Die Kriege der Gegenwart und der Beginn einer neuen Weltordnung (eBook)

224 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31323-9 (ISBN)
Joschka Fischer, geboren 1948 in Gerabronn. Von 1994 bis 2006 Mitglied des Bundestages, von 1998 bis 2005 Außenminister der Bundesrepublik Deutschland. 2006/07 Gastprofessor an der Universität Princeton, USA. Joschka Fischer lebt in Berlin. Im Verlag Kiepenheuer & Witsch sind bisher erschienen: »Risiko Deutschland« (1994), »Für einen neuen Gesellschaftsvertrag« (1998), »Die Rückkehr der Geschichte. USA, Europa und die Welt nach dem 11. September« (2005), »Die rot-grünen Jahre. Deutsche Außenpolitik - vom Kosovo bis zum 11. September« (2009), »I am not convinced« (2011), »Scheitert Europa?« (2014), »Der Abstieg des Westens« (2018), »Willkommen im 21. Jahrhundert« (2020).
Joschka Fischer, geboren 1948 in Gerabronn. Von 1994 bis 2006 Mitglied des Bundestages, von 1998 bis 2005 Außenminister der Bundesrepublik Deutschland. 2006/07 Gastprofessor an der Universität Princeton, USA. Joschka Fischer lebt in Berlin. Im Verlag Kiepenheuer & Witsch sind bisher erschienen: »Risiko Deutschland« (1994), »Für einen neuen Gesellschaftsvertrag« (1998), »Die Rückkehr der Geschichte. USA, Europa und die Welt nach dem 11. September« (2005), »Die rot-grünen Jahre. Deutsche Außenpolitik – vom Kosovo bis zum 11. September« (2009), »I am not convinced« (2011), »Scheitert Europa?« (2014), »Der Abstieg des Westens« (2018), »Willkommen im 21. Jahrhundert« (2020).
Nach der US-Präsidentschaftswahl / Donald Trump und die Folgen
Amerika hat gewählt. Dieser amerikanische Wahltag, jener Dienstag, der 5. November 2024, darf wohl mit vollem Recht global als die wichtigste politische Entscheidung dieses Jahres bezeichnet werden. Denn in welche Richtung der mächtigste Staat der Welt, die letzte verbliebene Supermacht sich wendet, ist von weltweiter Bedeutung, ja, bestimmt die zukünftige Ordnung der Welt. Denn dies war eine Richtungsentscheidung zwischen liberaler, verfassungsbasierter Demokratie oder deren Transformation zu einer nur mühselig noch demokratisch kaschierten Oligarchie in der Innenpolitik und zwischen einem außenpolitisch isolationistischen Amerika und einem Amerika, das an seiner regelbasierten, sich auf Bündnisse stützenden außenpolitischen Tradition als globale Ordnungsmacht festhält.
Von der großen Mehrheit der veröffentlichten Meinung war vor dieser Wahl in den USA ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den beiden Kandidaten Donald Trump und Kamala Harris vorausgesagt worden. Was dann in der Wirklichkeit der Wahlnacht folgte, war etwas ganz anderes, nämlich ein Erdrutschsieg Donald Trumps. Allein dieses Faktum wiegt schwer, da es die grundsätzlichen Veränderungen in der Gesellschaft der USA sichtbar macht. Diese werden wohl von Dauer sein. Trump eroberte mit klaren Mehrheiten alle wahlentscheidenden »swing states« und hatte recht schnell die für seine zweite Präsidentschaft notwendige Anzahl der Stimmen im »Electoral College« zusammen. Er konnte sich schon nach einer kurzen, aber eindeutigen Wahlnacht zum Sieger erklären.
Neben dem Weißen Haus eroberten die Trump-Republikaner auch die Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses, und gemeinsam mit einer konservativen Mehrheit im Supreme Court wird Donald Trump zumindest für zwei Jahre, bis zu den nächsten »Halbzeitwahlen« des Kongresses, durchregieren können. Zudem bekam er, zum ersten Mal überhaupt, die landesweite Mehrheit (»public vote«) der Amerikanerinnen und Amerikaner, was den innen- wie außenpolitisch absehbaren radikalen Kurs- und Politikwechseln des neuen Präsidenten eine zusätzliche Legitimation verleihen wird. Denn diesmal war es kein mehr zufälliger Wahlsieg, keine Überraschung, wie bei seinem ersten Wahlsieg 2016 zum 45. Präsidenten der USA. Diesmal hat den 47. Präsidenten die Mehrheit der wahlberechtigten Amerikanerinnen und Amerikaner, wissend um seinen Charakter, seine mehrfach versuchten Verfassungsbrüche, seine sonstigen kriminellen Handlungen und wissend auch um die Gefahr, die dieser Mann für die amerikanische Demokratie darstellt, gewählt – und diesmal nicht trotz, sondern wegen dieser Eigenschaften!
