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Wenn die Tage länger werden (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2025 | 2. Auflage
383 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-3742-2 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
16,99 inkl. MwSt
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Der Sommer, der mir gehörte.

Sechs Wochen, aber gleichzeitig ein halbes Leben, das vor ihr lag. Mit zäh fließenden Honigtagen am See und Radfahrten über Waldbodenteppiche aus Tannennadeln. Mit kühlen Wasserspritzern auf geschlossenen Lidern, Pommes Rot-Weiß, kurz bevor das Schwimmbad schloss, statt dem geplanten Abendbrot drinnen am Tisch, tiefblauem Himmel über dürren Fichten und senfgelben Feldern. 

Es ist das erste Mal seit sechs Jahren, dass die alleinerziehende Musiklehrerin Lisa einen Sommer ohne ihren Sohn vor sich hat. Doch die lang ersehnte Freiheit bringt auch Zweifel mit sich. Da ist die Sehnsucht nach ihrem Kind und die Frage, was für eine Frau sie eigentlich ist, wenn sie mal keine Mutter ist. Auf der Suche nach einem Restaurator für ihre alte vernachlässigte Geige begegnet sie der Obstbäuerin Ute in ihrem Kirschgarten, einer Frau, die keine Zeit mehr für Kompromisse hat. Bald wird Lisa klar, dass die Frage nach ihr selbst eng mit all dem verknüpft ist, worüber in ihrer Familie stets geschwiegen wurde. Und sie erfährt die unwiderstehliche Magie eines Sommers zwischen den Abgründen der Vergangenheit und einer neuen flirrenden Freiheit. 

Ein schwebend schöner, tiefgründiger Roman von Bestsellerautorin Anne Stern.



Anne Stern, geboren 1982 in Berlin, ist promovierte Germanistin, Historikerin und Bestsellerautorin. Bei Aufbau erschienen von ihr zuletzt die Romane »Drei Tage im August« und »Lindy Girls«. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.

Anne Stern, geboren 1982 in Berlin, ist promovierte Germanistin, Historikerin und Bestsellerautorin. Bei Aufbau erschienen von ihr zuletzt die Romane »Drei Tage im August« und »Lindy Girls«. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.

Kapitel 1


In der Luft hing der Duft nach Sommerferien, er mischte sich mit den schwebenden Staubkörnern im Licht. Beide Fensterflügel waren weit geöffnet, von draußen zogen junge Stimmen und Vogelgezwitscher herein. Auf der Fensterbank lag die Julisonne in Streifen, sie ließ die schlaffen, an den Rändern vertrockneten Blätter des Drachenbaums im bunt bemalten Keramiktopf aufleuchten.

Happy Birthday, Frau Fischer, stand in ungelenken Buchstaben darauf, und alle Schüler der Klasse 8c hatten daneben ihren farbigen Daumenabdruck hinterlassen.

Der Topf sah aus wie eine Verbrecherkartei, fand Lisa. Und die grüngrau gestrichenen Wände des Klassenzimmers im Altbau des Gymnasiums passten zur trostlosen Atmosphäre einer Anstalt.

Sie schloss einen Moment die Augen, spürte die Wärme im Raum auf ihrem Gesicht. Der Duft nach Sommer wurde stärker. Das uralte Glücksgefühl schlich heran, wie jedes Jahr, wenn die Ferien begannen. Früher, als Kind, war dieses Glück makellos gewesen, oder doch fast, denn auch schon damals hatte in der Aussicht auf derart viele freie Wochen eine Ahnung von Bodenlosigkeit und fehlendem Halt gelegen. Und heute? Es war wie ein Echo des kindlichen Gefühls, wenn auch nicht ganz dasselbe. Das unerhörte Versprechen, dass die Fesseln bald gelockert würden. Diese letzten Augenblicke im Schulgebäude, wenn draußen schon die Freiheit wartete, genauso wie der Südföhn, der vor den hohen Fenstern ungeduldig durch die Baumwipfel fuhr.

