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Berchtesgaden (eBook)

Roman. Der große Gesellschaftsroman zum 80jährigen Jubiläum des Kriegsendes

(Autor)

eBook Download: EPUB
2025 | 1. Auflage
543 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7517-6102-4 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
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Ein Land zwischen Verdrängen und Erwachen - ein bildgewaltiges Gesellschaftspanorama einer symbolträchtigen Zeit

Berchtesgaden im Mai 1945. Die Lieblingsstadt des Führers kapituliert, die US-Amerikaner übernehmen die Regierung. Trotz ihres bescheidenen Englischs tritt die 19-jährige Sophie eine Stelle beim Military Government an, wo sie zum ersten Mal mit der ganzen Wahrheit über die deutschen Verbrechen konfrontiert wird. Sie trifft dort Menschen, die den Blick auf ihre eigene Familie verändern. Da ist ihr Chef, der jüdische Emigrant Frank, der mit den GIs in seine Heimat zurückkehrt, in der plötzlich alle »von nichts gewusst« haben wollen. Und seine Freundin, die glamouröse Kriegsreporterin Meg, die den Siegeszug der Alliierten mit ihrer Kamera begleitet. Der einst zum Tode verurteilte Rudolf Kriss, der nun Bürgermeister ist. Und der schwarze GI Sam, in den Sophie sich verliebt. Im Schatten des Obersalzbergs kreuzen sich ihre Wege auf schicksalhafte Weise ...

Das mitreißende Romandebüt der erfolgreichen Drehbuchautorin Carolin Otto zum 80jährigen Jubiläum des Kriegsendes






<p><strong>Carolin Otto</strong> studierte an der HFF München und promovierte an der Bauhaus-Universität Weimar. Sie schrieb Drehbücher für zahlreiche Fernsehproduktionen, unter anderem für <i><b>POLIZEIRUF 110</b></i> und <i><b>TATORT</b></i>. Außerdem ist sie Autorin und Regisseurin mehrerer Kinofilme, darunter auch <i><b>DER WEISSE RABE</b></i>, das filmische Porträt des Holocaust-Überlebenden Max Mannheimer. Seit 2019 ist sie Präsidentin der FSE (Federation of Screenwriters in Europe). BERCHTESGADEN ist ihr erster Roman.<br /></p> <p><strong><br /></strong></p> <p><br /></p>

2


Sophie und Magda schleppten ihre Säcke bis zum Kramerhof, dem bescheidenen Anwesen von Sophies Großeltern Anni und Ernst. Ihr Opa hatte den Hof von seinen Eltern übernommen, und Sophies Mutter sowie ihr Onkel waren dort geboren und aufgewachsen. Der Hof lag direkt außerhalb des Sperrgebietes auf dem Obersalzberg, da hatten die Großeltern damals Glück gehabt. Im Gegensatz zu Annis Bruder Gustl, der seinen Familienhof hatte verkaufen müssen, als der Obersalzberg von Reichsleiter Martin Bormann in ein Reservat für den Führer und seine Getreuen umgewandelt worden war.

Bormann hatte den dortigen Bewohnern seinen Gehilfen, den Münchner Immobilienmakler Gotthard Färber, auf den Hals gehetzt – mit zunächst angemessenen und dann immer alternativloseren Angeboten. Ein Ablehnen war nicht möglich. Gustl hatten sie schließlich das Dach über dem Kopf abgerissen, weil er sich weigerte, das Haus seiner Vorfahren zu verlassen. Aber letztendlich musste er sogar dankbar sein, dass man ihn – aufgrund seines schon fortgeschrittenen Alters und seiner Verdienste im Weltkrieg – nicht nach Dachau gebracht hatte. Der junge Fotokioskbesitzer, der es gewagt hatte, einen Brief an Hitler zu schreiben, weil er den Kiosk nicht für eintausendfünfhundert Mark hergeben wollte, war direkt abgeholt und nach Dachau verfrachtet worden, wo er zwei Jahre in Haft blieb. Jeder auf dem Obersalzberg hatte den Brandner Johann gemocht, weil er ein netter Kerl mit einer unbedarften, frechen Schnauze war, der mit seiner Geschäftsidee, selbstgemachte Fotos als Postkarten an Touristen zu verkaufen, eine kleine Goldgrube aufgetan hatte. Doch sein Kiosk passte nicht in die Pläne der Herrscher, ebenso wenig wie der Alpengasthof nebendran und so viele andere Häuser und Höfe, die das Dorf Obersalzberg bildeten. Gebildet hatten – denn das ganze Dorf war inzwischen weg. Die Bewohner hatte man vertrieben, doch sie behielten einander im Blick, auch wenn sie räumlich voneinander getrennt waren. Und so wussten sie alle, dass der Johann ein völlig anderer Mensch geworden war, als er nach zwei Jahren aus Dachau zurückkehrte. Dort war er verprügelt worden, hatte fast alle Zähne und seine offenherzige Leichtigkeit verloren. Er sprach nicht über das Geschehene, denn die Wände hatten für ihn jetzt überall Ohren, und man konnte niemandem mehr vertrauen. Er hatte noch einige Jahre bei den Elektrizitätswerken in Berchtesgaden gearbeitet, dann war er eingezogen und 1941 an die Front geschickt worden. Russland, Polen und der Rückzug … Im Januar 1945 war er schließlich gefallen. Für den Führer, der ihm seinen Kiosk weggenommen und sein Leben zerstört und das Vaterland, das ihn ausgespuckt hatte.