Auch wenn es den Europäern schwerfällt, ihr traditionelles Bild von Amerika aufzugeben – der Leuchtturm der Demokratie und die immer präsente Schutzmacht des demokratischen Europas vor allen autoritären und totalitären Bedrohungen –, es führt für Europa kein Weg daran vorbei, diese neue Realität anzuerkennen: Der 5. November 2024 war eine schwere Niederlage für das liberale Amerika und seine, über die Jahrzehnte hinweg weltweit prägende liberale demokratische Kultur. Die USA waren für lange Zeit das demokratische und liberal-rechtsstaatliche Vorbild, und sie waren mit ihrer gewaltigen militärischen wie auch wirtschaftlichen Macht immer auch der machtpolitische und wirtschaftliche Garant für den gesamten liberalen Westen, vor allem auch auf der anderen, der europäischen Seite des Atlantiks.
Mit dem Wahlsieg Trumps wurde so auch das Ende des liberalen Westens insgesamt eingeläutet, und damit trägt jene stolze westliche Führungsmacht – und das ist bitter, feststellen zu müssen! – zum Untergang jener von ihr durch ihre hart erkämpften Siege in zwei heißen Weltkriegen und einem globalen Kalten Krieg geschaffenen regel- und rechtsbasierten Weltordnung bewusst und willentlich bei. Die USA sind vor allem aufgrund ihrer kontinentalen Größe, ihres Ressourcenreichtums und ihrer geopolitischen Lage, beschützt durch die beiden größten Ozeane der Erde, von außen nicht besiegbar. Sie können sich nur selbst besiegen, was sie tatsächlich mit China gemein haben. Seit der letzten Wahlnacht werden wir Zeugen eines schleichenden inneren Prozesses der amerikanischen Selbstzerstörung. Denn was ist der liberale Westen? Es sind die Demokratien und Rechtsstaaten im nordatlantischen Raum, mit Verfassungen, gründend auf den Menschenrechten und den Werten der Aufklärung, bisher angeführt und beschützt von den USA. Donald Trump wird dieses einmalige Bündnis aufkündigen, und man wird dann sehen, dass auch die mächtigen USA von diesem gemeinsamen nordatlantischen Werte- und Zivilisationsmodell erheblich profitiert haben.
Das alles ereignete sich in der Nacht vom 5. auf den 6. November, während Europa schlief.
Jetzt ist eingetreten, was aus europäischer Sicht nicht eintreten durfte, auch wenn es seit Langem absehbar war. Ein schwaches, altes Europa ist plötzlich allein zu Hause, mit einer imperialen Macht als Nachbar im Osten und deren Krieg an seinen Grenzen – und einer amerikanischen Schutzmacht im Westen, die sich für den Isolationismus entschieden hat und sich am liebsten in ihre eigene Hemisphäre zurückziehen würde. Auf längere Sicht kann dies für Europa der Beginn einer Entscheidung zwischen Transatlantismus und Eurasien bedeuten. Vor allem für das Land in der Mitte der EU, für Deutschland mit seiner späten Entscheidung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer für die Westbindung, würde diese Alternative zwischen Transatlantismus und Eurasien eine gefährliche Zerreißprobe mit sich bringen. Erneut würde dies das Land zu einem zwischen Ost und West schwankenden Kandidaten in der Mitte des Kontinents machen. Es wäre die Lage, in der das Land bis Adenauers Westintegration zu seinem Unglück immer gewesen war.