In ihrer Sehnsucht nach den Sommerferien waren sich Schülerinnen und Lehrerinnen einig. Einmal im Jahr wenigstens waren sie vereint. Sechs Wochen, aber gleichzeitig ein halbes Leben, das vor ihnen lag. Eine endlose Reihe unbeschriebener weißer Blätter, die es zu füllen galt. Und zwar nicht mit öden Klausurtexten oder Klassenarbeiten. Sondern mit zäh fließenden Honigtagen am See und Radfahrten über Waldbodenteppiche aus Tannennadeln. Mit kühlen Wasserspritzern auf geschlossenen Lidern, Pommes Rot-Weiß, kurz bevor das Schwimmbad schloss, statt des geplanten Abendbrots drinnen am Tisch, tiefblauem Himmel über dürren Fichten und senfgelben Feldern. Und unendlichen Abenddämmerungen, die Lisa am liebsten auf ihrem Balkon mit einem Glas Weißwein in der Hand verplemperte, während Paul drinnen schlief. Dann konnte sie sich kurz fühlen wie eine Frau in einem alten französischen Film, mit dem Weinglas, das sich kühl an ihre Fingerspitzen schmiegte, dem herben Geschmack des Chardonnay auf der Zunge und der Illusion von Unabhängigkeit und dunklen Lastern. Sie war an solchen langen hellen Sommerabenden eine andere Frau, und auch ihr Blick über die Balkonbrüstung auf die Welt war nicht mehr derselbe. Diese Welt, die sich vor ihr in zartvioletten und rosigen Tönen ausbreitete, trieb Lisa nicht vor sich her wie sonst, sie lag ihr zu Füßen. Und nur manchmal horchte sie sorgenvoll ins Zimmer hinter sich, ob Paul vielleicht aufgewacht war und nach ihr rief.

Doch dieses Jahr war alles anders.

»Frau Fischer?«

Lisa riss die Augen auf, schüttelte die warme Schläfrigkeit ab, der sie sich kurz hingegeben hatte, und sah die Frau an, die ihr gegenüber am zerkratzten Tisch saß. Sie hatte die gleichen grünlichen Augen wie Maximilian, und auch der Ausdruck darin erinnerte Lisa sofort an den großen, fordernden Jungen. Dieselbe säuerliche Arroganz, mit der auch er sie meistens bedachte, dieselben Stirnfalten. Bei ihm zart wie Spinnweben, bei seiner Mutter tiefe Furchen. Dazu kamen in ihrem Gesicht herabgezogene Mundwinkel, so dass die sorgfältig bemalten Lippen feine Risse zeigten.

»Verzeihung«, sagte Lisa und riss sich zusammen. Sie erinnerte sich nicht mehr daran, wie es war, tagsüber nicht müde zu sein. Ihr Wecker klingelte um sechs, aber meistens weckte Paul sie schon vorher, und der Tag begann. Der Tag mit all seinen Anforderungen kam einfach so über sie, nahm sie wie ein Greifvogel in seine Krallen, schleppte sie mit sich fort. Das Beste war, sich sofort zu ergeben. Zwischen dem Augenblick, da Paul im Morgengrauen in ihr Zimmer tappte, und dem, da er abends um halb neun mit geöffneten Fäusten dieses ruhige Atemgeräusch machte, nach dem Lisa sich oft beinahe schmerzhaft sehnte, gab es keinen Moment Ruhe. Und sobald er schlief, war Zeit für all die Dinge, die so viel Gewicht hatten und doch unsichtbar blieben. Für die Monotonie der Hausarbeit, die Jonglierbälle des Alltags, die Lisa mit aller Kraft in der Luft hielt, selbst wenn sie sich dafür verrenken musste und taumelte – doch Fallenlassen war keine Option, das durfte eine Mutter nicht. Sie presste diesen wenigen Stunden ohne Pauls Präsenz alles ab, um nichts von der Möglichkeit von Freiheit, die sie bargen, zu vergeuden, Abend für Abend – ehe am nächsten Morgen alles von vorn begann. Lisas Tage waren wie eine zu kurze Decke – zog man an einem Ende, hatte man auf der anderen Seite zu wenig Stoff übrig. Genug gab es nie, und das lag verdammt noch mal nicht an ihr, sondern an der Decke. Etwas anderes ließ sie sich nicht mehr einreden.

Diese letzten sechs Jahre waren nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Sie fühlte sich oft älter als achtunddreißig. Wieder sah sie zu der armseligen Pflanze hinüber, deren Blätter erschöpft auf die Fensterbank hingen. Happy Birthday, Frau Fischer.

