Break to You (eBook)
432 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-0892-7 (ISBN)
Neal Shusterman, geboren 1962 in Brooklyn, ist in den USA ein Superstar unter den Jugendbuchautoren. Er studierte in Kalifornien Psychologie und Theaterwissenschaften. Alle seine Romane sind internationale Bestseller und wurden vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem National Book Award.
Neal Shusterman, geboren 1962 in Brooklyn, ist in den USA ein Superstar unter den Jugendbuchautoren. Er studierte in Kalifornien Psychologie und Theaterwissenschaften. Alle seine Romane sind internationale Bestseller und wurden vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem National Book Award. Kristian Lutze studierte Anglistik/Amerikanistik und Germanistik in Düsseldorf, Buffalo, N.Y., und Hamburg. Er lebt in Köln und übersetzt neben Neal und Jarrod Shusterman u. a. Martin Cruz Smith, Walter Mosley, Michael Robotham und Robert Wilson aus dem Englischen. Pauline Kurbasik, geboren 1982 in Landau, studierte Romanistik, Anglistik und Linguistik sowie Literaturübersetzen. Sie übersetzt Bücher aus dem Englischen und Französischen und lebt in Köln. Michelle Knowlden, die früher Space-Shuttle-Ingenieurin und Extremwanderin war, schreibt inzwischen hauptberuflich. Den Rest ihrer Zeit verbringt sie zwischen Flussschiffen und dem Hochland von Arizona mit ihrer Familie, Freunden und einem isländischen Schwamm namens Marino. Debra Youngschrieb Fantasy, Science-Fiction und Horrorgeschichten. Sie veröffentlichte Stories in verschiedenen Zeitschriften und war die Autorin der Anthologie »Grave Shadows«. Leider verstarb sie im Jahr 2024 an den Folgen einer Lupuserkrankung.
Teil Eins
Adriana
1 Zugangsgespräch
Die Angestellte stülpt den Briefumschlag um, und der spuckt auf den Tresen, was von Adrianas Leben noch übrig ist. Die Frau geht alles achtlos durch, als würde sie mit einem Sieb Gold waschen. Gold, das sie offensichtlich nie gefunden hat.
Eine Fremde fasst meine Sachen an, denkt Adriana. Sie will die Hände der Frau beiseiteschlagen, unterdrückt den Impuls jedoch. Das fällt Adriana nicht leicht.
»Haben Sie die Liste von Dingen angesehen, die man in die Strafanstalt mitbringen beziehungsweise nicht mitbringen darf?«
Auf dem Namensschild der Frau steht Paula Laplante. Sie sieht gleichzeitig aus wie unter dreißig und über fünfzig. Als hätte ihre Tätigkeit in der Aufnahme einer Jugendstrafanstalt, dem so genannten Zugangsverfahren, ihre Seele durch ein Wurmloch im Raum-Zeit-Kontinuum getrieben. Wenn sie spricht, wendet sie sich an Adrianas Stiefmutter Lana, Blickkontakt mit Adriana hat sie bisher noch nicht gesucht.
Lana beugt sich nach unten, um durch den Schlitz in dem kugelsicheren Glas zu sprechen, eine Trennscheibe wie in Banken. Adriana fragt sich, ob es unter dem Tresen auch einen kleinen Knopf gibt, um ein SWAT-Team zu rufen, falls auf ihrer Seite der Scheibe etwas außer Kontrolle gerät.
»Ja«, sagt Lana, »haben wir.« Sie hält den Mund so dicht an den kleinen Sprechschlitz, dass es aussieht, als würde sie ihn küssen.
Paula Laplante blickt Lana skeptisch an, schiebt dann ein paar Fotos und ein Fläschchen mit Tabletten zur Seite und fördert ein kleines Notizbuch mit weichem Ledereinband zutage. Sie nimmt es zur Hand, schlägt es jedoch nicht auf, doch für Adriana fühlt es sich trotzdem übergriffig an. Sie möchte Lana wegschubsen, durch den Schlitz in der Scheibe greifen und Paula Laplante die Finger brechen.
Tu so, als ob es dir nichts ausmacht. Sie können dir nicht weh tun, wenn sie glauben, es wär dir egal.
Aber die Frau hat Adrianas stille Empörung offenbar gespürt, denn sie wendet sich ihr schließlich zum ersten Mal zu und mustert sie. Dann schiebt sie das Notizbuch und das Fläschchen mit den Tabletten zurück durch den kleinen Fensterschlitz.