Sophie war mit Johanns jüngster Schwester in die Schule gegangen. Daher hatte sie den schweigsam gewordenen Johann ab und an gesehen. Ähnlich wortkarg war mittlerweile auch Sophies verwitweter Großonkel Gustl. Seit seiner Enteignung lebte er bei seiner Schwester Anni und ihrem Mann Ernst, den Großeltern von Sophie. Er war bereits recht still geworden, als er seine Frau verloren und seine Tochter in Salzburg einen Parteigenossen geheiratet hatte, und der »Umzug«, wie er es euphemistisch nannte, hatte ihm dann den Rest gegeben. Meist saß Gustl irgendwo, die Katze neben sich oder auf ihm drauf, und schnitzte Tierfiguren, die die Fensterbänke bevölkerten, oder er half Anni im Garten, wenn sie ihn darum bat. Oder Ernst, wenn der bei den sieben verbliebenen Kühen Hilfe brauchte.

Anni hatte Sophie und Magda mit ihren Säcken kommen sehen und sie mit in die Hüften gestemmten Armen und sehr kritischem Blick begrüßt.

»Ihr seid im Speer-Haus gewesen.«

»Ja, und wir waren nicht die Einzigen.«

»Das macht es nicht besser.«

»Wenn wir es nicht nehmen, nimmt es jemand anders.«

»Kein Grund«, sagte Anni streng.

»Oma, schau mal!«

Sophie zog einen blauen, aus dicker Wolle gestrickten Pullover mit Zopfmuster aus dem Bettbezugsack.

»Den habe ich dir mitgebracht!«

Anni zog die Mundwinkel nach unten und machte eine abwehrende Geste.

»Kommt nicht infrage.«

Sophie schmeichelte sich an Anni heran und nahm ihre Großmutter, die einen Kopf kleiner war als sie, in den Arm. Trotz ihrer siebzig Jahre war Anni beweglich, ihr Körper hatte immer noch eine kraftvolle, jugendlich wirkende Spannung. Aber ihre abgearbeiteten Hände und die Furchen, die ihr gebräuntes, markantes Gesicht durchzogen, verrieten ein hartes Arbeitsleben. Doch wenn Anni lächelte, berührte die aufleuchtende Schönheit ihrer inneren und äußeren Gestalt das adressierte Gegenüber, ob es wollte oder nicht.

»Das ist ein sehr schöner Pullover, der dich warm hält und den Frau Speer zurückgelassen hat. Du hast gesagt, du brauchst einen Pullover.«

»Aber nicht von der!«

»Vergiss, dass er ihr gehört hat.«

»Ich will keinen gestohlenen Pullover!«

Sophie legte das Kleidungsstück zur Seite.

»Wie wär’s mit einem Hut?«

Und stülpte ihrer Großmutter den roten Filzhut auf den Kopf – zack. Anni wehrte sich, lachend, aber ernsthaft unwillig.

»Bitte, Sophie …«

Magda sah unbehaglich zu, Sophies Unbefangenheit war ihr fremd. Sie trug immer noch den Pelzmantel und hatte es auf einmal eilig, aus ihm herauszukommen.

»Das bringt euch kein Glück, Madln«, sagte Anni düster.

Gustl kam von draußen rein, wo er mit Ernst im Stall gewesen war, und begriff sofort, was es mit den Bettbezügen und ihrem Inhalt auf sich hatte. Ein Lächeln glitt über sein Gesicht.

»Gut gemacht, ihr zwei! Die Bonzen haben uns all das vorher gestohlen. Holt es euch zurück.«

»Was wollen die zwei denn mit dem G’lump?«, sagte Anni immer noch streng.

