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Rückkehr nach Budapest (eBook)

Roman | Eine Liebe, die nicht sein darf - und eine Frau, die endlich frei sein will
eBook Download: EPUB
2025 | 1. Auflage
301 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-78294-0 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
19,99 inkl. MwSt
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Nikoletta Kiss erzählt stimmungsvoll von einer intensiven Frauenfreundschaft und einem Liebesdreieck in den Wirren der Vorwendezeit - von alten Wunden und der Erfahrung, dass es für Heilung nie zu spät ist.

Márta wächst im sozialistischen Budapest auf, am Plattensee, wo sie herrliche Sommer mit ihrer Cousine Theresa verbringt. Doch ohne Theresa ist es einsam, und nach ihrem Schulabschluss entflieht Márta dem trinkenden Vater und reist zu ihr nach Ost-Berlin. Die Freundin nimmt sie mit in die Welt der künstlerischen Boheme, in Hinterhauswohnungen und verrauchte Kneipen, zur Lesung des jungen, regimekritischen Schriftstellers Konstantin.

Er ist umwerfend, rätselhaft, gequält. Beide verlieben sich in ihn, und natürlich ist die extrovertierte und selbstsichere Theresa die Glückliche - bis sie durch einen verhängnisvollen Umstand verhaftet wird. Zwischen den Verbliebenen entsteht eine gefährliche Nähe, ein Verrat liegt in der Luft, der Márta noch Jahrzehnte später verfolgen wird. Aber waren sie damals nicht alle gleichermaßen unschuldig? Und wird es ihr jemals gelingen, aus Theresas Schatten zu treten?



Nikoletta Kiss, geboren 1978 in Budapest, ist in Berlin aufgewachsen und studierte Betriebswirtschaftslehre an der Humboldt Universität. Sie arbeitete über zwölf Jahre als Unternehmensberaterin in Deutschland, den USA und in Australien. Seit 2016 lebt sie mit ihrem Mann und zwei Kindern als Autorin in Wien und ist als Verlagslektorin tätig. 2019 erschien ihr Debütroman <em>Das Licht vergangener Tage</em>.

Prolog


Wäre Theresa im Sommer des Jahres 1986, an dem verregneten Wiener Morgen, mit mir im Bus nach Budapest zurückgekehrt, ich hätte András nicht geheiratet, mein Leben wäre in gänzlich anderen Bahnen verlaufen. Ich glaube nicht an Schicksal, nur an günstige und ungünstige Momente, die uns auf dem Weg begegnen, uns leiten und verleiten und derart durch das Leben führen.

Im Schlafzimmer vor dem Schrank stehend, greife ich zum schwarzen Kleid. Nach kurzer Überlegung hänge ich es wieder zurück. Ich mag dieses Kleid. Was ich zur Beerdigung anziehe, werde ich danach nie wieder tragen. Ich streife stattdessen den alten Kostümrock vom Hänger, er ist dunkelblau, nicht schwarz, ich schlüpfe dennoch hinein, ziehe den Reißverschluss hoch, drehe mich im Spiegel.

»Warum nimmst du nicht das Auto?«, ruft András zu mir hoch.

»Du weißt doch, ich fahre nicht gern«, rufe ich zurück, gehe die Treppen hinunter zu ihm ins Wohnzimmer. »Und schon gar nicht am Samstagmorgen, ganz Budapest will an den Balaton.«

András, noch im gestärkten Hemd, das er zur Arbeit trägt, wendet den Blick von den Abendnachrichten ab und sieht mich prüfend an.

»Warum willst du nicht, dass ich mitkomme?«

»Wir haben das besprochen.«

»Ich könnte fahren.«

»Es ist alles abgemacht, Vati holt mich vom Bahnhof ab.«

Mit einer versöhnlichen Handbewegung deutet er, ich solle mich zu ihm setzen. Der Film beginnt.

»Ich muss noch packen«, sage ich und lasse ihn allein. Dabei liegt längst alles sorgfältig gefaltet im Koffer. Ich schließe die Schlafzimmertür hinter mir, ziehe den Rock wieder aus, damit er keine Falten bekommt. Dann hole ich noch einmal Theresas Briefe hervor.

Weißt du noch, Márta? Als der See in der Sommerhitze grün schimmerte, so aufgeheizt war, dass die Aale schon ihren Bauch zeigten, als jedes Haus mit Touristen gefüllt war, überall bei euch fremde Kinder spielten, vor denen wir uns versteckten? Weißt du noch, die nie endenden Tage des Sommers, die wir in jener wunderbaren Trägheit verbrachten?

