaum erwarten, erwachsen zu werden, um so voller Anmut zu gehen wie sie.

Das war ihr Ritual. Nicht nur zu Gottesdiensten wechselte sie ihr Schuhwerk, auch zu Feierlichkeiten oder wenn sie zur Arbeit ging. Der Kongo ist ein sehr gläubiges Land, in dem überwiegend Christen leben. Der Glaube spielte eine zentrale Rolle in unserem Alltag: Für meine Mutter ist der Glaube die Essenz des Lebens. Sie verließ nie das Haus, ohne vorher gebetet zu haben. Wenn sie nach Hause kam, bedankte sie sich zuerst bei Gott, dass er sie unversehrt zu ihrer Familie hatte heimkehren lassen. Vor dem Schlafengehen und nach dem Aufstehen vergaß sie nie, mich zu fragen, ob ich schon gebetet hätte. Sehr oft versammelten wir uns als Familie, um gemeinsam zu beten. An manchen Tagen durfte ich ein paar Verse aus der Bibel heraussuchen, über die wir dann alle zusammen meditierten. Es überforderte mich jedes Mal, aber die erwartungsvollen Augen meiner Mutter gaben mir zu verstehen, dass sie so lange warten würde, bis ich einen passenden Vers gefunden hatte. Oftmals schlug ich einfach willkürlich die Bibel auf und suchte eine Stelle aus, die mir annehmbar erschien. Manchmal erinnerte ich mich auch an eine Predigt des letzten Sonntags und griff das Thema nochmals auf.

Als ich eines Tages meine mapapa zum Kirchenbesuch trug, schaute mich meine Mutter fassungslos an:

»Vor keinem Präsidenten der Welt würdest du diese mapapa tragen! Warum also traust du dich, vor Gott solche mapapa zu tragen, deren Geist diese Welt schon vor vielen Jahren verlassen hat? Es ist respektlos gegenüber Gott, mit...

Erscheint lt. Verlag 12.3.2025
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Americanah • Anderssein • Armut • Autobiografisch • Chimamanda Ngozi Adichie • Debüt • Debütautorin • Heimat • Heranwachsen • Identität • Immigration • Integration • Issa • Kindheit • Kongo • Kongokrise • Migrant in Deutschland • migrantisch • Mirrianne Mahn • Multicultural • Mutter-Tochter-Beziehung • Rassismus • Roman • Schwarz • Schwarzsein • Vielfalt
ISBN-10 3-8412-3796-7 / 3841237967
ISBN-13 978-3-8412-3796-5 / 9783841237965
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