»Das nicht«, sagt sie abweisend. »Die Fotos sind okay, aber alle in Ihrer Akte aufgeführten Medikamente werden in der Einrichtung verschrieben. Und private Tagebücher sind nicht erlaubt.«
Adriana greift nach dem Notizbuch, doch Lana legt ihre Hand auf Adrianas – als wäre es das Eingeständnis einer Niederlage, das Notizbuch zurückzunehmen. Lana nimmt die Tabletten, doch das Notizbuch bleibt, wo es ist. Es steckt in dem Schlitz zwischen zwei unvereinbaren Welten fest.
Adrianas Dad sollte hier sein, um zu helfen, doch er musste zu Hause bei ihrem Halbbruder bleiben, der erst zwei ist. Natürlich hätten sie jemanden finden können, der auf ihn aufpasst, aber nach dem Prozess war ziemlich klar, dass ihr Vater die Nase voll hatte von gerichtlichen Verfügungen, von zu unterzeichnenden Formularen und von ihr.
»Gibt es ein Problem?«, fragt Paula, der Zugangsverfahrenstroll. »Die Bestimmungen über persönliche Gegenstände sind vollkommen klar.«
»Das Notizbuch ist von ihrem Arzt«, platzt Lana heraus. »Von ihrem Therapeuten. Sie soll alles aufschreiben, was sie denkt.«
Lana könnte das vielleicht. Ihre Gedanken beschränken sich auf ihr Kleinkind, ihre Social Media-Kanäle und ihren Job – zu dem sie zu spät zu kommen droht, wenn man danach geht, wie oft sie in den letzten fünf Minuten auf ihre Uhr geblickt hat. Adrianas Gedanken könnten dagegen Telefonbücher füllen. Das heißt, wenn sie sie aus ihrem Kopf herausbekommen würde. Meistens starrt sie nur auf die leere Seite und bringt, wenn sie Glück hat, einen Absatz zu Papier. Aber dieser Absatz fühlt sich verdammt gut an.
Lana wendet sich ab und blickt zur Tür, als hoffe sie, Adrianas Vater würde auftauchen und sich um alle lästigen Fragen kümmern.
Es ist seltsam, aber in diesem Moment kann Adriana sich nicht genau daran erinnern, wie ihr Vater aussieht. Auch Lanas Gesicht verschwimmt in dem diffusen Licht wie in einer filmischen Traumsequenz. Warum löst ihre Familie sich auf, während die Strafanstalt und ihr seelenloser kleiner Troll so deutlich hervortreten, dass Adriana die Risse in den Wänden und die Spinatreste zwischen Paula Laplantes Zähnen ausmachen kann?
»Tut mir leid, es ist nicht zulässig«, sagt Paula. »Können Sie sich vorstellen, was los wäre, wenn wir für einige Insassen Ausnahmen machen und für andere nicht?«
Adriana beißt sich von innen auf die Wange, bis sie Blut schmeckt. Sie muss dieses Notizbuch haben, doch sie wird nicht betteln. Sie wird nichts sagen. Keine. Einzige. Silbe.
Das Notizbuch steckt nach wie vor in dem Schlitz zwischen dieser Welt und der anderen. Es ist zum entscheidenden Punkt in einem Chicken Game geworden. Wer blinzelt zuerst? Wer wird das Notizbuch wessen Welt zuweisen?
Wie sich herausstellt, ist Paula Laplante die Sache nicht wichtig genug, um darauf zu beharren. Sie nimmt das Notizbuch, um den Schlitz für einen Packen Formulare freizumachen, legt es jedoch nicht zu Adrianas übrigen Habseligkeiten, sondern auf die andere Seite des Tisches, als wäre es ein trotziges Kind, das eine Auszeit nehmen muss.
Lana tätschelt Adrianas Hand, als wollte sie sagen, dass es schon okay werden wird.
Adriana zieht ihre Hand nicht jedes Mal weg, wenn Lana versucht, sie zu trösten, aber sie reagiert auch nicht darauf. Lanas diverse Bemühungen, Zuneigung zu zeigen, sind immer wie über den Boden huschende Kakerlaken. Klein, lästig und offenkundig panisch bemüht zu entkommen.
Hinter der blauen Tür, die in die Strafanstalt führt, ertönt ein Summen. Laut wie Maschinengewehrfeuer und gefolgt von einem Getöse zuschlagender Türen und trampelnder Schritte. Klingt nach normaler Schule. Aber nichts daran fühlt sich normal an.
Lana muss ein Dutzend Seiten unterzeichnen, Verzichtserklärungen, Haftungsausschlüsse. Die Art Papierkram, wie man ihn bei Ärzten unterschreiben muss, damit man niemanden verklagen kann, wenn sie einen umbringen, ihre Autoschlüssel im Darm vergessen oder was auch immer.