»Also?«, fragte sie und unterdrückte ein Gähnen. »Was wollten Sie wissen?«

»Wann Sie endlich zu den klassischen Streichinstrumenten kommen«, sagte die Frau, die unbedingt noch ein Elterngespräch am letzten Schultag gewollt hatte, und zog eine Augenbraue hoch. Sie hatte eine Angewohnheit, die vielen goldenen Ringe an ihrer linken Hand mit der rechten an den schlanken Fingern hoch und runter zu schieben, die Lisa wahnsinnig machte.

»Max sagt, Sie hängen im Unterricht schon seit Ewigkeiten bei einem Thema fest. Hip Hop, ja?« Jetzt kräuselten sich ihre Lippen angewidert. »Als müsste man das den Kindern in der Schule beibringen«, sagte sie und schüttelte den Kopf. »Hören die Kids das nicht schon zu viel in ihrer Freizeit?«

Ihre Miene wurde beinahe mitleidig, fand Lisa, und sie setzte sich aufrechter hin, eine Angewohnheit, die sie aus Gesprächen mit ihrer Mutter wiedererkannte. Wenn man Barbaras Mischung aus Mitleid und Missfallen auch nur annähernd etwas entgegensetzen wollte, musste man dies mit durchgedrücktem Rückgrat tun, das stand fest. Barbaras Erbe an Lisa war ein ewig steifer Nacken, gegen den kein Wärmepflaster half, kein Rotlicht und nur selten Schmerzmittel.

»Es ist für die Jugendlichen interessant, sich die Geschichte der Hip-Hop-Musik unter kulturellen Gesichtspunkten anzusehen«, sagte Lisa und räusperte sich, »aber natürlich stimme ich Ihnen zu, dass auch die klassische Musik ihren Schwerpunkt im Unterricht haben sollte.«

Sie hörte selbst, wie defensiv ihre Stimme klang, wie klein sie sich machte vor dieser Mutter, die da in ihrem Designerrock mit perfekt trainierten, übereinandergeschlagenen Beinen ihr gegenüber auf dem unbequemen Schülerstuhl thronte. Die Absätze an ihren Schuhen so hoch, wie Lisa sie niemals tragen könnte, weil sie mit ihren zwei linken Füßen darin keinen Schritt weit käme. Außerdem gab es in ihrer Schuhgröße kaum Auswahl in den Geschäften, und sie hatte sich damit abgefunden, bis ans Lebensende Birkenstock-Sandalen zu tragen. Der Kontrast war unübersehbar. Wie eine plumpe Riesin fühlte sie sich neben der zurechtgemachten Mutter von Max, deren Beine während des bevorstehenden Sommerurlaubs wohl auch in einem knappen Badeanzug perfekt aussehen würden. Während Lisa ihre nackten Schenkel seit Jahren nicht gern ansah und beim Baden immer schnell in den See rannte, damit die weiße Haut mit den Dellen rasch vom Wasser verborgen wurde. Ihr eigener Körper war ihr in den Monaten und Jahren nach Pauls Geburt fremd geworden, wie ein entfernter Bekannter, gegen den man eigentlich nichts hatte und der doch in Momenten unabsichtlicher Nähe eine plötzliche Scheu auslöste. Und wenn sie sich vorstellte, wie der Blick anderer auf ihren Körper ausfiel, entglitt ihr das Gefühl für sich selbst vollends. Was sahen die anderen, wenn Lisa vorbeiging? Fühlten sie sich etwa abgestoßen von ihren schweren Oberschenkeln, dem weichen Bauch? Oder war es ihnen einfach egal, wie Lisas Körper aussah? Gar nicht mehr wahrgenommen zu werden, war aber vielleicht noch schlimmer, als nicht schön zu sein. Es katapultierte Lisa und ihren...

Erscheint lt. Verlag 12.3.2025
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alena Schröder • alleinerziehend • Anne Stern • Begehren • Bestseller • Dörte Hansen • Emanzipation • Eva Lohmann • Ewald Arenz • Familie • Frau • Geige • Midlife • Mutter • Roman • Selbstermächtigung • Sohn • Sommerroman
ISBN-10 3-8412-3742-8 / 3841237428
ISBN-13 978-3-8412-3742-2 / 9783841237422
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