Das Drama unserer Tage spielt sich für Europa zwischen zwei Daten ab: der 24. Februar 2022, dem Tag des Beginns des militärischen Überfalls Russlands auf die Ukraine, und der 5. November 2024, der Tag des triumphalen Wahlsieges von Donald Trump und des amerikanischen Isolationismus. Dieser Tag beendete auch einen ganzen Zeitabschnitt in der Geschichte der USA, der unter der Präsidentschaft Franklin Delano Roosevelts mit dessen Eintritt in den Zweiten Weltkrieg begonnen hatte. Das Land wurde dadurch zur liberalen Ordnungsmacht auf dem Globus und schuf entsprechend seiner eigenen freiheitlichen Prinzipien eine sehr erfolgreiche Weltordnung, die nun durch ein instabiles System der Rivalität großer, miteinander konkurrierender Mächte abgelöst werden wird.
Die Wahl Trumps wird dafür als ein mächtiger Verstärker wirken. Die aktuelle Debatte um die Folgen der zweiten Wahl Donald Trumps fällt bisher sehr unterschiedlich aus, je nachdem, ob man bei dem Versuch einer prognostischen Bewertung vor allem auf der taktisch operativen Ebene verbleibt oder ob man darüber hinaus auch die strategisch-historische Dimension seiner Wahl mit einbezieht. Trump wird einem kruden amerikanischen Interessennationalismus folgen und sich wenig um die Auswirkungen dieser sehr grundsätzlichen Veränderung kümmern.
Aus europäischer Sicht ist dies gleichsam eine doppelte Zeitenwende! Denn zwischen diesen beiden Daten entwickelte sich für das demokratische Europa ein Albtraumszenario: Im Osten des Europäischen Kontinents führt ein neoimperiales Russland einen Angriffskrieg gegen einen Nachbarn und zielt damit auch auf eine grundsätzliche Veränderung der europäischen Ordnung, wie sie durch die Werte der EU verkörpert wird. Und im Westen macht sich Europas bisheriger zentraler Bündnispartner und Sicherheitsgarant daran, sich von und aus Europa zurückzuziehen. Das Aufwachen am 6. November war für Europa ernüchternd, und es zeigte sich angesichts der drohenden strategischen und historischen Veränderungen im transatlantischen Verhältnis, dass sich die von Trump angedrohten Strafzölle auf die europäischen Exporte in die USA, bei aller wirtschaftlichen Bedeutung, noch als das kleinste Problem darstellen werden. Denn der Verlust der Schutzmacht USA bedeutet für Europa, dass es im Interesse seiner eigenen Sicherheit selbst zur Macht werden muss, was eine fundamentale Erneuerung der EU notwendig macht, und dies ist ganz gewiss keine kleine Aufgabe!
Die amerikanischen Wahlen werden aber nicht nur heftige Auswirkungen für Europa haben, sie werden die gesamte Weltordnung erschüttern. Denn wenn die weltweite Führungsmacht ihren grundlegenden Kurs ändert, wird dies weltweite Folgen haben, es wird die Institutionen, auf denen diese Ordnung beruht, dramatisch schwächen und rivalisierende Großmächte in ihren Angriffs- und Interventionsfantasien bestärken und so das globale Chaos vergrößern. Ein schwacher Westen wird weltweit die autoritären Alternativen stärken und so die globale Instabilität bis hin zu einer allgemeinen Kriegsgefahr vergrößern.
Donald Trump ist gewiss nicht an der Stärkung der multilateralen Institutionen interessiert, die er aus grundsätzlicher Überzeugung heraus ablehnt. Eine auf multilateralen Institutionen und anerkannten Regeln basierende Weltordnung passt nicht in das Weltbild des kommenden Präsidenten der USA. Er denkt nicht multilateral, und allein diese Tatsache wird zukünftig große Verwerfungen bis hin zu tiefen Zerwürfnissen innerhalb des transatlantischen Verhältnisses mit sich...
Erscheint lt. Verlag | 13.3.2025 |
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Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | AfD • Antidemokratische Bewegungen • Außenminister • Demokratie • Die Grünen • Europa • Europäische Union • Geopolitik • Globaler Süden • Kamala Harris • Krieg • Nahostkonflikt • Nahostkonflikt erklärt • Nationalismus • Politik • Populismus • Putin • Russland • Trump • Ukraine-Konflikt • Weltordnung |
ISBN-10 | 3-462-31323-1 / 3462313231 |
ISBN-13 | 978-3-462-31323-9 / 9783462313239 |
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