»Deinen Vater zu heiraten ging schneller«, scherzt Lana, doch weder Adriana noch der Zugangsverfahrenstroll lachen.
Genau genommen findet Adriana es beleidigend.
»Darf sie diese Sachen für mich unterschreiben?«, fragt sie. »Ich meine, sie ist nicht meine richtige Mutter.«
Lana atmet tief ein und wieder aus. Sie sagt nichts.
»Erziehungsberechtigt reicht«, sagt Paula.
Adriana will ihr erklären, dass das für sie längst nicht ausreicht, aber welchen Sinn hätte das?
Lana unterschreibt sämtliche Formulare, ohne das Kleingedruckte zu lesen – und es ist alles kleingedruckt –, und schiebt sie zurück durch den Schlitz.
Paula geht die Seiten durch, als wollte sie überprüfen, dass Lana auch korrekt mit dem eigenen Namen unterzeichnet hat. »Die gerichtliche Anordnung besagt, dass Sie sieben Monate bei uns bleiben werden«, sagt Paula zu Adriana und knibbelt an ihren Zähnen, ohne die Spinatreste zu erwischen. »Das ist Ihnen klar, oder?«
Jetzt begreift Adriana den wahren Grund für die gläserne Trennwand. Es geht nicht um Kugeln – ohne die Scheibe würde Paula Laplante von jedem, der ihr begegnet, bis zur Besinnungslosigkeit geohrfeigt werden. Sieben Monate. Der Rest ihres vorletzten und der Beginn ihres letzten Schuljahres.
»Ja, ich weiß.«
Hat Adriana vielleicht deshalb Mühe, sich an ihren Vater zu erinnern oder ihre Stiefmutter zu erkennen, weil sie in gewisser Weise auch durch eine Scheibe blickt? Eine Scheibe, die sie von ihrem alten Leben trennt. Laut Gerichtsbeschluss wird sie in einer Welt verschlossener Türen leben, wo kleine Erbsenzähler entscheiden, ob man ein blödes Notizbuch haben darf oder nicht. Wo sieben Monate kein Zeitmaß sind, sondern bloß eine Liste von Dingen, die einem nicht mehr gehören.
Von diesem Augenblick an wird sie ihre Familie nur sehen, wie sie es vielleicht als Teilnehmerin eines wissenschaftlichen Experiments tun würde: in präzise bemessenen Zeitfragmenten, streng überwacht, in Räumen mit niedrigem Sauerstoffgehalt und hohem Schweißanteil. Das heißt, wenn ihre Familie sich überhaupt die Mühe macht zu kommen.
Paula Laplante betrachtet ein weiteres Mal das Notizbuch und kräuselt die Nase wie ein Schakal, der totes Fleisch wittert. »Ich gebe das Tagebuch an den Anstaltspsychologen weiter«, sagt sie. »Er wird entscheiden, was damit geschehen soll.«
Notizbuch, nicht Tagebuch, will Adriana schreien. Ein Tagebuch ist ein rosafarbenes Ding, das Prinzessinnen und verwöhnte Mädchen aus den Vorstädten mit Listen ihrer Weihnachtswünsche füllen. Dieses kleine Buch ist dagegen in braunes schmuckloses Leder gebunden.
»Ja, sicher, was auch immer«, murmelt Adriana.
»Danke«, sagt Lana, als würde sie für Adriana übersetzen, doch als Paula, der Zugangsverfahrenstroll, sich dem Telefon zuwendet, zeigt Lana ihr hinter dem Rücken einen Stinkefinger. Adriana verweigert einen Kommentar, doch ihre Lippe zuckt für eine Nanosekunde nach oben, bevor sie von der Schwerkraft wieder heruntergezogen wird.
»Adriana Zarahn ist bereit für das weitere...
Erscheint lt. Verlag | 26.3.2025 |
---|---|
Übersetzer | Kristian Lutze, Pauline Kurbasik, Andreas Helweg |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | Angie Thomas • Bücher für Jugendliche • Dear Martin • Deutscher Jugendliteraturpreis • Erwachsen werden • für Teenager • Gefängnisausbruch • Gefängnisbibliothek • Jugendbuch 9. Klasse • Jugendbuch Literaturpreis • jugendbuch spannend • jugendroman ab 12 • Jugendstrafanstalt • Junge Erwachsene Romane • Liebesroman • Liebesroman für Teenager • Mädchen im Gefängnis • neal shusterman deutsch • Soziale Ungerechtigkeit • Tagebuch • The Hate U Give • ungewöhnliche Liebe • Young Adult Romane |
ISBN-10 | 3-7336-0892-5 / 3733608925 |
ISBN-13 | 978-3-7336-0892-7 / 9783733608927 |
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |

Größe: 6,2 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich