Die Könige von Babelsberg (eBook)
272 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01836-5 (ISBN)
Ralf Günther wurde 1967 in Köln geboren. Als Buch- und Drehbuchautor entwickelte er Kinderserien fürs Fernsehen und schrieb historische Romane. «Der Leibarzt», sein Debüt, wurde ein Bestseller. Es folgten unter anderem «Das Weihnachtsmarktwunder» sowie «Als Bach nach Dresden kam». Ralf Günther lebt in der Nähe von Dresden.
Ralf Günther wurde 1967 in Köln geboren. Als Buch- und Drehbuchautor entwickelte er Kinderserien fürs Fernsehen und schrieb historische Romane. «Der Leibarzt», sein Debüt, wurde ein Bestseller. Es folgten unter anderem «Das Weihnachtsmarktwunder» sowie «Als Bach nach Dresden kam». Ralf Günther lebt in der Nähe von Dresden.
Etwas später im Kommissariat
Beneken hatte seine Aktentasche unter den linken Arm geklemmt. Während er die schmucklose Flucht gleichförmiger Türen des Schöneberger Kommissariats durchschritt, studierte er die spärlichen Notizen auf dem Zettel in seiner Hand. Die Namen der Beteiligten kannte Beneken vom Hörensagen: Fritz Lang und Thea von Harbou. Beide waren sie vom Film, beide kurbelten sie bei den großen Produzenten Pommer und May – so viel wusste er aus den Gazetten. Am Vorabend, das hatte ihm der Kriminalassistent mittlerweile berichtet, war Lang höchstpersönlich im Kommissariat vorstellig geworden, um die Selbsttötung seiner Ehefrau anzuzeigen. Die Harbou hatte vor der Tür gewartet. Dann waren sie, Arm in Arm, aus dem Kommissariat getreten, als wollten sie einen Abendspaziergang unternehmen. Ein Verhalten, kaum in Übereinstimmung zu bringen mit der Leiche, die Beneken eben begutachtet hatte …
Der Kommissar näherte sich den Räumlichkeiten für die allfälligen Vernehmungen: blanke Stühle für die Beschuldigten, gepolsterte für die Kriminaler, ein Stehpult für die Stenografinnen, das selten benutzt wurde. Vernehmungen dauerten oft Stunden. Und in dem Maße, wie die Rock- und Kleidersäume kürzer wurden, wuchs die Furcht vor Krampfadern. Das hatte Beneken aus den Unterhaltungen der Damen aufgeschnappt.
An diesem Morgen ließ die Stenografin auf sich warten. Mochte sein, dass sie vor dem Aufbrechen eine Laufmasche entdeckt hatte; oder war ihr die Elektrische vor der Nase weggefahren? Zum Warten verdammt, verharrte Beneken hinter dem quadratischen Tisch. Da führte der Kriminalsekretär einen Verdächtigen herein, der nicht wie einer aussah: weite Hosen mit Nadelstrich, polierte Schuhe, Weste mit goldener Kette; sicherlich hing keine Uhr daran, sondern das berühmte Monokel. Kein Foto des Filmregisseurs in der Lichtbild-Bühne oder im Filmkurier ohne dieses Accessoire.
Die Hemdsärmel hatte Lang mit Manschettenknöpfen um die Handgelenke geschlossen, die dunklen Haare mit Brillantine nach hinten gestrichen. «Wie aus’m Ei jepuhlt», so hätte es Walters Mutter ausgedrückt.
Der Regisseur nahm Platz, als wollte er eine Flasche Champagner bestellen. Dann angelte er ein goldenes Etui aus der Jacketttasche: Importzigaretten der Marke Pharao. Beneken kannte sie dem Namen nach, leisten konnte er sie sich nicht.
Ihre Blicke trafen einander: Neugier auf Stolz. Für einen Kriminaler war es keine schlechte Sache, unterschätzt zu werden. Insofern freute sich Beneken über Langs Attitüde. Allerdings überlegte der Kommissar, ob er es auf einen ersten Machtkampf ankommen lassen und dem Verdächtigen das Rauchen untersagen sollte. Er entschied sich dagegen. Allerorten wurde geraucht, in den Gaststätten, in den Tanzsälen, selbst auf der Plattform der Elektrischen. Herrmann hatte auch damit angefangen. Schon bei seiner ersten Rückkehr von der Front, so erinnerte sich Beneken, hatte der Bruder ihn an einer Selbstgedrehten ziehen lassen.
Sogar die Mutter tat es gelegentlich. Doch sie versuchte es vor Walter zu verbergen. Wenn sie vor dem Schlafengehen noch einmal in den Wäschehof ging, den leeren Korb als Alibi an die Hüfte gestemmt, dann lugte Walter manchmal aus dem Fenster in den Hof. Immer häufiger sah er die Glutspitze bei den Wäschestangen glimmen. Selbstvergessen stand die Mutter dann zwischen Masten und Leinen, reglos, die Schürze um die Hüfte, den Alibi-Korb zu ihren Füßen und paffte Wolken in den windlosen Innenhof.
Walter wiederum nutzte die Zeit, um eine Jazz-Platte auf das geliebte Grammofon zu legen. Ein gebrauchtes Gerät, gekauft von seinem ersten Lohn. Die Platten des Duke Ellington Orchestra hatte er immer zur Hand. Die Scheibe auflegen, das Gerät ankurbeln, dann ging es los. Er wiegte sich im Rhythmus, manchmal improvisierte er Tanzschritte.
Wenn sie wieder in die Stube trat, roch sie wie eine Tabakfabrik. Wie konnte sie bloß annehmen, sie könnte ihren Sohn, den Kommissar, täuschen?
«Was ist das für eine furchtbare Musik, Walterchen?», fragte die Mutter dann, und Walter beendete sein Vergnügen, der Mutter zuliebe. Doch blieb da immer eine Sehnsucht.
Benekens Gedanken kehrten zurück ins Kommissariat. Milde gestimmt vom Bild der Mutter, verzichtete er auf den Machtkampf mit dem um zehn Jahre älteren Regisseur. Solange die Stenografin noch nicht erschienen war, mussten sie sich ohnehin die Zeit vertreiben. Sicherlich war sie auf dem Weg stecken geblieben, irgendeinen Krawall, irgendeinen Aufmarsch gab es immer in dieser aus allen Nähten platzenden Stadt. Tag für Tag und ungezählte Male rückten die Schupos mit gezogenen Knüppeln aus. Von seinem Büro aus konnte er ihre genagelten Stiefel die Treppen hinunterstürmen hören, wenn es zum Einsatz ging.
«Nun, Herr Kommissar? Was haben wir da zu besprechen?» Der Beschuldigte blies Rauch unter die Glühbirne. Die Geheimratsecken ließen das Gesicht spitz erscheinen, es mündete in eine schlanke Nase, der Fluchtpunkt des Charakterkopfes. Der Ausdruck war klug, aber von einer hintergründigen, doppelbödigen Klugheit, fand Beneken. Das Monokel blieb, am Ende der goldenen Kette, in der Westentasche. Langs Blicke aus hängenden, weichen Lidern waren auch ohne dieses Hilfsmittel durchdringend. Der gemütliche Dialekt wollte nicht recht dazu passen. Flüchtig warf Beneken einen Blick auf den Kopf der Akte: Friedrich Christian Anton Lang, geboren in Wien am 5. Dezember 1890, Leutnant der Reserve – natürlich.
Der Kommissar faltete die Hände über der Tischplatte und lehnte sich vor. «Ich bitte den gnädigen Herrn vielmals um Entschuldigung. Wir müssen warten. Die Stenografin ist noch nicht eingetroffen.»
«Stenografin? Was soll der Schnickschnack?»
«Die Vernehmung Verdächtiger wird routinemäßig protokolliert. Das ist Vorschrift. Zu Ihrem eigenen Schutz.»
Für einen kurzen Moment las Beneken Verunsicherung auf dem Gesicht des Beschuldigten. Dann gewann er seine Haltung zurück. Mit etwas milderer Stimme sagte er: «Ich muss schnellstmöglich ins Atelier. Ich wäre Ihnen überaus dankbar, Kommissar, wenn Sie meine Zeit nicht verfeuern täten wie das Morgenjournal von gestern. Haben Sie eigentlich einen Begriff von den Aufgaben eines Filmregisseurs?»
«Zugegeben, nein. Wären Sie so freundlich, Herr Lang, mir einen Begriff davon zu geben?»