»Hebt es gut auf, das kann man verkaufen. Werden wir brauchen.«

»Gustl …«

»Is’ da noch mehr?«, fragte Gustl ungeniert.

Und so kam es, dass Sophie und Magda ihre Bettbezüge leerten und wieder nach oben zum Speer-Haus stiegen. Und Gustl kam diesmal mit. Einfach nur um der Genugtuung willen. Und für alle Fälle nahm er den großen Leiterwagen mit.

An diesem selben Morgen, dem 25. April, waren gegen neun Uhr insgesamt dreihundertfünfundfünfzig Bomber der Royal Air Force, von Nordwesten herkommend, in einem Bogen über Berchtesgaden gedonnert. Schon häufiger waren britische Flugzeuge über den Ort geflogen, ohne jedoch auch nur eine Bombe fallen zu lassen. Auch diesmal war der Ort selbst verschont geblieben, aber dafür hatten sie tonnenweise Bomben über dem Obersalzberg abgeworfen. Die Vernebelungsmaschinen, die früher gelegentlich funktioniert hatten und mit denen der gesamte Berg in einen giftigen, undurchsichtigen Nebel gehüllt werden konnte, sodass es für die Bomberpiloten unmöglich wurde, ihre Ziele anzupeilen, waren mangels Materials außer Betrieb gewesen. Seit geraumer Zeit wurden sie, anstatt von Soldaten, von SS-Maiden bedient, die dem britischen Bombergeschwader außer Flüchen nichts mehr hatten entgegenschleudern können und sich deshalb alsbald in Deckung gebracht hatten.

Ebenso wie Hermann Göring, der Einzige aus der NS-Führungsriege, der zu diesem Zeitpunkt auf dem Berg weilte. Er stand seit einem Tag unter Hausarrest durch die SS, weil er dem Führer am 23. dieses Monats vorgeschlagen hatte, im Falle seines, des Führers, Todes die Führung des Reiches und die Verhandlungen mit den Alliierten zu übernehmen. Dies war vom Führer in Berlin als Verrat aufgefasst worden, und Göring wurde auf den letzten Metern des Dritten Reiches geächtet. So hatte er die Chance, als Einziger der prominenten Obersalzbergbewohner von den ausgedehnten und millionenteuren Bunkern zu profitieren, die den Berg wie die unterirdischen Gänge eines Dachsbaus aushöhlten. Gegen elf Uhr gab es einen zweiten Angriff, der jedoch hauptsächlich dem nördlich gelegenen Bad Reichenhall galt, wo diesmal amerikanische Bomber rund dreihundert Spreng- und viertausend Stabbrandbomben abließen und neben schweren Sachschäden den Tod von fast zweihundert Männern, Frauen und Kindern verursachten.

Als Hermann Göring nach der Entwarnung seinen Bunker zusammen mit Familie und Getreuen verließ, glich der Berg einem fremden, unwirtlichen Planeten aus Schlamm und Ruinen, tiefe Krater und Löcher zerfurchten ihn. Sein Haus und das von Bormann, der Platterhof, die SS-Kaserne und die Gewächshäuser, in denen man im Auftrag Bormanns für Hitler Gemüse angebaut hatte – sie alle waren schwer getroffen oder zerstört worden. Hitlers Berghof war jedoch nur leicht beschädigt. Die Soldaten der SS brachten Göring und seine Familie in sein Schloss in der Nähe von Salzburg, wo er sich einige Tage später in amerikanische Kriegsgefangenschaft begab, anstatt der Führer von Nachkriegsdeutschland zu werden. Außer ihm und seiner Frau Emmy hatte aber vermutlich sowieso keiner je an die Umsetzung dieser realitätsfernen Fantasie geglaubt.

Sophie, Magda und Gustl zogen gleich weiter zum Gutshof und zur SS-Kaserne, denn am Speer-Haus waren sie frech von Stanglmayr und Konsorten abgewiesen worden. Mit dem Schlachtruf »Schleicht’s euch!« hatte die quadratische Gerdi ihnen die Tür verwehrt.

Auf dem Weg hatten sie noch einen Blick in das nicht weit entfernt liegende Atelierhaus Speers geworfen, durch dessen...

Erscheint lt. Verlag 31.1.2025
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1945 • 2. Weltkrieg • Alpen • Bayern • Demokratie • Drittes Reich • Emanzipation • Exil • Familie • Flucht • Liebe • literarische Unterhaltung • Nachkriegszeit • Nationalsozialismus • Obersalzberg • Selbstermächtigung • Stunde Null • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-7517-6102-0 / 3751761020
ISBN-13 978-3-7517-6102-4 / 9783751761024
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