Ich weiß noch. Natürlich weiß ich noch. Ich setze mich mit den Briefen auf den Boden, lehne im Schneidersitz am Bett wie als junges Mädchen. Von hier unten ist ein Streifen Himmel zu sehen und ein Teil der Hauswand gegenüber. In der Abenddämmerung erscheint sie mir wie eine Gefängnismauer. Ebendieses bedrückende Gefühl empfand ich als Kind beim Anblick des verschlossenen Hauses von Theresas Familie nebenan. Ich hatte Theresa das nie erzählt, doch ich hatte sie immer etwas gehasst, wenn sie fort war. Dann hasste ich mich selbst, weil ich sie hasste. Sie hatte mich schon damals immer wieder verlassen, war nach jedem Sommer verschwunden aus meinem Leben, seit ihr Vater, mein Onkel Péter, seine Stelle in Berlin, in der DDR, angetreten hatte. Großmutter schwärmte im Dorf von ihrem Diplomatensohn, wobei Péter nicht einmal Diplomat sei, nur ein besserer Handelsvertreter, sagte Vati, auch wenn er im Botschaftsgebäude arbeite, und lachte sie aus. Seit sie in Berlin lebten, ließ sich Terézia von allen eingedeutscht Theresa nennen, selbst von mir. Das Gefühl der Enge in der Brust verflüchtigte sich erst, wenn sie zu Beginn der Sommerferien mit ihrer Familie heimkam.

Jedes Jahr räumten wir für den Sommer unser Haus und zogen in die aufgeheizte Garage, um Platz zu schaffen für die Ost- und Westdeutschen, die Niederländer, Belgier, für die Touristen, die zu uns an den Balaton in den Urlaub fuhren. Der Teer unter den Schuhen klebte, die Fahrradschläuche wurden brüchig in der Hitze. Das Haus meines Onkels wurde nie geräumt. Wir verkrochen uns bei Theresa im kühlen Zimmer, bis Großmutter uns hinaustrieb: »Raus mit euch! Geht spielen!« Wir versteckten uns im Maisfeld, erzählten uns Geschichten von erfundenen Liebschaften, pflückten Maispuppen mit goldenen Haaren. Nichts geschah, jeden Tag. Es waren die glücklichsten.

Das elterliche Grundstück hatten unsere Väter unter sich aufgeteilt. Wir lebten mit Großmutter im alten Haus. Auf der anderen Seite hatten Theresas Eltern die Villa bauen lassen, an der Stelle hatte einst der Saustall gestanden. Vati nannte die Villa ein Puppenhaus, denn der grellgelbe Bau seines Bruders wirke aufgetakelt wie die täglich frisch gelegten Locken seiner Frau, mit denen sie im Dorf die Blicke auf sich zog. Die Leute staunten und zerrissen sich das Maul. Ich bewunderte meine Tante damals, wollte so schlank und schick sein wie sie. Meine Mutter und Tante Irmi hatten nicht viel gemein. Auch meine Mutter hatte das große Haus täglich vor Augen, doch Äußerlichkeiten interessierten sie nicht. Sie war die Pragmatische, die Bastlerin. Sie zimmerte sich ihre Hochbeete selbst, kroch auf allen vieren im Garten herum. Am Abend schmierte sie ihr Gesicht mit Nivea-Creme ein, das war ihr Schönheitsritual, Schminke trug sie nie. Dabei mochte Vati es, wenn eine Frau sich hübsch machte. Aber er hatte sich nun einmal in das Mädchen aus Thüringen verliebt, das am Strand Volleyball spielte.

Wenn Berlin Theresa im Herbst zurückholte, verschwand sie in ihr Großstadtleben und ließ mich mit dem verschlossenen Haus nebenan zurück, dem stillen See, den heruntergelassenen Rollläden im Ort. Wie ich die deprimierende Öde des Herbstes verabscheute!

Die Jahre vergingen. Mein Fernweh stillte ich mit den Romanen von Jókai, Dumas, Proust, Thomas Mann, ich schrieb Gedichte, hörte die Rocksongs des vergangenen Sommers und versuchte mich an Übersetzungen ins Ungarische aus dem Deutschen. Deutsch hatte ich von meiner Mutter gelernt, Tante Irmi brachte mir Bücher aus Berlin. Wir fuhren selten irgendwohin, ich erinnere mich an zwei oder drei Besuche bei meinen Großeltern in Thüringen, an den Zuckerkuchen, den dünnen Kaffee, das Schweigen zwischen Gesprächsfetzen, die Tränen meiner Mutter auf der Heimfahrt.

András war damals schon achtzehn. Er holte mich mit seiner Simson ab. Großmutter saß auf ihrem Hocker vor dem Haus und gab vor, es nicht zu bemerken, wenn ich aus dem Fenster stieg. Ich schwang mich auf den Sitz, schlang die Arme um ihn, und wir brausten davon.

»Bist du dir nicht zu schade!«, schrie Vati mit heiserer Stimme, als ich heimkam. Die Leute würden reden! Er hielt mich mit fünfzehn Jahren für zu jung für eine Beziehung, Mutter stritt mit ihm. Vati jedoch diskutierte nicht, rief nur »Basta!« und schmetterte die Faust auf den Tisch, dass die Hunde aufjaulten. Dieses Geheule der Viecher, wie auf einer Tonleiter, wenn ich die nächtliche Dorfstraße entlanglief, aus dem Haus verschwand wie so oft.

András nahm mein Gesicht in die Hände, verglich meine Augen mit Kornblumen und küsste sie. Beim Edda-Konzert grölten wir mit, träumten uns eine Welt. Mit ihm erlebte ich den ersten Kuss, unter seinen Berührungen das erste Zittern, das erste Alles. Als ich Theresa erzählte, dass ich meine Unschuld verloren hatte, sagte sie nur, das sei eine so altmodische und negativ belegte Formulierung: Unschuld verlieren, als hätte ich etwas verloren, was nicht ohnehin als eine lästige Gemeinheit von der Natur eingerichtet worden war. Sie hatte sich mit Tampons den Weg dort freigemacht, damit es beim ersten Mal nicht so schlimm wehtat, und dennoch hatte ihr damaliger Freund drei Anläufe gebraucht, bis es für sie halbwegs erträglich wurde, während er Genuss dabei empfand. Wie himmelhochschreiend ungerecht das doch sei!

Ich hatte trotz des Schmerzes dabei eine ungeheure Liebe für András empfunden, das sagte ich Theresa aber nicht. András wusste, was er tat. Er flüsterte meinen Namen, streichelte mich, bis ich bebte. Ich war geborgen bei ihm. Im Halbdunkel sah ich sein Gesicht und fand darin nicht Vergnügen, sondern Fürsorge. Unsere Körper einander so nah. Noch heute erfüllt mich der Gedanke an diese Augenblicke mit Liebe. Auch wenn es sich längst anders anfühlt.

Was tust du noch hier?, würde Theresa fragen. Warum verlässt du ihn nicht? Sie würde es nicht verstehen.

»Kommst du ins Bett?« Ich fahre herum, hatte nicht bemerkt, dass András ins Zimmer kam. Wie eine Festung steht er da und betrachtet mich. Ich sammle die Briefe vom Boden auf, falte sie zusammen, verstaue sie in dem Schuhkarton, in dem ich sie aufbewahre. Als ich zu ihm aufblicke, hat er sich abgewandt, knöpft sein weißes Hemd auf und streift es ab, das...

Erscheint lt. Verlag 23.2.2025
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte aktuelles Buch • Anja Reich • Berlin • Berliner Mauer • Beziehungsgeflecht • Bücher Neuerscheinung • Budapest • Charlotte Gneuß • Das Licht vergangener Tage • DDR • Deutsche Demokratische Republik • Deutschland • Diplomatie • Dreiecksbeziehung • Exil • Flucht • Frauen-Freundschaft • Freundinnen • Freundschaft • Gittersee • Jenny Erpenbeck • Kairos • Kind • Leidenschaft • Liebesdreieck • Liebes-Geschichte • Mauerfall • Ménage-à-trois • Mitteleuropa • Mittelungarn • Neuerscheinung 2025 • neues Buch • Nordostdeutschland • Ostdeutschland DDR • Osteuropa • Provinz • Puchheimer Buchpreis 2025 • Republikflucht • Schriftsteller • Schuld • Schwangerschaft • Simone • Sommer • Ungarn • Verhaftung • Verrat • Vorwendezeit • Wende-Zeit • Wien
ISBN-10 3-458-78294-X / 345878294X
ISBN-13 978-3-458-78294-0 / 9783458782940
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