Die Hand beschrieb – mitsamt der Pharao – eine generöse Schleife. «Haben’s denn gedient?», fragte der Regisseur, nicht preußisch schnarrend, sondern wienerisch schmeichelnd.
«Vater und Bruder waren an der Westfront», erklärte er, «mein Bruder Herrmann war Meldeläufer, mein Vater Infanterist. Beide sind im Feld geblieben. Ich blieb bei der Mutter.»
Lang stieß erneut Rauch durch die Nase, während er die Beine übereinanderschlug. «Der Regisseur ist der Oberkommandierende des Films. Er befehligt die Truppenteile und setzt sie in Marsch: Requisiteure, Dekorateure, Beleuchter, Schauspieler, Komparsen. Er baut das Bild, er formt die Figuren, er setzt, gemeinsam mit seinem Kameraoperateur, das Licht.»
«Er setzt das Licht?», wunderte sich Beneken über den Ausdruck.
«Ja. Seitdem wir mit künstlichem Licht kurbeln, haben wir in der Hand, wo es hell wird auf dem belichteten Film, und wo es dunkel bleibt. Wir können sogar künstliche Lichtquellen auf dem Bild herstellen, künstliche Sonnen, sozusagen.»
«Und wie kommt die Bewegung in den Film? Es sind doch nur Fotografien, nicht wahr? Viele stehende Bilder die aufeinanderfolgen … Verraten Sie mir den Trick?»
Lang lächelte schulterzuckend. «Die Filmkamera zerstückelt die Bewegungen in der Aufnahme. Sie macht etwa vierzehn bis achtzehn Fotos in jeder Sekunde. Weniger als vierzehn, das zeigt die Erfahrung, dürfen es nicht sein, dann zerfällt die Illusion der Bewegung. Aber wenn wir sie schnell genug vor dem Auge wechseln lassen, übersetzt unser Gehirn diese winzigen Bildsprünge in eine mehr oder weniger fließende Bewegung. Das Gehirn ergänzt die Zwischenräume. Nur manchmal ruckelt es noch …»
«Unser Gehirn ruckelt?»
«Nein, Herrschaftszeiten! Schauen Sie: Die Bewegungen sind noch ruckelig, aber die Operateure experimentieren laufend, um die Geschwindigkeit der Fotomotoren zu erhöhen – mehr Bilder in derselben Zeit, dann hört das Ruckeln auf.»
«In den Kameras stecken Motoren?»
Lang lachte. «Darauf können Sie wetten. In den Ateliers rattert und rumpelt es normalerweise …»
«Warum normalerweise?»
«Weil ich im Moment sinnlos da umherhocke, anstatt die Arbeiten voranzutreiben», erläuterte Lang sarkastisch.
In diesem Moment klopfte es an der Tür des Vernehmungsraumes. Beneken ignorierte das Geräusch.
«Wenn Sie, Herr Lang, am gestrigen Tag eine Kamera zur Hand gehabt hätten, um die Geschehnisse zu filmen, was hätte diese Kamera gesehen?»
Lang schwieg und schien nachzudenken. Beneken ging zur Tür und ließ die Stenografin herein. Sie war sorgfältig, aber nicht aufdringlich geschminkt und hatte ihr übliches Parfüm aufgelegt, eines von der blumigen Sorte. Kein schweres, rosenölhaltiges, eher ein leichtes: Flieder oder Lavendel. Der Duft streifte ihn, als sie an Beneken vorüberging.
Im Vorbeigehen drückte sie ihm eine braune Mappe in die Hand. Beneken öffnete den Deckel. Schnipsel aus Filmzeitschriften, aus Zeitungen und Magazinen quollen ihm entgegen. Auf den Bildern...
Erscheint lt. Verlag | 15.10.2024 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Schlagworte | 20er Jahre • Als Bach nach Dresden kam • Babylon Berlin • Berlin • Fritz Lang • Goethe in Karlsbad • historischer Krimi • Historischer Kriminalfall • Historischer Roman • Liebe • literarischer Kriminalroman • Spannung aus Deutschland • Stummfilm • Thea von Harbou • ungeklärter Todesfall • Wahre Begebenheit • Wahre GEschichte • Zwanziger Jahre |
ISBN-10 | 3-644-01836-7 / 3644018367 |
ISBN-13 | 978-3-644-01836-5 / 9783644018365 |
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